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Fortbildung
P. JungmayrDer Schmerzpatient (Bericht vom Fortbildu
Schmerztherapie bei Drogenabhängigen: Therapie nach der Pathophysiologie ausrichten
Sucht ist ein prognostisch ungünstiger Faktor für eine effiziente Schmerztherapie. Wie PD Dr. Dipl. Psych. Ingrid Gralow von der Klinik und Poliklinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin in Münster hervorhob, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit, um Abhängigen eine wirksame Schmerztherapie zukommen zu lassen.
Das Thema "Schmerztherapie bei Drogenabhängigen" wird bis heute stiefmütterlich behandelt. Dies ist im Hinblick auf die hohe Prävalenz von Abhängigkeitserkrankungen erstaunlich. Man schätzt, dass in Deutschland rund 150 000 Suchtkranke im engeren Sinne leben; 40% von ihnen sind heroin-, 25% kokain- und 25% amphetaminabhängig; weitere 10% sind auf LSD angewiesen. Weitaus größer ist die Zahl der Alkoholabhängigen, die auf über 2,5 Millionen geschätzt wird, sowie die Zahl der Nikotinabhängigen.
Die Zahlen über die Inzidenz einer Medikamentenabhängigkeit schwanken, man schätzt aber, dass 1,4 Millionen in Deutschland von Benzodiazepinen abhängig sind. Rund 6 bis 8% der häufig verordneten Medikamente besitzen ein Suchtpotenzial.
Die Analgetikaabhängigkeit im Rahmen einer Schmerztherapie wurde nur in wenigen Studien untersucht. Die geschätzten Werte liegen je nach Erhebungsmethode zwischen 3 bis 19%. Interessant sind auch die Zahlen zu einem medikamenten-induzierten Kopfschmerz, dessen Häufigkeit trotz neu entwickelter Substanzen und pharmakologisch sinnvoller Therapieschemata nicht abgenommen hat. In diesem Zusammenhang wies Prof. Gralow darauf hin, dass auch Triptane eine Abhängigkeit erzeugen können, die unter Umständen bereits relativ früh auftreten kann.
Woher kommt der Schmerz?
Eine bestehende Suchterkrankung ist ein prognostisch ungünstiger Faktor für eine effektive Schmerztherapie. Beim Vorliegen einer Abhängigkeit muss sich die Therapie umso mehr an der Pathophysiologie des Schmerzes orientieren, d. h. die Differenzialdiagnose muss sehr sorgfältig gestellt werden. Der Schmerz kann rein organisch bedingt oder aus einem psychischen Problem entstanden sein, d. h. er kann somatogene und/oder psychogene Ursachen haben.
Desgleichen muss differenziert werden, ob bei dem Patienten eine Abhängigkeit, eine Toleranzentwicklung, eine Sucht, eine missbräuchliche Verwendung, ein Entzug oder bereits eine Abstinenz vorliegt. Die Diagnostik der Abhängigkeitsform sollte nach den Kriterien des DSM-IV oder der ICD-10 erfolgen.
Wie wird der Schmerz therapiert?
Bei einem eindeutig organisch bedingten Schmerz wie z. B. nach einem operativen Eingriff ist eine der Pathophysiologie entsprechende Therapie kein großes Problem. Ein starker Schmerz erfordert die Gabe eines Opioids. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Opioidabhängige höhere Dosen benötigt und auf keinen Fall in einen postoperativen Entzug fallen darf. Methadon wird dabei zur Substitution eingesetzt, nicht zur Analgesie. Zur Schmerzstillung erhält der Opioidabhängige seine gewohnten Opioiddosen und zusätzlich ein Nichtopioid; bei Bedarf kann ein regionales oder spinales Analgesieverfahren durchgeführt werden. Eine andere Möglichkeit ist eine kontinuierliche Opioidapplikation (ev. mit Clonidin) und die zusätzliche Gabe eines Nichtopioids.
