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Arzneimittel und Therapie
Onkologie: Neue Therapeutika bei Krebserkrankungen
Anthracycline sind potent wirksamen Zytostatika, die bei einer ganzen Reihe maligner Erkrankungen angewandt werden können. Ihre Einsatzmöglichkeit ist jedoch zeitlich begrenzt, da bei wiederholter Gabe mit schweren kardiotoxischen Schäden zu rechnen ist.
Verbesserte Galenik - weniger Nebenwirkungen
Um hohe Plasmakonzentrationen von Anthracyclinen im gesunden Gewebe zu verhindern, wurden polyethylenglykolisierte Liposomen (PEG-Liposomen) entwickelt. Diese enthalten auf ihrer Oberfläche hydrophile Methoxypolyethylenglykol-Ketten. Diese Ketten bilden einen Oberflächenschutz, damit das im Plasma zirkulierende Liposom längere Zeit dem Angriff des Immunsystems entgeht. Während einer so erzielten zwei- bis dreiwöchigen Verweildauer des PEG-Liposoms im Plasma bleibt beinahe die gesamte Wirkstoffmenge im Liposom eingeschlossen. Trifft nun das Liposom auf Lücken im Tumorgewebe (Gaps), findet eine Extravasation der intakten Liposomen durch die Gaps statt. Im Tumorgewebe wird die Liposomenmembran abgebaut und der Wirkstoff freigesetzt.
In der Praxis werden bereits einige liposomale Anthracycline wie Daunorubicin (Daunoxome®) und Doxorubicin (Caelyx® und Myocet®, ab 17. April 2001 im Handel) eingesetzt. Sie verursachen weitaus weniger häufig kardiotoxische Schäden als die herkömmlichen Anthracycline (z. B. herkömmliches Doxorubicin 8%; Myocet 2%) und führen weniger häufig zu Emesis und Stomatitis. Die erwünschte zytotoxische Wirkung ist mit derjenigen der klassischen Anthracycline vergleichbar. Der Patientenkreis für liposomale Anthracycline sind demzufolge vor allem junge Patienten mit langer Lebenserwartung und Patienten mit hohem kardiotoxischem Risiko. Liposomales Doxorubicin ist aufgrund von Daten aus Phase-III-Studien unlängst für die First-line-Therapie des metastasierenden Brustkrebs europaweit zugelassen worden.
Weiterentwicklungen von 5-FU
Das Fluoropyrimidin 5-Fluorouracil (5-FU) - in Kombination mit einem Folinat (Calcium- oder Natriumfolinat) - gehört zu den Standardtherapeutika bei malignen Tumoren. In jüngster Zeit wurden mehrere Alternativen oder Ergänzungen zu 5-FU entwickelt. So beispielsweise ein oral verfügbares Capecitabin (Xeloda®), das in drei Schritten enzymatisch zu 5-FU umgewandelt wird. Weitere orale 5-FU-Derivate sind UFT, S1 und Eniluracil/5-FU.
Raltitrexed (Tomudex®) ist ein direkter Thymidilatsynthetase-Inhibitor, der möglicherweise als Alternative oder Ergänzung zu 5-FU/Folinsäure dienen kann. Das Multitarget-Antifolat (MTA; Pemetrexed; Alimta) hemmt mehrere für die Purin- und Pyrimidinsynthese notwendige Enzyme. MTA wird bereits in mehreren klinischen Studien zur Therapie des kleinzelligen Bronchialkarzinoms untersucht.
Gemcitabin bei NSCLC
Das Pyrimidinanalogon Gemcitabin (Gemzar®) wird bei einem Pankreaskarzinom und in Kombination mit weiteren Zytostatika bei dem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) eingesetzt. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, erwies sich Gemcitabin in mehreren Kombinationsregimen mit Cisplatin und Vinorelbin als effektiver Therapiepfeiler in der First-line-Therapie des fortgeschrittenen/metastasierenden NSCLC. Auch die neoadjuvante Therapie früher Stadien mit Gemcitabin bei NSCLC zeigt ermutigende Ergebnisse.
Hormontherapie: hin zu einer selektiven Wirkung
Der Einfluss von Hormonen auf bestimmte Tumorarten - vor allem auf das Mamma- und Prostatakarzinom - ist seit langem bekannt. Wurden früher noch die hormonbildenden Organe durch eine Oophorektomie bzw. Hypophysektomie entfernt, so stehen heute unterschiedliche Therapeutika zur Senkung des Hormonspiegels zur Verfügung. Die größte Bedeutung hierbei haben Östrogenrezeptor-Antagonisten und Aromatasehemmer. Antiöstrogene hemmen die rezeptorvermittelten Effekte von endogenem Östrogen.
Neben dem seit längerem eingesetzten Tamoxifen stehen mit selektiven Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) wie z.B. Raloxifen (Evista®) relativ neue Wirkstoffe zur Verfügung. Raloxifen, das bislang zur Osteoporoseprävention eingesetzt wird, soll in einer Studie zur Prophylaxe des Mammakarzinoms untersucht werden. Neu sind ebenfalls selektive Östrogenrezeptor-Degrader (SERD) wie Faslodex. Zu den Aromatasehemmern zählen z.B. das Imidazolderivat Letrozol (Femara®), Toremifen (Fareston®) sowie Glutethimide wie Aminoglutethimid (Orimeten®).
