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Niedergelassene Ärzte: "Kassen-Politik ist infam"
Ab dem 1. Juli 2001 ist die von gesetzlichen Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) verabschiedete Bundesempfehlung zur Steuerung der Arznei- und Verbandmittelversorgung für dieses Jahr gültig. Sie muss auf der Landesebene für die jeweiligen Regionen umgesetzt werden (AZ Nr. 25 vom 18.6., DAZ Nr. 25 vom 21.6.).
Die Kassen erweckten auf Bundesebene den Eindruck, als seien die Arzneimittelkosten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus dem Ruder gelaufen. Dies relativierte Dr. Leonhard Hansen von der KBV unter Verweis auf den zuletzt sechsprozentigen Anstieg der Arzneiausgaben im Mai dieses Jahres. Auch wenn das auf einem hohen Vorjahresniveau aufsattele, sei die Abflachung der Ausgaben sichtbar. Im Januar und Februar 2001 habe es reine Nachholeffekte wegen der Budgetierung der Verordnungen gegeben, im Februar habe zudem der zusätzliche Arbeitstag im Schaltjahr entsprechende Verschreibungsmengen nach sich gezogen.
"Reine Unterstellung"
Die Ausführungen von Kassenvertretern, die Ärzte hätten wegen der angekündigten Ablösung der Arzneimittelbudgets "alle Zügel schleifen lassen", sei eine Unterstellung, kritisierte Hansen, der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein ist, am 29. Juni vor Journalisten in Köln. Es gebe keinen Beleg dafür, dass Mediziner unbegründet verordneten, sagte Hansen, der zugleich in der Bundes-KV für die Arzneimittelpolitik zuständig ist. Allerdings trauten sich die Ärzte zum Teil wieder, die Medikamente zu verschreiben, die zwar wirksam, aber sehr teuer seien und deren Verschreibung sie unter "brutalen Budgetbedingungen" heruntergefahren hätten.
Die Verordnungen so genannter umstrittener Arzneimittel dagegen stiegen nicht sehr an. Offenkundig wollten die Spitzenverbände der Kassen aber die alte Budgetierung erzwingen und setzten nun darauf, dass die Bundesempfehlung und ihre Umsetzung in den Ländern scheitere, was Hansen scharf als "infam" geißelte. Die Kassen sollten stattdessen ihre Verantwortung wahrnehmen, lautete der Appell. Hansen sieht das als Chance für Ärzte und Kassen, die Arzneipolitik zu steuern und will die durch Nichtstun drohende "Bankrotterklärung der Selbstverwaltung" vermeiden.
Wirtschaftlich verordnen
Der Arzt, der an der Spitze der bundesweit zweitgrößten KV (mit 16 500 Ärzten und Psychotherapeuten) steht, stellte die mit den Landesverbänden der Kassen abgeschlossene Vereinbarung für Nordrhein vor. Sie greife dem Arzneimittelbudget-Abschaffungsgesetz (ABAG) vor. Positiv sei, dass kein Arzt bei wirtschaftlicher Verordnung Regresse befürchten müsse. Es sei aber ratsam, etwa bei Generika und so genannten Me-too-Präparaten zu sparen, um Luft für Innovationen zu bekommen. Gerade bei Neueinführungen und Spezialpräparaten spiele die Musik, hob er hervor.
Wo gespart wird
Gespart werden soll im zweiten Halbjahr 2001 bei Generika, nicht generikafähigen "Me-too-Präparaten", bei so genannten umstrittenen Medikamenten sowie durch Importarzneimittel. So soll zum Beispiel der Umsatzanteil an Nachahmerpräparaten am generikafähigen Markt von 67,65 Prozent (zweites Halbjahr 2000) auf 70 Prozent gesteigert werden, was dann einem Verordnungsanteil von 75 Prozent entspreche.
Keine große Luft sah Hansen bei den Importen, wo es seinen Worten zufolge immer schon den Austausch durch die Apotheker gegeben habe. Gleichwohl könnte man hier den Umsatzanteil reimportierter Medikamente (am reimportfähigen Markt) noch leicht von 20,05 Prozent (zweites Halbjahr 2000) auf 20,5 Prozent erhöhen. Hier werde die verstärkte Einbeziehung der Apotheken geprüft.
Ebenfalls nur moderat könnten die Ärzte den Umsatzanteil nicht generikafähiger Arzneimittel von 15 Prozent (zweites Halbjahr 2000) auf 14,7 Prozent senken. Etwas stärker könne bei den so genannten umstrittenen Arzneimitteln gespart werden, wo der Umsatzanteil auf 9 Prozent (von 9,8 Prozent im zweiten Halbjahr 2000) reduziert werden könne.
Die Einsparungen sollen vor allem durch Information der Ärzte in deren Publikationen, aber auch durch Information der Versicherten in den Patientenzeitschriften der Krankenkassen bekannt gemacht werden. Die KV will zum Beispiel mit Beratungsprogrammen einzelner Krankenkassen, etwa dem der Bundesknappschaft, die Ärzte zur Arzneiauswahl beraten. Bei Überschreitung der Ausgabenvolumina werde es künftig verursacherbezogen individuelle Regresse für die Ärzte geben, die unbegründet verschrieben hätten. Wer seine Verordnungen begründen oder Praxisbesonderheiten wie die Behandlung sehr teurer Erkrankungen anführen könne, sei davon außen vor.
Datenlieferung nötig
Nötig sei allerdings, dass die Kassen tatsächlich valide Daten über das Gemeinsame Arzneimittel-Schnellinformationssystem (GAmSi) im Herbst lieferten. Diese Forderung erhob in Köln Dr. Werner Baumgärtner von der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg mit Nachdruck. Baumgärtner, neben Hansen für die Arzneimittelpolitik in der KBV zuständig, verwies im übrigen darauf, dass die AOK Baden-Württemberg ihre angekündigte Beitragssatzerhöhung nicht mit den Arzneimittelausgaben begründet habe. Bei den Generika sah Baumgärtner in seiner Region noch Steigerungsmöglichkeiten, insgesamt sei die Arzneimittelversorgung allerdings auf recht niedrigem Niveau, es gebe nicht mehr viel herauszupressen.
Die Brisanz von Bonusvereinbarungen, bei denen Mediziner von der Senkung der Arzneimittelkosten profitieren, wird in der Ärzteschaft selbst gesehen. Keinesfalls dürften solche Boni die individuelle Arzt-Patienten-Beziehung belasten, vertritt Dr. Leonhard Hansen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Organisation der 110 000 niedergelassenen Ärzte.
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