Berichte

Innovationen in der Phytotherapie

Das Komitee Forschung Naturmedizin e.V. (KFN) präsentierte am 27.März 2001 in München neueste Studienergebnisse aus der Phytoforschung und die Auswertung einer EMNID-Umfrage über die Meinung der Bevölkerung zur Positivliste. Aus aktuellem Anlass wurde auch das soeben erschienene "Kompendium Phytopharmaka" durch seinen Herausgeber Prof. Dr. med. V. Fintelmann, Hamburg, vorgestellt.

Rolle der Phytopharmaka oft unterschätzt

Die Phytotherapie spielt besonders in der Allgemeinpraxis und Selbstmedikation eine wichtige Rolle. Bei manchen Indikationen sind Phytopharmaka die Mittel der Wahl, bei anderen stellen sie eine Alternative dar. Nicht zu unterschätzen ist ihre Rolle in der Präventivmedizin, denn vorbeugenden Maßnahmen kommt ein immer wichtigerer Stellenwert im Gesundheitswesen zu.

Paradebeispiel für einen solch vielseitigen Einsatz eines Phytotherapeutikums ist der Silybum-marianum-Extrakt: Als Infusionslösung in der Intensivmedizin stellt er bis heute das einzig wirksame Antidot bei bislang tödlichen Knollenblättervergiftungen dar, gleichzeitig gilt er auf Grund seiner erwiesenen Leberschutzfunktion als ein hervorragendes Präventivum in einer Zeit, da unsere Leber durch die "tägliche Dosis Chemie" in Nahrungsmitteln, durch Umweltverschmutzung und vieles mehr immer größeren Belastungen ausgesetzt ist. Für eine Anwendung pflanzlicher Medikamente spricht außerdem deren meist ausgezeichnete Verträglichkeit und die Beliebtheit, der sie sich bei den Patienten erfreuen.

Aus solchen Gründen sieht sich das KFN verpflichtet, die intensive Forschungstätigkeit der phytopharmazeutischen Hersteller und neueste Ergebnisse daraus der breiten Öffentlichkeit wie auch politischen Entscheidungsträgern, den Kassenverbänden und Ärzten ins Bewusstsein zu rücken, da gerade gesundheitspolitische Maßnahmen immer wieder von Vorurteilen und Wissensdefiziten beeinflusst werden. Das Qualitätsbewusstsein der breiten Öffentlichkeit zu schärfen und für Transparenz zu sorgen, sei eines der Hauptanliegen des KFN, so der Vorsitzende, Prof. Dr.Michael Popp, in seiner Begrüßung.

Nach modernsten Standards geprüft

Untersuchungsmethoden und wissenschaftliche Standards bei Phytopharmaka entsprechen heute voll und ganz denen chemisch definierter Substanzen. Prof. Dr.Michael Habs, Karlsruhe, berichtete von der SPICE-Studie, die derzeit an 120 Studienzentren in sieben europäischen Ländern als erste internationale, randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie über Crataegus durchgeführt wird. Sie untersucht den Einfluss eines Crataegus-Spezialextrakts (WS 1442, Tagesdosis standardisiert auf 84,3mg oligomere Procyanidine) auf die Mortalität von 2500 Patienten mit Herzinsuffizienz im Stadium NYHA II und III bei Behandlung über zwei Jahre. Im Jahr 2002 wird sie nach vierjähriger Laufzeit abgeschlossen und auswertbar sein.

Eine neue Statistikmethode, die so genannte "Matched pairs-Technik", wird bei einer bis 2003 dauernden Crataegus-Kohortenstudie eingesetzt (WS 1442 verglichen mit einem b-Blocker). Dabei werden Paare gebildet, die bezüglich Geschlecht, Alter und Begleiterkrankungen korrespondieren. Studienziel ist die Erfassung der "gesundheitsrelevanten Lebensqualität" der Patienten. Nach ersten Vorabergebnissen verbessert sie sich signifikant unter Crataegus-Einnahme.

Immer mehr konzentriert sich die klinische Forschung neben etablierten Zielparametern zusätzlich auf Aspekte der Lebensqualität, wie funktioneller Status, emotionale Stabilität oder die Fähigkeit zur sozialen Interaktion. Die Münchner "Pöppel-Studie" untersuchte die Effekte eines Ginkgo-Spezialextraktes auf die psychischen Funktionen - etwa Konzentrationsfähigkeit, Erinnerungsvermögen, Lernleistung - von 66 gesunden Probanden im Alter von 50 bis 65 Jahren. Die Verbesserung oder der Erhalt der Alltagsfähigkeiten ist für ältere Patienten ein die Lebensqualität entscheidender Faktor.

