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Landesarbeitsgericht Thüringen: Mobbing im Visier der Richter

Mit einem mutigen Urteil hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Erfurt am 10. April zum Thema Mobbing geäußert und damit den Schutz von ArbeitnehmerInnen vor "systematischem Psychoterror" gestärkt. Bisher waren Mobbing-Urteile zugunsten von ArbeitnehmerInnen in der deutschen Gerichtslandschaft eher sehr dünn gesät. Mit dem jetzt erfolgten Urteil hat das LAG ein deutliches Zeichen für die Opfer gesetzt, auf das sich Mobbing-Betroffene künftig vor Gericht beziehen können.

Definition des Mobbing durchs Gericht

In 14 Leitsätzen stellten die Richter grundlegende Thesen zum Mobbing auf und nahmen den Arbeitgeber in die Pflicht, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten ArbeitnehmerInnen nicht selbst zu verletzen bzw. sie vor Angriffen zu schützen. Damit liegt die "Schuld" am Mobbing nicht mehr beim Opfer, sondern bei denen, die das Mobbing entweder selbst ausüben oder zulassen. Da Mobbing kein juristischer Begriff im eigentlichen Sinne ist, haben die Richter in ihren 14 Thesen Mobbing näher definiert. Welchen Kraftakt das für das Gericht bedeutete und wie schwer diese Materie zu fassen ist, lässt sich am Umfang des Urteils erkennen: 27 eng bedruckte Seiten, für ein Urteil im Arbeitsrecht ungewöhnlich.

"Ich werde gemobbt"

Mit dieser Aussage ernteten Betroffene bisher ein müdes Lächeln ("ach ja, ich auch"), Unverständnis oder ein "Stell Dich nicht so an". Bis zum Urteil des LAG Thüringen fehlten sachliche Kriterien, nach denen ein Mobbing-Prozess beurteil werden konnte. Zukünftig können Betroffene, denen z.B. in der Apotheke das Leben schwer gemacht wird, anhand dieser Kriterien ihre Situation überprüfen und dann im Falle eines Falles etwa dem BVA oder einem Anwalt ihre Lage präziser schildern als mit der Aussage "Ich werde gemobbt".

Die für die Definition des Mobbing wichtigsten Leitsätze des LAG geben wir hier im Wortlaut wieder. Die für ein Mobbing typischen Verhaltensweisen stehen im Kasten (unten). Das Ganze klingt arg theoretisch, aber gerade solch schwer fassbare Vorgänge wie ein Mobbing müssen theoretisiert werden, damit sie juristisch greifbar werden. Nur dann besteht die Möglichkeit, dagegen vor Gericht vorzugehen.

1. Leitsatz

"Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die er einen Einfluss hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern. Zur Einhaltung dieser Pflichten kann der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird."

2. Leitsatz

"Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers kann nicht nur im Totalentzug der Beschäftigung, sondern auch in einer nicht arbeitsvertragsgemäßen Beschäftigung liegen. Eine solche Rechtsverletzung liegt vor, wenn der Totalentzug oder die Zuweisung einer bestimmten Beschäftigung nicht bloß den Reflex einer rechtlich erlaubten Vorgehensweise darstellt, sondern diese Maßnahmen zielgerichtet als Mittel der Zermürbung eines Arbeitnehmers eingesetzt werden, um diesen selbst zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bringen."

5. Leitsatz

"Ob ein Fall von ,Mobbing' vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang im allgemeinen üblichen oder rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Im arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff des 'Mobbing' fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die [...] in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Ein vorgefasster Plan ist nicht erforderlich. Eine Fortsetzung des Verhaltens unter schlichter Ausnutzung der Gelegenheiten ist ausreichend. [...]"

Indikatoren für Mobbing

Bei fortgesetztem Mobbing verschlechtert sich meist der psychische und physische Gesundheitszustand des Opfers, oft sogar in dramatischer Weise. Auch das kann als Indiz für ein Mobbing dienen, vor allem, wenn der Betroffene vorher gesundheitlich nicht beeinträchtigt war. Ebenso dienen die Motivation des Mobbenden und der typische Geschehensablauf eines Mobbing als Indikatoren dafür, dass der Vorwurf des Mobbing berechtigt ist.

