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Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern: Chancen und Grenzen der Arzneipfl

Der Einsatz von Arzneipflanzen in Entwicklungsländern ist vor allem dann sinnvoll, wenn keine ausreichende Versorgung mit synthetischen Arzneimitteln gewährleistet ist. Neben dem medizinischen Nutzen bringt die Arzneipflanzen-Medizin dem Land Arbeitsplätze und macht es unabhängig von Medikamentenimporten. Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Arzneipflanzen-Medizin diskutierten Fachleute bei einer Tagung des Sozialministeriums Baden-Württemberg, die am 11. Februar 2000 in der Tübinger Tropenklinik stattfand.

Der traditionellen Medizin wurde erst ab etwa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder mehr Beachtung geschenkt, zuvor galt sie meist als heidnisch und unwirksam. Verschiedene Formen werden unterschieden, so die Hausmedizin, die innerhalb der Familien praktiziert wird, die Volksmedizin und die so genannten konzeptualisierten medizinischen Systeme, die nicht nur auf praktischen Erfahrungen, sondern auch auf theoretischen Konzepten beruhen, wie die chinesische Medizin oder die Homöopathie.

Neben den Arzneipflanzen gehören zur traditionellen Medizin auch Arzneimittel tierischen oder mineralischen Ursprungs, therapeutische und diagnostische Techniken, heilkundige Personen und theoretische Konzepte. Einige traditionell verwendete Arzneipflanzen fanden schon früh Einzug in die westliche Medizin, wie beispielsweise der Medizinalrhabarber oder die Chinarinde. Sie besitzen ein chemisch definiertes Wirkprinzip und werden deshalb auch als Forte-Phytotherapeutika bezeichnet. Pflanzen mit nicht klar definiertem Wirkprinzip, die aber trotzdem anerkannt sind, werden als Mite-Drogen bezeichnet. Die volksmedizinischen Heilpflanzen dagegen werden hauptsächlich aufgrund von überlieferten Erfahrungen bei einer Vielzahl verschiedenster Erkrankungen eingesetzt.

Die "natürliche Medizin"

Die "natürliche Medizin" möchte die Vorteile der modernen und der traditionellen Medizin miteinander verknüpfen. Die moderne Medizin bringt dabei ihr wissenschaftlich fundiertes Wissen über beispielsweise Hygiene oder Qualität, Lagerung und Dosierung von Arzneistoffen mit. Die traditionelle Medizin dagegen ist meist leicht verfügbar, billig, schafft Arbeitsplätze und verringert die Abhängigkeit des betroffenen Landes von teuren Arzneimittelimporten, wodurch sie "politisch aktiv" ist. Außerdem erfreut sie sich einer hohen Akzeptanz durch die einheimische Bevölkerung.

Optimal wäre der Einsatz der "natürlichen Medizin" dann, wenn gute eigene Erfahrungen und positive Berichte von Wissenschaftlern, heilkundigen Personen und Entwicklungshelfern vorlägen und der Einsatz den gleichen Erfolg verspräche wie die konventionelle Medizin. Sind keine westlichen Arzneimittel verfügbar, macht oftmals "die Not erfinderisch". Die dabei wieder entdeckten traditionellen Heilmethoden mit einheimischen Pflanzen zeigen in vielen Fällen erstaunlich gute Erfolge.

Apotheker Dr. Hans-Martin Hirt, der bereits sehr viele Erfahrungen mit Arzneipflanzen in Entwicklungsländern gesammelt hat, nannte einige Beispiele, wie Hauterkrankungen und Durchfall mit Heilpflanzen gelindert werden können. Auch bei Malaria können Pflanzen wie Indischer Neembaum, Chinarindenbaum und vor allem Chinesischer Beifuß eingesetzt werden.

Hauterkrankungen und Durchfall

Hauterkrankungen aller Art sind in tropischen Ländern weit verbreitet. Aufgrund der mangelhaften Hygiene infizieren sich Wunden sehr leicht und bedürfen einer fachgerechten Behandlung. Hier hat sich das Auflegen unreifer Papaya-Scheiben bewährt, alternierend mit Zucker-/Honiggemisch-Umschlägen. Ist die Wunde noch nicht infiziert, reichen Umschläge mit Zucker-/Honiggemisch aus, die dreimal täglich erneuert werden sollten. Geschlossene Abszesse können mit Knoblauchöl behandelt werden, Nagelbettentzündungen durch das Auflegen von Knoblauchscheiben und Salzverbänden. Ausgepresstes Orangenschalenöl wird bei Herpesbläschen verwendet.

