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Vor 100 Jahren: Als Damen nur Apothekenlehrlinge sein durften ...
Ein Rückblick auf 100 Jahre Apothekerkammer in Niedersachsen lässt erkennen, dass keine Kontinuität in der Entwicklung der Selbstverwaltung festzustellen ist, die Entwicklung stellt vielmehr ein Spiegelbild der Brüche und Umbrüche dar, wie sie Deutschland in den letzten 100 Jahren erlebt hat. So muss man sich in Erinnerung rufen, dass das Bundesland Niedersachsen erst seit 1946 existiert, kraft Entscheidung der Besatzungsmächte und legitimiert durch den politischen Willen seiner Bevölkerung zusammen mit den jeweils selbstständigen Ländern Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe. Dies spiegelt sich auch in der Kammerentwicklung wider: Aus der preußischen Apothekerkammer Hannover wurde eine Bezirksapothekerkammer Niedersachsen als örtliche Untergliederung der Reichsapothekerkammer ohne eigene Rechtspersönlichkeit während des "Dritten Reiches" und daraus schließlich die Apothekerkammer Niedersachsen als demokratisch legitimierte Selbstverwaltung der Apothekerinnen und Apotheker.
Keine Pflichtmitgliedschaft in der Kammer und nur Männer
Das Ordnungssystem für eine Apothekerkammer der damaligen Zeit lässt sich, so ergänzte Pieck, nur aus der Mentalität und den Wertvorstellungen der damaligen Zeit erklären. So gehörten beispielsweise die Apotheker in der Provinz Hannover der Kammer weder als Pflichtmitglieder noch freiwillig an, sie durften lediglich die Mitglieder der Kammer wählen. Die Apotheker bildeten also nicht in ihrer Gesamtheit die Kammer, es waren nur die gewählten Apotheker Mitglied der Kammer. Wahlberechtigt und wählbar waren nur Apotheker, die als Apothekeninhaber, als Verwalter oder als "Gehilfen" in einer Apotheke tätig waren oder ein pharmazeutisches staatliches Amt bekleideten. Pharmazeuten in der Pharmaindustrie, im Hochschuldienst oder anderweitig Beschäftigte waren dagegen nicht kammerfähig. Wenn in gesetzlichen Vorschriften aus der damaligen Zeit lediglich von Apothekern die Rede ist, so gibt dies die berufliche Wirklichkeit wieder: "Es gab keine Apothekerinnen, und es sollte auch keine geben", so Pieck.
Im September 1901 schlug die Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins allerdings vor, zur Behebung des Personalmangels in Apotheken Damen als Lehrlinge in der Apotheke auszubilden, sofern sie ein Nachweiszeugnis einer höheren Töchterschule haben. Das Recht zum Studium und zur Ablegung des Staatsexamens wollte man ihnen damals noch nicht einräumen. Pieck vermutete, dass die Furcht vor weiblichem Wettbewerb die männlichen Mitglieder zu solchen Regelungen veran-lasste. Andererseits wurde den Frauen erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1919 das allgemeine Wahlrecht eingeräumt, weshalb man mit Kritik an der Mentalität der für Kammer- und Verbandspolitik Verantwortlichen vorsichtig sein sollte. Heute, so Pieck, lässt sich anmerken, dass die Kammern sogar den gesellschaftlichen Fortschritt verkörpern, nicht nur dadurch, dass Apothekerinnen eine signifikante Mehrheit unter den Kammermitgliedern darstellen, auch die Wahlergebnisse zeigen es: Seit dem vergangenen Jahr steht der Apothekerkammer Niedersachsen mit Frau Magdalene Linz eine Präsidentin vor.