Faires Gerichtsverfahren

Häufig findet Mobbing ohne Zeugen statt, sodass Opfer vor Gericht in Beweisnot geraten. In diesem Punkt hat das LAG Thüringen sich für die Betroffenen eingesetzt und festgestellt, dass die Grundsätze für ein faires Gerichtsverfahren (nach der europäischen Menschenrechtskonvention) berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet, dass das Opfer als Partei anzuhören ist und seine Glaubwürdigkeit geprüft werden muss.

Mobbing statt Kündigung

Auch hier hat das LAG deutliche Worte gefunden: "Wird das Mobbing vom Arbeitgeber gelenkt, so geht es in der Regel darum, den Arbeitnehmer auf kaltem Wege zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bewegen. Es muss daher geprüft werden, ob der Sachverhalt Anhaltspunkte für ein derartiges Arbeitgeberinteresse bietet." ... und weiter: "Das mit der Durchsetzung von Kündigungen verbundene Verfahren blockiert aus Arbeitgebersicht vielfach eine zügige Anpassung der Beschäftigungsstrukturen an wirtschaftliche Erfordernisse."

Gegen das Urteil ist keine Revision zulässig. Wer's genauer wissen möchte, findet den Text des Urteils unter: http://landesarbeitsgericht.thueringen.de

Tipps für Betroffene

Mitglieder im BVA können sich jederzeit Rat und Auskunft bei der Hotline des BVA holen: Tel. (040) 363829. Wer den Verdacht hat, er oder sie werde gemobbt, oder wer aufgrund dieses Artikels ein Aha-Erlebnis hatte, sollte sich dringend mit der Rechtsberatung in Verbindung setzen!

Umfrage: Machen Sie mit!

ittlerweile beschäftigt sich auch eine staatliche Stelle mit dem Thema Mobbing. Das Bundesamt für Arbeitsschutz macht eine repräsentative Erhebung zum Mobbing. Dort werden noch Mobbing-Betroffene gesucht, die sich an einer Umfrage beteiligen, bei der umfangreiche Daten zum Mobbing zusammengetragen werden, um die Vorgänge des Mobbing transparenter zu machen. Die Daten werden anonym ausgewertet; niemand braucht also Befürchtungen haben, seine Daten würden weiter gegeben.

Wir empfehlen, sich an dieser Umfrage zu beteiligen, denn je mehr Meldungen bei solchen Umfragen eingehen, desto eher wird der Gesetzgeber gezwungen, auch gesetzgeberisch gegen den Psychoterror am Arbeitsplatz vorzugehen. Einsendeschluss der Umfrage ist der 30. Mai 2001.

Sie erhalten die Fragebogen bei: Bundesanstalt für Arbeitsschutz Sozialforschungsstelle Evinger Platz 17 44339 Dortmund Tel. (0231) 8596244 oder 8596285 www.sfs-dortmund.de (hier kann der Fragebogen auch online ausgefüllt werden oder heruntergeladen werden)

Kastentext: Was ist Mobbing?

Mobbing wird je nach Betrachtungswinkel unterschiedlich definiert. Das LAG Thüringen hat sich in seiner Beurteilung an einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 15. 1. 1997 orientiert. Das BAG versteht im arbeitsrechtlichen Sinne unter Mobbing das systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Als relevante Verhaltensweisen kommen demnach in Betracht: – Tätlichkeiten – ehrverletzende Handlungen – sexuelle Belästigungen – Demütigungen – Diskriminierungen –grundlose Herabwürdigung der Leistungen – vernichtende Beurteilungen – Isolierung – Abkoppelung von der betrieblichen Information und Kommunikation – schikanöse Anweisungen, wie Zuteilung nutzloser oder unlösbarer Aufgaben – Ankündigung oder Durchführung von belastenden Maßnahmen ohne Begründung – Durchführung von Maßnahmen, denen vergleichbare Mitarbeiter nicht unterworfen sind – sachlich nicht begründbare Häufung von Arbeitskontrollen – Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Erklärungsnotstands

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