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Arzneimittel und Therapie
Neue Vakzine: Pneumokokken-Konjugatimpfstoff für Kleinkinder
1881 isolierten G. M. Sternberg und L. Pasteur unabhängig voneinander erstmals grampositive Diplokokken, die als Diplococcus und später als Streptococcus pneumoniae bezeichnet wurden. Nach Angaben der WHO handelt es sich bei Pneumokokken um den weltweit bedeutendsten Infektionserreger beim Menschen. Wenn der Erreger durch die Mukosa in die Blutbahn gerät, kann er ins Gehirn gelangen und dort eine Entzündung auslösen. Derartige invasive Pneumokokken-Infektionen kommen vor allem in den ersten beiden und dann wieder nach dem 65. Lebensjahr vor.
Wichtigster Erreger einer bakteriellen Meningitis
Streptococcus pneumoniae ist neben Meningokokken der wichtigste Erreger der bakteriellen Meningitis im Kindesalter in Deutschland. In Deutschland sind besonders Kinder im ersten Lebensjahr durch eine Pneumokokken-Meningitis gefährdet (Inzidenz: 7,36/100000). Weltweit sind Pneumokokken die Hauptverursacher von bakteriellen Pneumonien bei Kindern und Erwachsenen, die in ungefähr 1,2 Millionen Fällen jährlich tödlich verlaufen. Etwa 40% dieser Todesfälle betreffen Kinder unter fünf Jahren. Die Zahl der invasiven Pneumokokken-Infektionen bei Kindern unter 16 Jahren wird auf 990 bis 1320 geschätzt. 3 bis 10% der Kinder sterben an einer Pneumokokken-Meningitis, bei den Erwachsenen sind das rund 20%. Aber selbst wenn die Erkrankung ausheilt, kann es zu schweren Folgeschäden kommen. Dazu gehören neurologische Defekte wie Hirnschäden oder Hörverlust; auch eine mentale Retardierung ist möglich.
Meist bleiben Pneumokokken-Infektionen aber lokal begrenzt, beispielsweise bei der Otitis media, an der mindestens zwei Millionen Kinder jährlich erkranken. Rund 600000 dieser Krankheitsfälle werden durch Pneumokokken verursacht. Bei einem Teil der betroffenen Kinder wird die Infektion systemisch und führt zu einer Meningitis.
Pneumokokken-Erkrankungen im Kindesalter sind vermeidbar
In den Jahren 1997 bis 1999 wurden 1299 Fälle von invasiven Pneumokokken-Infektionen im Kindesalter untersucht, indem alle deutschen Kinderkliniken und deren mikrobiologische Einsende-Laboratorien monatlich befragt wurden. 764 (58,8%) der Erkrankten waren Kinder unter zwei Jahren. 564 Kinder waren an einer Meningitis erkrankt, 735 an anderen systemischen Infektionen. 35 Kinder (2,7%) starben an den Folgen der Pneumokokken-Infektion. Von 36,2% dieser 1299 Fälle wurden die Serotypen am Nationalen Referenzzentrum für Streptokokken in Aachen bestimmt. Durch die in Prevenar enthaltenen Serotypen hätten in den drei Jahren 61% und 1999 sogar 74% der gesicherten Erkrankungen verhindert werden können.
Dramatische Zunahme der Antibiotikaresistenzen
Pneumokokken-Erkrankungen können in der Regel gut durch Antibiotika wie Penicillin oder Makrolide behandelt werden. Durch die weltweite Zunahme von Resistenzen treten allerdings immer mehr Stämme auf, die auf eine Antibiotikatherapie nicht mehr ansprechen. In Deutschland verdoppelte sich der Anteil Penicillin-resistenter Pneumokokkenstämme von 2,7% (1997) auf 5,4% (1999). Weit dramatischer ist die Resistenzentwicklung gegen Makrolid-Antibiotika wie Erythromycin, die von 3,6% (1992) über 11,3% (1997) auf 17,4% (1998) zugenommen hat. Mittlerweile liegt die Resistenzrate bereits bei 25%. Durch eine Impfung mit dem neuen Pneumokokken-Konjugatimpfstoff Prevenar kann die Zunahme der Resistenzraten verhindert werden, da Pneumonien, Otitiden, Meningitiden und Bakteriämien seltener auftreten und somit weniger Antibiotikagaben nötig sind.
Virulenzfaktor Polysaccharidkapsel
Wichtigster Virulenzfaktor der Pneumokokken ist die Polysaccharidkapsel, welche den Keim vor der Phagozytose durch Granulozyten und Makrophagen schützt. Derzeit sind 90 serologisch verschiedene Typen von S. pneumoniae bekannt, die sich in der Zusammensetzung der Polysaccharidkapsel und als Folge auch hinsichtlich ihrer Virulenz unterscheiden.
