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DAZ aktuell
Der Patient – die neue Macht im Gesundheitswesen
Blick in europäische Länder
Während in Deutschland die Patienteninteressen bisher in den Verbraucherschutz integriert waren, gibt es im europäischen Umfeld unter der Vorreiterrolle der skandinavischen Länder schon seit längerem die Volksanwaltschaft mit dem Ombudsman (S, N, CH), dem Health-Service-Commissioner (GB), dem Mediateur (F) oder dem "Verteidiger der Kranken" (I) als staatliches Schild für den Patienten. Grundlage dieser Institutionen ist die Forderung aus der "Ottawa-Charta von 1986, den betroffenen Verbraucher und Patienten an gesundheitspolitischen Entscheidungen zu beteiligen. Bisher hat die Bundesrepublik diese Charta kaum genutzt.
Obwohl, wie Professor Pickl betont, aus dem Handeln des staatlichen Patientenanwalts eine positive Bewusstseinsbildung im medizinischen Denken und Handeln erwächst, stützt auch dieses System die pädagogische Fürsorgekultur oder den benevolenten Paternalismus.
In Österreich hat sich der Patientenanwalt gemausert vom Konfliktmanager in Streitfragen zum Ratgeber in Gesundheitsfragen. Trotz allem haben aber immer noch selbst vermögende und sonst ihren Einfluss nutzende Patienten deutliche Hemmungen etwa während einer Therapie mündig ihre Mitsprache einzufordern. Sie warten eher das Ende ab, um dann aktiv zu werden.
Konträr dazu steht das holländische System, in dem die Patienten gleich einer Gewerkschaft organisiert sind, die flächendeckend mit 30 Unterorganisationen und einem staatlichen Budget von DM 50 Millionen oder DM 3,33 pro Bürger (das wären für Deutschland analog ein Etat von 266 Millionen) erfolgreich arbeitet. Sowohl vor Ort als auch in zentralen Gremien bei Gesetzesvorhaben etc. handelt es sich um eine schlagkräftige Organisation.
In der EU: "consumer protection"
Auf europäischer Ebene steht die "consumer protection" im Vordergrund. Dazu ergänzend hat am 24. 2. 2000 die Ministerkonferenz der Mitgliedstaaten des Europarates die Empfehlung R(2000)5 angenommen, die sich für die Entwicklung von Strukturen ausspricht, die die Beteiligung von Bürgern und Patienten an Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen ermöglicht.
Patientenrechte werden dabei den fundamentalen Bürgerrechten gleichgestellt. Nach den Ausführungen von Frau Ulrike Riedel, Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministerium, hat die Politik erkannt, dass zukünftig Gesundheitspolitik nicht mehr über, sondern nur noch mit dem Patienten/Bürger zu machbaren Lösungen führen wird. Die Stärkung der Patientenrechte durch eine Patienten-Charta und andere Formen der Legislative ist deshalb nur logische Konsequenz.
Die Charta der Bundesärztekammer muss leider als zu dürftig eingestuft werden, da sie sich nur an den ärztlichen Pflichten orientiert. Das Gesundheitsministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Klärung und Lösungshilfen einer legitimen Vertretung von Patienteninteressen aufzeigen soll.
Die Fülle an Patienten- und Verbrauchervereinigungen werden politisch eher als Erschwernis angesehen. Dort wünscht man sich in einer "patienten-orientierten" Gesundheitspolitik gut erreichbare und mit klaren Kompetenzen ausgestattete Patientenfürsprecher.
Keine neue "Geschäftsidee"
Der Arzt verträgt den mündigen und aufgeklärten Patient zu 100%, sonst hat er im Markt nichts verloren, so die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Frau Dr. Ursula Auerswald. Die Vertreter der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen, unter ihnen Christoph Nachtigäller von der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V. Düsseldorf, begrüßen die Erweiterung des § 65 des SGB V, die Patienten- und Verbraucherberatung in die Modellvorhaben mit einzubeziehen, beklagen allerdings, dass die so genannten Patientenvertreter jetzt wie Pilze aus dem Boden schießen und Ärzte und Krankenkassen versuchen, monopolartig das Gelände zu besetzen.
