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Arzneimittel und Therapie
Gelbfieber im Aufwind: Häufung von Krankheitsfällen in Brasilien
17 Tage später war Valmir Juazeiro tot. Nachforschungen ergaben, dass er einem Großbauern bei Rodungen geholfen hatte. Am 13. April, exakt zehn Tage nach dem vergeblichen Besuch der Gesundheitsbeamten, bekam der Mann plötzlich hohes Fieber. Erbrechen stellte sich ein.
Gleichzeitig wurden seine Augäpfel quittengelb, dann verfärbte sich die braune Haut in ein schmutziges Ocker. Mit Zwischenstation in zwei kleineren Spitälern gelangte der schwerkranke Patient in ein Spezialkrankenhaus nach Brasilia. Dort starb er nach drei Tagen an einem akuten Leberversagen. Die Diagnose: Gelbfieber.
Vierzig Prozent der Erkrankten starben
Der Fall aus Samambaia ist nur einer unter vielen, die derzeit die brasilianische Öffentlichkeit beunruhigen und die Fachleute beschäftigen. 51 Fälle von Gelbfieber hat es in Goias seit Dezember letzten Jahres, also seit dem Beginn der Regenzeit gegeben. 65 Fälle waren es bis Ende Juli in ganz Brasilien. Vierzig Prozent aller Gelbfieberkranken starben.
Normalerweise treten in Brasilien rund 20 Fälle von Gelbfieber pro Jahr auf, und die beschränken sich auf die typischen Verbreitungsgebiete der Tropenseuche, das Amazonasbecken. In Zentralbrasilien liegt die letzte Epidemie fast 30 Jahre zurück. Damals wurden aus Goias in einer Saison 71 Gelbfieberfälle gemeldet.
Erkrankungen außerhalb der Endemiegebiete
Noch beunruhigender als die unerwartete Rückkehr des gefürchteten "Dschungelfiebers" in das ländliche Zentralbrasilien ist die Beobachtung, dass in den letzten Wochen zwei Erkrankungen in der Hauptstadt Brasilia und zwei im weiter südlich gelegenen Bundesstaat Sao Paulo aufgetreten sind - bei Personen, die sich nachweislich nicht in einem der bekannten Gelbfiebergebiete in Nordbrasilien aufgehalten hatten.
In Sao Paulo hatte es autochthones, also dort erworbenes Gelbfieber, zuletzt vor 48 Jahren gegeben. Mysteriös an der offensichtlichen Renaissance der Tropenseuche ist auch, dass es den brasilianischen Infektionsmedizinern bislang nicht gelungen ist, die derzeitige Epidemie einem der bekannten epidemiologischen Muster zuzuordnen.
Sylvatische und urbane Form
In Brasilien, wie im übrigen Südamerika, kommt das Gelbfieber in zwei unterschiedlichen Ausprägungen, der so genannten sylvatischen und der urbanen Form vor. In dem - ursprünglichen - Waldzyklus kreist das Gelbfiebervirus zwischen so genannten Hemagogus-Mücken und diversen Affen-Arten. Menschen infizieren sich nur dann, wenn sie als Jäger, Sammler oder zum Roden in den Wald eindringen. Da das vorwiegend männliche Tätigkeiten sind, ist diese Art des Gelbfiebers bei Männern ungleich häufiger als bei Frauen.
Von einem städtischen Zyklus wird dagegen gesprochen, wenn das Virus durch Stechmücken der Gattung Aedes verbreitet wird, Allerweltmoskitos, die mittlerweile in nahezu allen brasilianischen Städten, aber auch in ländlichen Gebieten zu Hause sind. Diese Mükken haben einen doppelt schlechten Ruf, da sie auch das Denguefieber, eine unangenehme und gleichfalls nicht ungefährliche virale Infektion, übertragen.
