Die Seite 3

Die Ruhe ist trügerisch. Gesundheitsministerin Andrea Fischer tingelt von Talk-Show zu Talk-Show und lacht und scherzt, dass einem die Tränen kommen.Die Weichen, glaubt sie, sind gestellt. Nur wie?

Bei den ärztlichen Honoraren und bei Arzneimitteln hat die Regierungskoalition die strikte Anbindung an die Entwicklung der Grundlohnsumme (§ 71 SGB V) zuletzt noch einmal, im Sinne eines zwingenden Gesetzesbefehls, verschärft. Im Jahr 2000 darf die Steigerung danach kümmerliche 1,5% nicht überschreiten. Dass sie im gleichen Atemzug die Anbindung der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen im neuen § 4 Abs. 4 SGB V gelockert hat, ist nur eine der typischen Ungereimtheiten, die sich die Bundesregierung angesichts der paralysierten größten Oppositionspartei meint erlauben zu können. Bei der Regelung der Verwaltungsausgaben gehe es nur "um eine Zielvorgabe und nicht um eine strikte Anbindung ... an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität", so das BMG in seinen Erläuterungen. Auch bei den Krankenhäusern wurden die ohnehin schon bestehenden Ausnahmen von der Grundlohn-Anbindung der Ausgaben noch einmal erweitert. Das Budget darf dort die Grundlohn-Entwicklung übersteigen, wenn z. B. die Leistungsstrukturen oder die Fallzahlen dies fordern oder wenn die Tarifabschlüsse die Ausgaben erhöhen. Von solchen Ausnahmen kann der ambulante Sektor nur träumen. Diese Ungleichbehandlungen sind, mit Verlaub, eine politische Dreistigkeit. Die Bundesregierung kennt offensichtlich Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse – die im öffentlichen Dienst beschäftigten einerseits und die im Mittelstand und bei den freien Berufen andererseits.

Ein vergleichbares Bubenstück bahnt sich bei der angekündigten und von den Börsen begeistert gefeierten Steuerreform an. Wenn Großunternehmen Kapitalbeteiligungen abstoßen, sollen die Erlöse künftig von der Steuer ganz befreit werden. Bei Personenunternehmen hatte man kurz vorher just das Gegenteil in Kraft gesetzt: Wenn sie verkauft werden, muss der Ex-Unternehmer seit 1999 den Erlös (statt vorher zur Hälfte; § 34 EStG) voll versteuern. Mittelstandsfeindlicher geht es kaum. Der Kanzler gibt sich erneut als "Freund der Bosse", um so sein Bündnis für Arbeit doch noch zu retten. Der Medienerfolg zählt, nicht die politische Substanz. Die Politik für die "Neue Mitte" bleibt, was sie immer war: bloße Rhetorik. Dass die Grünen sich so einseifen lassen, ärgert besonders.

Noch ist der Widerstand gegen all dies verhalten. Immerhin: bei den Ärzten rumort es. Sie wollen unter dem neuen Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Manfred Richter-Reichhelm eine "härtere Gangart und klarere Diktion". Auch die Patienten werden auf Dauer wohl nicht mehr so stoisch still halten. Spätestens wenn unter dem verschärften Druck der Budgets in diesem Jahr die leise Rationierung der Leistungen – die heute schon vielfach praktiziert wird, ohne dass die Patienten sie erkennen können – in die offene, brutale Rationierung umschlägt, werden sie wach werden.

Und die Apotheker und ihre Organisationen? Von ihnen ist derzeit allenfalls auf Nebenschauplätzen etwas zu sehen. Werfen die Neuwahlen bei ABDA, BAK und DAV im Herbst dieses Jahres schon jetzt ihre Schatten voraus?

Klaus G. Brauer

Ruhe vor dem Sturm?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.