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Feuilleton
Mit den Augen eines Pharmazeuten: Eindrücke von der Expo 2000
Da zeigt Japan, wie aus deutschem Altpapier ein Pavillon gebaut wird, und die kleinen Niederlande präsentieren Vielfalt auf kleinster Fläche, indem sie gleich mehrere Landschaften übereinander stellen. Finnland zeigt in seinem Pavillon auf zehn Quadratmetern einen ganzen virtuellen Waldsee mit fliegenden Wildgänsen, Libellen, rufenden Blesshühnern und springenden Karpfen, sodass eigentlich die nächste Urlaubsreise vor dem Bildschirm stattfinden könnte. Im Gegensatz dazu beweist Nepal, wie auch heute noch ohne Computer und Plaste mit reiner Handarbeit herrliche Kunstwerke gestaltet werden, und macht damit Appetit auf einen persönlichen Besuch des Landes. Griechenland vereinigt beides, indem Modelle antiker und moderner Technik der virtuellen Darstellung der Weltentwicklung gegenübergestellt werden.
Vielzahl der Reize
Deutschland präsentiert sich auf der Schau der Superlative als Werkstatt, in der noch an den Bildern von mehr oder weniger großen Persönlichkeiten der Politik, der Kunst und des Sports aus Vergangenheit und Gegenwart gearbeitet wird. Mit welchem Ziel eigentlich - vielleicht um sie noch idealer darzustellen? Und am Baum des Wissens mit seinen multimedialen Bild- und Klangerlebnissen wird ein "Mosaik Deutschland" vorgeführt, das mit viel Bewegung, Tönen und Videoclips ein riesiges Puzzle von Eindrücken vermittelt - für die Zusammenfügung der Einzelteile zu einem Gesamtbild fehlt aber doch einerseits der rote Faden und andererseits in der Vielzahl der Reize die Muße, sich damit auseinander zu setzen.
Da lob ich mir die Schweiz, die in ihrem Holzstapel einfach nur Musik zur Unterhaltung anbietet, mit ein paar Thekenstühlen zum Verweilen einlädt und damit die Gelegenheit zur Entspannung anbietet. Oder den Jemen, der in einem landestypischen Haus einen Basar vorstellt, zum Teetrinken nach landestypischer Art einlädt und nebenbei auch noch über Land und Leute informiert. Beide Länder beeindrucken auch durch eine weitere Besonderheit. Es gelingt ihnen, im Gegensatz zu allen anderen Ländern und Themenpavillons, ihre Botschaft ganz ohne Videoclips und Medienshow zu vermitteln. Entspannung ist also offensichtlich nicht unbedingt an Elektronik gebunden.
Verschlüsselter Hintersinn
Die Themenpavillons wollen nach Aussage der Veranstalter vor allem zum Nach- und Weiterdenken anregen. Allerdings erfordert die Erfassung des Hintersinns in dieser geballten Form von Symbolen und Beispielen vor allem Phantasie, Zeit und Ruhe. Zumindest die beiden letzteren hat man auf der Expo nur sehr wenig. Von hinten wird gedrängelt und von der Seite geknufft, weil auch die nächsten Besucher im Pavillon Gesundheit sehen wollen, wie ein Kubus von dreimal drei Metern - gefüllt mit drei Millionen Metallnadeln - das nun zu 97% entschlüsselte menschliche Erbgut symbolisiert oder wie eine Video-Endlosschleife auf dem Bildschirm zwei Gehirne darstellt. Diese reagieren trotz gleicher Beschäftigung der Träger mit verschiedenen Erregungsmustern und symbolisieren damit die unterschiedliche Reaktion der Menschen auf gleiche Reize oder Eindrücke.
Also jede Menge von Anregungen. Diese werden jedoch oft genug nur angedeutet oder sind so verschlüsselt, dass sich deren tiefere Bedeutung nur dann erschließt, wenn die Zusammenhänge oder weitere Details bereits bekannt sind.
Dass Visionen allerdings auch amüsant und spielerisch vermittelt werden können, zeigt die Life-Spielshow bei Siemens, die trotz der Firmenbindung eine Leichtigkeit und doch Aussagetiefe zur Bewahrung der Werte unserer Welt und des Lebens vermittelt. Anschließend überlegt man, was mehr beeindruckt hat: die technische Lösung der Show oder die Leistung der Schauspieler, die ihren Part wie am Fließband über die Expo-Dauer bringen müssen.
