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Die Apotheker sind keine Internet-Muffel, aber ...
Bei der Diskussion um E-Commerce und Versandhandel von Arzneimitteln, die in den letzten Monaten deutlich an Intensität gewonnen haben, sind sowohl rechtliche Aspekte wie auch Fragen des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit, aber auch ökonomische Argumente zu diskutieren, so machte Professor Braun deutlich.
Rechtliches Umfeld und Verbraucherschutz
Aus gutem Grund habe der Gesetzgeber in Deutschland die Arzneimittelversorgung in ein Netz von Gesetzen und Verordnungen eingebettet. Alle diese Regelungen seien letztendlich ausschließlich als Maßnahmen des Verbraucher- bzw. Patientenschutzes zu verstehen. Das gelte für die Apothekenpflicht und die Verschreibungspflicht ebenso wie für das Heilmittelwerbegesetz und die Informations- und Beratungspflicht der Apotheker. Als Gegenleistung für die weitgehende Bindung der Arzneimittelabgabe an die Apotheke habe der Gesetzgeber den Apothekern eine Fülle von Pflichten auferlegt (z. B. zur Vorratshaltung, zur Notdienstversorgung, mit speziellen Anforderungen an die Räumlichkeiten und das Personal der Apotheke etc.). Die Erfüllung dieser Pflichten müsste im Rahmen einer Mischkalkulation über die vorgegebenen Margen der Arzneimittelpreisverordnung finanziert werden.
Auch das Verbot des Versandes von Arzneimitteln, erst 1998 im Rahmen der 8. AMG-Novelle eingeführt, diene dem Verbraucherschutz. Es stehe mit der EU-Gesetzgebung im Einklang, z. B. mit der Fernabsatzrichtlinie, dem Teleshopping-Verbot und der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce-Richtlinie). All diese Regelungen erlauben eine nationalstaatliche Regelung des Arzneimittelverkehrs ausdrücklich. Das gelte auch für die Frage des Versandhandels mit Arzneimitteln. In immerhin 12 von 15 EU-Staaten sei er, wenn auch mit kleinen Variationen, verboten.
Braun: "Deutschland ist somit bezüglich des Versandhandelsverbots für Arzneimittel kein EU-Exot, sondern Teil der Mehrheit!" An dem Versandhandelsverbot in Deutschland, das bisher trotz intensiver Versuche seiner Gegner allen juristischen Angriffen standgehalten hat, solle nun offensichtlich unter Nutzung der Internet-Euphorie gerüttelt werden. Internet-Händler und deutsche Krankenkassen, die schon zuvor den Versandhandel mit Arzneimitteln befürwortet hatten, sehen in der Diskussion um die Nutzung des Internets eine neue Chance für einen Systemwechsel in der Arzneimittelversorgung. Vor dem Hintergrund der Behauptung, damit ließe sich die Arzneimittelversorgung preiswerter machen, seien diese Vorhaben in der Presse und zum Teil auch in der Politik auf fruchtbaren Boden gefallen.
Andererseits sei durch zahlreiche Untersuchungen und Testkäufe in jüngster Zeit deutlich geworden, dass der Arzneimitteleinkauf über das Internet mit erheblichen Risiken behaftet sei. Dies ist nicht nur von Berufsorganisationen der Ärzte und Apotheker und von Seiten der Pharmaverbände kritisch angemerkt worden, sondern auch von Seiten der Verbraucherbände und von der Stiftung Warentest. Vor diesem Hintergrund sei es verständlich, dass der Gesetzgeber nach Wegen suche, den Internet-Handel mit Arzneimitteln sicherer zu machen. Wie schwierig dies sei, habe der US-Gesetzgeber unlängst bei seinen auf mehr Sicherheit gerichteten Anstrengungen erfahren müssen.
Braun: "Vor diesem Hintergrund muss sich der deutsche Gesetzgeber fragen lassen, ob er glaubt, durch Zulassung eines geregelten Internet-Handels in Deutschland diesen Dschungel beseitigen zu können." Die deutschen Apotheker jedenfalls glauben dies nicht, so Braun.
Allerdings stünden bei den Befürwortern eines geregelten Internet-Handels mit Arzneimitteln weniger Aspekte der Arzneimittelsicherheit oder des Komforts für den Patienten im Vordergrund. Als Hauptargument werde auf mögliche Kosteneinsparungen hingewiesen. Mit den Argumenten, die in diesem Zusammenhang angeführt werden, beschäftigte sich Braun im Hauptteil seines Referates.
Kritiker des deutschen Arzneimittelmarktes behaupteten immer wieder, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei den Arzneimittelpreisen, den Distributionskosten und beim Arzneimittelverbrauch an der Spitze oder in der Spitzengruppe liege. Mehr Wettbewerb, zum Beispiel auch das Aufbrechen eines angeblich abgeschotteten Marktes durch den Internet-Handel mit Arzneimitteln, könne dies ändern. Diese Annahmen und Argumente, so Braun, seien jedoch falsch, wie man durch Zahlen und Fakten belegen könne.
- Nach einer OECD-Studie aus dem Jahre 1997 hat Deutschland mit 8,9 %, gemessen an den gesamten Gesundheitsausgaben, die niedrigsten Arzneimittelausgaben.
- Auch beim Arzneimittelverbrauch pro Kopf der Bevölkerung belege Deutschland nur einen unteren Mittelplatz - besonders wenn man bedenke, dass in den skandinavischen und angelsächsischen Staaten und den Niederlanden erhebliche Anteile der Selbstmedikationsarzneimittel nicht über die Apotheken liefen.
