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Polymerasekettenreaktion – die Mondscheinsonate unter den molekularbiologi

Im molekularbiologischen Zeitalter scheint alles ganz einfach: Man schaut in die Zelle, findet ein Gen, und die Doktorarbeit ist geglückt bzw. irgendein Nachweis ist erbracht. So einfach ist es aber in der Praxis nicht. Der Nachweis einer bestimmten Eigenschaft eines Organismus kann indirekt über die Genaktivität, das heißt durch die Detektion der dazugehörigen mRNA (Boten-RNA), erbracht werden. Doch was ist zu tun, wenn das zu suchende Gen eine ganz geringe Aktivität hat und vielleicht nur ein einziges mRNA-Molekül in der Zelle vorliegt? Das wäre alles ein großes Problem, wenn da nicht der Mondschein gewesen wäre.

Kari Mullis von der Cetus Corporation in Kalifornien fuhr 1984 im Licht des Vollmondes durch den Wald. Da kam ihm die Erleuchtung, aus der die gesamte Biologie stetig steigenden Nutzen zieht. 1993 wurde er für die Entdeckung der Polymerasekettenreaktion (PCR) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Viele Genetiker fragten sich damals, weshalb sie nicht auch auf diese genial einfache Idee gekommen waren, zumal die Prinzipien bereits 1971 beschrieben worden waren. Die PCR-Technik ist schlicht eine Vervielfältigung von DNA-Sequenzen, mehr nicht. Liegt eine Sequenz in einer nicht detektierbar geringen Konzentration vor, weil zu wenig Zellen vorhanden sind, kann sie in der Regel mit der PCR beliebig vermehrt bzw. kloniert werden, damit sie ohne großen Aufwand nachweisbar wird.

1 Milliarde in 2 Stunden

Die PCR besteht aus drei Schritten.

  • Zunächst wird die zu untersuchende DNA auf über 90 °C erhitzt. Die Doppelhelix spaltet sich in Einzelstränge auf, da die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basenpaaren aufgehen.
  • Es folgt eine schnelle Abkühlung auf etwa 40 bis 65 °C. Jetzt hybridisieren die Starter- oder Primer-Sequenzen - das sind kurze einzelsträngige DNA-Sequenzen bekannter Basenfolge - mit komplementären Sequenzen der DNA. Nun beginnt die Amplifikation.
  • Bei etwa 70 °C synthetisiert das Enzym Polymerase wieder die komplette DNA. Als Startpunkt benötigt sie ein kurzes Stück Doppelhelix, das durch die Primer gegeben ist.

Soll eine bekannte Sequenz amplifiziert werden, setzt man jeweils einen Primer auf die beiden gegenläufigen Stränge. Genau die Sequenz zwischen den beiden Primern wird dann vervielfältigt. Nach drei bis vier Minuten ist der Zyklus abgeschlossen. Aus einem doppelsträngigen DNA-Segment sind zwei identische Kopien geworden.

Nach zehn Zyklen erhält man theoretisch 1024 (210) Klone, nach 20 Zyklen sind es über 1 Million, nach 30 Zyklen über 1 Milliarde. Die tatsächliche Amplifikationsrate ist etwas niedriger, da die Ausbeute pro Zyklus bei etwa 85% liegt. Das ergibt nach 20 Zyklen etwa 230000 Kopien, wenn alles gut geht. Die amplifizierten Sequenzen lassen sich anschließend elektrophoretisch nach der Länge auftrennen und anfärben. Es ergeben sich je nach Primer und DNA charakteristische Bandenmuster.

Pedanten sind gefragt

Die Methodik der theoretisch so einfachen PCR ist mit Schwierigkeiten nur so gepflastert. Das Geschehen läuft im Volumen eines Tropfens ab, so zwischen 20 und 50 Mikrolitern. Gereinigte DNA wird im Nanogramm-Maßstab zugegeben. Die wichtigsten Zutaten sind die Polymerase, die freien Nucleotide für die Polymerisation, der Puffer und vor allem Mg-Ionen. Der Ansatz wird mit Mineralöl überschichtet, damit nichts verdampft. Extreme Genauigkeit und Sauberkeit beim Pipettieren der einzelnen Zutaten ist unverzichtbar. Dennoch bleibt die Zahl der möglichen Fehler riesig.