Supportiva reduzieren die Nebenwirkungen
Viele zytotoxische Strategien verursachen schwere Nebenwirkungen, von denen das zytostatikainduzierte Erbrechen von den meisten Patienten als besonders belastend empfunden wird. Dank der 5-HT3-Antagonisten kann die akute Emesis relativ gut behoben werden. Zur Therapie des verzögerten Erbrechens, das bis zu 24 Stunden nach der Chemotherapie auftreten kann, werden Metoclopramid und Dexamethason verwendet. Neu ist der Einsatz von Neurokinin-Rezeptor-Antagonisten (NK-1-Rezeptor-Antagonisten), welche die Wirkung der Substanz P blockieren. In Kombination mit 5-HT3-Antagonisten schwächen NK-1-Rezeptor-Antagonisten die akute Emesis ab und reduzieren die Inzidenz des verzögerten Erbrechens. Nach wie vor schwierig zu therapieren ist die antizipatorische Emesis.
Schutz vor der Chemotherapie
Zytoprotektiva schützen vor den toxischen Effekten einer Chemotherapie. Das organische Thiolderivat Amifostin (Ethyol®), das ursprünglich von der US-Armee zum Schutz vor Kampfgasen entwickelt wurde, wird im gesunden und malignen Gewebe unterschiedlich aufgenommen. Im Tiermodell schützt Amifostin gesundes Gewebe - nicht aber Tumorgewebe - vor ionisierenden Strahlen, DNA-bindenden Zytostatika sowie Platinanaloga. Des weiteren kann Amifostin eine cisplatininduzierte Nephrotoxizität sowie eine strahlenbedingte Xerostomie abschwächen. Ferner wird es zur Reduktion einer Neutropenie nach bestimmten Chemotherapien eingesetzt.
Ein weiteres Zytoprotektivum ist Dexrazoxan (Cardioxane®), das vor einer anthracyclinverursachten Kardiotoxizität schützen kann und dessen routinemäßiger Einsatz zur Zeit in Studien untersucht wird. Zum Schutz vor einer Mukositis wird der Fibroblasten-Wachstumsfaktor KGF (Keratinocyte Growth Factor) eingesetzt, mit dessen Hilfe Dauer und Inzidenz einer Mukositis gesenkt werden können.
Therapie der Tumoranämie
Bis vor kurzem war für Patienten mit einer Tumoranämie eine Bluttransfusion erforderlich, was aber die Gefahr einer bakteriellen oder viralen Infektion und der Eisenüberladung in sich birgt. Als Alternative bietet sich eine Therapie mit rekombinantem humanem Erythropoetin (rh-EPO) an. Jüngste Studien haben gezeigt, dass die Anhebung der Hämoglobinkonzentration des Blutes zu einer Verbesserung der Tumoroxigenierung führt. Gut oxigenierte Tumorzellen sind in der Regel wiederum empfindlicher gegen eine Radio- oder Chemotherapie, sodass durch die Gabe von rh-EPO der Therapieerfolg verbessert werden kann. Neue Ansätze zur Behebung der Tumoranämie ist die Substitution von Hämoglobin, eine Gentherapie, der Einsatz von modifiziertem Erythropoetin und die Gabe von NESP (Novel Erythropoiesis Stimulating Protein).
Kastentext: Zytostatikainduziertes Erbrechen
Zytostatikainduziertes Erbrechen wird durch Erregung von Chemorezeptoren in der Area postrema der Medulla oblongata ausgelöst. Von dort aus werden Impulse zum Brechzentrum weitergeleitet. Im Brechzentrum finden sich Rezeptoren für die Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, Endorphin und SubstanzP. Durch eine medikamentöse Blockade dieser Neurotransmitter kann zytostatikainduziertes Erbrechen verhindert bzw. abgeschwächt werden. Je nach Art der Emesis werden folgende Medikamente eingesetzt:
- akute Emesis: 5-HT3-Antagonist + Dexamethason
- verzögerte Emesis: Dexamethason + MCP; 5-HT3-Antagonist
- antizipatorische Emesis: bislang keine befriedigende Therapie; bestmögliche Therapie der akuten und verzögerten Emesis; ev. Triflupromazin oder Benzodiazepine
Kastentext: Tumoranämie
Tumorpatienten entwickeln im Lauf ihrer Erkrankung häufig eine Anämie. Bislang ist die genaue Pathogenese dieser Blutarmut noch nicht bekannt; folgende Faktoren spielen bei der Entstehung dieser Anämie eine Rolle:
- Blutungen im Tumorbereich
- Hämolyse
- Hämodilution
- Mangelernährung (Mangel an Vitamin B, Eisen und Folsäure)
- Knochenmarkschädigung
Kastentext: Gemcitabin verursacht einen maskierten Kettenabbruch
Gemcitabin unterbindet die DNA-Synthese durch Hemmung der Ribonukleotidreduktase. In der Folge können keine Desoxynukleotide mehr gebildet werden. Die Zelle versucht nun, diesen Mangel an natürlichen Nukleotiden durch Einbau von Gemcitabin-Nukleotid auszugleichen. Gemcitabin wird also als falsche Base in die DNA eingebaut. Normalerweise wird eine falsche Base in der DNA erkannt. Gemcitabin bleibt jedoch von den Reparaturenzymen unerkannt. Es wird sogar noch eine weitere Base angehängt, erst dann erfolgt der DNA-Strangbruch. Diesen Mechanismus bezeichnet man als maskierten Kettenabbruch.
Quelle: Nach Vorträgen von C. Slapak, Indianapolis, C. Kollmannsberger, Tübingen, K. Possinger, Berlin und K. Höffken, Jena; gehalten am 11.AEK Kongress der Deutschen Krebsgesellschaft in Heidelberg am 5.April 2001.
Neue Therapeutika in der Onkologie waren ein wichtiges Thema beim 11. AEK Kongress der Deutschen Krebsgesellschaft vom 4. bis 6. April 2001 in Heidelberg. Ein anschauliches Beispiel dafür, wie dank einer verbesserten Galenik die unerwünschten Wirkungen reduziert werden können, sind liposomal verkapselte Anthracycline.
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