Arzneistoffporträt

N. Boblitz, E. Liske, P. WüstenbergTraubensilberker

Neben der hormonellen Therapie zur Behandlung klimakterischer Beschwerden, des prämenstruellen Syndroms (PMS) und der Dysmenorrhö finden pflanzliche Arzneimittel für die Therapie dieser Krankheitsbilder zunehmend Beachtung. Von der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes wurden Extrakte aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze bei "prämenstruellen und dysmenorrhoischen sowie klimakterisch bedingten neurovegetativen Beschwerden" positiv bewertet [1]. Der therapeutische Nutzen der Traubensilberkerze bei der Behandlung gynäkologischer Krankheitsbilder wird auch in zahlreichen Publikationen zu pflanzlichen Arzneimitteln beschrieben [2 - 6]. Klinische Studien belegen die Wirksamkeit von Traubensilberkerzen-Extrakten sowohl gegenüber Plazebo als auch im Vergleich mit konventioneller Hormonersatztherapie.

Das wachsende Interesse an pflanzlichen Arzneimitteln beruht auf zunehmendem Gesundheitsbewusstsein der Patientinnen sowie auf der Rückbesinnung auf eine "natürliche Lebensweise", hinzu kommen Bedenken bezüglich absoluter und relativer Kontraindikationen sowie möglicher Nebenwirkungen synthetischer Arzneimittel. Umfangreiche Erfahrungen existieren zur phytotherapeutischen Behandlung insbesondere klimakterischer Symptome [4]; hierfür eignen sich Fertigarzneimittel1 mit Inhaltsstoffen aus Extrakten der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa).

Eine Arzneipflanze mit Tradition

Die Verwendung von Cimicifuga racemosa-Wurzelstock - die Pflanze ist heimisch im Osten der Vereinigten Staaten und in Kanada - hat eine lange Tradition [7, 8]. Nordamerikanische Indianer sowie Siedler benutzten die Traubensilberkerze für Gelenkschmerzen, Myalgien und Neuralgien, des weiteren auch bereits für die Behandlung klimakterischer sowie allgemeiner gynäkologischer Symptome, Schmerzen unter der Geburt und Rheumatismus.

Seit Ende der Fünfzigerjahre wurde in zahlreichen Einzelfallberichten über den Nutzen von Cimicifuga-Monopräparaten bei Behandlung verschiedener gynäkologischer Erkrankungen berichtet. Behandelt wurden klimakterische Symptome, Blutungsunregelmäßigkeiten, juvenile Regelstörungen, das prämenstruelle Syndrom sowie Beschwerden während der Schwangerschaft [9 - 19]. In der Literatur wird der therapeutische Effekt von Cimicifuga racemosa bei über 2000 Patientinnen beschrieben; betont wird insbesondere die ausgezeichnete Wirksamkeit bei gleichzeitig sehr guter Verträglichkeit.

Anwendungsbeobachtungen

In einer multizentrischen Anwendungsbeobachtung aus dem Jahre 1982 mit 704 Patientinnen mit klimakterischen Beschwerden (Daten von 629 Patientinnen uneingeschränkt auswertbar, mittleres Alter: 51 Jahre) wurden Patientinnen mit einem Traubensilberkerzen-Präparat (Lösung; ethanolischer Extrakt; vom Hersteller empfohlene Dosierung) 6 bis 8 Wochen lang behandelt [20]. Die neurovegetativen Beschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche wurden ebenso gebessert wie psychische Symptome (Nervosität, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und depressive Verstimmungen).

Die Symptomatik besserte sich bei 75% der Frauen bereits nach 4 Wochen, 80% gaben eine günstige Beeinflussung ihrer Symptome nach Beendigung der Therapie an ("gebessert"/"nicht mehr vorhanden"). 93% der Patientinnen berichteten über sehr gute Verträglichkeit; milde und vorübergehende Begleitsymptome wurden in nur 7% der Fälle beobachtet.

Klinische Studien

In klinischen Studien mit Cimicifuga racemosa wurde insbesondere die therapeutische Eignung bei klimakterischen Beschwerden untersucht. Die Studientherapiedauer lag bei drei bzw. sechs Monaten, verwendet wurden feste oder flüssige Darreichungsformen. In älteren Studien wurden Tagesdosen entsprechend 48 bis 140 mg Drogenäquivalent eingesetzt, in einer neueren Studie 40 und 127 mg Droge verglichen.

