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Arzneimittel und Therapie
Apomorphinhydrochlorid: Zentraler Angriff bei Erektionsproblemen
Die erektile Dysfunktion (ED) wird definiert als die Unfähigkeit, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion zu erreichen oder aufrecht zu erhalten. Nach den 1994 erhobenen Daten der Massachussetts Male Aging Study (MMAS) ist bei 52 Prozent aller Männer zwischen 40 und 70 Jahren zumindest mit einer zeitweise auftretenden erektilen Dysfunktion zu rechnen.
Altersunabhängig leiden rund 20 Prozent der deutschen Männer (5 - 6 Mio.) unter Erektionsproblemen. Monokausale Ursachen, wie Querschnittslähmung oder psychisch bedingte Versagensängste, nehmen dabei eher einen untergeordneten Anteil ein. Meist ist eine erektile Dysfunktion eine Mischform psychischer, nervöser und humoraler Ursachen oder die Folge chirurgischer Eingriffe wie einer Prostatektomie.
Zu den begünstigenden Risikofaktoren zählen Diabetes mellitus, Hypertonie, erhöhte Blutfettwerte, koronare Herzkrankheit, Leber- oder Niereninsuffizienz und depressive Erkrankungen. Auch Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Rauchen, Stress und verschiedene Arzneimittel, darunter zahlreiche Antihypertensiva und Psychopharmaka, wirken sich negativ auf die Erektionsfähigkeit aus.
Erst die Diagnose, dann die Therapie
Unabhängig von der Ursache stellt die erektile Dysfunktion für die Betroffenen immer eine starke Belastung dar, da sie ihr Selbstwertgefühl untergräbt. Dies belastet nicht nur die Partnerschaft, sondern führt oft auch zu beruflichen und sozialen Schwierigkeiten, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden. Eine Behandlung ist daher in jedem Fall notwendig. Bevor mit ihr begonnen wird, sollte jedoch eine ausführliche Diagnose durchgeführt werden, um psychische von organischen Ursachen abzugrenzen.
Zur Diagnose verwendet man heute vor allem den so genannten Schwellkörpertest, bei dem intrakavernös eine vasoaktive Substanz appliziert wird. Liegt nach diesem Test der Verdacht auf eine arterielle oder kavernöse Dysfunktion vor, wird dann zur weiterführenden Diagnostik die Duplex-Dopplersonographie durchgeführt. Alternativ zum Schwellkörpertest wird derzeit auch über einen so genannten Viagra-Test nachgedacht.
Vakuumpumpe, SKAT, MUSE und orale Präparate
Für die Therapie der erektilen Dysfunktion gibt es mittlerweile verschiedene Möglichkeiten. In leichteren Fällen genügt es manchmal bereits, Risikofaktoren wie Rauchen oder übermäßigen Alkoholkonsum zu beseitigen oder eine aus anderen Ursachen notwendige Arzneimitteltherapie umzustellen. Ist die erektile Dysfunktion nicht allein auf organische Ursachen zurückzuführen, kann auch psychologische Beratung, Psychotherapie oder eine Paartherapie helfen. Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, stehen weitere Behandlungsmethoden zur Verfügung:
- Vakuumpumpen, mit denen sich eine erektionsähnliche Blutstauung im Penis erreichen lässt,
- Gabe vasoaktiver Substanzen wie Alprostadil als Schwellkörper-Autoinjektionstherapie, SKAT: z. B. Caverject und Viridal oder als intraurethrale Applikation: MUSE,
- oral einzunehmende Substanzen: Yohimbin, Sildenafil (Viagra).
Eine Alternative zu Sildenafil ist nun von der europäischen Behörde zur Bewertung von Arzneimitteln (EMEA) zur Therapie der erektilen Dysfunktion zugelassen worden: Apomorphinhydrochlorid.
Apomorphin - ein alter Bekannter mit neuer Indikation
Apomorphin entsteht durch Einwirkung anorganischer Säuren auf das Morphinmolekül, wobei nur wenig strukturelle Ähnlichkeit mit dem Analgetikum erhalten bleibt und auch die pharmakologischen Eigenschaften komplett verändert werden: Apomorphin wirkt im Gegensatz zu Morphin nicht narkotisch, es besitzt nur dessen emetische Wirkung. Sie kommt durch Bindung an Dopaminrezeptoren in der chemorezeptiven emetischen Triggerzone im ZNS zustande.