Durchfall verursacht etwa 50 Prozent aller Todesfälle in den Tropen. Je nach Ursache können verschiedene Pflanzen eingesetzt werden, auf eine ausreichende Rehydratation ist in jedem Fall zu achten. Neben einer Zucker-/Salzlösung werden Euphorbia/Guave/Mango-Tee, Knoblauch oder Lemongras-Tee verabreicht. Tritt der Durchfall aufgrund einer Malariaerkrankung oder einer Bilharziose auf, wird Artemisia-Tee gegeben, bei bakterieller Ursache Vinca rosea-Tee.

Artemisia-Tee gegen Malaria

Großes Augenmerk wird auf die Therapie der Malaria gerichtet. Jährlich erkranken 300 bis 500 Millionen Menschen, 90 Prozent davon allein in Afrika, alle zwölf Sekunden stirbt ein Mensch an Malaria, meist sind es Kinder. Gerade in den betroffenen Ländern ist die Versorgung mit Arzneimitteln jedoch schlecht oder deren Qualität sehr zweifelhaft. Deshalb wurde nach gut verfügbaren und billigen Alternativen gesucht.

Artemisia annua, der Chinesische Beifuß, wird in China schon seit langem traditionell gegen Fieber und auch Malaria eingesetzt. Artemisia-Tee und auch -Tabletten werden dort zwar billig vertrieben, der Import in die betroffenen Gebiete Afrikas wäre jedoch für die Durchschnittsbevölkerung nicht erschwinglich. So wird versucht, diese Pflanze vor Ort anzubauen und als leicht herzustellenden Aufguss einzusetzen.

Obwohl bereits gute Erfolge erzielt werden konnten, sollten die Erwartungen nüchtern bleiben, meint Prof. Dr. Lutz Heide, Direktor des Pharmazeutischen Instituts der Universität Tübingen. Bislang wurden hauptsächlich Einheimische behandelt, die gegenüber dem Malariaerreger semi-immun waren. Diese Teilimmunität wird nach ungefähr fünfjährigem Aufenthalt in einem endemischen Gebiet erworben. Die Menschen erkranken zwar an Malaria und leiden unter starkem Fieber und Kopfschmerzen, doch meist ist der Verlauf nicht tödlich.

Die allgemeine Empfehlung bei Verdacht auf Malaria lautet immer, ein Krankenhaus oder einen Arzt aufzusuchen. Ist dies aber nicht möglich, kann die Alternative für einen Einheimischen folgendermaßen aussehen: Zwei Liter Lemongras-Tee und ein Liter Artemisia-Tee täglich über eine Dauer von fünf bis sieben Tagen, eventuell noch zwei Tage darüber hinaus, falls das Fieber nicht verschwindet. Sollte keine Wirkung eintreten, hilft nur der Einsatz von synthetischen Arzneistoffen. Dieses Beispiel verdeutlicht sehr schön, wie westliche und traditionelle Medizin sich gegenseitig ergänzen könnten.

Dr. Hirt rief in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Heide ein Projekt ins Leben, mit dem Artemisia annua als billiges Therapiemittel gegen Malaria auch direkt in Afrika zur Verfügung stehen soll. Zur Erforschung der optimalen Anbaubedingungen wurden verschiedene Sorten auf einem Testfeld des Instituts für Pflanzenphysiologie in Tübingen angepflanzt. Auf längere Sicht soll die Heilpflanze dann in den afrikanischen Malariagebieten in Uganda, Nigeria, dem Sudan und der Republik Kongo angebaut werden.

Arzneipflanzengarten im tropischen Afrika

Den erfolgreichen Einsatz von Arzneipflanzen zeigte Dr. Markus Müller, der viele Jahre als Arzt in Entwicklungsländern gearbeitet hat, am Beispiel des Hospitals in Nebobongo (D. R. Kongo) auf. Nebobongo war lange Zeit von der Außenwelt abgeschnitten oder nur über den Luftweg erreichbar. Dementsprechend schlecht war auch die Medikamentenversorgung, für Arzneimittel aus gesicherten Quellen war meist kein Geld vorhanden. Aufgrund dieser Notlage wurden Berichte über traditionelle Heilmittel ausgewertet und mit Hilfe von Erfahrungen von Einheimischen, Ärzten und Apothekern ein Arzneipflanzengarten angelegt und im Hospital eine eigene Abteilung für Arzneipflanzen-Medizin eingerichtet.