Eine Vergleichsstudie von Sökeland (1997) - Finasterid verglichen mit einem Sabal-Brennnesselextrakt-Kombinationspräparat an 516 Patienten mit benigner Prostatahyperplasie (BHP) - hatte ergeben, dass bei besserer Verträglichkeit des Phytopharmakons keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede zwischen den beiden Präparaten zu erkennen waren. In einer Subgruppen-Analyse konnte Sökeland später (2000) an Hand von Parametern wie Uroflow und I-PSS Score aufzeigen, dass - entgegen früheren Annahmen - zwischen der klinischen Wirksamkeit der Finasterid-Therapie und dem Prostatavolumen keine Korrelation besteht. Es spricht also nichts dafür, bei Prostatagrößen über 40ml bevorzugt Finasterid einzusetzen.

Über die hervorragende, dosisabhängige Wirksamkeit eines Weidenrinden-Extraktes bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen war bereits im letzten Oktober anlässlich des Internationalen Phytotherapiekongresses in München ausführlich berichtet worden (DAZ 140 (2000) 4985f.).

Kompass im Präparatedschungel

Bei der Bewertung von Phytopharmaka, so Habs, müsse allerdings stets beachtet werden, dass die Studienergebnisse eines bestimmten Extraktes nicht automatisch auf andere Präparate aus derselben Pflanze übertragbar sind. Es gelte vielmehr, bei den vielen Phytopräparaten auf dem deutschen Markt die Spreu vom Weizen zu trennen. Diesem Zweck diene das von ihm vorgestellte "Kompendium Phytopharmaka".

Die Broschüre listet für 20 besonders häufig angewendeten Arzneidrogen die aktuellen Transparenzkriterien auf und nennt mehr als 120 Präparatebeispiele, die diesen Kriterien voll entsprechen. Prof. Dr.Volker Fintelmann, der Herausgeber des Kompendiums, betonte, dass nur originäre wissenschaftliche Daten die Auswahl eines Medikaments für das Kompendium bestimmten. "Die Qualitätslatte ist sehr hoch angelegt worden."

Phytopharmaka mehr denn je gefragt

Damit war auch ein gesundheitspolitisches Ziel anvisiert worden: Die aufgeführten Phytopräparate können in der Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien (Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit) jedem Vergleich mit chemisch definierten Arzneimitteln ohne weiteres standhalten. Deshalb sollten sie auch in der (in diesem Jahr zu erwartenden) Positivliste verordnungsfähiger Arzneimittel einen entsprechenden Stellenwert einnehmen.

Eine EMNID-Umfrage "Was hält die Bevölkerung von der Positivliste", die die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP) in Auftrag gegeben hatte, ließ wieder einmal eindeutig erkennen, wie viel den Bundesbürgern an einer kassenrechtlichen Gleichstellung pflanzlicher zu synthetischen Arzneimitteln gelegen ist. Wenn überhaupt eine Positivliste - sie findet nur bei 32% der Befragten Zustimmung- , dann soll sie nach überwiegender Meinung (91% von 1124 Personen) auch Phytopharmaka enthalten. Welch großes Vertrauen pflanzliche Arzneimittel in der breiten Bevölkerung genießen, machen die hohen Prozentzahlen deutlich, mit denen für die Verschreibungsmöglichkeit von Phytopharmaka im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei ernsthaften Krankheitsbildern wie Herzinsuffizienz (79%), Prostatabeschwerden (75%) oder bei depressiver Verstimmung und Angstsymptomen (69%) plädiert wurde.

Das Votum sei klar, so schloss Mechthild Kern, Vorsitzende der DGVP: "Die Menschen gehen heute sehr bewusst mit Medikamenten um, sie wollen nicht einfach mit chemischen Mitteln zugeschüttet werden." Erfreulicherweise stehen Verbraucherschutz und Verbraucherrechte immer mehr im Fokus der Medien. Das war das Resümee aller Beteiligten in der abschließenden Diskussion.

Literaturtipp

Volker Fintelmann (Hrsg.): Kompendium Phytopharmaka. Kirchheim Verlag, Mainz 2001. DM 12,90. ISBN: 3-87409-337-9

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