Risikofaktoren erschweren die Therapie
Größere Probleme bereitet eine Schmerztherapie bei ätiologisch komplexen und bereits schwer chronifizierten Krankheitsbildern, bei denen die Indikation zu zentral wirkenden Substanzen mit einem Abhängigkeitspotenzial kontrovers diskutiert wird. Liegen zusätzliche Risikofaktoren wie z. B. psychische Erkrankung, biographische Belastung oder eine Komorbidität wie HIV-Erkrankung, Depressionen, Angststörungen, Borderlinesymptomatik oder ein hirnorganisches Psychosyndrom vor, kann eine zufriedenstellende Schmerztherapie in der Regel nur auf interdisziplinärer Ebene erfolgen. Hierbei ist auch auf eine Behandlung der Komorbidität zu achten, da diese in erheblichem Ausmaß zu einer Chronifizierung des Schmerzes beiträgt.
Behandlungsvertrag abschließen
Weist der Schmerz bei Abhängigen eine vielschichtige Ätiologie auf, ist eine multimodale, eventuell anfänglich auch eine stationäre Therapie erforderlich, um für den Patienten das geeignete Behandlungsschema ausarbeiten zu können. Unabdingbar ist die Therapie der Komorbidität. Um den Patienten mit in die Therapie einzubeziehen, sollte ein schriftlicher Behandlungsvertrag über gegenseitiges verpflichtendes Einhalten von Behandlungsschritten abgeschlossen werden. Sinnvoll ist auch das Einbeziehen von Bezugspersonen in die Behandlung. Des Weiteren sind engmaschige Kontrollen der schmerztherapeutischen Maßnahmen erforderlich, d. h. der Analgetikaverbrauch muss überprüft werden. Ferner sollte anhand eines Drogenscreenings festgestellt werden, ob der Patient missbräuchlich weitere Drogen einnimmt.
Schmerz bei Kindern: Aktuelle Aspekte zur Schmerztherapie bei Kindern
Wie Dr. Boris Zernikow aus Essen darlegte, werden Schmerzen bei Kindern häufig nicht erkannt oder nur unzureichend eingeschätzt und behandelt. Gerade im Hinblick auf die spätere Schmerzempfindung und Analgetikatherapie sind eine optimale Behandlung und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Patient, Ärzten und Bezugspersonen erforderlich.
Bereits die Beurteilung eines Schmerzes ist in der Pädiatrie mitunter schwierig, da sich Säuglinge und Kleinkinder verbal nicht deutlich äußern können. Um das Ausmaß des Schmerzes auch bei kleinen Kindern beurteilen zu können, wurde die KUS-Skala (kindliche Unbehagen- und Schmerzskala) entwickelt. Hier werden verschiedene Äußerungen des Kindes wie Weinen, Mimik, Rumpf- und Beinhaltung etc. beurteilt und mit Hilfe unterschiedlicher Punkte bewertet. Kinder ab drei oder vier Jahren können anhand altersgerechter Modelle (z. B. Smile-Skala) bereits recht deutlich die Stärke eines Schmerzes beurteilen; bei älteren Kindern werden Analog-Skalen verwendet. Es ist auffallend, dass die Fremdeinschätzung des Schmerzes meist zu einer Unterbewertung neigt. Aus diesem Grund ist die Beurteilung von Seiten der betroffenen Kinder besonders wichtig.
Traumatisierung vermeiden
Invasive Eingriffe wie z. B. eine Knochenmarkpunktierung werden von Kindern als besonders schmerzhaft - weitaus schmerzhafter als ein Tumor - empfunden. Wird dieser Eingriff nicht unter der erforderlichen Analgesie vorgenommen, kann sich daraus eine Traumatisierung mit langfristigen Folgen wie z. B. einem höheren Analgetikabedarf bei späteren Eingriffen, Angst vor dem Therapeuten, mangeldem Vertrauen etc. entwickeln.
Daher ist vor solchen Eingriffen eine psychologische Betreuung, die Anwesenheit einer Bezugsperson, eine adäquate Analgesie und eine Kooperation mit dem Kind erforderlich. Ältere Kinder sollten über den Vorgang informiert und nach Möglichkeit in das Geschehen mit einbezogen werden. Bei kleineren Kindern steht neben der Anwesenheit einer Bezugsperson die Analgesie mit Lokaltherapeutika (Emla-Pflaster), Midazolam, Atropin und Ketamin im Vordergrund.