Weitergabe von Mücke zu Mücke
Beide Spielarten des Gelbfiebers werden durch eine epidemiologische Besonderheit des Erregers entscheidend beeinflusst: Das Virus wird regelmäßig von einer Mückengeneration auf die nächste weitergegeben. Das heißt, von einer weiblichen Mücke auf die Eier und von diesen auf die heranwachsenden Stechmücken. Im Gegensatz zum Dengue-Virus kann das Gelbfiebervirus also überleben, ohne dass eine "Zwischenstation" im Menschen oder Affen notwendig ist.
Dies hat zur Folge, dass das Gelbfiebervirus auch längere Trockenzeiten überlebt - in der die Insektenpopulation drastisch abnimmt, Mückeneier jedoch in winzigen Wasseransammlungen "überwintern". Die erste Blutmahlzeit einer jungen, das Virus beherbergenden Mücke kann also bereits ein Gelbfieber verursachen. Einzelne, plötzlich auftretende Fälle von Gelbfieber zu Beginn der Regenzeit sind dementsprechend immer zu erwarten. Epidemien, wie die derzeitige in Goias, müssen jedoch andere Ursachen haben.
Wenig überzeugende Erklärungsversuche
Die Erklärungsversuche, die die brasilianischen Gesundheitsbehörden der Öffentlichkeit anbieten, sind allerdings wenig überzeugend. Eine das Virus beherbergende Hemagogus-Mücken-Population, so hieß es, habe sich von Amazonien kommend in das zentralbrasilianische Hochland ausgebreitet. Die geografischen Gegebenheiten und die limitierte Flugfähigkeit dieser Stechmücken machen eine solche Annahme allerdings eher unwahrscheinlich. Die Tatsache, dass Gelbfieberfälle weitab von jedem ursprünglichen Waldgebiet aufgetreten sind, passt ebenfalls nicht in dieses Schema.
Auch die in der Öffentlichkeit diskutierte Vermutung, dass wandernde Affen das Virus aus Goias in die Bundeshauptstadt mitgeschleppt haben könnten, hält keiner Prüfung stand. Durch die großflächige "Umwandlung" von Galeriewäldern und Baumsavannen in Ackerflächen und Viehweiden sind alle einheimischen Affenarten in ihrem Bestand stark dezimiert. So kennen die meisten Einwohner von Goias Affen nur noch vom Hörensagen.
Ist Impfmüdigkeit der Grund?
Eher ist denkbar, dass eine gewisse Impfmüdigkeit der Bevölkerung die Basis für die Epidemie geschaffen hat. Um die Übertragung weitgehend zu unterbrechen, müssen mindesten 95% der Bevölkerung schützende Antikörper aufweisen. Möglich ist aber auch, dass zyklische Klimaänderungen wie El NiĖo zusammen mit der großflächigen Zerstörung des ursprünglichen Ökosystems im zentralen Hochland Hemagogus-Mücken zum Verlassen ihres natürlichen Biotops veranlasst haben.
Erstaunlicherweise kann - oder will - die brasilianische Seuchenbekämpfungsbehörde bis heute nicht sagen, welche Mückenspezies an welchen Orten für die Übertragung des Gelbfiebers verantwortlich war, eine epidemiologische Schlüsselinformation, um die sylvatische von der urbanen Form des Gelbfiebers zu unterscheiden. Offensichtlich haben die Gesundheitsbehörden panische Angst davor, eingestehen zu müssen, dass das Gelbfiebervirus bereits in die eine oder andere Stadt zurückgekehrt sein könnte. Einmal in den Armenquartieren der Millionenstädte etabliert, wäre es nahezu unmöglich, die Übertragung des Erregers durch Aedes-Mücken zu verhindern - Brutmöglichkeiten gibt es in den "Favelas" zwischen Rio de Janeiro und Manaus nahezu unbegrenzt.
