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Arzneimittel und Therapie
Fomivirsen: Erstes Antisense-Arzneimittel auf dem Markt
Fomivirsen wurde zur Behandlung der CMV-Infektion der Netzhaut bei AIDS-Patienten entwickelt, die unbehandelt zur Erblindung führt. Bisherige Therapien mit Ganciclovir oder Foscarnet sind oft begrenzt durch starke Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten und Resistenzentwicklung.
Fomivirsen stoppt gezielt die CMV-Vermehrung
Fomivirsen ist ein Antisense-Oligonukleotid, komplementär zu einer Region der Boten-RNA des humanen Cytomegalie-Virus. Durch Bindung an die Messenger-RNA (mRNA, Boten-RNA) wird die Virusreplikation gehemmt. Fomivirsen stoppt das Fortschreiten der Retinitis, und zwar unabhängig davon, in welchem Stadium sich die Krankheit zu Beginn der Therapie befindet. Fomivirsen wird lokal angewendet, es wird nach Betäubung intravitreal, also direkt in den Glaskörper des Auges injiziert. Klinische Studien belegen die Wirksamkeit in Mono- und Kombinationstherapie. Bei zusätzlicher Gabe von Ganciclovir oder Foscarnet zeigt sich ein additiver Effekt der antiviralen Wirkung. Mit systemischen AIDS-Therapeutika wie Zidovudin treten keine Wechselwirkungen auf.
Neue Therapieform auf genetischer Ebene
Durch die Antisense-Technologie ist eine neue Therapieform auf genetischer Ebene möglich. Ein Antisense-Oligonukleotid ist eine kurzkettige synthetische Nukleinsäure mit einer definierten Abfolge von Basen. Bei der Proteinbiosynthese wird die genetische Information der DNA zunächst auf eine einsträngige RNA übertragen. Weitere Umwandlungsprozesse führen zu einer Kopie des Gens, der Boten-RNA (mRNA). Diese Informationen der mRNA werden bei der Translation in die Aminosäuresequenz eines Proteins übersetzt. Das Antisense-Oligonukleotid lagert sich nun durch komplementäre Basenpaarung an diese mRNA an und behindert den Translationsprozess: Es findet keine Proteinsynthese statt. Durch die Doppelstrangbildung wird das zelleigene Enzym Ribonuklease H aktiv und spaltet die mRNA in diesem Bereich. Das Oligonukleotid wird dadurch wieder frei und kann an eine weitere mRNA binden. Zusätzlich wird durch sterische Hemmung die Bindung von Ribosomen an die mRNA verhindert. Um das Antisense-Nukleotid vor einem Abbau durch Enzyme zu schützen, wurde im Phosphat-Teil ein Sauerstoffatom durch ein Schwefelatom ersetzt.
Injektion ins Auge
Fomivirsen wird intravitreal injiziert. Dazu wird das Auge mit einem Lokalanästhetikum und einem antimikrobiellen Mittel vorbehandelt. Der Injektionsvorgang ist mit Risiken verbunden und sollte deshalb nur von einem erfahrenen Ophthalmologen durchgeführt werden, da es zu Glaskörperblutungen, Ablösung der Netzhaut oder Katarakt-Bildung kommen kann. Bleibt der Augeninnendruck anhaltend erhöht, sollte ein Glaukommittel eingesetzt werden. Bei schweren intraokulären Entzündungen muss mit der Therapie bis zur Besserung ausgesetzt werden. Die Behandlung umfasst immer eine Initial- und eine Erhaltungsphase. Die Dosierung liegt bei neu diagnostizierter Erkrankung bei 165 µg pro Auge, bei vorbehandelter Erkrankung bei 330 µg pro Auge. Während der Behandlung sind häufige Kontrollen nötig, da auch Fomivirsen nicht zur Heilung der CMV-Retinitis führt.
Wirksamkeit in klinischen Studien nachgewiesen
Die Wirksamkeit von Fomivirsen wurde in mehreren kontrollierten klinischen Studien zur Behandlung der CMV-Retinitis bei Patienten mit AIDS bestätigt. In einer Studie wurden 18 Patienten mit neu diagnostizierter Retinitis mit einer Initialdosis von 165 µg einmal pro Woche über drei Wochen hinweg und dann 165 µg alle zwei Wochen (Erhaltungsdosis) behandelt. Die mittlere Zeit bis zum Fortschreiten der Retinitis betrug 71 Tage. In der gleichen Studie wurden 10 Patienten verzögert behandelt. Hier schritt die Erkrankung schon nach 13 Tagen weiter fort.
Zum Vergleich von zwei Dosierungsplänen wurde eine weitere randomisierte, kontrollierte Studie mit einer Fomivirsen-Dosis von 330 µg an Patienten mit fortgeschrittener Retinitis durchgeführt. Die Patienten wurden einem der beiden Dosierungsschemata zugeordnet: Entweder der Gabe von drei wöchentlichen Dosen von 330 µg (Initialtherapie), gefolgt von 330 µg alle zwei Wochen (Erhaltungstherapie), oder der Verabreichung von zwei Dosen von 330 µg, eine am 1. Tag, eine am 15. Tag (Initialtherapie), gefolgt von 330 µg alle vier Wochen (Erhaltungstherapie). Die mittlere Zeit zum Fortschreiten der CMV-Retinitis betrug mehr als 90 Tage. Zwischen den beiden Dosierungsplänen gab es keinen signifikanten Unterschied. Fomivirsen wurde insgesamt gut vertragen, die häufigsten Nebenwirkungen waren Augenentzündungen und erhöhter Augeninnendruck.
Keine systemischen Nebenwirkungen
Die systemische Exposition ist aufgrund der lokalen Verabreichung von Fomivirsen unbedeutend, eine systemische Toxizität trat auch nach dreifacher Überdosierung nicht auf. Fomivirsen zeigte kein genschädigendes Potenzial. Es ist aber nicht bekannt, ob bei schwangeren Frauen der Fötus geschädigt oder die Reproduktionsfähigkeit beeinträchtigt wird. Auch der Übertritt in die Muttermilch ist nicht nachgewiesen, wobei HIV-infizierte Frauen ihre Babys unter keinen Umständen stillen sollten, um die Übertragung des Virus zu vermeiden. Somit erweist sich Fomivirsen als gut verträglicher Arzneistoff zur Behandlung der CMV-Retinitis, wenn andere Therapien wirkungslos waren oder aufgrund zu starker Nebenwirkungen abgesetzt werden mussten.
Literatur: Grillone, L. R., K. Wyss: Antisense drugs and how they work: focus on Vitravene®. Bio World 6/99. Hartmann, G., et al.: Antisense-Oligonukleotide. Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, C-1115–C-1119 (1998). Perry, C. M., J. A. Barman Balfour: Fomivirsen. Drugs 57 (3), 375–380 (1999). Fachinformation zu Vitravene®, Ciba Vision, September 1999.
Das erste Antisense-Oligonukleotid-Arzneimittel Fomivirsen befindet sich seit Dezember 1999 auf dem deutschen Markt. Unter dem Namen Vitravene wird es bei AIDS-Patienten zur Behandlung der Cytomegalie-Virus-(CMV)-Retinitis eingesetzt. Mit dieser neuen Therapieform wird versucht, das unaufhörliche Voranschreiten dieser entzündlichen Augenerkrankung einzudämmen und die Patienten vor einer Erblindung zu bewahren. In den USA wird Fomivirsen seit einem Jahr eingesetzt, wenn andere Therapien wirkungslos oder ungeeignet waren.
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