1896 wurde Apomorphin aufgrund dieser emetischen Eigenschaften als pharmakologisch interessante Substanz erstmals näher untersucht. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts setzte man Apomorphin als Emetikum und als Sedativum in der Psychiatrie ein. Im Jahr 1967 erkannte man den dopaminergen Wirkungsmechanismus und untersuchte die Einsatzmöglichkeiten von Apomorphin in der Parkinsontherapie. Seit dieser Zeit wurde Apomorphin als selektiver Dopaminrezeptoragonist, der das ZNS stimuliert, klassifiziert.
Im Tierversuch wurde nachgewiesen, dass Apomorphin das Zentralnervensystem stimuliert und eine Weckreaktion hervorruft, die sich durch Gähnen sowie durch eine Erektion des Penis manifestiert. Letzteres wird durch einen dopaminergen Autorezeptor-Mechanismus hervorgerufen. Hierbei erfolgt eine Aktivierung der hypothalamo-hippokampalen oxytocinergen Bahn über Stimulierung des D2-Dopaminrezeptors im Nucleus paraventricularis. Weiterführende tierexperimentelle und humanexperimentelle Studien zeigten, dass die parenterale Gabe von Apomorphin zu einer Erektionsstimulation führt. Studien zur oralen Verabreichung von unmodifiziertem Apomorphin hatten zwar geringe Auswirkung auf die Induktion von Erektionen, jedoch traten gehäuft Nebenwirkungen, insbesondere Übelkeit und Erbrechen auf.
Um die Erektionsstimulation von Apomorphin dennoch pharmakologisch nutzen zu können, wurde Apomorphin mittlerweile modifiziert und eine sublinguale Darreichungsform entwickelt. Als solche kommt Apomorphinhydrochlorid Mitte Juni diesen Jahres zur Therapie der erektilen Dysfunktion auf den Markt.
Schneller Wirkeintritt und gute Verträglichkeit
Im Rahmen der Zulassung wurden mehr als 5000 Patienten mit über 120000 Dosen Apomorphinhydrochlorid behandelt, 244 davon länger als ein Jahr. Die Studienteilnehmer waren 18 bis 70 Jahre alt. Sie stimmten gemeinsam mit ihren Partnerinnen zu, zweimal pro Woche Verkehr zu haben und dies in einem Tagebuch zu dokumentieren.
Studienendpunkte waren eine den Geschlechtsverkehr ermöglichende Erektion, eine ausreichende Erektionsstärke während der Dauer des Verkehrs, sowie die Angaben der Partnerin und die Gesamtzufriedenheit. Apomorphinhydrochlorid wurde in Form von Sublingualtabletten in Dosierungen zwischen 2 und 4 mg eingenommen. Ergebnisse: Die Zeit zwischen Tabletteneinnahme und Erektionseintritt betrug für die 2- und 3-mg-Dosis (Dosierung, in der die Substanz nun auch auf den Markt kommt) im Schnitt 18 Minuten. Die Quote der für einen Geschlechtsverkehr ausreichenden Erektion konnte mit diesen Dosierungen gegenüber Plazebo um den Faktor 2,4 bis 2,5 gesteigert werden.
Ein Gewöhnungseffekt im Sinne einer Wirkabnahme trat bei langfristiger Anwendung nicht ein. Von denjenigen Patienten, die an den Langzeitstudien teilnahmen (Patienten, bei denen der Wirkstoff in der Kurzzeitstudie effektiv war), berichteten nach sechs Monaten 90 Prozent über eine den Geschlechtsverkehr ermöglichende Erektion, nach 12 Monaten 97 Prozent und nach 18 Monaten 91 Prozent. Die Libido wurde unter Einnahme von Apomorphinhydrochlorid allerdings nicht gesteigert. Eine sexuelle Stimulation ist somit in jedem Fall Voraussetzung für das Erlangen einer Erektion. Nebenwirkungen, die von mehr als 1,5 Prozent aller Patienten unter 2 und 3 mg Apomorphinhydrochlorid berichtet wurden, waren Nausea (6,8%), Kopfschmerzen (6,7%), Schwindel (4,4%) und Müdigkeit (1,9%).