Keine flächendeckende Verkammerung
Als vor 100 Jahren die preußischen Provinzialkammern gegründet wurden, gab es bereits Apothekervereine in Reich und Ländern. Es kam aber nicht zum Konflikt zwischen Vereinen und Kammern, die Vereine förderten sogar die rechtliche Verankerung von Kammern. Ungeachtet dessen lag das Schwergewicht der politischen Interessensvertretung der Apotheke im Deutschen Reich weiterhin bei den Vereinen. Eine flächendeckende Verkammerung des Apothekerberufs in den Ländern des Deutschen Reichs gab es nicht. Zum Teil konstituierten sich Kammern erst während der Weimarer Republik. Ferner gab es auch keinen organisatorischen Zusammenschluss der mit der heutigen Bundesapothekerkammer vergleichbar gewesen wäre.
Zeit der Privilegien und Konzessionen
Themen und Probleme von Kammerversammlungen von damals war die lange Zeit vergebliche Forderung nach einem Reichsarzneimittelgesetz, die erst in der Bundesrepublik 1961 politisch umgesetzt werden konnte. Damit einher ging die Forderung nach einem Reichsapothekengesetz, das erst 1960 mit dem Bundesapothekengesetz verwirklicht werden konnte. Wenn auch für viele Apothekerinnen und Apotheker von heute die Zeit bis zum 11. Juni 1958, also bis zum Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts, positiv besetzt ist durch das Stichwort der Niederlassungsbeschränkung, ist dies heute keine politisch ernst zu nehmende Alternative zum geltenden System der Niederlassungsfreiheit. Apotheker im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und auch im "Dritten Reich" strebten zwar nicht zur Niederlassungsfreiheit, sie mussten sich allerdings mit einem Apothekenrecht als Landesrecht auseinandersetzen, das Unterschiede und Rechtsungleichheiten zwischen den Ländern, innerhalb eines jeden Landes und innerhalb der Besitzenden in Bevorzugte und weniger Bevorzugte bewirkte. In einem demokratischen Rechtsstaat sind, so fügte Pieck hinzu, Privilegien, Exklusivprivilegien, Realrechte, Realkonzessionen und Personalkonzessionen nicht mehr zu rechtfertigen.
Als "historisches Verdienst" des preußischen Staates und der Apotheker in Preußen würdigte Pieck, das Prinzip der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung durch eine Kammer erstmals rechtlich verankert zu haben. Wenngleich die königliche Verordnung vom 2. Februar 1901 noch Mängel und Defizite aufwies, führte sie selbstständige und nichtselbstständige Apotheker in einer Organisation gleichberechtigt zusammen. Das gute Miteinander von Kammern und freien Verbänden war denn auch noch 1945 in der Bundesrepublik Anstoß und Vorbild, einen Zusammenschluss aller Kammern und aller Verbände zu bewerkstelligen.
Bezirkskammern im "Dritten Reich"
Der demokratische Aufbruch zur Selbstverwaltung und Selbstverantwortung wurde durch die Machtergreifung der NSDAP gestoppt, die Kammer gleichgeschaltet und Funktionsträger kaltgestellt. Die Reichsapothekerordnung bestimmte die Einrichtung einer Reichsapothekerkammer zum 1. Juli 1937, damit war das formale Ende aller Kammern verbunden, seit 1933 lag alle Macht in einer "Standesgemeinschaft deutscher Apotheker", die sich 1934 umbenannte in Deutsche Apothekerschaft. In Hannover wurde die Bezirksapothekerkammer Niedersachsen eingerichtet, der Reichsapothekerführer ernannte Leiter der Bezirksapothekerkammern. Freiheit und Eigenständigkeit eines freien Heilberufs nahmen unausweichlich Schaden, Denunziantentum und Unterwürfigkeit traten an Stelle von Meinungsfreiheit und Mut. Und rund 300 jüdische Mitbürger, die sich damals unter den 7000 Apothekeninhabern befanden, verloren bereits im Februar 1933 ihre Funktionen in Kammern und Vereinen, ihre Apotheken mussten sie verkaufen oder verpachten.