Kastentext: Gelbfieber in Rio
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Gelbfieber in Rio de Janeiro eine gefürchtete Massenerkrankung. Um die Jahrhundertwende erkrankten Jahr für Jahr mehrere hundert Menschen. 1901, zu Beginn der letzten großen Epidemie, waren es weit über 1000. Die Sterblichkeitsrate lag bei über 50 Prozent.
Miserable hygienische Verhältnisse, in Rio wie in den anderen Großstädten, führten zu idealen Brutmöglichkeiten für den Überträger des urbanen Gelbfieber, die Aedes-aegypti-Mücke. Da es keine Schutzimpfung gab, war die Beseitigung potenzieller Brutplätze die einzige Möglichkeit der Bekämpfung. In einer beispiellosen Kampagne - und mit Hunderten Tonnen von Insektiziden, insbesondere von DDT - gelang es 1954, Aedes aegypti landesweit auszurotten. Allerdings war der Erfolg nur vorübergehender Art: 1976 kehrte der Allerweltsmoskito nach Brasilien zurück und eroberte Zug um Zug jene Gebiete, aus denen er vorher verdrängt worden war. Mit der Aedes-Mücke dehnte sich auch das Denguefieber über das gesamte Land aus. Deshalb ist die Sorge verständlich, auch das Gelbfiebervirus könnte im Schlepptau dieser Mücke in die Städte zurückkehren.
Kastentext: Gelbfieberimpfstoff
Bei dem in Deutschland eingesetzten Gelbfieberimpfstoff handelt es sich um eine attenuierte Lebendvakzine, die auf Hühnerembryonalzellen kultiviert wird. Bei etwa 10 Prozent der Geimpften werden lokale Nebenwirkungen beobachtet. Allgemeinreaktionen - vier bis fünf Tage nach der Injektion - sind noch seltener. Ein Impfgelbfieber wurde noch nie beobachtet. Die Gelbfieberimpfung darf nur von speziell zugelassenen Gelbfieberimpfstellen (Tropeninstituten, Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten) durchgeführt werden.
Kastentext: Impfkampagne
In einer beispiellosen Impfkampagne hat das brasilianische Gesundheitsministerium innerhalb eines Monats 60 Millionen Vakzindosen kostenlos zur Verfügung gestellt (fast genauso viel wie in der Zeitspanne von 1991 bis 1999) und in allen Medien zur Impfung gegen Gelbfieber aufgerufen. Allerdings kam es bei den Massenimpfungen zu einem unerwarteten Rückschlag. Zwei Personen erkrankten fünf Tage nach der Vakzinierung an einem Impfgelbfieber. Da es sich um junge Menschen ohne erkennbare Vorerkrankungen handelte, ist man in der Chefetage des Gesundheitsministeriums um eine Erklärung nach wie vor verlegen.
In einem gesundheitspolitischen Drahtseilakt wurde die im Bundesstaat Sao Paulo vorgesehene Impfkampagne kurzerhand abgeblasen und den Einwohnern empfohlen, sich bei Reisen in Gelbfiebergebiete vorher vakzinieren zu lassen. Da zu den Risikogebieten auch die Hauptstadt Brasilia gehört, ergibt sich die paradoxe Situation, dass Besucher der klimatisierten Regierungsgebäude sich eigentlich erst einmal gegen die Tropenseuche impfen lassen müssten, bevor sie in Rio oder Sao Paulo in das Flugzeug steigen.
In der Zwischenzeit arbeiten brasilianische Forscher der Oswaldo-Cruz-Stiftung mit Hochdruck an einer neuen Vakzine, die leichter herzustellen und weniger nebenwirkungsreich als der derzeitige Impfstoff sein soll. Diese wird aber vor dem Jahr 2002 nicht einsatzbereit sein.
Bis Ende Juli sind in Brasilien 65 Fälle von Gelbfieber bekannt geworden, auch außerhalb von Endemiegebieten. Möglicherweise ist die Impfmüdigkeit der brasilianischen Bevölkerung die Ursache für die erneute Ausbreitung der gefährlichen Tropenerkrankung.
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