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Rechtsprechung aktuell
Bundesverwaltungsgericht: Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln i
Ausgangspunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war der flächendeckende Impfstoffversand einer Apotheke in Bergisch-Gladbach an niedergelassene Ärzte, arbeitsmedizinische Dienste, Gesundheitsämter, Technische Überwachungsvereine, Justizvollzugsanstalten und ähnliche Einrichtungen in ganz Nordrhein-Westfalen. Per Ordnungsverfügung hatte die zuständige Verwaltungsbehörde unter Hinweis auf Paragraph 17 Abs. 1 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) dem Kläger diese Praxis verboten und ihm untersagt, apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege des Versandes oder mittels Zustellung durch Boten - außer im begründeten Einzelfall - abzugeben. Hiergegen wehrte sich der Apotheker ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte das Versandhandelsverbot bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln für rechtens.
Direktabgabe als enge Ausnahme
Nach Paragraph 43 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel außer in den Fällen des Paragraph 47 AMG berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbraucher nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden. Bei Impfstoffen handelt es sich um apothekenpflichtige Arzneimittel. Sie werden von keiner der Ausnahmeregelungen des Paragraph 47 AMG, der in bestimmten Fällen die Direktabgabe durch den pharmazeutischen Unternehmer oder Großhändler an Ärzte, Krankenhäuser oder ähnliche Einrichtungen zulässt, erfasst. Die Belieferung von Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Arztpraxen und ähnlichen Einrichtungen stellt ein Inverkehrbringen im Sinne des Paragraph 43 Abs. 1 Satz 1 AMG dar. Paragraph 4 Abs. 17 AMG definiert das Inverkehrbringen nämlich als Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, Feilbieten und die Abgabe an andere. Das Inverkehrbringen erfolgt für den Endverbrauch. Denn auch Arzneimittel, die der Arzt als Praxisbedarf bereithält, um sie selbst dem Patienten zu verabreichen oder sie dem Patienten zur Eigenanwendung auszuhändigen, sind zur Abgabe an den Endverbraucher bestimmt. [1]
Versandhandelsverbot erfasst auch Impfstoffe
Vor diesem Hintergrund lässt die Gesetzessystematik nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Raum für die Annahme, dass das Versandhandelsverbot in Paragraph 43 Abs. 1 AMG, das in der jetzigen Fassung erst seit dem 8. AMG-Änderungsgesetz vom 7. September 1998 [2] gilt, den Versand von Impfstoffen an Ärzte nicht erfasst. Der Gesetzgeber hat in Paragraph 47 AMG, auf den Paragraph 43 Abs. 1 Satz 1 AMG Bezug nimmt, eine differenzierte Ausnahmeregelung für die direkte Belieferung heilkundlich tätiger Einrichtungen mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln getroffen. Darin ist u.a. auch detailliert geregelt, in welchen Fällen Impfstoffe an Ärzte, Krankenhäuser und sonstige Gesundheitseinrichtungen außerhalb des normalen Vertriebsweges abgegeben werden dürfen. Bei der Neufassung des Paragraph 43 Abs. 1 Satz 1 AMG war dem Gesetzgeber mithin die Frage der Belieferung von Krankenhäusern und Arztpraxen mit Impfstoffen bewusst. Wenn er gleichwohl in dieser Vorschrift lediglich auf Paragraph 47 AMG Bezug genommen hat, ohne eine weitergehende Ausnahme zu statuieren, kann dies nach Auffassung der Berliner Richter nur bedeuten, dass der Versandhandel durch Apotheken ausschließlich in demselben Umfang zugelassen werden sollte, wie er für die Direktbelieferung durch pharmazeutische Unternehmer und Großhändler gilt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt das arzneimittelrechtliche Versandverbot weder gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) noch gegen das Willkürverbot Art. 3 GG), zumal das vorliegende Verfahren keinen Anlass zur Beantwortung der Frage gab, inwieweit die in Paragraph 17 Abs. 2 ApBetrO zugelassene Versendung von Arzneimitteln im begründeten Einzelfall nach der Änderung des Paragraph 43 AMG noch erfolgen darf . [3] Die angefochtene Verfügung hatte diese Fälle ausdrücklich von der Untersagung ausgenommen. Wie den Gesetzesmaterialien unmissverständlich zu entnehmen ist, dient das Verbot des Arzneimittelversandes durch Apotheken der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. [4] Ein wesentliches Element der Arzneimittelsicherheit ist, wie das Bundesverwaltungsgericht ausführt, die dem Apotheker aufgetragene Beratung und Information über Anwendungsmöglichkeiten und Risiken des Arzneimittels. Ausdrücklich widerspricht das Gericht in diesem Zusammenhang dem Vortrag des Klägers, dass bei der Belieferung von Ärzten wegen deren eigener Sachkunde eine Beratung und Information entbehrlich oder jedenfalls nur in sehr geringem Umfang erforderlich sei. Paragraph 20 Abs. 1 ApBetrO legt dem Apotheker eine Beratungs- und Informationspflicht nämlich nicht nur gegenüber Kunden, sondern auch gegenüber Ärzten auf. Dies sei angesichts der kaum noch zu übersehenden Vielfalt des Arzneimittelangebots und der Schnelllebigkeit, mit der neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet gewonnen und umgesetzt werden, auch sachgerecht und nachvollziehbar. Nachdrücklich hatte der Oberbundesanwalt im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium in dem Gerichtsverfahren darauf hingewiesen, dass gerade der Impfstoffversand unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit und Temperaturempfindlichkeit zusätzliche Probleme aufwerfe und Risiken schaffe (vgl. Kasten).