Arzt- und Anwaltsberuf wurden als freie Berufe definiert, wobei Pieck anmerkte, dass es falsch wäre, die Freiberuflichkeit der Anwälte, Ärzte und Apotheker auf nazistisches Gedankengut zurückzuführen. Bereits die Weimarer Republik trug sich mit solchen Gedanken, konnte sie allerdings noch nicht umsetzen. Der Apothekerberuf selbst wurde in der Reichsapothekerordnung von 1937 nicht als freier Beruf definiert, aber man attestierte ihm, dass er mit der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung eine öffentliche Aufgabe wahrnehme. Somit hat § 1 der Bundesapothekerordnung seinen historischen Vorgänger in der Reichsapothekerordnung.
Nach dem Krieg: Kammervielfalt
1945 wurde in allen vier Besatzungszonen die Reichsapothekerkammer und ihre Untergliederungen, auch die Deutsche Apothekerschaft als nazistische Organisation verboten. Während die sowjetische Besatzungszone weder Kammern noch freie Verbände zuließ, gewährten die Westmächte Koalitionsfreiheit und gestatteten zögerlich die Etablierung von Kammern, was die Apothekerinnen und Apotheker umgehend in Angriff nahmen.
Am 1. April 1947 gab es beispielsweise in Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein, Westfalen-Lippe, Schleswig-Holstein und Saarland eine Kammer, in Baden-Württemberg bildeten sich vier Kammern, in Rheinland-Pfalz zwei Kammern. Hessen ("bekanntlich berufspolitisch des öfteren ein Sonderfall", so Pieck) gründete gleich fünf Kammern. In Niedersachsen verabschiedete der Niedersächsische Landtag bereits am 27. März 1947 ein Gesetz über die Apothekerkammer, das im zweiten Anlauf durch den britischen Gebietsbeauftragten ratifiziert wurde.
1956 war Hannover Gastgeber des Deutschen Apothekertages, in dessen Rahmen als Sonderveranstaltungen auch der Bundesverband der Realrechtsbesitzer, der Bundesverband der Personalkonzessionäre und der Zweckverband Deutscher Apotheker und der Deutsche Apothekerbund tagten. Dies allein zeigt, so resümierte Pieck, wie massiv auch innerhalb der Gruppe der Apothekeninhaber die Interessensgegensätze aufeinander prallten. Heute, so stellte er fest, ist die prinzipielle Einheit des Berufsstandes in grundlegenden Fragen des Apothekenrechts ungleich größer als in Zeiten vor dem Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts.
Zuständigkeiten der Kammern sind gewachsen
Während Aufgaben und Zuständigkeiten einer preußischen Apothekerkammer noch recht dürftig waren, sind die Zuständigkeiten einer heutigen Apothekerkammer wie der Apothekerkammer Niedersachsen als Selbstverwaltungskörperschaft enorm gewachsen, wie auch das Kammergesetz für die Heilberufe vom 19. Juni 1996 zeigt: Fortbildung und Weiterbildung, Qualitätssicherung im Apothekenwesen, Ordnung der Dienstbereitschaft und Rezeptsammelstellen, Versorgungswerk und Berufsgerichtsbarkeit. Eine Kammer hat heute auch das Recht, sich ausführlich und deutlich gegenüber Politik und Parlament, Ministerien und Öffentlichkeit zu allen Themen zu äußern, die unmittelbar oder mittelbar die beruflichen Belange ihrer Mitglieder tangieren. Diesen Aufgaben sind die Apothekerkammern und nicht zuletzt die Apothekerkammer Niedersachsen immer gerecht geworden, wie Pieck hinzufügte, Aufsichtsbehörden sahen sich nie veranlasst, Apothekerkammern zu mahnen oder gar abzumahnen.