Klimakterische Beschwerden

Zur Objektivierung des therapeutischen Effektes fand wiederholt der Kupperman-Menopause-Index [21] Verwendung. Er erfasst verschiedene typische klimakterische Symptome und ordnet ihnen je nach Wertigkeit einen bestimmten Gewichtungsfaktor zu (z. B. Hitzewallungen als Hauptsymptom: Gewichtungsfaktor 4). Die Produkte aus den Gewichtungsfaktoren und dem jeweiligen Schweregrad der Symptome werden addiert und ergeben den Gesamtscore. Die Patientinnen sind nicht therapiebedürftig bei Werten bis 15. Sie haben

  • leichte Beschwerden bei Werten bis 20,
  • mittlere Beschwerden bei Werten bis 35 sowie
  • starke Beschwerden bei Werten über 35.

In den frühen Achtzigerjahren (1983, 1984) wurde der therapeutische Effekt in zwei offenen, nicht kontrollierten Studien [22, 23] untersucht:

  • n = 36; mittleres Alter: 52 ± 5 Jahre; range: 45 bis 62 Jahre bzw.
  • n = 50; mittleres Alter: 53 ± 4 Jahre; range: 45 bis 60 Jahre.

Es wurden der Kupperman-Index und der klinische Gesamteindruck (Clinical Global Impression Scale, CGI: Fremdbeurteilungsskala zur Beurteilung des Schweregrades einer Krankheit, des Therapieverlaufes sowie der therapeutischen Wirksamkeit [24]) sowie die Auswertung der Profile-of-Mood-Scale (POMS: Selbstbeurteilungsskala zur Erfassung wechselnder Stimmungszustände [24]) eingesetzt. Verwendet wurde ein ethanolischer Extrakt in flüssiger Darreichungsform; die Dosis entsprach der Empfehlung des Herstellers.

Die Wirksamkeit wurde nach 4 Wochen Behandlungsdauer gesehen, nach 12 Wochen war der Therapieerfolg statistisch signifikant (p < 0,001) und auch klinisch relevant (CGI: viel besser). Die Auswertung der Profile-of-Mood-Scale belegte ebenfalls eine sehr gute therapeutische Wirksamkeit des Prüfpräparates [23]. In allen Fällen wurde die Compliance als gut bis sehr gut beschrieben. Nur vier Patientinnen berichteten über leichte gastrointestinale Beschwerden zu Beginn der Therapie.

Neurovegetative und psychische Symptome

In einer offenen, kontrollierten, randomisierten Studie mit Referenztherapie [25] aus dem Jahre 1985 (n = 60, mittleres Alter: 54 Ī 4 Jahre, range: 45 bis 60 Jahre) zeigte eine dreimonatige Behandlung mit

  • Cimicifuga racemosa (flüssige Darreichungsform; ethanolischer Extrakt; vom Hersteller empfohlene Dosis; n = 20),
  • konjugierten Östrogenen (0,625 mg pro Tag; n = 20) oder
  • Diazepam (2 mg pro Tag; n = 20)

eine vergleichbare Wirksamkeit bei neurovegetativen und psychischen Symptomen bei statistisch signifikantem Beschwerderückgang (p < 0,05). Verwendung fanden der Kupperman-Index, die Self-evaluation-depression-scale (SDS: Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung depressiver Symptomatik [24]) und die Hamilton Anxiety Scale (HAMA: Fremdbeurteilungsskala zur Beurteilung des Schweregrades des Symptoms "Angst" [24]). Bezogen auf den CGI wurden alle Medikationen als gleich gut beurteilt. Die Compliance wurde als gut, die Verträglichkeit als sehr gut eingeschätzt.

Die therapeutische und klinisch relevante Wirksamkeit eines Cimicifuga racemosa-Präparates (feste Darreichungsform, isopropanolischer Extrakt, vom Hersteller empfohlene Dosierung) in der Behandlung klimakterischer Symptome wurde in einer doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Studie aus dem Jahre 1987 (n = 80; durchschnittliches Alter: 51 ± 3 Jahre; range: 46 bis 58 Jahre) mit einer Hormonersatztherapie (konjugierte Östrogene 0,625 mg pro Tag) verglichen [26]. Patientinnen, die Cimicifuga racemosa erhielten (n = 30), zeigten im Vergleich zur Plazebobehandlung im Kupperman-Index und in der HAMA-Scale eine klinische Besserung nach 4 Wochen. Bei Behandlungsende (12 Wochen) lag der mittlere Kupperman-Index-Score bei 15 oder darunter, d.h. im nicht therapiebedürftigen Bereich. Unspezifische unerwünschte Ereignisse (z. B. Kopfschmerzen), die als nicht arzneimittelbedingt eingeschätzt wurden, traten in allen drei Studiengruppen (einschließlich der Plazebogruppe) auf.

