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Pheromone – Steuerung durch den Duft
Entdeckt und wieder vergessen
Der holländische Militärarzt Ruysch entdeckte 1703, als er die Gesichtswunden eines Soldaten behandelte, nadelkopfgroße Vertiefungen beiderseits der Nasenscheidewand, einen Zentimeter oberhalb der Nasenöffnung. Hundert Jahre später wurde das rätselhafte Organ ein zweites Mal entdeckt, diesmal von dem Dänen Ludwig Jacobson (1783-1843), der als Militärarzt in der französischen Armee diente. Er beschrieb es 1811 zuerst bei Säugetieren und wies es später beim Menschen nach. Doch das Jacobson-Organ geriet für weitere eineinhalb Jahrhunderte in Vergessenheit. Das paarig angelegte akzessorische Organ schien beim Menschen nur rudimentären Charakter zu haben. Bei Säugetieren wie dem Hamster ist es dagegen als Vomeronasales Organ (VNO) gut beschrieben, das Pheromone detektiert.
Was sind Pheromone?
Pheromone sind kleine, flüchtige, geruchlose und hydrophobe Moleküle, die vielen Tieren als Sozialwirkstoffe dienen. Dem Biochemiker Adolf Butenandt (1903-1995; Chemienobelpreis 1939) gelang es nach zwanzigjähriger Arbeit 1959, mit dem Bombykol (10,12-Hexadecadienol), dem Sexuallockstoff der Weibchen des Seidenspinners (Bombyx mori), das erste Pheromon zu isolieren. Heute sind Pheromone bei vielen Tierarten nachgewiesen. Ob bei Bienen, Graskarpfen oder Gorillas, mit Pheromonen werden Reviergrenzen markiert, wird vor Feinden gewarnt oder die Geschlechtsreife der Konkurrenten gehemmt.
Das Jacobson-Organ
Beim menschlichen Embryo wird das Jacobson-Organ von der Nasenschleimhaut gebildet. In der 20. Schwangerschaftswoche ist es maximal entwickelt. Beim Säugling nimmt das Sinnesorgan die von der Brustwarze der Mutter ausgeschiedenen Pheromone wahr und leitet ihn zielsicher zur Nahrungsquelle. Beim Erwachsenen hielt man das Jacobson-Organ für verkümmert. Seine Renaissance begann mit der Entdeckung menschlicher Pheromone. Der Anatom David Berliner aus Salt Lake City hatte 1960 die an Gipsverbänden verunglückter Skifahrer hängengebliebenen Hautzellen gesammelt. Als er Zellenextrakte in offenen Flaschen im Labor stehen ließ, besserte sich das Arbeitsklima unter seinen verfeindeten Kollegen schlagartig. Er konnte mit diesem sonderbaren Effekt nichts anfangen und fror seine Proben ein. Mehr als 30 Jahre ruhten sie in den Gefriertruhen, ehe er sich ihnen wieder widmete. Mitte der 80er-Jahre wurde das Jacobson-Organ beim Erwachsenen wiederentdeckt und vermessen. Es liegt am vorderen unteren Abschnitt der Nasenscheidewand und besteht aus einem 0,2 bis 2 mm breiten Längswulst, dem ein Schlauch von 2 bis 8 mm Länge aufliegt.
Breites Anwendungsgebiet
Nun begann sich David Berliner wieder für seine Flaschen zu interessieren und taute die eingefrorenen Proben auf. Er ließ die elektrischen Impulse des Sinnesorgans messen. Während es auf liebliche Düfte nicht reagierte, sendete es Signale, als er seine Flaschen öffnete. Das war der Startschuss für die kommerzielle Verwertung der Pheromone. Berliner verkauft heute pheromonhaltige Düfte. Die Duftwolken sollen die Träger der Parfüms sozial öffnen und für Intimitäten empfänglich machen. Angeblich hat er mehr als hundert künstliche Pheromone, so genannte Vomeropherine, synthetisiert, die irgendwann als Appetitzügler, Verhütungsmittel oder Angstlöser auf den Markt kommen sollen. Mehr als 50 menschliche Pheromone sind mittlerweile bekannt. Mindestens zwei, das Estratetaenol beim Mann und das Androstienon bei der Frau, sollen auf das VNO großen Einfluss haben. Doch der kultivierte Mensch verleugnet seinen Körpergeruch. Tägliches Duschen und allerlei Deodorants verhindern die Ausdünstungen. Die Parfüms versorgen den Menschen aber wieder mit Pheromonen. Deren Naturstoffe, z.B. der Zibet der Schleichkatzen (Viverrinae), der Moschus des Moschustiers (Moschus moschiferus) oder pflanzliche (Gummi-)Harze wie Myrrhe (von Commiphora spec.), Weihrauch (von Boswellia spec.), Galbanum (von Ferula galbaniflua), Styrax (von Liquidambar spec.) oder Benzoe (von Styrax spec.), enthalten Substanzen, die menschlichen Pheromonen ähneln.
