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Feuilleton
Vom Bergbaugelände zum Orchideenbiotop
Vom Winde verweht
Der nächste Standort des Frauenschuh ist im Leutratal zu finden. Möglicherweise hat der Wind von dort die staubfeinen Samen bis in das ehemalige Tagebaugebiet getragen. Auch die wärmeliebende Bienenragwurz, die ursprünglich im Mittelmeerraum endemisch ist, gedeiht seit einigen Jahren dort. Orchideen-Spezies wie Dactylorhiza maculata und D. majalis oder Gymnadenia conopsea haben sich ebenfalls angesiedelt.
In ganz Deutschland gibt es etwa achtzig Orchideenarten, in Thüringen sind immerhin sechzig heimisch. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft wurden die Bestände überall dezimiert. Mittlerweile gibt es im ehemaligen Tagebaugebiet im Altenburger Land wieder dreizehn bis vierzehn Arten. In den kommenden Jahren erwarten Naturschützer und Orchideenfreunde noch weitere Überraschungen, denn gerade die massiven Eingriffe des Menschen in die Natur erweisen sich heute als günstig für die Ansiedlung der Orchideen.
Durch die Braunkohleförderung waren die kalkhaltigen Pleistozän-Sedimente an die Oberfläche gelangt. Nach dem Auskohlen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden die Tagebaue unterschiedlich genutzt. "Phoenix Nord" und "Phoenix Ost" wurden zum Teil oder ganz mit Abraum aufgefüllt. Einige Flächen wurden mit Populus-nigra-Hybriden aufgeforstet, damit sie regenerieren.
Natürliche Regeneration
Der ehemalige Tagebau "Zechau" mit einer Fläche von 216 Hektar steht seit 1990 unter Naturschutz, ebenso offen gebliebene Räume in "Phoenix Nord". Mit der Stillegung der Kohleverarbeitungsindustrie wurden die Deponieräume nämlich nicht mehr gebraucht. Zwei Jahrzehnte lang waren die Böden kahl geblieben. Als erstes Grün siedelten sich Algen und Flechten an, später Rohbodenbewohner wie verschiedene Kleearten und Huflattich. Schließlich verbreiteten sich Birken als Pioniergehölze.
Hinzu kamen Myzele als Voraussetzung für die Keimfähigkeit von Orchideensamen. Zumindest im Jugendstadium sind Orchidaceen nämlich auf die Symbiose mit Pilzen angewiesen. Einige Spezies wie etwa Corallorrhiza trifida können kein Chlorophyll entwickeln und bleiben deshalb auch im Alter mykotroph.
Weil die Forstwirtschaft auf einigen Arealen wegen der Bändertonrutschungen nicht vorangekommen war, wurde der ehemalige Tagebau "Zechau" in den Achtzigerjahren durch Wissenschaftler von der Universität Leipzig untersucht. Dabei fielen Tausende Exemplare des Bunten Schachtelhalms Equisetum variegatum auf. Eine Rarität, die heute noch Botaniker aus ganz Thüringen in das Altenburger Land lockt. Nach diesem spektakulären Fund wurde damals schon darüber diskutiert, ob das Gebiet unter Naturschutz gestellt werden sollte.
Weitere Sukzession
"Zechau" ist relativ hoch gelegen und somit der einzige Tagebau in der Region, in dem das Flöz künftig nicht durch den Grundwasseranstieg überflutet wird. Hier wurden auch die ersten Massenbestände der Sumpfwurz entdeckt. Weil aber Epipactis palustris offene Standorte mit feucht-frischem Grund bevorzugt, wird sie mit Zunahme der Birkenbestände irgendwann wieder verschwinden.
In der nächsten Generation werden sich hier Orchideen verbreiten, die halbschattige Standorte beanspruchen. Mit dem Fortschreiten der Bestockung ist zu erwarten, dass in "Zechau" schließlich Waldorchideen einen Lebensraum finden werden. Allerdings gibt es auch Arten, die zunehmende Beschattung bis zu einem gewissen Grad tolerieren, wie beispielsweise die unscheinbare Listera ovata.
Insekten, Vögel, Amphibien
Der Regenerierungsprozess der ehemaligen Tagebaulandschaft wirkt sich auch auf die Artenvielfalt der Fauna aus: Libellen, Grillen und Lurche sind hier anzutreffen. Ebenso der Flussregenpfeifer, der Sandbänke in Binnengewässern als Nistplätze bevorzugt. Der Sukzessionsprozess bietet den Populationen allerdings nur vorübergehend eine Nische für die Arterhaltung. Deshalb gibt es Meinungen, im Interesse bedrohter Pflanzen- und Tierarten einzugreifen.
Andere Naturschützer wiederum vertreten den Standpunkt, dass natürliche Prozesse nicht beeinflusst werden sollen. Verfährt man so, werden die Tagebaue in drei bis vier Jahrhunderten wieder mit Laubbäumen bewaldet sein. Der Mensch gibt sein Lehen an die Natur zurück.
Kastentext: Eine junge Familie
Mit einer Geschichte von fünfzehn Millionen Jahren bilden die Orchideen eine relativ junge Pflanzenfamilie. Deshalb haben sie noch keine stabilen Schranken gegen die Bastardisierung entwickelt. Die Entstehung neuer Arten ist noch voll im Gange, Naturhybriden und Varietäten sind nicht selten. Im Altenburger Land etwa wurde Dactylorhiza fuchsii mit weißen Infloreszenzen entdeckt, die möglicherweise standortbedingt sind.
Kastentext: Geführte Wanderungen
Für Interessierte werden geführte Wanderungen durch die Tagebaulandschaft angeboten. Information: Landratsamt Altenburger Land, Amt für Natur- und Umweltschutz, Thomas Weigl, Tel. (034498) 44454
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