- Auch beim Vergleich der Therapiekosten nehme Deutschland als Folge seines außerordentlich hohen Generikaanteils und als Konsequenz des Festbetragssystems einen Platz auf den unteren Rängen ein. Auffällig sei, dass Gesundheitssysteme mit Ketten und/oder Versandapotheken (Schweiz, Irland/Großbritannien, Belgien, Niederlande) im Vergleich zu Deutschland eher ungünstig liegen.
- Auch bei den Vertriebskosten liege Deutschland im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld und unterhalb der Länder, die einen Versandhandel erlaubten.
- Die degressive Apothekenspanne in Deutschland habe sich in den letzten Jahrzehnten als "effektives Kostendämpfungsinstrument" erwiesen.
Wenn man sich, so Braun, die aktuellen Angebote im Internet-Handel mit Arzneimitteln näher anschaue, verstehe man kaum, warum darin eine effektive Maßnahme zur Kostendämpfung gesehen werden könne. Der holländische Internethändler DocMorris bietet z. B. nur 1100 bis 1200 Arzneimittel an, dabei nur Originalarzneimittel und keine Generika; von Ausnahmen abgesehen bewegten sich die angebotenen Arzneimittel von etwa 100 DM bis zu einigen 1000 DM. Im Preisfeld von oberhalb 100 DM, so Braun, liegen zwar nur 10% aller GKV-Packungen, die aber nach Wert 47% des gesamten GKV-Marktes ausmachen.
Braun: "Bei dem Angebot handelt es sich also um eine ausgemachte Rosinenpickerei." Die Produktauswahl sei betriebswirtschaftlich allerdings verständlich und erforderlich, wenn man sich die Angebotskalkulation näher anschaue. Erst bei einem Arzneimittelpreis oberhalb von 100 DM bleibe rechnerisch ein positiver Betrag vom Apothekenaufschlag übrig, der allerdings zur Deckung der Betriebskosten und der Verpackungs- und Versandkosten noch nicht einmal ausreiche. Bei dem Durchschnittspreis der GKV-Arzneimittel in Höhe von 45 DM sei erst recht kein Gewinn zu machen; noch defizitärer sei die Kalkulation bei dem durchschnittlichen Generikapreis in Höhe von 31 DM. Auf die Generika entfallen aber inzwischen 46% aller Verordnungen - Verordnungen, die für einen Internethandel betriebswirtschaftlich völlig uninteressant seien. Zu bedenken sei auch, dass der Internetversender zudem Arzneimittel in seinem Angebot führe, die in Deutschland nicht zugelassen seien.
Braun: "Aus ökonomischer Sicht kann also festgestellt werden, dass ein Internet-Versandhandel sich nur in einem kleinen Marktsegment in Deutschland rechnen würde; d. h. Internet-Handel ist nur in Form von Rosinenpickerei möglich." Das bedeute aber, dass die heute im deutschen Markt vorhandene Quersubventionierung zwischen Generika und Innovationen ein zweites Mal unterbrochen würde. Die herstellerinterne Mischkalkulation sei 1989 durch Einführung des Festbetragssystems unterbrochen worden - mit der Folge, dass Innovationen in den 90er-Jahren stark im Preis angestiegen seien. Nun solle durch Einführung des Internet-Handels mit dem Instrument der Rosinenpickerei die Mischkalkulation auf der Distributionsebene ebenfalls unterbrochen werden.
Braun: "Die ökonomische Folge wäre eine defizitäre Versorgung im niedrigpreisigen Bereich bei gleichzeitigem Preiserhöhungsdruck und Einzug von gesundheitspolitisch bedenklichen Hard-Selling-Methoden im Arzneimittelbereich." Dies werde auch zu Einschränkungen beim Verbraucherschutz führen. Denn die Arzneimittelpreisverordnung beinhalte ja nicht nur eine Mischkalkulation zwischen den verschiedenen Preissegmenten; über sie müssten auch die Kosten für die zahlreichen defizitären Auflagen und Servicebereiche abgedeckt werden, z. B. für den Notdienst, die Anfertigung von Rezepten usw.
Gefährdung der Arzneimittelsicherheit
Das im Deutschland vom Gesetzgeber geschaffene Netz für die Patienten- und Arzneimittelsicherheit - von der Zulassung bis zur Abgabe in der Apotheke - droht, so Braun, wegen vermeintlicher wirtschaftlicher Vorteile zerschnitten zu werden. Wenn man Risikokapital erlaube, unter Ausnutzung von Wettbewerbsverzerrungen in einen gut funktionierenden Markt einzubrechen, ließen sich die Konsequenzen absehen. Den Profit habe gegebenenfalls marktfremdes Kapital, den Nachteil auf Dauer jedoch der Verbraucher.
Apotheker sind keine Internet-Muffel
Die Apotheker, so Brauns Fazit, sehen im Internet ein exzellentes Medium der Information und Beratung und eine herausragende Chance, ihre Funktion als Arzneimittelinformant und Berater weiter auszubauen. Der Internet-gestützte Versandhandel werde jedoch von den Apothekern abgelehnt. Ein solcher Versandhandel rechne sich betriebswirtschaftlich nur in höherpreisigen Segmenten. Die vorhandene Mischkalkulation zwischen unterschiedlichen Preissegmenten werde zerstört. Die Finanzierung der gesetzlich vorgeschriebenen Dienstleistungen im Rahmen einer flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln und auch die Arzneimittelsicherheit würden durch einen solchen Systembruch gefährdet.
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