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Novellierung des Europäischen Arzneimittelrechts: Arzneimittelzulassung in der

BERLIN (ks). Erleichterungen im EU-Zulassungssystem für Arzneimittel und Lockerungen im Heilmittelwerberecht sind Schwerpunkte der geplanten Novellierung des europäischen Arzneimittelrechts. Dr. Hermann Kortland, Leiter des Referats für Wirtschaft und Internationales beim Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), hat vergangene Woche in Berlin im Rahmen eines Presseseminars den Stand der Entwicklung aufgezeigt.

In der EU beschäftigt man sich bereits seit einiger Zeit mit der Neugestaltung des europäischen Arzneimittelrechts. Nach vielen Diskussionen hat die Europäische Kommission verschiedene Änderungsvorschläge erarbeitet und Anfang Juni dieses Jahres erste konkrete Texte für eine Novellierung vorgelegt.

Die Kommissionsvorschläge wurden an den pharmazeutischen Ausschuss der Europäischen Union zur Bearbeitung weitergeleitet. Dieser Ausschuss hat am 5. Juli dieses Jahres einer Vielzahl der Vorschläge zugestimmt. Nach der nun erfolgten Billigung durch den pharmazeutischen Ausschuss wird die Kommission am 18. Juli 2001 die konkreten Textvorschläge vorlegen. Da bislang die unterschiedlichen Richtlinien und Verordnungen der EU stets mehr oder weniger mühsam zusammengesucht werden mussten, sollen die Neuerungen für die Zukunft kodifiziert und zu einem Fließtext verarbeitet werden. Voraussichtlich wird es noch etwa zwei Jahre dauern, bis dieses Verfahren zu einem Abschluss gelangt ist.

Das zentrale Verfahren im europäischen Zulassungssystem

Entscheidende Änderungen sind insbesondere im Zulassungsverfahren zu erwarten. Bereits seit 1995 existiert das europäische Zulassungssystem für Arzneimittel. Es besteht bekanntlich aus zwei Verfahren: dem zentralen und dem dezentralen System. Im Rahmen des zentralen Verfahrens erteilt die in London ansässige Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products, EMEA) – formaljuristisch allerdings die Europäische Kommission – die Zulassung für ein Arzneimittel für alle 15 Mitgliedstaaten der Union sowie Norwegen und Island, die dem Arzneimittelsystem der EU am 1. Januar 2000 offiziell beigetreten sind. Das zentral zugelassene Arzneimittel ist dann in allen diesen Ländern verkehrsfähig und kann dort auf den Markt gebracht werden.

Bislang ist das zentrale Verfahren für biotechnologische Produkte verpflichtend, für andere hochwertige und innovative Arzneimittel fakultativ und für rezeptfreie Arzneimittel sowie solche mit bekannten Substanzen verschlossen. Das zentrale Verfahren hat sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen. Bis zum Mai diesen Jahres wurden 178 Zulassungen für 136 Substanzen erteilt.

Da die Zulassungsanträge innerhalb einer gesetzlichen Frist von sieben Monaten zu bearbeiten sind, handelt es sich um ein recht zügiges Verfahren. Dies kommt den Arzneimittel-Herstellern entgegen: es ermöglicht ihnen, das zugelassene Arzneimittel rasch in der gesamten EU sowie Island und Norwegen zu vermarkten.

Öffnung des zentralen Verfahrens

Nun wird eine Öffnung des zentralen Verfahrens auch für andere Produkte von der Kommission vorgeschlagen und vom pharmazeutischen Ausschuss akzeptiert. Künftig sollen alle innovativen Arzneimittel das zentrale Verfahren beschreiten. Zudem soll es auch für solche Medikamente gelten, die eine signifikante therapeutische, wissenschaftliche oder technische Innovation darstellen oder deren europaweite Zulassung einem gesundheitspolitischen Interesse entspricht. Dies kommt insbesondere bekannten Arzneimitteln zugute, die in der EU bislang lediglich über das gegenseitige Anerkennungsverfahren Zulassungen bekommen können.

Dieses dezentrale Verfahren hat den Nachteil, dass der Status des Arzneimittels – rezeptfrei oder verschreibungspflichtig – nicht einheitlich geregelt wird. Dies bemängelt die Pharmaindustrie schon seit geraumer Zeit, da sich so kein einheitliches Marketingkonzept für den europäischen Markt entwickeln lasse. So kommt die Öffnung des zentralen Verfahrens nach Ansicht des BAH insbesondere für solche Arzneimittel in Betracht, die in einigen Mitgliedstaaten rezeptfrei erhältlich sind, in anderen jedoch der Rezeptpflicht unterliegen, z. B. Raucher- und andere Entwöhnungsmittel, Magenmittel bei Sodbrennen, H2-Blocker oder so genannte Lifestyle Arzneimittel wie Potenzmittel, Appetitzügler und Produkte zur Behandlung von Haarausfall.

Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung

Das dezentrale Verfahren beruht auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Zulassungsentscheidungen. Es bietet den Arzneimittel-Herstellern die Möglichkeit, die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat erteilten nationalen Zulassung auch für die weiteren 14 Mitgliedstaaten (die so genannten Concerned Member States, CMS) sowie Island und Norwegen zu beantragen. Innerhalb von 90 Tagen können die entsprechenden Staaten für ihr Hoheitsgebiet die nationale Zulassung erteilen. Die Anerkennung kann nur bei Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Gesundheit versagt werden. Kommt es zu einer solchen Versagung, folgt ein Schiedsverfahren, in dem ein Fachausschuss eine verbindliche Entscheidung trifft. Nach einer entsprechenden Ratifizierung durch die Europäische Kommission muss diese Schiedsentscheidung von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

Bis Mai 2001 sind insgesamt 1045 Verfahren der gegenseitigen Anerkennung abgeschlossen worden. Hierbei kam es erst zu neun Schiedsverfahren. Dennoch ist das dezentrale Verfahren nicht unproblematisch. Beispielweise funktioniere es für bestimmte Arzneimittelkategorien nicht, sagte Kortland. Von den abgeschlossenen Verfahren betrafen lediglich 30 Verfahren rezeptfreie und nur sechs Verfahren pflanzliche Arzneimittel. Eine solch geringe Inanspruchnahme des Anerkennungsverfahrens werde der praktischen Bedeutung dieser Mittel nicht gerecht.

Höhere Hürden für Widersprüche

Der pharmazeutische Ausschuss stimmte dem Vorschlag der Kommission zu, das Anerkennungs- und Schiedsverfahren straffer und flexibler zu gestalten. Die Mitgliedstaaten sollen die Anerkennung zukünftig nur noch bei schwerwiegenden Gesundheitsrisiken versagen dürfen (Sicherheitsklausel). Zudem müssen sie die Ablehnung detailliert begründen. Diese Ablehnungsgründe werden dann in einer institutionalisierten Management-Gruppe auf ihre wissenschaftliche Stichhaltigkeit geprüft. Dies erhöht den Druck der Mitgliedstaaten, die Zulassungen regelmäßig anzuerkennen. Nach Ansicht der Kommission werde das Anerkennungsverfahren bislang zu häufig wegen Banalitäten blockiert.

Als großen Schritt zum Binnenmarkt für Arzneimittel bewertet Kortland den Vorschlag der Kommission, dass diejenigen CMS, die die Ausgangszulassung bereits anerkannt haben, nationale Zulassungen erteilen können, ohne den Ausgang des Schiedsverfahrens vor der Europäischen Zulassungsbehörde abwarten zu müssen. Auch diese Neuerung billigte der pharmazeutische Ausschuss. Bislang konnte der Widerspruch eines Mitgliedstaates das gesamte Zulassungsverfahren erheblich verzögern, da jedes Land zunächst den Schiedsspruch abwarten musste.

Nicht zugestimmt hat der pharmazeutische Ausschuss allerdings dem Vorschlag der Kommission, die Frist für Entscheidungen der Zulassungsbehörden von derzeit 210 auf künftig 150 Tage zu verkürzen. Dafür billigte er die Empfehlung, dass Zulassungen unbegrenzt gültig sein sollen. Bislang muss eine erteilte Zulassung nach fünf Jahren verlängert werden. Auch künftig soll eine Zulassung jedoch verfallen können, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren von der Zulassung Gebrauch gemacht wird. Das bedeutet, dass das Arzneimittel nicht bloß als "Karteileiche" vorhanden sein darf, sondern tatsächlich auf dem Markt sein muss.

Auch die Harmonisierung des Abgabestatus von Arzneimitteln im Anerkennungsverfahren wurde im Ausschuss beschlossen. Auch dies freut die Hersteller: so wird es immer seltener vorkommen, dass das gleiche Arzneimittel in einem Mitgliedstaat rezeptpflichtig ist, in einem anderen jedoch freiverkäuflich.