Versandhandel gefährdet flächendeckende Arzneimittelversorgung
Ausdrücklich weist das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln das vom Gesetzgeber im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung gewollte System der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch Apotheken zu beeinträchtigen in der Lage ist. Das Apothekenmonopol ist gekoppelt mit einer umfangreichen Bevorratungspflicht des Apothekers. Der großräumige Versandhandel mit Impfstoffen zielt jedoch darauf ab, bestimmte Arzneimittel im Wege des Preiswettbewerbs bei Großabnehmern weitgehend aus dem normalen Vertriebsweg über alle Apotheken herauszulösen und ihre Abgabe bei wenigen Versandapotheken zu konzentrieren. Eine solche Praxis stört jedoch "das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten, die dem Apotheker auferlegt sind" und kann, wie das Gericht feststellt, zu einer "Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung führen". Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das sich mit seiner Entscheidung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anschließt, verstößt deshalb das arzneimittelrechtliche Versandhandelsverbot nicht nur nicht gegen geltendes Recht, sondern entspricht vielmehr den Vorgaben einer Gesundheitspolitik, die sich der Arzneimittelsicherheit verpflichtet fühlt.
[1] Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. April 2000, AZ Nr. 42/2000, S. 1; DAZ 2000, S. 4865; Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, Loseblatt, Paragraph 43 Anm. 14 [2] Bundesgesetzblatt I S. 2649 [3] Vgl. dazu ausführlich Cyran/Rotta, Kommentar zur Apothekenbetriebsordnung, Loseblatt, Paragraph 17 Rdnr. 90 ff. mit weiteren Nachweisen [4] vgl. Bundestag-Drucksachen 13/9996 S. 1, 12, 16; 13/11020 S. 23, 24 Rechtsanwalt Dr. Christian Rotta, Stuttgart
Kastentext: Leitsatz
Das Verbot des Paragraph 43 Abs. 1 AMG, apothekenpflichtige Arzneimittel wie zum Beispiel Impfstoffe im Versandweg abzugeben, gilt auch für die Abgabe an Ärzte, Gesundheitsämter und ähnliche Einrichtungen.
Kastentext: Aus den Urteilsgründen
"Zu Recht weist der Oberbundesanwalt darauf hin, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln das vom Gesetzgeber im Interesse der Volksgesundheit gewollte System der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken zu beinträchtigen in der Lage ist. Das Apothekenmonopol ist gekoppelt mit einer umfangreichen Bevorratungspflicht des Apothekers. Der Versandhandel mit Impfstoffen, wie ihn der Kläger und einige andere Apotheken betreiben, zielt darauf ab, bestimmte Arzneimittel im Wege des Preiswettbewerbs bei Großabnehmern weitgehend aus dem normalen Vertriebsweg über alle Apotheken herauszulösen und ihre Abgabe bei wenigen großen Versandapotheken zu konzentrieren. Eine solche Praxis stört das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten, die dem Apotheker auferlegt sind, und kann im Ergebnis zu einer Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung führen."