Beschwerden nach Hysterektomie

Auch bei operationsbedingten vegetativen Beschwerden zeigte Cimicifuga racemosa Wirksamkeit [27]. In einer vierarmigen, offenen, kontrollierten, randomisierten klinischen Studie aus dem Jahre 1988 wurden 60 Patientinnen unter 40 Jahren mit klimakterischen Symptomen nach Hysterektomie mit

  • einem Cimicifuga racemosa-Präparat (feste Darreichungsform; isopropanolischer Extrakt; vom Hersteller empfohlene Dosierung; n = 15)
  • Estriol (1 mg pro Tag; n = 15),
  • konjugierten Östrogenen (1,25 mg pro Tag; n = 15) oder
  • einer Hormonkombination (Estradiol 2 mg plus Norethisteronacetat 1 mg; n = 15)

behandelt. Nach 6 Monaten wurde ein klinisch relevanter und statistisch signifikanter Beschwerderückgang der Symptome (p = 0,01) gesehen. Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen waren statistisch nicht signifikant. Die Konzentrationen von LH (Luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikelstimulierendes Hormon) veränderten sich in keiner Gruppe signifikant. Die Verträglichkeit von Cimicifuga racemosa war sehr gut.

Dosisvergleich

In einer jüngeren, nach GCP-Kriterien durchgeführten doppelblinden, randomisierten klinischen Studie (n = 152; Alter: 50 Jahre; range: 43 bis 60 Jahre [28-30]) wurde die Wirksamkeit eines Cimicifuga racemosa-Präparates im Hinblick auf zwei verschiedene Dosierungen untersucht (127 mg bzw. 40 mg Droge; feste Darreichungsform; isopropanolischer Extrakt). Ergebnis dieser Studie war, dass sich die beiden Dosierungen hinsichtlich therapeutischer Effekte und Verträglichkeit bzw. Therapiesicherheit nicht voneinander unterscheiden.

Die Validierung der Wirksamkeit auf die klimakterische Symptomatik, gemessen anhand des Kupperman-Menopause-Index, wurde durch Vergleich mit dem Plazebo-Arm einer doppelblinden, randomisierten Studie [26] durchgeführt. Die Analysen der jeweiligen Patientinnengruppen aus den beiden Studien zeigten, dass die Daten sowohl bezüglich der demographischen Werte als auch der Basiswerte für das vergleichend auszuwertende Hauptzielkriterium "Kupperman-Index" sehr gut übereinstimmten.

Als Ergebnis zeigte sich eine signifikante Überlegenheit des Verums gegenüber Plazebo (p < 0,001). Definiert man diejenigen Patientinnen als Responder, deren Kupperman-Index-Score im Verlauf der Behandlung auf unter 15 (nicht therapiebedürftig) gesenkt werden konnte, zeigte sich in der Verumgruppe nach dreimonatiger Therapie eine Responderrate von 70% gegenüber 10% in der Plazebogruppe.

Deutliche therapeutische Effekte konnten in dieser Studie bereits nach 2 Wochen Therapiedauer beobachtet werden, im weiteren Verlauf konnte die Wirksamkeit noch verbessert und über 6 Monate stabilisiert werden. Ebenso zeigten die Scores der Selbstbeurteilungs-Depressionsskala (SDS) eine klinisch relevante Abnahme; bei beiden Tagesdosierungen (40 mg bzw. 127 mg Droge) konnten dabei vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Die Wirksamkeit wurde im CGI mit "gut bis sehr gut" in ca. 80% der Fälle bewertet, die Verträglichkeit als "gut bis sehr gut" in über 90% der Fälle.

Untersuchungen von LH, FSH, Estradiol, Prolactin und SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin) sowie der Vaginalzytologie wiesen keine Veränderungen auf, die im Sinne einer Östrogen-identischen Wirkung gedeutet werden könnten.

Psychische Symptome im Klimakterium

In den beschriebenen klinischen Studien verbesserte Cimicifuga racemosa klimakterische neurovegetative und psychische Symptome, was ebenfalls auf eine milde psychotrope Komponente hinweist. Stehen psychische Symptome im Rahmen des klimakterischen Syndroms im Vordergrund des Beschwerdebildes, kann diese besondere Patientengruppe vorteilhaft mit einer fixen Kombination aus Cimicifuga racemosa und Hypericum perforatum behandelt werden, wie in einer Anwendungsbeobachtung [31] (n = 911, prä-, peri- und postmenopausale Patientinnen mit psychovegetativen Beschwerden) sowie einer plazebokontrollierten randomisierten klinischen Studie [32] bereits gezeigt werden konnte.