Mucositis - äußerst schmerzhaft
Im Rahmen einer Chemotherapie kommt es häufig zu einer äußerst schmerzhaften, schwer zu therapierenden Mucositis, die zwischen 5 und 35 Tagen andauern kann. Zur Analgesie werden Metamizol, Morphin und Tramadol eingesetzt. NSAR wie Paracetamol oder Ibuprofen sind ungeeignet, da eine Mucositis häufig mit einer Leukopenie einhergeht. Wird nun zur Schmerzstillung ein fiebersenkendes NSAR eingesetzt, kann eine mitunter lebensbedrohliche Infektion aufgrund der medikamentösen Fiebersenkung nicht rechtzeitig erkannt werden.
Neu ist die Gabe von 2 g/m2 Glutamin in der Mucositistherapie. Einigen Studien zufolge wird dadurch die Mucositis um fünf Tage verkürzt, und die Kinder leiden vier Tage weniger lang unter Schmerzen.
Postoperative oder palliative Analgesie
Das WHO-Stufenschema findet in der Pädiatrie nur begrenzt Anwendung. Je nach Stärke und Art der Schmerzen kommen Ibuprofen oder Paracetamol, das auch i.v. verfügbare Metamizol, eine Regionalanästhesie oder eine Opioidtherapie mit Morphin oder Piritramid in Frage.
Neuropathische Störungen (z. B. nach einer Chemotherapie mit Vincristin) können zusätzlich mit Amitriptylin und/oder Carbamazepin behandelt werden. Bei einem Tumorschmerz wird gerne Levomethadon aufgrund seiner langen Halbwertszeit eingesetzt, bei Knochenmetastasen das Bisphosphonat Pamidronat.
Morphin kann mit Hilfe einer Schmerzpumpe patientenkontrolliert (PCA; patient controlled analgesia) appliziert werden. Dabei sind folgende Besonderheiten zu beachten:
- Bolusgabe
- Sperrintervall 5 bis 10 Minuten
- kontinuierliche Infusion
- lange Bolusdauer von 2 Minuten
Bei jeder Opioidtherapie ist eine begleitende Therapie der Verstopfung zwingend notwendig. Dies kann mit Lactulose oder Natriumpicosulfat erfolgen. Ist aufgrund einer Mucositis keine orale Applikation eines Laxans möglich, kann Dexpanthenol i.v. gegeben werden. Bislang stehen zwar Studien über die Wirksamkeit von Dexpanthenol bei Darmatonie aus, die Substanz wird jedoch in der Praxis häufig erfolgreich eingesetzt.
Chronische Schmerzen sind häufiger als angenommen
Bauch-, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen treten bei Kindern häufiger auf als bislang angenommen; so liegt die Prävalenz von Bauchschmerzen bei 10 bis 25%. Diese Schmerzen müssen auf jeden Fall ernst genommen und diagnostisch abgeklärt werden, da sie auch ein Alarmzeichen für eine gravierende Erkrankung sein können. Chronische Schmerzen müssen adäquat therapiert werden, da unzureichend behandelte Schmerzen ein Risikofaktor zur Entwicklung chronischer Schmerzsyndrome im Erwachsenenalter sind. Dies erfordert häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Pädiater, Kinderkrankenschwester, Psychologe, Krankengymnast, Manualtherapeut, Orthopäde und Anästhesist. Bei Kopf- und Bauchschmerzen sowie dem Fibromyalgiesyndrom kommt auch ein verhaltenstherapetisch orientiertes Gruppentraining in Betracht.
Eine besondere Therapie erfordert die juvenile chronische Polyarthritis. Hier werden möglichst frühzeitig und hoch dosiert alle in Frage kommenden Pharmaka wie Glucocorticoide, Basistherapeutika (MTX, Azathioprin, Sulfasalazin) und NSAR (z. B. Ibuprofen, ASS, Diclofenac, Naproxen, Indometacin) eingesetzt. Schlägt die Therapie an, können Dosis und Anzahl der Medikamente reduziert werden.
Information: Das Schmerztelefon des Krebsinformationsdienstes am Deutschen Krebsforschungszentrum
Seit etwas über einem Jahr besteht das Schmerztelefon am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Über die Anzahl der Anrufe, die häufigsten Fragen und die Erfolge der telefonischen Beratung berichtete Dr. Maren Kunhardt vom Krebsinformationsdienst.
