Berichte

Kanzerostatika: Vom Colchicin zu Angiogenesehemmern

Prof. Dr. Erwin von Angerer, Institut für Pharmazie der Universität Regensburg, trug Ende Juni 2001 im Rahmen des Pharmazeutischen Kolloquiums der Universität Greifswald zum Thema "Tubulin und Mikrotubuli als Targets für neue Krebstherapeutika" vor.

Tubulin als Target

Das Haupttarget bei der Wirkstoffsuche zur Therapie maligner Tumorerkrankungen stellt immer noch die DNA dar. Andere Angriffsorte, wie zum Beispiel das Tubulin, spielen laut Angerer eine eher untergeordnete Rolle, obwohl die Vinca-Alkaloide bereits vor nunmehr 30 Jahren Eingang in den Arzneischatz gefunden haben.

Das globuläre Protein Tubulin ist ein aus zwei Untereinheiten gebildetes Heterodimer und bildet die Grundeinheit der Mikrotubuli, die in vielen Bereichen der Zelle eine wichtige Rolle spielen. Als Bestandteil des Zytoskeletts beeinflussen sie die Zellform, als Komponenten von Zilien und Geißeln haben sie eine zentrale Aufgabe bei der Bewegung von Zellen, sie sind als Transportbahnen am intrazellulären Transport beteiligt und bilden die Hauptkomponente des Spindelapparates bei der Zellteilung.

Wirkstoffe aus der Natur

Das Alkaloid Colchicin aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) bindet sehr fest an Tubulin und verhindert dadurch dessen Polymerisation. Es stört folglich alle Zellvorgänge, die von funktionsfähigen Mikrotubuli abhängen.

Die Vinca-Alkaloide Vinblastin und Vincristin werden aus den Blättern von Vinca rosea (Catharanthus roseus) gewonnen. Obwohl sie schon sehr lange in der Chemotherapie eingesetzt werden, ist der genaue Wirkungsmechanismus noch nicht aufgeklärt. Sie hemmen die Polymerisation der Mikrotubuli, doch ist die Bindungsstelle am Tubulin noch unbekannt.

Auch Naturstoffe aus Nacktschnecken werden eingesetzt. Das Pseudopeptid Dolastatin weist eine erhebliche kanzerostatische Wirkung gegenüber Leukämiezellen auf. Da für die Isolierung von 1mg Dolastatin ca. 100 kg Material der Meeresschnecke Dolabella auricularia benötigt werden, wird an der Vollsynthese von Analoga gearbeitet.

Zu der Gruppe der Taxane gehört das Paclitaxel, das reversibel an Tubulin bzw. die Mikrotubuli bindet. Es stabilisiert die Mikrotubuli, die nachfolgend nicht weiter dem dynamischen Auf- und Abbau zur Verfügung stehen, und zerstört somit die Zelle. Da Taxane als Substrate für die Multi-drug-resistence-Glykoproteine fungieren, wird nach weiteren Wirkstoffen gesucht.

Epothilon wurde aus dem Myxobakterium Sorangium cellulosum isoliert, hat den gleichen Wirkungsmechanismus wie Paclitaxel, ist jedoch stärker wirksam, besonders gegen Paclitaxel-resistente Tumorzellen. Leider hat die vertreibende Firma das angestrebte weltweite Patent nicht erhalten, sodass zu befürchten ist, dass weiterführende Forschungen eingestellt werden.

Kanzerostatische Formylindole

In der Arbeitsgruppe des Referenten wurden u. a. Dihydroindolisochinoline als Östrogenrezeptor-Liganden untersucht. Auf der Suche nach dem Wirkmechanismus, der nicht allein Östrogenrezeptor-vermittelt zustande kam, wurde die Beeinflussung der Tubulinpolymerisation entdeckt. Optimierungen der Dihydroindolisochinoline führten zu den aktuell untersuchten Formylindolen. Diese liefern die gewünschte Interaktion mit Tubulin und induzieren gleichzeitig die Apoptose von Krebszellen.

Am Tubulin angreifende Pharmaka könnten einen wichtigen Beitrag zum vascular targeting liefern, mit dem die Tumorangiogenese unterbunden werden soll. Es sind niederdosierte Zytostatika mit einem Colchicinderivat. Diesem Ansatz misst der Referent höhere Chancen bei als experimentell verwendeten Antikörpern, die mit Gerinnungsfaktoren verknüpft wurden, um einen "Infarkt im Tumorgewebe" auszulösen.

Insgesamt vermochte der Referent, ausgehend von der chemischen Struktur des altbekannten Colchicins über eigene Untersuchungen bei der weiteren Optimierung Tubulin-beeinflussender Wirkstoffe bis hin zur aktuellen Forschung auf dem Gebiet des vascular targeting, einen beeindruckenden Überblick zu geben.

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