Einsatz auch bei gleichzeitiger Nitrateinnahme möglich
Apomorphinhydrochlorid wurde bei verschiedenen Komorbiditäten auf seine Sicherheit hin überprüft:
- Koronare Herzkrankheit
- Hypertonie
- Benigne Prostatahyperplasie
- Diabetes mellitus
- Alkoholgenuss und Rauchen
Die Sicherheit und Wirksamkeit von Apomorphinhydrochlorid war in den Studien bei keiner dieser Komorbiditäten beeinträchtigt. Zusätzlich wurden auch mögliche Wechselwirkungen mit lang wirksamen Nitraten überprüft: Unter 5 mg Apomorphinhydrochlorid in Verbindung mit einem Nitrat kam es zu einem maximalen Abfall des systolischen Blutdrucks beim stehenden Patienten um 19 mmHg. Unter Plazebo betrug der maximale Abfall 11 mmHg. Apomorphinhydrochlorid stellt somit vor allem für Patienten, die aufgrund einer Therapie mit Nitraten für Sildenafil kontraindiziert sind, eine Alternative dar.
Apomorphinhydrochlorid als Sublingualtablette in Dosierungen von 2 und 3 mg wird zur Therapie der erektilen Dysfunktion zunächst in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien auf den Markt kommen. In Deutschland wird die Substanz unter zwei Handelsnamen und von zwei Pharmaunternehmen zur Verfügung stehen: Ixense® (Takeda Pharma) und Uprima® (Abbott). Beide Präparate sollen Mitte Juni diesen Jahres eingeführt werden. Sie unterliegen wie Sildenafil der Verschreibungspflicht und sind nicht erstattungsfähig. Die Preise für die Sublingualtabletten stehen noch nicht fest. Sie sollen laut Herstellerangaben jedoch vergleichbar mit dem Preis für Sildenafil sein.
Kastentext: Wirkmechanismen gegen Erektionsstörungen
Zur Therapie von erektiler Dysfunktion stehen mittlerweile verschiedene Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung:
- Alprostadil: intrakavernös oder intraurethral verabreicht, bewirkt Alprostadil (Prostaglandin E1) als vasoaktive Substanz eine Steigerung der Durchblutung der Penisarterien. Gleichzeitig relaxiert die glatte Muskulatur der Schwellkörper. Der Querschnitt der Penisarterien nimmt dadurch zu und es kommt zu einem schnellen Bluteinstrom in die Schwellkörper. Die "Auffüllung" der Schwellkörper führt in der Folge zu einer zunehmenden Abflussblockade der Venen und schließlich, bei vollständigem Venenverschluss, zur Erektion.
- Sildenafil: Die Substanz hemmt selektiv die Phosphodiesterase vom Typ 5 (PDE-5) im Corpus cavernosum des Penis und greift so in den Erektionsmechanismus ein. PDE-5 katalysiert den Abbau von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP), das als Second messenger die gefäßdilatierende Wirkung von Stickstoffmonoxid (NO) vermittelt. Durch die Blockade von PDE-5 verstärkt Sildenafil indirekt die gefäßerweiternde Wirkung und stellt eine für die Erektion ausreichende Durchblutung sicher.
- Apomorphinhydrochlorid: Die Substanz wirkt als Agonist an D2-Dopaminrezeptoren im ZNS, insbesondere in der hypothalamischen Region, von der bekannt ist, dass sie an der Auslösung einer Erektion beteiligt ist. Die erektogene Wirkung erfolgt durch dopaminerge Signalübertragung über oxytocinerge Bahnen. Diese Signale führen zu lokaler Wirkung von Stickstoffmonoxid, zur Umwandlung von GTP zu cGMP und dementsprechend zur Relaxation der glatten Muskulatur im Corpus cavernosum, die eine Blutfüllung der Schwellkörper bedingt und damit eine Erektion auslöst.