Der Informationsdienst Krebsschmerz (KSID) ist ein dem Deutschen Krebsforschungszentrum angegliedertes und vom Bundesministerium für Gesundheit initiiertes und gefördertes Projekt. Seit dem 1.3.2000 besteht die Möglichkeit für Patienten, Angehörige und Ärzte, sich telefonisch über Fragen bei Krebsschmerzen beraten zu lassen. Bei der telefonischen Beratung erhält der Anrufende eine verständliche, wissenschaftlich fundierte Information zu den aktuellen Standards in der Schmerztherapie. Ferner werden Adressen von spezialisierten medizinischen, physio- und psychotherapeutischen Einrichtungen vermittelt.
Die Mitarbeiter des Projektes sind für eine Gesprächstherapie speziell ausgebildete Ärzte und Psychologen. Daneben besteht eine Arbeitsgruppe aus wissenschaftlichen Mitarbeitern, die die notwendigen Basisinformationen recherchiert, aufbereitet und in einer Datenbank zur Verfügung stellt. Die Beantwortung der Fragen beruht auf dem Stufenschema der WHO zur Tumorschmerztherapie sowie aktuellem Wissen zur Schmerzbehandlung.
Zahlreiche Anfragen
Seit dem Bestehen des Projektes wurden mehr als 40 000 Anrufe registriert; mit ca. 1200 Patienten oder deren Angehörigen erfolgten ausführliche Gespräche (Dauer etwa 20 Minuten). Die durchschnittliche Schmerzstärke der Betroffenen, gemessen an der Numerischen Analog Skala (NAS) von 0 (keine Schmerzen) bis 10 (unerträglicher Schmerz), lag bei 7,4, was sehr starken Schmerzen entspricht.
Aus den Geprächen ging hervor, dass trotz Analgetikaeinnahme häufig keine ausreichende Schmerzstillung erzielt wurde. In rund einem Drittel aller Fälle ließen sich deutliche Abweichungen vom WHO-Stufenschema feststellen. Knapp die Hälfte der Patienten erhielt kein Koanalgetikum; nur etwa einem Drittel der opioidpflichtigen Patienten wurde ein Laxans verordnet. Bei der telefonischen Beratung wurden die Patienten aufgefordert, mit ihrem behandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen und ihre Therapie zu besprechen. Ferner wurden Adressen schmerztherapeutischer Anlaufstellen in Wohnortnähe vermittelt.
Patient profitiert von dem Gespräch
Um den Nutzen der telefonischen Information einschätzen zu können, wurden die betroffenen Patienten einen Monat nach Erstkontakt zurückgerufen. Dabei zeigte sich, dass innerhalb von vier Wochen bei über 70% der Patienten eine deutlich messbare Minderung der Schmerzen festzustellen war. In diesem Zeitraum hatte bei der Mehrzahl der Patienten ein Gespräch über die Schmerztherapie mit dem behandelnden Arzt stattgefunden, woraufhin sich die Qualität der Therapie deutlich verbessert hatte.
Die telefonische Beratung des KSID gab also einen Anstoß, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern, was in vielen Fällen zu einer zufriedenstellenden Schmerztherapie führte.
Unerwünschte Wirkungen: Auch der Einsatz von Nichtopioiden und Koanalgetika will gelernt sein
Anhand mehrerer Fälle zeigte Dr. Hans-Peter Lipp von der Universitätsapotheke Tübingen auf, dass auch bei der Therapie mit Nichtopioiden gravierende Nebenwirkungen auftreten können. Neue Wirkstoffe und das Beachten von Kontraindikationen verbessern die Therapiesicherheit.
In jüngster Zeit mehren sich die Hinweise, dass auch der kurzfristige Gebrauch von NSAR zu Nierenschäden führen kann. So verursachte eine Überdosierung von 4,8 g (!) Ibuprofen eine renale tubuläre Azidose mit schwerer hypokaliämischer Tetrapaese, und nach dem Auftragen eines topischen Ketoprofenpräparates wurde ein akutes Nierenversagen festgestellt (in diesem Fall bestand allerdings bereits eine Nierenfunktionsstörung).
