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Feuilleton
Pilz des Jahres: Der Königs-Fliegenpilz
Es werden weniger
Der Königs-Fliegenpilz oder Braune Fliegenpilz bevorzugt schwere, feuchte und saure Böden; Kalkgebiete meidet er. Die Populationen gehen zurück, da allgemein der Nährstoffgehalt in unseren Wäldern zunimmt. Die Art gilt in weiten Teilen des Verbreitungsgebietes als gefährdeter Mykorrhizapilz. Man findet ihn noch im Harz und im Erzgebirge, im Thüringer Wald, im Vogtland, Fichtelgebirge, im Bayrischen und im Oberpfälzer Wald sowie außerhalb Deutschlands in Nordeuropa.
Sein Hut ist bis zu 25 cm breit. Anfangs ist er kugelig, dann gewölbt, zuletzt breitet er sich aus mit hochgewölbtem Rand. Die hell- bis dunkelbraune Oberfläche ist klebrig und mit Resten der weißen bis gelbweißen Hülle (Volva) bedeckt. Die Lamellen sind weiß. Der Pilz kann 25 cm hoch werden. Der Fuß ist zwiebelig verdickt und mit Warzengürteln umgeben, der Stiel weiß und flockig. Das wichtigste Merkmal ist die gelbe Farbschicht unter der Huthaut, die auch beim gemeinen Fliegenpilz vorhanden ist.
Der Königs-Fliegenpilz ähnelt einigen nah verwandten Arten: dem essbaren Perlpilz (A. rubescens), dem giftigen Pantherpilz (A. pantherina) und dem essbaren, jedoch geringwertigen Grauen Wulstling (A. spissa).
Nur schwach giftig...
Die Familie der Amanitaceae zählt, wie die meisten fleischigen Pilze, zur Gruppe der Basidiomyceten und hier zur Ordnung der Agaricales.
Mehrere Pilze der Gattung Amanita sind tödlich giftig, vor allem der Grüne Knollenblätterpilz (A. phalloides), der Frühlingsknollenblätterpilz (A. verna) und der Weiße oder Spitzhütige Knollenblätterpilz (A. virosa). Die tödlichen Parenchymgifte der Knollenblätterpilze, vor allem das alpha- und beta-Amanitin, kommen in den Fliegenpilzen nicht vor.
Aus den Fliegenpilzen wie auch aus dem Pantherpilz wurden die Isoxazole Ibotensäure und Muscimol und das Oxazol Muscazon isoliert. Die Ibotensäure (alpha-Amino-3-hydroxy-5-isoxazolessigsäure) ist instabil und wird durch Kochen oder Trocknen zum fünf- bis zehnmal stärker giftigen Muscimol decarboxyliert. Das Muscimol hat strukturelle Ähnlichkeit mit zyklisierter gamma-Aminobuttersäure (GABA), wirkt am Warmblüter als GABA-Antagonist und hat große Bedeutung in der neuropharmakologischen Forschung. Muscazon ist gering toxisch.
Die höchste Wirkstoffkonzentration befindet sich in der Haut des Hutes.
...aber stark psychotrop
Die Wirkstoffe stimulieren den Sympathikus und den Parasympathikus. Die LD50 des Muscimols liegt bei der Maus bei 2,4 mg/kg, bei der Ratte bei 3,5 mg/kg. Die Latenzzeit beträgt ein bis zwei Stunden. Danach kommt es zu Bradykardie (verlangsamte Herztätigkeit), Speichelfluss und Schweißausbrüchen und zu Schwindel und Gehstörungen, wie bei einem Alkoholrausch.
Die toxische Psychose hat nach zwei bis drei Stunden ihre volle Wirkung erreicht. Psychische Symptome wie Sinnestäuschungen, Wutanfälle und Bewegungsdrang kommen dann hinzu. Vielfach wähnen sich die Vergifteten im Besitz riesiger Kräfte und verlieren das Zeitgefühl. Gegen Ende geht der Rausch in einen tiefen Schlaf über, aus dem das Opfer teilweise ohne Erinnerung erwacht. Die Prognose ist günstig. Todesfälle sind sehr selten.
Der Pantherpilz ist gefährlicher als die Fliegenpilze, da er höhere Wirkstoffkonzentrationen enthält.
Droge der Welt
Der Rote Fliegenpilz ist weiter verbreitet als der Königs-Fliegenpilz: Sein Vorkommen erstreckt sich fast über die gesamte gemäßigte Klimazone der nördlichen Erdhalbkugel, es reicht darüber hinaus auch in subpolare Breiten und im Süden bis nach Nordindien und ins Hochland von Mittelamerika. Er wurde und wird noch immer in vielen Kulturen der Welt als Droge genutzt. Er kann gegessen, geraucht oder als Aufguss getrunken werden.