Dass es eben nicht um die Umsetzung einer neuen "Geschäftsidee" geht, zeigte eindrucksvoll Ernst Bergmann vom onkologischen Patientenseminar Berlin-Brandenburg e.V. der Charité. Die Verbesserung der Lebensqualität unter der Wahrung der Würde und der Möglichkeiten der Selbstbestimmung während des Patientseins und im Wechselspiel zwischen "sich gesund fühlen" und "sich krank fühlen" ist das Ziel. Gerade Apotheker haben es geschafft, hier zu Vertrauten der Patienten zu werden. Gefordert wird eine duale Struktur. Einerseits vor Ort die Möglichkeit zur individuellen Hilfestellung, andererseits den ermächtigten Patienten, der weisungsunabhängig, verhandlungs- und abschlusskompetent die gesetzliche Absicherung der Patienten erstreitet.
Staatlicher Vertreter nicht gewünscht
Zum jetzigen Zeitpunkt deutet die Erprobungs- und Informationssammelphase darauf hin, dass ein staatlicher Patientenvertreter von der Mehrheit nicht erwünscht ist, andererseits sowohl von der Politik als auch den Interessenvertretern eine starke Machtposition als notwendig vorausgesetzt wird, um etwas pro Patient zu bewegen. Das holländische Modell könnte also derzeit in der Gunst vorne liegen. Nur, wer formiert so eine "Verbraucher- und Patientengewerkschaft"? Es müsste jemand sein, vor dem der Patient in keinster Weise Angst haben muss.
Um den Patienten zu bewegen wird sich zukünftig die nackte Werbung in Patienteninformation wandeln müssen. Gigs und Gags sind out, sachliche Information als Entscheidungshilfe in, da die im Grundgesetz garantierte Selbstbestimmung nur auf einer breiten Informationsbasis gedeien kann. So wie evidence based medicine den therapeutischen Behandlungserfolg sichern soll, werden Patientenvertreter mittels evidence based information überprüfen müssen, wie erfolgreich der didaktische Transfer vom Fachmann zum Laien ist. Nur so hat der Patient oder der "Pro-Patient" die Chance, die Risikobewertung der Arzt- und Therapiewahl erfolgreich vorzunehmen. Das ist schlecht für die mittelmäßigen Leistungserbringer und gut für die patienten- und leistungsorientierten, bringt also den geforderten Wettbewerb. Zunftorientiertes Standesrecht führt zur Nivellierung, weil es die Intransparenz fördert.
Staat als Koordinator
Der Staat wird sich besinnen müssen auf die Entwicklung der sozialen Spielregeln und deren Überwachung etwa im Sinne eines "trilateralen Sozialpaktes" (Patient + Kostenträger + Leistungserbringer). Eine neue Aufgabe könnte die Informationskoordinierung sein, um sie dem Bürger zur Verfügung zu stellen. Die Berichte über Bedarfsanalysen, eingeforderte Qualitätsberichte und zur Schadensvermeidung müssen breiter publiziert werden. Die derzeitige unfaire Qualitätsrhetorik muss dabei durch eine faire Qualitätsberichterstattung ersetzt werden. Die Illusion der ubiquitären gleichen Qualität im Gesundheitswesen wird dann der Ernüchterung einer Qualitätsdifferenzierung weichen müssen. Dieser Tabubruch wird zu einer Selbstreinigung im Gesundheitswesen führen.
In der Startphase der "Patientenorientierung im Gesundheitswesen" muss Jojeder an seinem Platz mit seinen Fähigkeiten Jounter Integration und Akzeptanz der gesellschaftlichen Vielfalt Jofür eine Evolution des Gesundheitswesens und Jozur Definition der Rahmenbedingungen beitragen und sich aktiv einbringen.
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