Diese Fälle zeigen, dass nicht nur - wie hinlänglich bekannt - der langfristige Gebrauch von NSAR zur klassischen Phenacetinniere führen kann, sondern dass auch vermeintlich sichere NSAR unerwünschte Wirkungen aufweisen können.
Gastrointestinale Komplikationen
Dr. Lipp stellte den Fall einer Patientin vor, die aufgrund einer Eisenmangelanämie, eines Hämatokritwerts von 24% und des Nachweises von okkultem Blut im Stuhl hospitalisiert wurde. Über mehrere Jahre hinweg hatte sie aufgrund ihrer rheumatoiden Arthritis zweimal täglich 400 mg Etodolac und eine Kombination aus 1 mg Warfarin und 500 mg Aspirin zur Behandlung ihrer peripheren Gefäßerkrankung eingenommen. Die endoskopische Untersuchung ergab, dass sich eine Aspirintablette in einem Ulkus im Bereich des Antrums festgesetzt hatte.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Einnahme von NSAR mit gastrointestinalen Blutungskomplikationen verbunden ist, die durch die gleichzeitige Beeinträchtigung der Thromboxanbiosynthese noch verstärkt werden.
COX-2-Hemmer als Alternative?
Zur Zeit stehen zwei hoch selektive COX-2-Inhibitoren zur Verfügung: Celecoxib (Celebrex) und Rofecoxib (Vioxx). Celecoxib weist eine rund 375fache und Rofecoxib eine über 800fach höhere Selektivität für COX-2 auf, sodass keine signifikante Hemmung der COX-1 erfolgt. Daraus resultiert eine wesentlich geringere Inzidenz gastrointestinaler Nebenwirkungen.
In mehrmonatigen Studien konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz gastroduodenaler Mucosaschädigungen unter Rofecoxib versus Ibuprofen oder Celecoxib versus Diclofenac signifikant geringer war, gleichzeitig jedoch beide Wirkstoffe eine mindestens gleich gute analgetische Wirkung wie die klassischen NSAR aufwiesen. Dank diesem Wirkprofil werden COX-2-Hemmer zwischenzeitlich in den USA als Mittel der Wahl eingesetzt, wenn der Patient über 65 Jahre alt ist, einer langjährigen und hochdosierten Therapie bedarf, eine zusätzliche Medikation mit Glucocorticoiden oder Antikoagulanzien erforderlich ist oder eine Vorgeschichte mit einem gastrointestinalen Ulkus besteht.
Begleitender Magenschutz
Eine andere Möglichkeit, gastrointestinale Wirkungen von NSAR zu unterdrücken, besteht in der zusätzlichen Gabe eines gastroprotektiven Arzneimittels. Hierzu eignet sich am besten der Protonenpumpenhemmer Omeprazol in einer Dosierung von einmal täglich 20 mg. Dieser Zusatz verhindert das Auftreten NSAR-induzierter Magen- und Duodenalulzera. Möglich ist auch die Gabe von Misoprostol (zwei- bis viermal täglich 200 Mikrogramm), das ebenfalls vor Magen- und Duodenalulzera schützt.
Allerdings treten unter dieser Komedikation mehr Diarrhöen und abdominelle Schmerzen auf als unter Omeprazol. Die zusätzliche Einnahme von H2-Antihistaminika kann ein NSAR-induziertes Magenulkus nicht verhindern; unter H2-Antihistaminika wird nur die Inzidenz der Duodenalulzera gesenkt. Eine Ausnahme bildet Famotidin, das in hohen Dosen (zweimal täglich 40 mg) die Häufigkeit NSAR-induzierter Magenulzera reduzieren kann.
Komedikation mit Antiepileptika
Koanalgetika besitzen ihren festen Platz bei der Behandlung des Tumorschmerzes oder bestimmter Schmerzformen wie z. B. einer postzosterischen Neuralgie. Dabei spielen trizyklische Antidepressiva und Antiepileptika eine besondere Rolle. Bei den Antiepileptika war Carbamazepin lange Zeit Mittel der Wahl. Allerdings kann Carbamazepin zu Hautreaktionen führen, die sich im Extremfall in einem Stevens-Johnson-Syndrom manifestieren, und besitzt eine gewisse Lebertoxizität.
