Berichte

EMBO-Konferenz: Reversible Phosphorylierung und Proteinphosphatasen

Vom 8. bis zum 12. Juli fand in Marburg die internationale Tagung "Protein Phosphorylation and Protein Phosphatases" unter der Schirmherrschaft der Europäischen Gesellschaft für Molekularbiologie (EMBO) statt. Die Konferenz wechselt jährlich zwischen Amerika und Europa, wobei jeweils ein auf dem Fachgebiet besonders anerkannter Wissenschaftler eingeladen wird, sie in seinem Land auszurichten. Diese Ehre wurde zuletzt Frau Professor Susanne Klumpp von der Abteilung Biochemie des Fachbereiches Pharmazie der Universität Marburg zuteil, die damit diese Konferenz erstmalig nach Deutschland holte.

Aufgrund der Komplexität der heutigen wissenschaftlichen Fragestellungen und der nicht unerheblichen Forschungskosten arbeiten mehr und mehr Wissenschaftler aus aller Welt gemeinsam an der Lösung aktueller Probleme. Gerade hierfür bieten Tagungen nicht nur ein unersetzliches Forum zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Diskussion über neue Theorien und Erkenntnisse, sondern sie sind auch eine ideale Gelegenheit zum persönlichen Treffen und Kennenlernen in ungezwungener Atmosphäre. Die Bedeutung solcher Konferenzen gerade auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs wurde von Professor Horst F. Kern, dem Präsidenten der Universität Marburg, in seiner Eröffnungsrede betont.

Regulation zellulärer Prozesse

Gemeinsames Interesse der teilnehmenden Wissenschaftler und Gegenstand zahlreicher lebhafter Diskussionen war die Regulation der zellulären Funktionen durch reversible Phosphorylierungen. Dahinter - und hinter dem abstrakten Titel der Konferenz - versteckt sich eine ungeheure Bedeutung für das Leben und die Beeinträchtigung desselben durch Krankheiten. Tatsächlich geht es um die Grundlagen einer der bedeutendsten zellulären Kontrollmechanismen überhaupt.

Es ist einleuchtend, dass bei der ungeheuren Anzahl von Reaktionen, die nebeneinander in einer Zelle ablaufen, eine strikte Regulation notwendig ist, damit die Zelle nicht im Chaos versinkt. Eine Regulation der intrazellulären Prozesse ist nur der erste Schritt; will ein Organismus als Verbund aus Abermilliarden von Zellen überleben, so ist auch eine intensive Kommunikation zwischen den Zellen erforderlich.

Phosphat-Gruppen als Schalter

Eines der wichtigsten Werkzeuge, die die Zelle dafür verwendet, ist die "reversible Phosphorylierung" von Proteinen, für deren Entdeckung in den 50er-Jahren Edmond Fischer und Edwin Krebs 1992 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Enzyme wechseln zwischen aktiven und inaktiven Formen durch Hinzufügen oder Entfernen von kovalent gebundenen Phosphat-Gruppen an einzelnen ihrer Aminosäuren. Anhand der aus der Röntgenstrukturanalyse oder NMR-Spektroskopie gewonnenen Daten versteht man mittlerweile recht gut, wie die Phosphat-Gruppen ihre Funktion als Ein/Aus-Schalter der enzymatischen Aktivität wahrnehmen können. In der Regel sind es sterische und vor allem elektrostatische Effekte der negativ geladenen Phosphat-Gruppen, die zu einer Konformationsänderung der Proteine führen und damit die Struktur des katalytischen Zentrums entscheidend verändern.

Damit diese Konformationsänderungen auch tatsächlich als Schalter wirken können - zumindest als Schalter, den man mehrmals an- und wieder ausschalten kann - muss die Bindung der Phosphat-Gruppen ebenso wie ihre Abspaltung reversibel sein. Wie an fast allen wichtigen Kontrollpunkten der Zelle sind für diese beiden entgegengesetzten Reaktionen verschiedene Enzyme, in diesem Fall sogar verschiedene Enzymklassen beteiligt. Kinasen binden das gamma-Phosphat von ATP oder GTP an das Protein (Phosphorylierung), während ihre Gegenspieler, die Phosphatasen, diese Phosphat-Gruppen durch Hydrolyse wieder entfernen. Die Bedeutung dieser Art von Regulation lässt sich daran ermessen, dass etwa die Hälfte aller in der Zelle vorkommenden Proteine eine oder sogar mehrere Phosphat-Gruppen tragen.