Viele Vorteile ergaben sich aus der lokalen Produktion von Medikamenten: hohe Verfügbarkeit, größere Medikamentenvielfalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen und Verdienstmöglichkeiten. Waren synthetische Arzneimittel nicht mehr verfügbar, konnte auf eine pflanzliche Alternative zurückgegriffen werden. So ersetzten nach und nach eine Eukalyptus-Tinktur den Hustensaft, ein Anti-Amöben-Tee das Metronidazol und eine Belladonna-Tinktur die krampflösenden Schmerzmittel. In der Tabelle sind einige im Hospital Nebobongo eingesetzte Arzneipflanzen- Zubereitungen aufgeführt.

Projekte in der Ukraine und Peru

Die lokalen Voraussetzungen in einem Land sind entscheidend, wie Entwicklungshilfe ganz allgemein und auch der Einsatz der "natürlichen Medizin" aussehen kann. In der Ukraine liegt beispielsweise nach der Katastrophe in Tschernobyl eine Ausnahmesituation vor. Viele Krankheiten, vor allem des Gastrointestinaltraktes, des respiratorischen Systems oder auch des Zentralen Nervensystems, sind dort so weit verbreitet, dass sie als "normal" angesehen werden.

Aufgrund der starken Verstrahlung wäre es auch heute noch nicht sinnvoll, den Anbau von Arzneipflanzen im großen Rahmen zu betreiben, er findet hauptsächlich noch in Klöstern statt. Erst in letzter Zeit beteiligen sich auch Wissenschaftler an der Aufzucht, Lagerung und dem Einsatz von Heilpflanzen. In Peru dagegen liegen extreme geographische Verhältnisse und unterschiedlichste Vegetationszonen vor. Die Dörfer befinden sich meist fernab von jeder ärztlichen Hilfe und besitzen sehr verschiedenartige Formen der Heilkunde.

Um die vielfältigen Kenntnisse über die Gewinnung und Verwendung von Arzneipflanzen zusammenzutragen, wurde ein "Verein" gegründet, in dem einheimische Bauern, Lehrer und Ärzte ihr Wissen austauschen. Diese Gruppe organisiert mittlerweile auch Vorträge und Seminare, führt Heilungen auf dem Land durch und hat sogar ein Labor zur Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln errichtet.

Nutzen-Risiko-Abwägung

Pflanzen der Tropen enthalten zum Teil stark wirksame Inhaltstoffe. Der Einsatz ohne vorherige Prüfung kann gefährlich werden, und aufgrund großer Qualitätsschwankungen kommt es leicht zur Unter- bzw. Überdosierung. Experimentelle Untersuchungen jedoch wären zu teuer und können für diese Flut von Pflanzen (ca. 20 000), die sich als Heilmittel eignen könnten, auch vom Zeitaufwand her gesehen nicht durchgeführt werden. Der Einsatz sollte also nur unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.

Leider mangelt es in den meisten Fällen an Ergebnissen aus repräsentativen Studien, um Aussagen über Wirkung, Nebenwirkung, Kontraindikation, Toxikologie, Einsatz bei Schwangeren und vor allem über die exakte Dosierung zu treffen. Auch bei der Malariatherapie mit Artemisia-Tee ist die richtige Dosis ausschlaggebend für den Erfolg. Da der Tee nur über eine geringfügige Menge an Artemisinin im Vergleich zu Artemisia-Tabletten verfügt, könnte seine Verwendung die Entwicklung von Resistenzen fördern.

Die Arzneipflanzen-Medizin ist kein Patentrezept für alle Entwicklungsländer, immer müssen die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden. Stehen keine westlichen Arzneimittel zur Verfügung, kann sie zur einzigen Aussicht auf Heilung werden. Die "natürliche Medizin" sollte jedoch nicht in Konkurrenz zur westlichen Medizin treten, wünschenswert wäre das ergänzende Miteinander.

Quelle: Nach Vorträgen von: Dr. med. Rainward Bastian, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Tropenmedizin; seit 1982 Leitung des DIFÄM. Dr. Inge Bolin, Dozentin für Anthropologie am Malaspina University College, British Columbia. Prof. Dr. Lutz Heide, Geschäftsführender Direktor des Pharmazeutischen Institutes der Universität Tübingen. Dr. Hans-Martin Hirt, Apotheker, Aktion natürliche Medizin – anamed. Andrij Kyrtchiv, Journalist am Public Relation Center der Universität Lviv/ Ukraine, Leiter des Komitees "Natürliche Medizin in der Ukraine". Dr. med. Markus Müller, Praktischer Arzt, seit 1992 Mitarbeiter der Christlichen Fachkräfte International, Stuttgart. Dr. Friedhelm Repnik MdL, Sozialminister des Landes Baden-Württemberg.

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