Verdunstung über die Haare
Der Mensch hat 3 Millionen Drüsen, mehr als jede andere Spezies; die meisten davon sind in der Leiste und der Achselhöhle lokalisiert. Die Achselhaare funktionieren wie Dochte. An jeder Wurzel sitzt eine Drüse, die mit dem Schweiß auch Pheromone abscheidet. Über die große Oberfläche der Haare gelangen sie in die Luft. Die Schweißdrüsen der Achsel arbeiten nur während der Reproduktionsphase des Menschen. Überdies beträgt die Reichweite menschlicher Pheromone nur wenige Zentimeter. Das Anschmiegen an Schulter und Brust des Angebeteten hat deshalb seinen Sinn. Sehr viele Pheromone soll auch die vom Nasenflügel zum Mundwinkel verlaufende Nasolabialfurche produzieren. Genau dahin stoßen die Nasen der Küssenden. Der Kuss könnte so als Test auf ein passendes Pheromonmuster interpretiert werden.
Tabuisierung der Sexualität
Eine plausible Erklärung der kulturellen Überformung der Pheromonwirkung gibt es auch schon. Als sich die Männchen vor drei Millionen Jahren aufrafften und in Gruppen zur Jagd gingen, blieben die Weibchen im Lager. Damit sie auf die zurückgebliebenen schwächeren Männchen nicht allzu verführerisch wirkten, begannen sie ihre Lockstoffe, die die Empfängnisbereitschaft deutlich anzeigten, zu maskieren. Nur der eigentliche Partner konnte nahe genug kommen, um ihre Bereitschaft zu erschnüffeln. Die Tabuisierung der Sexualität begann.
Zum Zentrum der Affekte
Wie bei den Antennen der Insekten, nimmt das VNO die Stoffe in einem dünnflüssigen Sekret auf und transportiert sie zu den Sinneszellen. Bei Säugetieren vermutet man eine Art Pumpmechanismus. So scheint die Katze beim Flehmen ihren Kopf zu heben, um das Sekret besser ins Lumen des VNO drücken zu können. Das Sinnesorgan leitet seine Informationen über einen Ast des V. Hirnnervs (Trigeminus) direkt zum Riechhirn oder Rhinenzephalon. Dieses ist Teil des Limbischen Systems, das wesentlich für die affektive Tönung des Gesamtverhaltens verantwortlich ist. Wut, Furcht, Aggression oder das Sexualverhalten werden hier bestimmt.
Auf der Suche nach den Genen
Neueste Forschungsergebnisse belegen die Vorstellung von der chemischen Steuerung des Menschen. Bei Mäusen wurden Gene gefunden, die bei der Reaktion auf Sexualpheromone eine große Rolle spielen. Der Mensch besitzt diese Gene ebenfalls. Sie sind allerdings zu stillgelegten Pseudogenen mutiert. Das scheint die Vermutung zu bestätigen, dass der Mensch die Fähigkeit verloren hat, Pheromone wahrzunehmen. Dennoch funktioniert das VNO des Menschen. Denn es wird z.B. beobachtet, dass Frauen, die längere Zeit in einer Gruppe zusammenleben, ihren Menstruationszyklus einander angleichen. Die Reaktion wird auf Pheromone zurückgeführt. Doron Lancet vom Weizmann-Institut in Israel und Dror Sharon von der Harvard Medical School scheinen der Diskussion nun ein Ende gemacht zu haben. Sie untersuchten die menschliche Evolution des Geruchssinns und verglichen dazu bestimmte DNA-Sequenzen von Schimpanse und Mensch. Ein Abschnitt des menschlichen Chromosoms 17 enthält danach mehr als tausend Gene, die für Rezeptoren in der Nasenhöhle zuständig sind. Die Hälfte davon erwies sich als stillgelegt. Die andere Hälfte wird noch zum Erkennen verschiedenster Düfte benötigt. Wenn dem so ist, müssten den Pheromonrezeptor-Genen Gene für die Pheromon-Produktion gegenüberstehen.
Ursache des Inzesttabus?
Nach Aussage des Psychoneuroimmunologen Roman Ferstl vom Institut für Psychologie der Universität Kiel könnte der Eigengeruch des Menschen durch die Gene des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC) auf Chromosom 6 festgelegt sein. Denn jede Körperzelle trägt auf ihrer Oberfläche ein charakteristisches Muster von MHC-Klasse-I-Molekülen. Menschen mit dem gleichen MHC-Muster empfinden den Körpergeruch des anderen als unangenehm, wenn er vom anderen Geschlecht ist. Dieser Sachverhalt hätte unmittelbaren Einfluss auf unser kulturelles Selbstverständnis. Sympathie und Antipathie ließen sich auf das unbewusste Reagieren auf Ausdünstungen reduzieren. Das in allen menschlichen Gesellschaften herrschende, aber bezüglich seines Ursprungs umstrittene Inzesttabu (Tabu des Geschlechtsverkehrs mit nahen Verwandten) verlöre seinen kulturellen und moralischen Kodex; es wäre auf verhaltenssteuernde biochemische Vorgänge zurückzuführen.
Internetadressen zum Thema Pheromone
www.dkfz-heidelberg.de/einblick/ein1998/2_1998/ Bericht des deutschen Krebsforschungszentrums http://news.bbc.co.uk/hi/english/sci/tech/newsid_566000/566368.stm Wissenschaftsbeitrag zum Thema: Gene für Pheromon-Detektion www.pheromones-online.de Presseberichte und allerlei Informationen www.realm.de Ihr sechster Sinn in Flaschen www.athena.at Amors Pfeil aus 100% Wissenschaft www.erotic-shopping.de Käufliche Düfte
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