Prevenar: Schutz für die Kleinsten
Durch eine Impfung kann dem lebensbedrohlichen invasiven Verlauf vorgebeugt werden, auch reduziert sich die Zahl der Keimträger und anderer Infektionen wie Otitis media. Kinder unter fünf Jahren zeigen normalerweise eine geringe Immunantwort auf die Kapselpolysaccharide allein, mit denen bei Erwachsenen bereits ein Immunschutz hervorgerufen werden kann. Kinder benötigen ein größeres Eiweißmolekül als Träger für die Antigene. Prevenar enthält sieben gereinigte Polysaccharide aus der Kapsel von S. pneumoniae 4, 6B, 9V, 14, 18C, 19F und 23F, die mit dem nicht toxischen Diphtherie-Protein CRM197 konjugiert sind. Allein diese sieben Serotypen verursachen in Europa 70 bis 85% der invasiven durch Pneumokokken ausgelösten Erkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren. Die Immunisierung mit Prevenar bildet bereits bei Kindern unter zwei Jahren einen Impfschutz und ein immunologisches Gedächtnis, wodurch die Erkrankungsraten deutlich gesenkt und Folgeschäden verhindert werden können. Wahrscheinlich werden vier Impfungen benötigt, die ab dem zweiten Lebensmonat beginnen können.
Durch die Impfung mit Prevenar könnten jedes Jahr in Deutschland bei Kindern 400 Fälle invasiver Pneumokokken-Erkrankungen (Meningitis, Bakteriämie), 120000 Fälle von akuter Otitis media und 50000 Fälle von Pneumonien verhindert werden, die durch die im Impfstoff enthaltenen Serotypen ausgelöst werden.
Umfangreiche klinische Studien
Der siebenvalente Pneumokokken-Konjugatimpfstoff Prevenar zeigte in umfangreichen Studien eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit. Die Wirksamkeit, Immunogenität und Reaktogenität wurde in einer doppelblinden randomisierten plazebokontrollierten Studie mit über 37000 Kindern in den USA gezeigt. Mehr als 97% der invasiven Erkrankungen (Bakteriämie, Meningitis), über 87% der bakteriämischen invasiven Pneumonien und 73% der klinischen Pneumonien mit Konsolidierung (belegt per Röntgenaufnahme und Nachuntersuchung) konnten durch die Impfung verhindert werden. Auch nicht-invasive, durch Pneumokokken ausgelöste Erkrankungen wie Otitis media wurden in hohem Maße reduziert.
Eine finnische Studie bei knapp 2500 Kindern unter zwei Jahren belegte die Wirksamkeit von Prevenar bei Otitis media. Die typischen Symptome Fieber, Ohrenschmerzen, Erbrechen, Pneumonie sowie ein sichtbar pathologisch verändertes Trommelfell wurden protokolliert. In der Studie traten 57% weniger Otitis-media-Fälle, die durch einen der im Impfstoff enthaltenen Serotypen ausgelöst wurden, auf. Die Anzahl von durch Pneumokokken bedingter Otitis media ging um 34% zurück.
Die gute Verträglichkeit des Konjugatimpfstoffes zeigt eine klinische Studie mit mehr als 20000 Kindern. Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren lokale Irritationen an der Einstichstelle, Fieber (>38 Grad Celsius), Reizungen, Müdigkeit, unruhiger Schlaf und Appetitlosigkeit, vergleichbar mit den von der DTP-Impfung bekannten Nebenwirkungen.
Quelle: Priv.-Doz. Dr. Ralf Rene Reinert, Aachen, Prof. Dr. Rüdiger von Kries, München, Prof. Dr. Heinz-J. Schmitt, Mainz, Symposium "Was leisten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe?", im Rahmen der 96. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Stuttgart, 16. September 2000, veranstaltet von Wyeth Pharma GmbH, Münster.
Anfang 2001 können Kleinkinder und Säuglinge vor Pneumonie, Meningitis, Bakteriämie und Otitis media geschützt werden. Der neue Pneumokokken-Konjugatimpfstoff Prevenar ermöglicht erstmals, bei Kindern unter zwei Jahren einen Impfschutz und ein immunologisches Langzeitgedächtnis zu induzieren. Die Zulassung von Prevenar wird für Ende des Jahres erwartet, die Einführung plant Wyeth-Pharma für das erste Quartal 2001. In den USA ist die Vakzine bereits zugelassen und immunisiert gegen sieben verschiedene Serotypen des Erregers.
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