Insgesamt ist die Expo kaum für einen beschaulichen Spaziergang zur Bildung oder Erbauung geeignet. Sie erfordert harte Arbeit der Informationsverarbeitung, um zu neuen Einblicken und Erkenntnissen zu gelangen, immer vorausgesetzt, die Symbole erschließen sich dem mehr oder weniger unbedarften oder nach Stunden des Staunens leicht erschöpften Zuschauer. Dabei bleibt natürlich auch häufig genug offen, welche Schlussfolgerungen der Besucher aus den Andeutungen zieht - je nach Veranlagung, Stimmung oder Erwartungen können diese erfahrungsgemäß bei mehreren Besuchern durchaus diametral entgegengesetzt liegen. Das ist offenbar aber erwünscht, um so die Vielfalt der Denkrichtungen anzuregen. Aber der naturwissenschaftlich orientierte Pharmazeut mit seinem konsequenten Ursache-Wirkungs-Denkschema erwartet anfangs eine mehr oder weniger eindeutige Zielrichtung der Anregungen.
Insgesamt beeindrucken die Bemühungen der Länder, Natur und Technik, Geschichte und Moderne gegenüberzustellen und doch immer wieder deren Einheit als Ergebnis einer Entwicklung zu gestalten.
Die Expo-Apotheke
So lässt sich der leicht ermüdete Besucher auch gern ein Stück treiben und steht in der Eingangshalle 13 plötzlich vor dem roten Apotheken-A. Neben der Post, der Sparkasse und dem Stand der Lufthansa präsentiert sich dort die "Pharmaxie" auf über 1100 Quadratmetern als eine mögliche Form der Apotheke der Zukunft. Der erste Eindruck von außen erinnert an ein großes Schiff mit Bullaugen, das uns in die Zukunft bringen will.
Weit offen ist der Toreingang. So steht man unmittelbar in der großflächigen Offizin. Alles scheint vertraut, aber doch auch irgendwie fremd. Warenträger in warmen Farbtönen vermitteln einen Eindruck, der zwischen Boutique und Kaufmarkt schwankt. In der Raumgestaltung und Einrichtung dominieren die runden Formen, die "einen besseren Fluss der geistigen Energie" bewirken sollen. Das beginnt bei der halbrunden Offizin und setzt sich in den ebenfalls meist abgerundet gestalteten Warenträgern und Beratungstischen fort.
Competence-Center mit Hightech
Die Beratungsplätze nennen sich hier Competence-Center und sind jeweils thematisch orientiert. Sie beziehen sich jeweils auf ein Freiwahl-Sortiment oder auf bestimmte Service-Leistungen. Diese sind sehr breit gefächert und umfassen z.B. die Bestimmung von Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin, die Raucherberatung oder komplexere Themen wie Natur und Tee, Kosmetik und Körperpflege, Mund- und Zahnpflege oder Umweltanalytik. Bildschirme an jedem Center erlauben den unmittelbaren Zugriff auf die Lagerverwaltung der Arzneimittel und auf die nächste Großhandelsbestellung - eigentlich heute eine Selbstverständlichkeit in der modernen Vernetzungstechnik.
Noch nicht allgemein üblich ist der Zugriff auf das Internet von jedem Beratungsplatz aus. So können in jedem Gespräch notfalls online die aktuellsten Informationen abgerufen werden - falls der Patient die dafür erforderliche Zeit mitgebracht hat.
Modernste Technik zeigt auch die Preisauszeichnung, die nicht mehr per Haftetikett, sondern durch Mini-Display an jedem Standort erfolgt und damit stets online von der zentralen Warenwirtschaft gesteuert werden kann. Ein Detail, das neben den gewundenen Schlangen der Rohrpostleitungen zu den Beratungstischen mit zur technisierten Atmosphäre beiträgt und in deutlichem Kontrast zu den warmen Grundtönen des Raumes steht.
Zwei obligatorische Bereiche jeder Apotheke - Rezeptur und Labor - sind vereint in einem Raum untergebracht, der von der Offizin durch eine Glaswand abgetrennt ist und mit seiner sachlichen Ausrüstung von Büchern, Standgefäßen und Unguator einen Kontrapunkt zur Stimmung in der Offizin setzt.