Der Metabolit von Carbamazepin, Oxcarbazepin (Trileptal), scheint diese unerwünschten Wirkungen nicht zu besitzen. Eine Sonderstellung nimmt Gabapentin (Neurontin) ein, das weder schwere Nebenwirkungen verursacht noch mit anderen Arzneimitteln Interaktionen eingeht.
Phytotherapie: Evidenz-basierte Analgesie mit Phytotherapeutika möglich?
Sind eine Phytotherapie bei Schmerzen und eine Evidenz-basierte Medizin entgegengesetzte Pole? Mit dieser Frage befasste sich Prof. Dr. Lutz Heide, Pharmazeutisches Institut der Universität Tübingen. Die bislang vorliegenden harten Daten zur Wirksamkeit einer Phytotherapie sind eher enttäuschend.
In den vergangenen Jahren haben sich die Kriterien zur Beurteilung einer Therapie verändert. Stand früher bei der Einschätzung eines Wirkstoffes oder einer Behandlungsmethode die im Labor messbare Wirkung im Vordergrund, so wird heute eine Therapie aufgrund ihrer Wirksamkeit beurteilt. Das heißt, man fordert das Erreichen eines relevanten Therapieziels für den Patienten, also eine auf Evidenz basierte Therapie (evidence-based-medicine).
Für die Beurteilung eines Wirkstoffes genügen nicht mehr biochemische, labormedizinische, pathophysiologische Daten oder persönliche Erfahrungen und Expertenmeinungen, sondern es wird eine Evidenz aus systematischen klinischen Studien gefordert. Diese Evidenz wird durch das Zählen klinischer Ereignisse bei vergleichbaren Patienten gewonnen. Die beste Methode hierfür ist die randomisierte kontrollierte Studie. Andere Studienformen wie z. B. Anwendungsbeobachtungen oder offene Studien sind weniger aussagekräftig.
Schwerer Stand für Phytopharmaka
Legt man bei der Beurteilung von Phytopharmaka die Richtlinien der Evidenz-basierten Medizin an, so zeigt sich, dass die meisten Ergebnisse aus Studien der unteren Qualitätsstufen gewonnen wurden. Erst in den letzten Jahren werden auch randomisierte kontrollierte Studien mit Phytopharmaka durchgeführt.
Laut Prof. Heide ist dieser Mangel an qualifizierten Studien auch darin begründet, dass die Verwertung von Pflanzen nicht patentierbar ist und den Phytopharmaka nur ein national begrenzter Markt offen steht. Der Forschungsetat für Phytopharmaka ist eher gering, denn manche Hersteller scheuen den finanziellen Aufwand für eine ausführliche, den Kriterien einer evidence-based-medicine folgenden Studie, deren Ergebnisse - und im Falle eines überzeugenden Resultats auch deren finanzielle Erfolge - aufgrund des fehlenden Patentschutzes von anderen Herstellern übernommen werden können.
Lokal: Capsicain und Pfefferminzöl
In hohen Dosen führt lokal aufgetragenes Capsicain zu einer Hyperämie, Brennen und unter Umständen zu einer Kontaktdermatitis. Die wiederholte Applikation in niederen Dosen führt wahrscheinlich zu einer Entspeicherung von Neuropeptiden und einem Ausbleiben neuropeptidischer Wirkungen. In einer Konzentration von 0,075% wird Capsicain bei der postzosterischen Neuralgie, bei der diabetischen Polyneuropathie, bei Psoriasis und bei Prurigo atopica eingesetzt. In einigen Studien konnte eine 40- bis 60%ige Schmerzreduktion festgestellt werden, meist ist aber zusätzlich eine orale Schmerztherapie erforderlich.
Äußerlich aufgetragenes Pfefferminzöl führt zu einer Stimulation der Kälterezeptoren und zu einer Leitung des Kältereizes über bestimmte Rezeptoren. Möglicherweise findet auch eine Blockierung der Schmerzleitung über C-Fasern statt. Die Wirksamkeit von Pfefferminzöl bei Spannungskopfschmerzen konnte im Vergleich zu Plazebo und Standardanalgetika wie Paracetamol und Acetylsalicylsäure in einer Reihe von Studien nachgewiesen werden.
