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Eröffnungsvortrag zum BAK-Fortbildungskongress: 10 Jahre Deutsche Einheit
Jedes Mal, wenn er heute über die ehemalige Demarkationslinie, die Grenze zur Ex-DDR, "in den Westen" fahre, sei es für ihn auch heute noch ein Augenblick der Freude, es stelle sich bei ihm Dankbarkeit ein. Er selbst hatte, als er in der DDR lebte, nicht mehr daran geglaubt, dass die Mauer einmal fällt. Die Deutsche Einheit ist heute Fakt, darüber könne er nur mit Freude sprechen, dass es so gekommen sei, vor allem ohne Blutvergießen.
Dass wohl auch im Westen niemand mehr damit gerechnet hat, dass beide Teile Deutschlands vereinigt werden, dafür spricht die Tatsache, dass für den Tag des Mauerfalls kein Konzept in der Schublade vorhanden war, obwohl in der Bundesrepublik jährlich mit einem Feiertag, dem Tag der deutschen Einheit, daran erinnert wurde – bemerkenswert auch deswegen, wenn man weiß, was ein Feiertag für die Wirtschaft kostet.
Vollkommen unvorbereitet trafen beide Staaten aufeinander. Ost und West wussten gleichermaßen viel zu wenig von einander, es herrschten Vorurteile und daraus resultierten Missverständnisse. Selbst von Meinungsträgern sei damals ein falsches Bild von der DDR gemalt worden (Eggert: "Es war beleidigend, dass die Banane als Frucht der Einheit dargestellt wurde"). Bis heute wirkten zum Teil diese Unkenntnis und Unwissenheit von einander nach und führten zu Differenzen, wobei dies allerdings generationenabhängig sei, wie Eggert einräumte. Die heutige Jugend habe damit kaum noch Probleme, ihr sei es egal, ob jemand aus Rostock oder Hamburg komme.
Es wurden Fehler gemacht
Nach der Wende dachte man dann, es sei einfach, einen gesamtdeutschen Plan zu machen und alle an einen Tisch zu bringen, um aufzuteilen. Der Tisch sei zwar zustande gekommen, aber keiner wollte abgeben, nur nehmen – "mit der Solidarität war's nicht weit her", so Eggert. Ein Fehler, der 1990 gemacht wurde, war: Keiner konnte richtig einschätzen, wie marode die DDR wirklich war. Selbst Fachleute konnten nicht hinter die Kulissen schauen, um zu erkennen, wie schlecht die Arbeitsproduktivität in der DDR war.
Als die Mauer gefallen war, wussten auch die Ostdeutschen anfangs nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Es sei sogar angedacht worden, einen eigenen ostdeutschen Staat aufzubauen. Man war konfrontiert mit hoher Arbeitslosigkeit, leeren DDR-Kassen, auch leeren Rentenkassen. Jeder ostdeutsche Rentner sollte sich heute bewusst machen, so Eggert, dass er während seines Arbeitslebens nichts in die Rentenkasse der Bundesrepublik eingezahlt hat, aber heute daraus bedient wird.
Eggert führte auch an: Nach der Wende stand das vereinigte Deutschland vor der Aufgabe, Ex-DDR-Betriebe wieder zu beleben, Altschulden zu tilgen, Wohnungen zu sanieren und Landschaften zu rekultivieren, was Milliardenbeträge kostete. Er selbst habe einmal ausrechnen lassen: Wollte man die gesamte Altbausubstanz Sachsens auf Weststandard bringen, würde dies allein 220 Mrd. DM verschlingen.
Nicht nur vor diesem Hintergrund warnte der Innenminister a. D.: "Der Sozialismus war für alle Deutschen ein kostspieliges Experiment, das man besser nicht wiederholen sollte." Man habe heute Gelegenheit, zehn Jahre Marktwirtschaft in Ostdeutschland mit zehn Jahren Sozialismus in der DDR zu vergleichen; da sei es für ihn unverständlich, dass sich trotzdem die Marktwirtschaft manchmal verteidigen müsse.