Wellness aus der Apotheke
Eine besondere Attraktion ist das Vitalitätscenter im ersten Stock der Apotheke. Das Prinzip lautet hier "Weg vom leidenden Patienten - hin zum leistungsbewussten Gesunden". Damit wird eine Philosophie deutlich, die nicht mehr den Kranken als primäres Ziel der pharmazeutischen Bemühungen und Hilfeleistung sieht. Der Gesunde mit seinem Streben nach Power und Genuss, der seine Vitalität erhalten und weiter steigern will, wird in den Mittelpunkt der Bemühungen gestellt. Mit Sauerstoffbar, Massageecke und Musikbereich mit Wellness-CDs werden dafür auch Leistungen angeboten, die bisher noch nicht überall als apothekenüblich anzusehen sind.
Zu dieser Idee der Vermittlung gesunder Lebensweise in der Apotheke gehört auch der "Zeitraum" - ein runder Raum mit Sitznischen in den Wänden. In der Mitte konzentriert ein magisch beleuchteter und mit Wasser berieselter Kegel die Aufmerksamkeit, während durch verströmende Düfte und Musik Entspannung und Ruhe vermittelt wird. Ein Raum der Meditation, der Einkehr und Konzentration, in dem man wieder die Spannkraft tanken kann, die für den weiteren Rundgang auf der Expo benötigt wird.
Als Pharmazeut verlässt man die Apotheke beeindruckt von den neuen Wegen, die Apotheke in einer sich immer rascher verändernden Welt für die Gesellschaft weiterhin attraktiv zu gestalten. Sicher ist nicht in allen Apotheken dieses Landes jede der vorgestellten Ideen realisierbar. Manchmal hofft man auch, dass sich einige neue Ideen nicht durchsetzen.
Dennoch - Anregungen vermittelt die "Pharmaxie" auf alle Fälle. Mit warmen Farbtönen, runden Tischen und Regalen, einschmeichelnder Musik richtet sie sich für mein Empfinden vor allem an den hektischen und gestressten Bürger, der eine Insel der Besinnung und Ruhe sucht. Für den wirklich Kranken, der in der Apotheke hin und wieder neben der materiellen auch psychische Hilfe erwartet, wird der Platz knapp. Ob die Abwendung vom Patienten auf Dauer tragfähig ist, darf angezweifelt werden und bleibt abzuwarten.
Abhängigkeit von Sponsoren?
Noch nachdenklicher werde ich nach dem Verlassen der "Pharmaxie", denn die lange Reihe der Sponsoren-Embleme an der Außenwand erinnert mich an ein Prinzip der Warenpräsentation. Bei der Auswahl der Sichtwahlprodukte in der Apotheke sind die Sponsoren bevorzugt berücksichtigt, und in der Regel werden den Kunden nicht alternative Produkte zur Wahl gestellt, sondern eindeutige, gezielte Empfehlungen gegeben.
Bisher sah die Mehrzahl der Apotheker eine ihrer wesentlichen Stärken in der Neutralität gegenüber der Industrie und anderen Partnern und damit auch in der Freiheit, nach primär fachlichen Gesichtspunkten Empfehlungen zu geben oder das Sortiment zu gestalten.
Mit der deutlichen Orientierung auf Sponsoren wird eine Vorauswahl und damit Einengung getroffen. So deutlich wurde Kooperation bisher selten demonstriert. Ich hoffe nur, dass der Bruch mit dieser Tradition sich nicht generell durchsetzt. Ob sich die bisherige Unabhängigkeit des Apothekers durch alternative Ideen vollwertig ersetzen lässt, muss angezweifelt werden. Für den Patienten bzw. Kunden ist, zumindest heute noch, die Neutralität des Apothekers ein wesentlicher Faktor für das uns entgegengebrachte Vertrauen.
Vision und Kommerz - zwei Pole, zwischen denen sich die ganze Expo bewegt - zeigen sich demnach auch in der Pharmaxie. Sicher ist das pharmazeutische Experiment auch ein Risiko, das sich rechnen soll.
Offensichtlich unterliegen aber auch wir den großen Irrtümern unserer Gesellschaft: Geschwindigkeit mit Zeit, Größe mit Qualität und Information mit Hinwendung zu verwechseln. Es wird sich zeigen müssen, was verallgemeinert und weiter entwickelt wird. Bleibt zu hoffen, dass sich entgegen den meisten Erfahrungen die vernünftigen Aspekte durchsetzen können - in der Pharmazie wie in der Welt.
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