Kastentext: Steckbrief Apomorphinhydrochlorid
Apomorphinhydrochlorid wurde am 28. Mai 2001 von der EMEA zur Behandlung der erektilen Dysfunktion zugelassen. Das Arzneimittel wurde gemeinsam von Abbott und Takeda Pharma für diese Indikation entwickelt, wird von den beiden Firmen nun jedoch getrennt vermarktet, wobei sich der Unterschied der beiden Präparate auf Handelsnamen, Verpackung und Aufdruck auf den Tabletten beschränkt.
Applikationsform: Sublingualtablette
Dosierung: 2- und 3-mg-Dosierungen stehen zur Verfügung. Empfohlen wird, mit der 2-mg-Dosis zu beginnen und, falls erforderlich, auf 3 mg zu erhöhen. Drei Anwendungen pro Tag sind möglich. Das Intervall zwischen den Applikationen sollte mindestens acht Stunden betragen.
Handelsnamen: Ixense® (Takeda Pharma), Uprima® (Abbott)
Kontraindikationen: Bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile der Tablette. Patienten, bei denen eine Erkrankung vorliegt, die eine sexuelle Aktivität nicht ratsam erscheinen lassen. Es besteht jedoch keine Kontraindikation bei Nitrat-Therapie oder Therapie mit Antihypertensiva.
Nebenwirkungen: Übelkeit, vermehrtes Gähnen, Kopfschmerzen, Schwindel, selten Somnolenz und Hitzewallungen.
Preis: Es gibt noch keine definitiven Aussagen über den Verkaufspreis von Ixense und Uprima. Beide Präparate sollen aber nach Angaben der Herstellerfirmen in einem vergleichbaren Preisrahmen wie Viagra liegen.
Wechselwirkungen: Apomorphinhydrochlorid sollte nicht in Kombination mit anderen zentral wirksamen Dopaminagonisten oder -antagonisten verabreicht werden. Die Substanz wird nicht über Cytochrom P 450 abgebaut. Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, die Cytochrom P450 Isoenzyme hemmen oder induzieren, sind somit nicht zu erwarten.
Wirkeintritt: 10 Minuten nach der sublingualen Applikation kann Apomorphinhydrochlorid im Plasma nachgewiesen werden. Die Erektion tritt innerhalb von 16 bis 21 Minuten ein. Wirkungsweise: Apomorphinhydrochlorid wirkt als Agonist an zentralen Dopaminrezeptoren im Nucleus paraventricularis sowie in der Area praeoptica medialis. Über diese Stimulierung wird eine Erektion ausgelöst. Die Substanz steigert allerdings nicht die Libido, eine sexuelle Stimulation ist somit Voraussetzung für eine Erektion.
Quelle: Prof. Dr. Jens E. Altwein, München; Dr. Wilhelm Dierkopf, Starnberg; Dr. Herbert Sperling, Essen; Einführungs-Fachpressekonferenz "Erektile Dysfunktion: Ixense, die Alternative", Rottach-Egern, 17. Mai 2001, veranstaltet von Takeda Pharma, Aachen; Presseunterlagen zur Uprima-Pressekonferenz, Frankfurt/Main, 30. Mai 2001, veranstaltet von der Abbott GmbH, Wiesbaden.
Erektionsprobleme galten lange Zeit als Tabuthema. Die Therapiemöglichkeiten waren begrenzt und zudem für viele Männer inakzeptabel. Mit der Einführung von Sildenafil Ende 1998 hat sich die Situation der Betroffenen bereits deutlich verbessert. Allerdings kann das Präparat nicht bei allen eingesetzt werden – Herz-Kreislauf-Patienten, die Nitrate einnehmen, sind außen vor. Für sie gibt es nun möglicherweise eine Alternative: Das bislang als Brechmittel und Parkinsontherapeutikum bekannte Apomorphin hat von der europäischen Behörde zur Bewertung von Arzneimitteln (EMEA) am 28. Mai die Zulassung zur Behandlung der erektilen Dysfunktion erhalten und soll Mitte Juni in Deutschland auf den Markt kommen.
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