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Internetapotheke DocMorris: "Wir betreiben Rosinenpickerei." (DAZ-Interview)

BONN (im). Im Juni 2000 war die virtuelle Apotheke im Internet 0800DocMorris, die sich selbst lieber "I-Pharmacy" nennt, mit großem Getöse gestartet. Vor wenigen Tagen hat sie ihr Sortiment auf jetzt 1150 Präparate erheblich ausgeweitet. Gleich fünf einstweilige Verfügungen laufen gegen 0800DocMorris wegen möglicher Verstöße gegen geltendes Recht. Die Macher der Internetapotheke sehen der gerichtlichen Auseinandersetzung allerdings gelassen entgegen. Sie verweisen auf EU-Recht. Brisant: Auf die hierzulande geltenden Zuzahlungen der Patienten zu Arzneimitteln will die Internetapotheke verzichten. Darüber und über andere Fakten sprach Susanne Imhoff-Hasse, Bonner Korrespondentin der Deutschen Apotheker Zeitung mit Jacques Waterval, dem Vorstand der Internetapotheke, und mit Jens Apermann, Marketing-Leiter von 0800DocMorris.

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Herr Waterval, wie viele Bestellungen sind bei 0800DocMorris.com aus Deutschland eingegangen?

Waterval:

Wir müssen zwischen Bestellungen und Versendungen unterscheiden. Bestellungen gibt es rund 120 am Tag, Versendungen zwischen 105 und 110 am Tag, denn nicht für jede Bestellung kommt ein Rezept herein, und dann wird es auch nicht versendet.

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Was wird am stärksten nachgefragt?

Waterval:

Im Moment sind es Lifestyle-Produkte wie Propecia, Reductil oder Viagra. Fünfzehn Medikamente erreichen etwa 70 Prozent des Umsatzes. Dazu kommt die Pille, also alles Selbstzahler-Artikel. Seit dem 17. Oktober kommt das neue Sortiment aus rund 800 Präparaten hinzu.

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Was war Grund für die Erhöhung Ihres Angebots von 350 auf 1150 Produkte?

Waterval:

Sinn der Sortimentserweiterung ist es, auch ein gutes erstattungsfähiges Angebot zu machen.

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Ab welcher Preisgrenze nehmen Sie ein Präparat auf?

Waterval:

Ab rund 30 Euro nehmen wir rezeptpflichtige auf, freiverkäufliche liegen auch darunter.

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Berechnen Sie Versandkosten bei einem Artikel, der zum Beispiel nur drei Mark kostet?

Waterval:

Ja, wenn jemand nur einen Artikel bestellt, fallen zum Einkaufspreis Versandkosten für Deutschland von fünf oder sechs Mark an.

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Wie ist sichergestellt, dass Sie bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln nur bei Vorlage eines Rezepts liefern? Reicht eine Faxvorlage?

Waterval:

Nein, das Original muss vorliegen. Wir haben allerdings schon gute Kopien bekommen, die fast nicht vom Originalrezept zu unterscheiden waren. Wir halten Kontrollen ein und prüfen die Arztunterschrift und weitere Angaben.

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In Deutschland müssen Patienten zur Zeit acht, neun oder zehn Mark pro Packung zuzahlen. Wie verfährt DocMorris hier?

Waterval:

Die Zuzahlung entfällt. Sowohl den Krankenkassen als auch uns ist klar, dass es einen attraktiven Anziehungspunkt für den Patienten geben muss. Wobei die Krankenkassen mit uns noch keine schriftlichen Verträge geschlossen haben. Wir handeln so, weil jeder etwas dabei verdienen muss. Wir wollen verdienen, aber Patient und Krankenkassen sollen auch etwas davon haben.

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Sie lassen die Zuzahlung also komplett wegfallen?

Waterval:

Ja.

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Sie wissen, dass die Zuzahlung in Deutschland keine freiwillige Tat, sondern eine gesetzliche Verpflichtung ist? Nach deutschem Recht müssen die Apotheken für die Krankenkassen die Selbstbehalte von den Patienten nehmen.

Waterval:

Darüber muss das Gericht befinden, als niederländische Apotheke sind wir dazu nicht verpflichtet.

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Wird bei DocMorris substituiert?

Apermann:

Wir substituieren mit ärztlicher Erlaubnis. Wenn aut idem auf dem Rezept angekreuzt ist, aber das Markenpräparat nicht im Sortiment ist, substituieren wir durch ein niederländisches Markenprodukt. Hier entspricht niederländisches dem deutschen Recht.

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Substituieren Sie auch mit Generika?

Apermann:

Nein, im Moment nicht.

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Eine ordnungspolitische Frage. Ihr System funktioniert, weil Sie sich auf einige hochpreisige Arzneimittel beschränken, und die Versandkosten im Grundrauschen untergehen. Sie haben keinen Kontrahierungszwang wie die deutsche Apotheke, die dem Patienten ein 2,37 Mark teures Präparat aushändigen muss, unabhängig davon, ob es einen Ertrag abwirft oder nicht. Funktioniert Ihr System also nur, weil Sie keinen Kontrahierungszwang haben?

Waterval:

Zum Teil. Wenn uns Patienten am niederländischen Standort aufsuchen, muss ich als Apotheker auch die günstigen Präparate abgeben. Aber das gilt nicht für die Versandapotheke.

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Sie nutzen Arbitragegeschäfte durch das bestehende Preisgefälle in Europa. Wenn das weg ist, ist Ihr Geschäft auch zu Ende?

Waterval:

Zumindest dieses Geschäft. Wobei die Frage an die pharmazeutische Industrie geht. Woher kommt es, dass man zum Beispiel Amaryl, zwei Milligramm, zu einem sehr niedrigen Preis in Spanien einkaufen kann, wofür der Deutsche so viel bezahlen muss?