Kontaminationen mit Fremdgewebe oder Mikroorganismen machen die Ergebnisse unbrauchbar. Für jede neue Aufgabe muss ein neues Rezept entwickelt, alle Zutaten variiert und optimiert werden. Auch die PCR-Öfen der einzelnen Hersteller arbeiten nicht alle gleich. Denn nach dem Motto "Never change a winning team" ändert kein Wissenschaftler ohne Grund seine Rezepte. Was im einen Forschungslabor funktioniert, muss im nächsten noch lange nicht auf Anhieb klappen. Dennoch ist die PCR als extrem schnelle und genaue molekulargenetische Analysenmethode aus dem Laboralltag nicht wegzudenken.

Grundlegendes Kriterium ist die Kreation der Primer (Starter). Ist die Sequenz zu kurz, hybridisieren sie unspezifisch mit der DNA, sind sie zu lang, werden Mutationen an dieser Stelle schlechter erkennbar. Die optimale Länge liegt je nach Anwendung zwischen 10 und 30 Basen. Die Entdeckung der hitzestabilen Polymerase im thermophilen Bakterium Thermus aquaticus hat die Automatisierung der Technik erst ermöglicht. Vorher musste nach jedem Zyklus neue (hitzelabile) Polymerase zugegeben werden. Die Taq-Polymerase wird, wie alle Zutaten, am Anfang einmal pipettiert. Dann läuft die Reaktion vollautomatisch in programmierbaren PCR-Maschinen ab.

Vom Mammut bis zu den Mykoplasmen

Wenige Milliliter Urin oder Blut und Biopsie- und Autopsiegewebe lassen sich ebenso untersuchen wie Pflanzen, Bakterien (einschließlich Rickettsien und Mykoplasmen), Viren oder Pilze. Wasser- und Bodenproben können auf bestimmte Mikroorganismen hin durchsucht werden, Haarwurzeln und manche Fossilien haben noch genug intakte DNA für eine Analyse. Nicht erst seit "Jurassic Park" werden archäologische Funde genetisch analysiert. Die ältesten erfolgreich erschlossenen Gewebe gehören zu einer 7000 Jahre alten Mumie und einem 40000 Jahre alten Mammut aus dem sibirischen Permafrost. Bei archäologischen Funden wird hauptsächlich die Mitochondrien-DNA untersucht.

Es ging sofort los

Mit der Entdeckung der PCR wurde schon die erste Anwendung beschrieben, die pränatale Diagnose der Sichelzellenanämie. Diese Blutkrankheit beruht auf einer Punktmutation. Man synthetisierte einen Primer, der komplementär zu einem Abschnitt des betreffenden Gens ist. Liegt auf dem Gen eine Mutation vor, kann der Primer an dieser Stelle nicht binden. Es entsteht ein anderes Muster als beim gesunden Menschen, da eine Bande ausfällt.

So lassen sich alle durch Punktmutationen verursachten Krankheiten mit bekannter Sequenz der betreffenden Gene detektieren, z.B. Phenylketonurie, beta-Thalassämie, Hämophilie A und B, Zystische Fibrose und Muskeldystrophie.

Auch die Analytik von Krebserkrankungen wird durch die PCR bereichert. Auf molekularer Ebene lassen sich mit der PCR zelluläre Veränderungen beobachten. Gene, die die Zellproliferation und -differenzierung kontrollieren, können durch einen Basenaustausch zu Onkogenen werden. Solche Mutationen lassen sich gezielt nachweisen.

Auch der Zufall wird ausgenutzt

Die PCR funktioniert auch, wenn man über die Sequenzen eines Organismus überhaupt nichts weiß. Möchte man z.B. niedere Eukaryonten identifizieren und klassifizieren, über die keine genetische Information gegeben ist, können Zufallsprimer eingesetzt werden. Findet man geeignete Primersequenzen, können Bandenmuster erzeugt werden, die dem genetischen Fingerabdruck entsprechen. Daraus lassen sich mittels einer Clusteranalyse z.B. Verwandtschaftsverhältnisse auf genetischer Basis errechnen. Auch sehr schwierig nachweisbare Organismen, wie Mykoplasmen, werden zugänglich. Die Technik heißt RAPiD-PCR (random amplified polymorphic DNA). Sie ist auch aus der medizinischen Diagnostik nicht mehr wegzudenken.