Gefahren für das System
Heute sind Kammergesetze in allen 16 Bundesländern weitgehend identisch und bewirken gewissermaßen eine Verklammerung des Berufsrechtes der Heilberufe. Das System beruflicher Selbstverwaltung steht in einer engen Beziehung zu dem gewachsenen Berufsrecht des Apothekers und dem Apothekenrecht des Bundes. Bundes- und Landesrecht ergänzen und bedingen einander, sie schaffen gemeinsam die Voraussetzungen, um den Apotheker als Heilberuf, als freien Beruf und somit als freien Heilberuf zu qualifizieren. Würde das System berufsständischer Körperschaften in Frage gestellt, könnte damit die Gefahr verbunden sein, dass der Heilberuf Apotheker zum bloßen Kaufmann mutiert. Eine ähnliche Gefahr für den Heilberuf Apotheker und für die berufsständische Selbstverwaltung sieht Pieck darin, wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben oder unter dem Schlagwort "mehr Wettbewerb" relativiert würde. Pieck erinnerte an Diskussionen innerhalb der führenden Regierungspartei, die in Arbeitspapieren bereits Fremd- und Mehrbesitzverbot diskutiert, das Versandverbot relativieren und die Arzneimittelpreisverordnung hinterfragen will. Damit wird ein funktionsträchtiges Apotheken-system letztendlich in Frage gestellt.
Kritisch sieht Pieck Entwicklungen im Bereich der Krankenhausapotheken, wo Krankenhausverwaltungen tendenziell Funktionen übernehmen, die eindeutig dem Leiter einer Krankenhausapotheke zukommen. Man versucht sich darin, pharmazeutische und kaufmännische Funktionen in einer Apotheke zu trennen. Gefahren drohen auch von Bestrebungen nach Apothekenketten und Kettenapotheken, die tendenziell großkapitalistische Unternehmen sind, bei denen es nicht um Übernahme von Versorgungsfunktion in Sinne von § 1 des Apothekengesetzes geht, sondern ausschließlich um die Realisierung vermeintlicher ökonomischer Ressourcen. Auch hier kommt den Kammern eine wichtige Aufgabe zu.
Pieck erinnerte daran, dass die Bundesländer die alleinige Kompetenz für das Kammerrecht der freien Heilberufe haben. Über den Bundesrat tragen sie Verantwortung dafür, dass das Apothekenrecht des Bundes das Berufs- und Kammerrecht der Länder nicht konterkariert. Beide Regelungssysteme müssen kompatibel bleiben. Kammern und Verbände haben so die hochpolitische Aufgabe, über die Funktion der Apotheke, über die Position und Interessen der Apothekerinnen und Apotheker umfassend zu informieren, nach außen und nach innen. In der sich abzeichnenden politischen Situation ist daher "produktive Unruhe die erste Apotheker- und Kammerpflicht", stellte Pieck fest. Mit dem 1993 vorgestellten Zukunftsprojekt unter dem Titel "Verbesserung der Arzneimittelversorgung - mehr Verantwortung für die Apotheker" haben die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und damit die Kammern und Verbände keine "pharmazeutischen Glasperlenspiele" produziert. Sie stellen vielmehr Leistungen, wie zum Beispiel die Pharmazeutische Betreuung, heraus, die nur der Apotheker umsetzen kann.
Mitarbeit der Kammerangehörigen
Doch nicht nur Rahmenbedingungen garantieren die Existenz einer Apothekerkammer, es bedarf auch der kontinuierlichen Mitarbeit der Kammerangehörigen, Stichwort Ehrenamt. Wenngleich es auch schwer ist, Mitstreiter im Ehrenamt zu finden (während zugleich Clubs für hochwertige sportliche Freizeitbeschäftigung über Mitgliedermangel nicht klagen können), so ist es der Apothekerkammer Niedersachsen, wie Pieck feststellte, immer wieder gelungen, Persönlichkeiten zu wählen, die ihr Amt mit Erfolg wahrgenommen haben. Von 1976 bis 1992 vertrat Heinz Bruno Lindemann als Präsident die Kammer, von 1996 bis 2000 stand Dr. Herbert Gebler dieser Kammer vor, der darüber hinaus jahrzehntelang Engagement zeigte als ehrenamtlicher Pharmazierat, als Mitglied des Vorstandes der Bundesapothekerkammer, des geschäftsführenden Vorstandes der ABDA und als Vorsitzender zahlreicher Arbeitsgruppen. Pieck: "Wir schulden ihnen heute besonderen Dank."
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