Inhaltsstoffe von Cimicifugae racemosae rhizoma

Der Wurzelstock von Cimicifuga racemosa wurde noch nicht vollständig hinsichtlich seiner Inhaltsstoffe analysiert; zudem dürften extraktabhängig Unterschiede bezüglich der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung bestehen, die unterschiedliche Wirkungen vermuten lassen.

Beschrieben wurden Triterpenglykoside [33] wie Actein, 27-Deoxyactein und Cimigosid; in neueren Untersuchungen wurden "Cimicifugic acids" (Hydroxyzimtsäureester) nachgewiesen [34]. Als weitere Inhaltsstoffe wurden Flavonoide beschrieben [35], das Isoflavon Formononetin nur einmalig in einer Arbeit aus 1985 [36], in späteren Analysen dagegen nicht mehr [35, 37]. Weitere Bestandteile sind Isoferulasäure, Salicylsäure, Tannine, Harze, Fettsäuren und Zucker [38].

Wirkmechanismus

Aufgrund des nachgewiesenen Bindungsvermögens von Inhaltsstoffen des Traubensilberkerzen-Wurzelstocks an den - damals nur undifferenziert bekannten - Östrogenrezeptor [36] sowie aufgrund der erwiesenen Wirksamkeit auf klimakterische Symptome, die sich mit der der konventionellen Östrogentherapie vergleichen ließ [25, 27], wurde zwangsläufig eine östrogenartige Wirkungsweise der Pflanze postuliert. Forschungsergebnisse in den Neunzigerjahren relativierten diese Ansicht und führten zum Postulat einer - extraktabhängig - nicht östrogenen Wirkweise:

Klinische Befunde

  • In einer 6-monatigen Studie an klimakterischen Frauen wurden weder unter Therapie mit 40 mg Droge noch mit einer mehr als dreimal so hohen Tagesdosis (isopropanolischer Extrakt) Veränderungen hormoneller (LH, FSH, Prolactin, SHBG, Estradiol) sowie vaginalzytologischer östrogensensibler Parameter festgestellt [28-30].
  • In einer Studie an 28 postmenopausalen Frauen mit basalem Endometrium zeigte eine Therapie mit täglich 136 mg Droge eines isopropanolischen Cimicifuga racemosa-Extrakts über 3 Monate keine vaginalsonographisch bestimmte Dickenzunahme der Gebärmutterschleimhaut [39]. Auch eine Gewichtszunahme der Patientinnen wurde nicht beobachtet.

Präklinische In-vivo-Befunde

  • Die Gabe eines 50% ethanolischen Cimicifuga racemosa-Extrakts an immature Mäuse (s.c. oder oral) in Dosen von 60, 600 oder 6000 mg/kg KG/Tag über 3 Tage führte zu keinen Veränderungen des Uterusgewichts sowie vaginalzytologischer Parameter [40].
  • Ratten, bei denen mittels DMBA (Dimethylbenzanthracen) Mamma-Tumoren induziert worden waren, zeigten nach Ovarektomie unter Mestranol-Gabe deutliches Tumorwachstum, jedoch nicht unter Plazebo- und Cimicifuga racemosa-Einfluss. Vielmehr bildeten sich die Tumoren unter Plazebo leicht zurück; unter Cimicifuga racemosa (isopropanolischer Extrakt) in verschiedenen Dosierungen wurde diese Rückbildung tendenziell sogar noch verstärkt.

In-vitro-Befunde

  • Untersuchungen an humanen Östrogenrezeptor-positiven Brustkrebs-Zelllinien: Für einen isopropanolischen Cimicifuga racemosa-Extrakt konnte eine dosisabhängige Proliferationshemmung dieser Zellen gezeigt werden (Linie MDA MB 435S) [41]; die proliferationsfördernde Wirkung von Estradiol wurde antagonisiert, die hemmende von Tamoxifen verstärkt (Linie MCF-7) [42]. Diese Östrogen-antagonistische Wirkung konnte in Untersuchungen mit einem ethanolischen Extrakt (50 bzw. 96%; untersuchte Dosen von 0,01 bis 100 µg/ml) nicht reproduziert werden, vielmehr fanden sich wachstumsfördernde Effekte [43].

Diese sich widersprechenden Wirkungen an Brustkrebszelllinien können möglicherweise durch unterschiedliche Extrakte/Extraktionsverfahren/Pflanzenherkunft erklärt werden [42, 44], sodass die Konsequenz letztlich lauten müsste, für verschiedene Traubensilberkerzen-Präparate jeweils eigene Sicherheitsdaten zu fordern.

Cimicifuga racemosa - ein "Phyto-SERM"?