Bei Borrelien wird geschachtelt

Die Borrelien-Serologie ist vor allem in den frühen Stadien unzuverlässig. Die geschachtelte (nested) PCR schafft hier Abhilfe. Sie erfasst mit hoher Sensitivität selbst früheste Stadien der Infektion. Bei der nested PCR wird ein zweites Primerpaar eingesetzt, das innerhalb des ersten Paares an den Einzelsträngen hybridisiert. Das erhöht die Spezifität der Gesamtreaktion erheblich. Die nested PCR schafft es, was bei frühen Infektionsstadien wichtig ist, in einer großen DNA-Menge eine kleine Sequenz geringer Konzentration zu amplifizieren. Denn alle unspezifischen Sequenzen der ersten Reaktion werden durch das zweite Primerpaar bis unter die Nachweisgrenze verdünnt.

Weitere Krankheiten, bei denen der Erregernachweis mittels PCR gelungen ist, sind beispielsweise Herpes simplex Typ 1 und 2, Varicella und Zoster, Epitheldysplasien, Mykosen, besonders die tiefen und erregerarmen Varianten, Lues und Viren-induzierte Papillome. Einige Untergruppen des Papillomavirus verursachen Gebärmutterhalskrebs. Diese Viren sind mit herkömmlichen Methoden nur schwer nachzuweisen. Mit der PCR lassen sie sich sogar in 40 Jahre alten Gewebeschnitten detektieren.

Bei HCV wird umgeschrieben

Die RNA des Hepatitis-C-Virus (HCV) im Serum oder im Gewebe nachzuweisen, ist wegen des häufig geringen Virustiters sehr schwierig. Doch die RT-PCR schafft hier Abhilfe. Mit dem Enzym Reverse Transkriptase (RT) wird die HCV-RNA zunächst in komplementäre DNA (cDNA) umgeschrieben und anschließend mit der PCR amplifiziert. Die Infektion mit HCV lässt sich mit der RT-PCR in der Regel innerhalb einer Woche post infectionem nachweisen.

Väter hoffen auf Fehler

Vaterschaftsnachweise oder die Identifizierung von Straftätern gelingt auch mit der Analyse der humanen Lymphozyten-Antigene (HLA). Der große Vorteil der PCR ist aber, dass sie mit geringsten Mengen an Material auskommt. Aus einer Haarwurzel oder ein wenig Samen lassen sich 10 Nanogramm DNA isolieren, die, wenn man keinen Fehler macht, zur Identifizierung eines Täters ausreichen.

PCR mit Nagellack

Die In-situ-Hybridisierung mit DNA innerhalb intakter Zellen erfolgt schon seit einigen Jahren. Für Studien zur Analyse von Viren, von Krebs und für die Entwicklungsbiologie ist diese Technik nicht so gut geeignet, da sie bei niedriger Kopienzahl der Gensequenzen nicht funktioniert. Das ist die Domäne der In-situ-PCR.

Für die Virus-Diagnostik und das Verständnis viraler Pathogenese bedeutet die In-situ-PCR einen Durchbruch, vor allem beim AIDS-Virus HIV. Denn die Technik identifiziert nicht nur die infizierten Zellen innerhalb eines komplexen Zellgemisches. Es lässt sich damit auch zwischen latenten und aktiven Infektionen unterscheiden. Im ersten Fall ist virale DNA nachweisbar, im zweiten Fall virale RNA mittels der RT-PCR.

Die Entwicklungsbiologen haben förmlich auf diese Technik gewartet. Denn jetzt lassen sich an Embryonen die Zellen identifizieren, in denen Genexpression stattfindet. Die exakte Bestimmung der jeweiligen Zellschichten und des dazugehörigen Zeitpunktes der Aktivität liefert den Entwicklungsbiologen viele neue Einsichten, nicht nur für die Grundlagenforschung.

Für die In-situ-PCR werden die zu untersuchenden Zellen auf einem Glasplättchen fixiert, die PCR-Reagenzien hinzugefügt, ein Deckplättchen aufgelegt und das ganze mit Nagellack versiegelt, damit die Zellen beim Erhitzen nicht austrocknen. Die Technik des Erhitzens und die gesamte Prozedur variiert dagegen sehr stark.