Systemisch: Teufelskralle und Weidenrinde
Die Wurzelknolle der Teufelskralle enthält Harpagoside, deren pharmakologische Wirkung umstritten ist und zu deren Wirksamkeit widersprüchliche Daten vorliegen. In den letzten Jahren wurden einige Studien mit Teufelskralle durchgeführt, die meisten dieser Untersuchungen allerdings auf niederem Qualitätsniveau. Bis heute liegen vier randomisierte klinische Studien vor, in denen die Wirkung von Teufelskralle bei chronischen Rückenschmerzen untersucht wurde. Drei dieser Studien zielten auf die Frage, wieviel Prozent der Patienten nach der Einnahme von Teufelskralle keine Rückenschmerzen mehr hatte. Der Therapieerfolg lag bei 15 bis 20%. In einer weiteren Studie, in der Teufelskralle relativ gut abschnitt, wurde der Schmerz anhand einer visuellen Analogskala beurteilt.
Weidenrinde enthält Salicin, das im Körper zu Salicylsäure umgewandelt wird. Die Konzentration der Salicylsäure bei bestimmungsgemäßem Gebrauch der Präparate ist aber so gering, dass die analgetische Wirkung hierdurch nicht zu erklären ist. So entstehen aus 240 mg Salicin 70 mg Salicylsäure, also eine für eine Analgesie nicht ausreichende Menge. Wahrscheinlich beruht die Wirksamkeit der Weidenrinde nicht auf der Salicylsäure allein; der genaue Wirkmechanismus der anderen, ebenfalls wirksamen Inhaltsstoffe ist indes noch nicht bekannt.
Ethische Aspekte: Wieviel Schmerz darf sein?
Prof. Dr. Dr. Urban Wiesing, Lehrstuhl Ethik in der Medizin, Tübingen, befasste sich in seinem Vortrag mit der Frage, wieviel Schmerz sein muss und wieviel Schmerz sein darf. Seinen Ausführungen zufolge sind bei dieser Entscheidung ausschließlich das Wohl und der Wille des Patienten maßgeblich.
Schmerz ist ein Phänomen des menschlichen Lebens, das zur Biologie, zur Leiblichkeit, zur conditio humana gehört. Jeder Mensch erlebt Schmerz; es ist dies also eine Erfahrung, die allen Menschen gemein ist. Obwohl nun jeder Mensch Schmerz empfindet, ist Schmerz immer eine individuelle Erfahrung, die nicht teilbar und nicht kommunizierbar ist; d. h. der Mensch muss den Schmerz allein ertragen.
"Verlust der Selbstvergessenheit"
Schmerz steigert die subjektive Einsamkeit; im Schmerz ist der Mensch allein in seiner essenziellen Not. Der Schmerz zieht die gesamte Konzentration auf sich; im Extremfall besteht der Mensch nur noch aus Schmerz, alle anderen menschlichen Erfahrungen werden banal, sekundär und bedeutungslos. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer bezeichnet diesen Zustand von Krankheit und Schmerz als "Verlust der Selbstvergessenheit".
Schmerz als Strafe
Man hat stets versucht, das Phänomen Schmerz zu interpretieren. Häufig wird Schmerz als Strafe gedeutet, als Antwort auf eine Verfehlung, auf eine Schuld. In früheren Zeiten suchte man diese Schuld eher auf religiöser Ebene, heute als Strafe für ein falsches Verhalten wie z. B. eine ungesunde Lebensweise. Auf den engen Zusammenhang zwischen Schmerz und Strafe deutet auch die sprachgeschichtliche Verwandtschaft zwischen poena (Strafe) und Pein (im Sinn von Schmerz) hin.
Hat Schmerz einen Sinn?
Evolutionsgeschichtlich hat Schmerz zweifelsohne einen biologischen Sinn: Er deutet auf eine Verletzung hin und übernimmt eine lebenserhaltende Schutzfunktion, ohne die das menschliche Überleben nicht gewährleistet gewesen wäre. Von dieser Sichtweise aus bedeutet Schmerz also ein Stück "Natur".