Kastentext: Aus den Urteilsgründen
"Zu Recht weist der Oberbundesanwalt im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium darauf hin, dass gerade der Impfstoffversand unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit zusätzliche Probleme aufwirft und Risiken schafft. Der Kläger betont selbst, dass Impfstoffe wegen ihrer Temperaturempfindlichkeit einer besonders sorgfältigen Behandlung bedürfen. Der Versand derartiger Impfstoffe über das ganze Bundesgebiet hinweg, wie er von einigen Apotheken betrieben wird, birgt die Gefahr in sich, dass an irgendeiner Stelle des Transportweges die notwendigen Vorkehrungen gegen einen Verderb des Impfstoffes in Folge menschlichen oder technischen Versagens nicht eingehalten werden. Das begründet nicht nur das Risiko, dass das Arzneimittel seine Wirksamkeit einbüßt. Möglicherweise können sogar gesundheitliche Schäden beim Patienten angerichtet werden. Der Vortrag des Klägers, er habe optimale Vorkehrungen zur Gewährleistung eines sicheren Transportes getroffen, ist schon deshalb irrelevant, weil eine generelle gesetzliche Regelung von der abstrakten Einschätzung bestehender Risiken ausgehen muss und darf und nicht auf die konkrete Betriebsgestaltung eines einzelnen Unternehmers abzustellen braucht. Es kommt hinzu, dass das Vertriebssystem des Klägers einschließlich der von ihnen gebotenen wirtschaftlichen Anreize leicht dazu führt, dass die abnehmende Einrichtung eine über den ganz akuten Bedarf hinaus gehende Impfstoffmenge ordert und ein Depot anlegt, ohne die in einer Apotheke hierfür selbstverständlichen Sicherheitsmaßregeln zu beachten. Gerade die vom Kläger als besonderer Vorzug seines Betriebssystems hervorgehobene umfassende Chargendokumentation, die einen Rückruf als bedenklich erkannter Impfstofflieferungen ermögliche, ist ein Beleg dafür, dass dieses Vertriebssystem auf die Depotbildung in Arztpraxen, Ämtern und Krankenhäusern zielt. Die vermeintliche Sicherheitsmaßnahme dient mithin der Einschränkung eines Risikos, das namentlich durch das Vertriebssystem des Klägers hervorgerufen wird."
Kommentar: Rechtsfolgenabschätzung
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Versandhandel mit Arzneimitteln fügt sich nahtlos an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Spätsommer dieses Jahres mit gleichem Tenor: Versandhandel mit Arzneimitteln ist - auch wenn er sich zeitgeistkompatibel als E-Commerce schmückt - illegal. Weder verfassungsrechtliche noch (allen gutachterlichen Unkenrufen zum Trotz) europarechtliche Erwägungen führen zu einem anderen Ergebnis. In seinem Urteil zeigt das Bundesverwaltungsgericht detailliert die bestehende Rechtslage auf und setzt sich am Beispiel des Impfstoffversandes an Ärzte ausführlich mit Sinn und Zweck des bestehenden Versandhandelsverbots bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln im Allgemeinen auseinander. Dabei betreibt es im Rahmen seiner Auslegung "Rechtsfolgenabschätzung" und lässt sich von der Frage leiten: Was wäre, wenn . . .? Was wäre, wenn Impfstoffe oder auch andere Medikamentengruppen aufgrund eines verschärften Preiswettbewerbs aus dem "normalen" Vertriebsweg herausgelöst und nur noch von wenigen Versandapotheken bundesweit angeboten würden? Wie stünde es dann auf Dauer mit der gesetzlichen Vorgabe umfangreicher Bevorratungspflichten des Apothekers? Und welche Folgen hätte das Geschäftsprinzip einer radikalen De-facto-Beschränkung des Arzneimittelsortiments für unsere flächendeckende Arzneimittelversorgung mit Apotheken vor Ort? Oder allgemein gefragt: Wann schlägt das "Wie" des Versandhandels um in ein "Ob" ordnungsgemäßer Arzneimittelversorgung? Die Antworten der Berliner Richter sind aufschlussreich und aktueller denn je: Versandhandel mit Medikamenten führt zu arzneimittelpolitisch unerwünschten Folgewirkungen. Versandapotheken stören das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten, die dem "normalen" Apotheker vor Ort auferlegt sind. Sie können, so das Gericht wörtlich, zu einer Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung führen. Verkehrte Welt: Während in der Rechtsprechung der Versandhandel mit Medikamenten wegen seiner riskanten Folgewirkungen auf konsequenten, ja erbitterten Widerstand stößt, begibt sich unsere Gesundheitsministerin, deren Partei weiland den Begriff der Technik-, Politik- und Rechtsfolgenabschätzung prägte, in der E-Commerce-Debatte ohne Not auf eine gefährlich abschüssige Bahn mit unbestimmten Ausgang für die flächendeckende Arzneimittelversorgung und lückenlose Arzneimittelsicherheit. Bleibt zu hoffen, dass dabei noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
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