Quantitative PCR

Neben diesen vielen qualitativen Ansätzen ist es auch möglich, quantitative PCR zu betreiben. Dies ist z.B. wichtig bei der Diagnose und Therapie von Infektionskrankheiten. Um auf die zu Beginn der PCR vorliegende Konzentration der Nucleinsäure schließen zu können, gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine davon ist die interne Standardisierung durch das gleichzeitige Amplifizieren von beta-Globin. Da sich mit jeder Verdoppelung die Menge an beta-Globin verdoppelt, lässt sich von der Globin-Konzentration auf die der DNA schließen.

Vor allem in der Virologie ist das ein wichtiger Ansatzpunkt. Die Quantifizierung des Zytomegalievirus (CMV) dient zur Identifizierung von Hochrisikopatienten und zur Beurteilung des Ansprechens auf die CMV-Therapie. Neugeborene und immundefiziente bzw. immunsupprimierte Patienten (AIDS-Patienten, Transplantierte) stehen unter einem hohen Risiko, an Zytomegalie zu erkranken.

Der Nachweis transgener Lebensmittel ist schwierig

Der Nachweis von Fremdgenen in Lebensmitteln ist auch mit der PCR nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick ausschauen mag. Üblicherweise enthalten die meisten transgenen Pflanzen das übertragene Fremdgen, z.B. die Insektenresistenz aus Bacillus thuringiensis, und gleichzeitig ein Markergen, das für die Selektion der erfolgreich transformierten Pflanzenzellen notwendig ist. Als Markergene kamen in der Vergangenheit hauptsächlich Antibiotikaresistenzgene zum Einsatz; in den meisten Fällen die Gene für Kanamycin- oder Neomycin-Resistenz.

Eine falsch-positive Detektion kann entstehen, wenn das Lebensmittel mit Mikroorganismen kontaminiert ist. Denn die Markergene stammen alle aus Mikroorganismen im Boden. Sie sind praktisch ubiquitär. Neuere Transformationsprotokolle führen zu Pflanzen ohne Markergene, können also auf diesem Wege nicht detektiert werden. Hinzu kommt, dass auch die eigentlichen Gene nicht sicher nachweisbar sind. Denn die Hybridisierung der Primer kann unterbleiben, da das dritte Nucleotid im Codon sehr häufig variabel ist.

Doch während intakte Maiskörner oder Sojabohnen einfach zu bearbeiten sind, treten bei verarbeiteten Lebensmitteln weitere Schwierigkeiten auf. Deren komplexe Matrix kann PCR-Inhibitoren enthalten, die eine Analyse verhindern. Außerdem kann die DNA durch mechanisches Zerkleinern, durch enzymatischen Verdau oder pH-Absenkung komplett degradieren. Das macht eine Identifikation ebenfalls unmöglich.

So lässt sich aus geschälten Tomaten in Dosen nicht in jedem Falle DNA extrahieren, die für die PCR geeignet ist. Das hängt vom jeweiligen Produzenten ab. Die Analyse von Tiefkühlpizza durch die Untersuchungsämter wäre anzuzweifeln, wenn allgemeingültige Aussagen nicht zu treffen sind. Generell gilt bei transgenen Lebensmitteln, dass man nur findet, was man auch sucht. Sonst wird es schwierig.

Einsatz ohne Ende

Die Möglichkeiten der PCR sind mit diesen Beispielen noch lange nicht erschöpft. Mit PCR können Mutationen in Gene eingefügt werden. Die Technik eignet sich, um auf den Chromosomen von bekannten in noch unerforschte Regionen zu wandern. Es lassen sich damit auch Gene sequenzieren. Findige Köpfe entwickeln immer wieder neue Abwandlungen der Technik. Eine Ende der Erfolgsgeschichte ist nicht abzusehen, auch ganz ohne Mondschein.

Dem Amerikaner Kari Mullis soll die Idee für die Polymerasekettenreaktion (PCR) 1984 während einer Spazierfahrt im Vollmond gekommen sein. Ob wahr oder nicht, er erhielt für diese molekularbiologische Technik den Nobelpreis. Die PCR ermöglicht es, DNA oder RNA beliebig zu vervielfältigen. Für die Diagnostik einiger Infektionskrankheiten ist die PCR inzwischen unverzichtbar, denn bestimmte Erreger lassen sich nur indirekt durch ihr Erbgut nachweisen, nachdem es durch die PCR vervielfacht worden ist.

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