Die Entdeckung der Existenz zweier Östrogenrezeptoren (ER-α und ER-β), die je nach Organsystem in unterschiedlicher Dichte repräsentiert sind, die höhere Affinität pflanzlicher Inhaltsstoffe zum β-Rezeptor [45] sowie die Grundidee neuer Substanzen wie Raloxifen, die je nach Organgewebe Östrogen-agonistisch oder -antagonistisch wirken, lassen auch für Cimicifuga racemosa an einen Wirkungsmechanismus im Sinne der Selektiven Östrogenrezeptor-Modulation (SERM) denken. Dies bedeutet, dass ein und dieselbe Substanz an verschiedenen Organgeweben entweder wie ein Östrogenagonist oder wie ein Östrogenantagonist wirkt.

Ein idealer SERM würde dabei die vorteilhafte Wirkung des Östrogens an Skelett, ZNS und kardiovaskulärem System mit der Wirkung eines Östrogen-Antagonisten an Endometrium (Verhinderung von Hyperplasie/Atypie/Karzinom) und Mamma (vermindertes Brustkrebsrisiko) in sich vereinen. Die Hypothese, dass Cimicifuga racemosa ein "Phyto-SERM" sei, könnte die oben beschriebenen antagonistischen Partialwirkungen der untersuchten Extrakte erklären. Hinzu kommen neuere In-vitro-Versuche: Jarry et al. konnten zeigen, dass unter einer Cimicifuga racemosa-Behandlung (ethanolischer Extrakt) ovarektomierter Ratten weder Veränderungen ihrer Uterusgewichte auftraten noch die Expression Östrogen-abhängiger Gene im Uterus stimuliert wurde, dagegen die Expression von ER-α im Hirn sowie von Östrogen-abhängigen Genen im Knochen gefördert wurde [46].

Dopaminerge Wirkung?

Auf eine dopaminerge Wirkungsweise deuten Untersuchungen von Löhning et al. [47] hin: In In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen konnten ein Abfall der Körpertemperatur von Mäusen, eine Verlängerung der Ketamin-induzierten Schlafzeit sowie eine Reduktion der Prolactin-Sekretion in Hypophysenzellen durch einen Cimicifuga racemosa-Extrakt, der durch Dopaminrezeptor-Antagonisten antagonisierbar war, gezeigt werden.

Sicherheitsdaten

Toxizität: Die Prüfung auf 6-Monats-Toxizität an weiblichen Wistar-Ratten, gefolgt von einer 8-wöchigen Nachbeobachtungsphase, zeigte kein toxisches Potenzial der isopropanolischen Cimicifuga racemosa-Präparation. Auch sehr hohe Dosen (bis zu 535,5 mg Cimicifuga-Droge pro kg Körpergewicht, entsprechend der 700fachen humantherapeutischen Dosis) zeigten keine Auffälligkeiten bei den Versuchstieren [48]. Diese Ergebnisse entsprechen einer zeitlich unbeschränkten Anwendung beim Menschen [49].

Mutagenität: Im Ames-Test zeigte sich in einer Dosis bis zu 30,3 mg Drogenäquivalent kein mutagenes Potenzial für Cimicifuga racemosa (isopropanolischer Extrakt). Verglichen zur negativen Kontrolle zeigte weder der genuine Extrakt noch die Simulation metabolischer Effekte durch den so genannten S9-Mix genotoxische Effekte [48, 50].

Ausblick

Cimicifuga racemosa ist eine Arzneipflanze, deren Extrakte in der Behandlung von Wechseljahresbeschwerden ihre Wirksamkeit und gute Verträglichkeit seit Jahren bewiesen haben. Die jüngsten Forschungsergebnisse zum Wirkmechanismus lassen vermuten, dass über das etablierte Anwendungsgebiet hinaus noch weiteres therapeutisches Potenzial in der Traubensilberkerze vorhanden ist; dies zu evaluieren wird Aufgabe der wissenschaftlichen Arbeiten der nächsten Jahre sein.

Zusammenfassung

Klinische Daten bestätigen die therapeutische Wirksamkeit von Fertigarzneimitteln auf der Basis von Extrakten aus dem Rhizom der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) für mittelschwere bis stärkere neurovegetative klimakterische Symptome. Gute Verträglichkeit bzw. ein geringes Risiko von Nebenwirkungen sind wiederholt in Einzelfallberichten und klinischen Studien sowohl für ethanolische als auch isopropanolische Spezialextrakte beschrieben worden. Der Wirkmechanismus ist nicht als Östrogen-identisch anzusehen, vielmehr ist eine Selektive Östrogenrezeptor-Modulation ("Phyto-SERM") anzunehmen.

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