Die Indianer Nordamerikas nutzen den Fliegenpilz ebenso wie die Maya, die ihn "Blitzpilz" (Kakulja-ikox) nannten. Im Rig-Veda der indischen Arier taucht er als der heilige Soma-Trank auf. Indogermanischen Ursprungs könnte auch der Name "Amanita" sein, der nach einer Hypothese "eindringende Lebenskraft" bedeuten soll.
Vor allem in Sibirien war der Fliegenpilz vor Einführung des Alkohols das wichtigste Rauschmittel. So aßen die Tschuktschen an der Luft oder im Rauch getrocknete Pilze. Auch tranken sie Auszüge oder Aufgüsse mit Wasser oder Milch. Da die Wirkstoffe im Körper nicht abgebaut, sondern mit dem Urin wieder ausgeschieden werden, tranken bei einigen sibirischen Völker die Männer ihren eigenen Urin, um die kostbare Droge zu sparen. Frauen kamen nur selten in diesen besonderen Genuss.
Witz und Humor
Der Apotheker und Naturforscher Johann Gottlieb Georgi (1729 bis 1801), der weite Teile Sibiriens, unter anderem auch den Baikalsee, erforscht hat, schrieb 1776: "Zahlreiche sibirische Völker haben eine besondere Art, sich zu berauschen. ... Zu diesem Zweck essen sie Pilze, entweder frisch oder sie trinken den Extrakt dreier Exemplare. Die Wirkung stellt sich sofort durch Ausbrüche von Witz und Humor ein, die sich ganz allmählich zu einer derart extravaganten Höhe der Fröhlichkeit steigern, dass sie zu singen, zu tanzen, umherzuspringen und Laute auszustoßen beginnen: Sie komponieren Liebessonette, Heldenverse und Jagdlieder. Diese Trunkenheit hat die sonderliche Eigenschaft, sie ungewöhnlich stark zu machen, kaum ist das alles vorüber, so erinnern sie sich an nichts mehr. Nach zwölf oder sechzehn Stunden dieser Freude fallen sie in einen Schlaf und finden sich beim Erwachen von dieser außerordentlichen Nervenanspannung ermüdet. Jedoch verspüren sie viel weniger Kopfschmerz als bei dem durch Spirituosen." Dass der Brauch, Fliegenpilze zu essen, in Ostsibirien noch heute eine Rolle spielt, ist nicht verwunderlich.
Weitsicht, Wahnsinn, Esoterik
Bei den Germanen war der Fliegenpilz Wotan, dem Gott der Ekstase und dem Entdecker der zauberkräftigen Runen, zugeordnet. Der Sage nach wuchsen die Fliegenpilze dort, wo Wotans achtfüßigem Pferd Sleipnir Schaum aus dem Maul auf die Erde tropfte. Deshalb wurde der Pilz auch Rabenbrot genannt. Denn Wotans Raben Hugin und Munin, die beiden allwissenden und alles sehenden Vögel auf den Schultern des Göttervaters, scheinen ihn wohl verspeist zu haben, um ihre seherischen Fähigkeiten zu bewahren.
Im Mittelalter sah man in den Fliegen das Symbol für den Wahnsinn. Besessene waren von Fliegen befallen, und der Teufel galt als Herr der Fliegen. Der Name Fliegenpilz leitet sich sehr wahrscheinlich von der Fliege in ihrer vermeintlichen Eigenschaft als zaubermächtiges Tier und von der Kraft des Pilzes, den Menschen "fliegen" zu lassen, ab. In der modernen esoterischen Bewegung hat die Bedeutung des Pilzes wieder zugenommen. Auch mag ein Rausch ohne Reue verlokken. Denn die Inhaltsstoffe fallen nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Anbau und Konsum von Fliegenpilzen sind nicht strafbar.
Pilze im Internet
www.dgfm-ev.de Deutsche Gesellschaft für Mykologie e.V. mycor.nancy.inra.fr/pages/bookmarks/mycoResources.html Viele Verweise www.mycorrhiza.com/intro1.htm Mykorrhizapilze www.giftinfo.unimainz.de Alles über Vergiftungen
Literatur: Bresinsky, A., H. Besl: Giftpilze. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1985. Bauer, W., E. Klapp, A. Rosenbohm: Der Fliegenpilz - ein kulturgeschichtliches Museum. Hagen 1991. Kamm, R.: Amanita - was bedeutet der Name? Dtsch. Apoth. Ztg. 136, 3515-3516 (1996). Schmidt, H.: Der Fliegenpilz. PTA heute 14 (8), 6-8 (2000).
Der Königs-Fliegenpilz oder Braune Fliegenpilz wurde von der Deutschen Mykologischen Gesellschaft zum Pilz des Jahres 2000 ernannt. Er ist sehr viel seltener als sein roter Vetter, gleicht ihm aber hinsichtlich bestimmter physiologisch aktiver Inhaltsstoffe: Muscimol und Muscazon wirken psychotrop und verursachen Rauschzustände. Fliegenpilze wurden deshalb von Nord- und Mittelamerika bis Sibirien und Nordindien als Kultdroge benutzt.
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