Die per se sinnvolle Funktion des Schmerzes kann aber auch fehlgelenkt oder nicht offenkundig werden, was sich z. B. beim chronischen Schmerz, dem Amputationsschmerz oder dem Fehlen von Schmerz bei der Entstehung maligner Erkrankungen zeigt. Das bedeutet also, dass Schmerzen nicht immer zuverlässig auf eine Notwendigkeit hinweisen und sich zudem die lebenserhaltende Aufgabe des Schmerzes im Lauf der Evolutionsgeschichte geändert hat.
Wohl und Wille des Patienten sind entscheidend
Wie soll nun der Angehörige eines Heilberufs, bei dem der Patient Hilfe sucht, mit dem Schmerz umgehen? Prof. Wiesing zufolge müssen hier die biologische Aufgabe des Schmerzes (Schmerz als etwas Sinnvolles) und das therapeutische Vorgehen streng getrennt werden. Der Arzt oder Therapeut muss die moralische Entscheidung treffen, kranken Menschen zu helfen. In diesem Fall entscheidet er sich gegen den Schmerz und somit auch gegen dessen biologische Funktion, d. h. gegen die "Natürlichkeit" des Schmerzes.
Der einen Heilberuf Ausübende muss sich am Wohl und Willen des Patienten orientieren. Das bedeutet in der Regel, dass der Schmerz bekämpft werden muss. Es gibt einige Ausnahmen, zum Beispiel, wenn ein Schmerz für eine diagnostische Abklärung erforderlich ist oder der Patient seinen eindeutigen Willen äußert, Schmerz ertragen zu wollen, wie dies bei einer Geburt der Fall sein kann.
Bei der Schmerzbekämpfung steht der Patient und sein individueller Schmerz im Vordergrund. Sein Schmerzempfinden ist maßgeblich und nicht die Einschätzung des Schmerzes durch den Therapeuten. Der Heilende darf unter keinen Umständen den Schmerz als Strafe interpretieren und diese Auslegensweise dem Patienten nahelegen. Oder wie Prof. Wiesing zusammenfasst: "Der Arzt ist Helfer, kein Richter". Der Arzt muss auf die individuellen Bedürfnisse des leidenden Patienten eingehen; Schemata zur Analgesie dienen ihm dabei nur als Orientierungshilfe.
Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
Nach wie vor werden in Deutschland Opiate zu selten und in zu geringer Dosierung verordnet. Teilweise steckt dahinter noch die alte, unbegründete Furcht vor einer Abhängigkeit, die mitunter bei Arzt und Patienten anzutreffen ist.
Dennoch haben sich in der Schmerztherapie in Deutschland einige begrüßenswerte Veränderungen angezeigt: So steht der Schmerz als Symptom im Mittelpunkt; er wird nicht mehr ausschließlich als Begleiterscheinung einer Erkrankung, sondern als eigenständige Krankheit betrachtet. Bei der Ausarbeitung einer optimalen Therapie stehen die subjektiven Bedürfnisse des Patienten stärker im Vordergrund als früher, und dank einer interdisziplinären Zusammenarbeit können die meisten Schmerzen individuell und patientengerecht therapiert werden.
Juristische Aspekte unterstützten die Schmerztherapie
Auch von juristischer Seite aus muss der Patient eine optimale Schmerztherapie erhalten. Nach geltender Rechtsprechung hat der Kranke ein Recht darauf, dass der Arzt alle Verfahren zum Wohle des Patienten ausschöpft. Versagt ein Arzt einem Patienten bei zwingender Indikation ein Opiat, so macht er sich sogar der rechtswidrigen Körperverletzung schuldig.
Das 29. Fortbildungsseminar der Apothekerkammer Baden-Württemberg in St. Blasien-Menzenschwand befasste sich mit besonderen Aspekten der Schmerztherapie, so z. B. mit ihrer Anwendung bei Kindern und bei Drogenabhängigen oder mit möglichen Komplikationen. Ferner wurde die Frage nach der Wirksamkeit von pflanzlichen Analgetika gestellt, auf das Schmerztelefon des Deutschen Krebsforschungszentrums hingewiesen und der ethische Aspekt der Schmerztherapie beleuchtet.
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