In den letzten Jahren sind Milliarden von West nach Ost geflossen, was einigen in Westdeutschland nicht gefiel. Auf der anderen Seite konnten viele Westdeutsche über besonders hohe Steuervergünstigungen Wohneigentum im Osten erwerben, wenn sie diese Wohnungen vermieteten.
Fehler bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten seien gemacht worden, als versucht werden sollte, so manche Betriebe der Ex-DDR zu sanieren. Eggert verdeutlichte, dass die Wiedervereinigung und das Ende des Industriezeitalters zusammengetroffen waren. Betriebe, die man im Westen bereits schloss, konnten im Osten nicht funktionieren.
Fehler hatte der DDR-Staat gemacht, indem er Menschen zu Unselbstständigkeit erzogen hatte durch zuviel Fürsorge – auch ein Weg, wie man Menschen entwürdigen kann, wie Eggert hinzufügte. Er spreche sich für Hilfe aus für jeden, der sie braucht, aber nicht für Ausnützer.
Eggert warb aber auch um Verständnis für den ostdeutschen Bürger nach der Wende. Für ihn waren alle Koordinationsmuster weggefallen, an denen er sich sonst orientiert hatte: ist z. B. sein Beruf jetzt noch zeitgemäß, ist das Haus, in dem er wohnt noch das eigene? Und dann die Probleme mit der westdeutschen Bürokratie: z. B. schwierig auszufüllende Anträge für Kindergeld oder Rente. Und die Fehleinschätzung vieler Ostdeutschen, nach der Wende bleibe alles billig, man verdiene aber weit mehr als früher.
West und Ost legte Eggert ans Herz, das zu schätzen und zu leben, was wirklich zählt, nämlich in einer Demokratie zu leben mit Meinungsfreiheit und der Freiheit zu reisen. Leider werde die Demokratie heute erdrückt durch ein ausgeprägtes Wohlstandsbedürfnis. Er appellierte daher an Zivilcourage und Rückgrat, das zur Demokratie gehöre.
Zitate
Ostdeutsche Arroganz: wenn Ostdeutsche heute meinen, in der früheren DDR sei es wärmer und vertrauter gewesen. In jedem Stall wird es warm und es stinkt, wenn nicht einmal kräftig durchgelüftet wird. Westdeutsche Arroganz: In der DDR wurde nichts gearbeitet. Dies ist nicht richtig. Auch dort wurde gearbeitet. Der Einzelne hatte jedoch im DDR-Staat nicht die Möglichkeit, Kapital zu bilden. Der Staat hat seine Bürger um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Heinz Eggert
Es gab in der DDR keine 17 Millionen Stasispitzel – aber auch keine 17 Millionen Widerstandskämpfer. Heinz Eggert
Jeder Westdeutsche sollte sich fragen, wie sein Lebenslauf in einer Diktatur ausgesehen hätte. Denn: In der DDR wurden Menschen zu Zwergen gemacht, mental und wirtschaftlich. Heinz Eggert
Faule Ossis, arrogante Wessis – das sind Vorurteile. Heute sind in Ost und West beide Typen gleichmäßig verteilt. Blamabel ist es im Ausland, wenn diese Typen, egal aus welchem Land, als solche auftreten. Heinz Eggert
Er hielt Ossis und Wessis einen Spiegel vor, um zu zeigen, wie sie sich selbst und im Verhältnis miteinander seit 1990 entwickelt haben: Heinz Eggert, zu DDR-Zeiten beschäftigt bei der DDR-Reichsbahn, dann nach einem Theologiestudium als praktischer Pfarrer tätig und von 1991 bis 1995 Innenminister von Sachsen, teilte in seinem Eröffnungsvortrag zum diesjährigen Kongress der Bundesapothekerkammer (BAK) in Westerland/Sylt am 11. September nach beiden Seiten Kritik aus und gab Anstöße zum Nachdenken. Sein Fazit: bei allem, was vielleicht im Zuge der Vereinigung nicht optimal gelaufen ist, sollte man doch Freude und Dankbarkeit für all das empfinden, was wir bis heute erreicht haben.
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