Liberalisierung des Heilmittelwerberechts

Nach der EG-Werbrechtlinie für Arzneimittel, die zum 1. Januar 1993 von den Mitgliedstaaten umgesetzt worden ist, darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur in Fachkreisen geworben werden. Für rezeptfreie Arzneimittel darf grundsätzlich auch Publikumswerbung betrieben werden. Eine Ausnahme bilden solche rezeptfreien Arzneimittel, die zur Behandlung ernsthafter, in einer so genannten Krankheitsliste definierten Krankheiten dienen. So darf beispielweise für Mittel zur Behandlung von Tuberkulose, Geschlechts- und Infektionskrankheiten, chronische Schlaflosigkeit, Diabetes und sonstige Stoffwechselkrankheiten keine Öffentlichkeitswerbung betrieben werden. Das deutsche Heilmittelwerbegesetz (HWG) hat diese Krankheitsliste noch restriktiver gestaltet als die entsprechende EG-Richtlinie. Die pharmazeutische Industrie vermag diese Werbeeinschränkungen nicht nachzuvollziehen.

Kortland machte dies am Beispiel der Stoffwechselkrankheiten deutlich: als Stoffwechselkrankheit im Sinne des HWG werde u. a. der erhöhte Cholesterinspiegel beurteilt. Bei diesem handle es sich jedoch "nur" um einen Risikofaktor, eine Ursache der Arteriosklerose oder anderer Herz-Kreislauferkrankungen ohne eigenen Krankheitswert, der sich mittlerweile im Rahmen der Selbstmedikation behandeln lässt. Für Lebensmittel könne man überdies in der Werbung Angaben zum Cholesterinspiegel machen – soweit die Vorschriften zur erlaubten gesundheitsbezogenen Werbung eingehalten werden. In der Arzneimittelwerbung setze man sich jedoch schon bei bloßer Erwähnung des Zusammenhangs dem Risiko eines Wettbewerbsverfahrens aus. Auch wegen der Werbeverbote bei Mitteln gegen Herz- und Gefäßerkrankungen oder solchen gegen Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane kommt es immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Der BAH hat daher gefordert, die Krankheitsliste zu streichen. Die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die große Anzahl verfügbarer Arzneimittel und die gestiegene Kenntnis der Verbraucher über die richtige Verwendung von Medikamenten sowie das generell erhöhte Gesundheitsbewusstsein machten die Liste überflüssig. Die Kommission hat dies in ihren Änderungsvorschlägen ebenso gesehen. Nun hat auch der pharmazeutische Ausschuss grünes Licht für die Abschaffung der Liste gegeben. Für alle rezeptfreien Arzneimittel soll nunmehr Öffentlichkeitswerbung zulässig sein.

Informationsmöglichkeiten über rezeptfreie Arzneimittel

Die Vorschläge der Kommission im Hinblick auf Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel gingen weniger weit: hier hat man sich darauf beschränkt, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, auf entsprechende Anforderung von Patienten oder Ärzten die Versendung von Informationen über Arzneimittel für HIV-Infektionen, Asthma und Diabetes zu erlauben. Auch dieser Vorschlag wurde vom pharmazeutischen Ausschuss der EU akzeptiert. Die Auswahl der drei Krankheitsbilder erscheint auf den ersten Blick etwas willkürlich. Sie ist jedoch das Ergebnis einer entsprechenden Lobbyarbeit der Patientengruppen erläuterte Kortland.

Zulassung des Mitvertriebes

Auch der Mitvertrieb, d. h. die gleichzeitige Vermarktung eines Arzneimittels durch den Zulassungsinhaber sowie zusätzlich durch einen oder mehrere andere Unternehmer, soll zukünftig erlaubt sein. Bislang hielt die Kommission dies für gemeinschaftswidrig; nach ihrer Ansicht mussten Zulassungsinhaber und pharmazeutischer Unternehmer identisch sein. Gerade in Deutschland wurden jedoch eine Reihe von Arzneimitteln im Wege des Mitvertriebes in den Verkehr gebracht. Daher intervenierte der BAH mehrfach bei der Kommission – letztlich erfolgreich. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Mitvertrieb zu erlauben, hat nun auch der pharmazeutische Ausschuss gebilligt.

Insgesamt zeigte sich Kortland erfreut über die europäischen Entwicklungen im Arzneimittelrecht. Einige Vorschläge werden sicherlich noch modifiziert oder ergänzt werden, bis es zu einem endgültigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens kommt. Die Bestrebungen nach einer Liberalisierung sind jedoch deutlich und so besteht für Kortland Hoffnung, dass auch in der Bundesrepublik bestehende politische Spielräume für eine flexiblere gesetzliche Gestaltung genutzt werden.

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