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In Spanien werden die Preise staatlich festgesetzt.

Waterval:

Vielleicht. Entscheidend für jede Preisbildung ist jedoch immer der Herstellerabgabepreis, den die Pharmaindustrie verlangt.

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Zu den juristischen Fragen. Es gibt Gutachten wie das von Professor Hilko Meyer für den pharmazeutischen Großhandel, die zu dem Schluss kommen, dass das Verfahren von DocMorris weder durch die Electronic-Commerce-Richtlinie abgedeckt ist noch durch das Fernabsatzgesetz. Sie sei also illegal, das deutsche Arzneimittelgesetz gelte und das Versandhandelsverbot. Was sagen Sie dazu?

Apermann:

Wir berufen uns nicht ausschließlich auf die EC-Richtlinie und das Fernabsatzgesetz. Es gibt zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, 1989 das Schumacher I-Urteil und 1992 Schumacher 2, die dem Verbraucher bestimmte Rechte einräumen. Er kann Arzneimittel aus der Apotheke seiner Wahl beziehen unter der Voraussetzung, dass es sich um eine zugelassene Apotheke und zugelassene Arzneimittel handelt.

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Zum Herkunftslandprinzip. Gutachter haben ausgeführt, dass bei diesem Prinzip, wonach sich ein Online-Unternehmen nur an das an seinem Sitz geltende, beispielsweise niederländische Recht halten müsste, solche nationalen Regelungen ausgenommen seien, die rechtliche Anforderungen an die Lieferung von Waren stellen, wozu das Versandhandelsverbot gehörte.

Apermann:

Das ist richtig. Die E-Commerce-Richtlinie wird von uns auch nur in dem Bereich herangezogen, der die Kritik an unserer Website betrifft. Laut Ansicht des Deutschen Apothekerverbands verstoßen wir nicht nur gegen Paragraph 43 und 73 Arzneimittelgesetz (Versandhandels- und Verbringungsverbot, die Red.), sondern auch gegen das Heilmittelwerbegesetz, konkret das Werbeverbot für den Versandhandel. Und hier sind wir der Meinung, dass unsere Website keine Werbung und keine kommerzielle Kommunikation im Sinne der EC-Richtlinie, sondern das Schaufenster des Apothekers im Internet ist. Das ist gedeckt durch die Richtlinie, unabhängig davon, ob die Waren aus dem Diskettenschacht kommen oder per Kurier gebracht werden.

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Sie sehen keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht?

Apermann:

Nein.

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Was sagen Sie zu dem Vorwurf, der Ihnen gegenüber häufig erhoben wird, Sie betrieben Rosinenpickerei durch die Beschränkung auf wenige hochpreisige Präparate?

Apermann:

Wir betreiben Rosinenpickerei aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit. Im Gegensatz zu vielen deutschen Apotheken, die aus historischen Gründen existieren, gehen wir nach marktwirtschaftlichen Kriterien vor. Für uns ist es wichtig, überhaupt in den Markt zu kommen, um etwas zu bewegen. Wir haben Arzneimittel identifiziert, durch deren Versand in Deutschland eine erhebliche Kostenentlastung möglich ist, ohne unsere wirtschaftliche Basis zu gefährden, und daher tun wir dies.

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Sie könnten nicht das gesamte Sortiment zu diesen Konditionen liefern?

Apermann:

Nein.

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Wie sieht Ihr finanzieller Background aus? Was hat es mit der Techno Nord in Hamburg auf sich?

Apermann:

Die Techno Nord ist eine Venture-Capital-Gesellschaft, die auf verschiedene Risikokapitaltöpfe in Europa zugreift und in junge Unternehmen investiert. Wir sind eines dieser start-ups. Unser Geld kommt gleichermaßen aus Deutschland und den Niederlanden. Wir benötigen Kapital, zum Beispiel für die Website, für das Personal, aber auch um durch die Instanzen zu gehen, die uns jetzt durch den Deutschen Apothekerverband aufgenötigt werden.

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Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass über DocMorris nicht nur zugelassene, sondern hier nicht verkehrsfähige Arzneimittel versendet wurden?

Apermann:

Den Vorwurf höre ich mit Genuss, denn er kommt aus den ureigenen Interessen der Pharmaindustrie. Nicht verkehrsfähig ist nach Meinung der Hersteller ein Arzneimittel, wenn es keinen deutschen Beipackzettel und keine deutsche Umverpackung hat. Wir wissen aber, dass die Arzneimittel aus denselben Fabriken kommen, also dieselbe Qualität haben. Die Industrie will hier ihre nationale Abschottung der Pharmamärkte aufrechterhalten. Unsere Arzneimittel sind im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes verkehrsfähig. Ein deutscher Patient hat bei wissentlicher Bestellung in einer niederländischen Apotheke keinen Rechtsanspruch auf einen deutschen Beipackzettel. Wir legen jedoch eine deutsche Produktinformation analog zur Roten Liste bei, da wir ein Interesse daran haben, dass der Patient über den Gebrauch seines Medikaments informiert wird.

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Herr Waterval, Herr Apermann, vielen Dank für das Gespräch!

Im Juni 2000 war die virtuelle Apotheke im Internet 0800DocMorris mit großem Getöse gestartet. Inzwischen laufen gleich fünf Verfügungen gegen die Internetapotheke wegen möglicher Verstöße gegen geltendes Recht. Die Betreiber von DocMorris sehen der gerichtlichen Auseinandersetzung allerdings gelassen entgegen. Darüber und über andere Fakten sprach die DAZ mit Jacques Waterval, dem Vorstand der Internetapotheke, und mit Jens Apermann, Marketing-Leiter von DocMorris.

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