Phosphatasen und ihre Hilfsproteine

Die überwiegende Anzahl der Beiträge zur Tagung beschäftigten sich mit den Phosphatasen. Nach den bisher vorliegenden Daten des menschlichen Genom-Projektes rechnet man mit insgesamt etwa 100 bis 200 verschiedenen Phosphatasen im menschlichen Organismus. Bedenkt man die ungeheure Zahl an chemischen Reaktionen, die durch sie reguliert werden, so ist dies zunächst überraschend wenig. Doch die Natur hat dieses Problem durch einen modularen Aufbau gelöst, indem sie die Phosphatasen wie bei einem Baukasten durch weitere Proteine ergänzt.

Bestandteile dieses Baukastens sind beispielsweise Adapterproteine, die die Phosphatasen an bestimmte Orte der Zelle dirigieren, sowie Inhibitor- und Aktivatorproteine. Meist finden sich diese Bauelemente nicht nur in Form eigener Proteine, sondern zusätzlich in der Phosphatase selber in Form von Untereinheiten ("targeting subunits", "regulatory subunits"). Und wie in jedem guten Baukasten gibt es neben den vielen kleinen Bausteinen auch große Stützelemente ("scaffolding proteins"), auf denen die weiteren Bausteine angesetzt werden können und an denen sich ganze Signalkomplexe nicht nur aus Phosphatasen und ihren Hilfsproteinen, sondern auch aus Kinasen und anderen Proteinen bilden. Einen guten Überblick hierzu gab Prof. John Scott aus Portland.

Noch sind die Wissenschaftler weit davon entfernt, alle Teile dieses hochkomplexen Puzzles beisammen zu haben. Als hilfreich bei der Suche nach neuen Puzzleteilen erweisen sich vor allem die Daten der verschiedenen Genom-Projekte, in denen die gesamten Erbinformationen einzelner Organismen bestimmt werden (Stichwort "Genomics"). Mit Hilfe der Bioinformatik wird nach den Genen von Proteinen gesucht, die eine mehr oder weniger große Ähnlichkeit zu den bereits bekannten Puzzleteilen haben. Weiter erleichtert wird dieses Vorgehen durch ein immer besseres Verständnis davon, welche Sequenzmotive für die Interaktion der verschiedenen Proteine verantwortlich sind. Im Rahmen der Tagung wurden einige neue Teile des Puzzles vorgestellt, die mit diesen Ansätzen identifiziert wurden.

Besonderes Interesse fand der Beitrag von Prof. Susanne Klumpp. Im Gegensatz zu Bakterien, in denen viele Phosphorylierungen an der Aminosäure Histidin stattfinden und deren dafür verantwortlichen Enzyme gut charakterisiert sind, konnten die entsprechenden Enzyme im Säuger bisher nicht identifiziert werden. Klumpp isolierte als erste eine Histidin-Phosphatase aus einem Säuger und hat damit den Forschern auf diesem Gebiet möglicherweise anstelle eines neuen Puzzleteils gleich ein ganzes neues Puzzle geliefert. Über die physiologische Bedeutung können bisher noch keine konkreten Aussagen gemacht werden, erste Hinweise zeigen jedoch, dass das Enzym in allen Zellen des Körpers vorkommt. Untersuchungen an dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans deuten auf eine besondere Rolle im Nervensystem hin.

Phosphatasen, Apoptose und Krebs

Einen großen Raum in den Diskussionen nahm die Rolle der Phosphatasen bei der Regulation der Zellteilung und des programmierten Zelltods (Apoptose) ein. Ständig sterben viele Zellen des Körpers ab, die in einem gesunden Organismus zeitgleich durch neue Zellen ersetzt werden, sodass sich seine Funktion und sein Gesamtbild nicht oder nicht wesentlich ändern. Kommt es dabei zu Fehlregulationen, so kann Krebs die Folge sein - die unkontrollierte Vermehrung von Zellen. Ein hochkomplexes Netzwerk aus Kinasen und Phosphatasen ist dafür zuständig, genau dies zu verhindern.

Einen der zentralen Knotenpunkte der Regulation des programmierten Zelltods stellen die Proteine der Bcl-2-Familie dar. Besonderes Merkmal der einzelnen Proteine ist, dass sie neben einer entweder proapoptotischen oder antiapoptotischen Wirkung eine ausgeprägte Affinität zu anderen Mitgliedern der Familie aufweisen. Dadurch halten sie sich unter normalen Umständen gegenseitig in Schach und gleichzeitig - als Folge dieses "Familienzwistes" - die Zelle auf der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Einer der entscheidenden Faktoren zur Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichtes ist abermals die reversible Phosphorylierung. Durch sie werden sowohl intrazelluläre Signale, die auf eine drohende Entartung hindeuten können, als auch extrazelluläre Signale an die Bcl-2-Familienmitglieder weitergeleitet. Eine Verschiebung des Gleichgewichtes führt entweder zum Tod der Zelle durch Apoptose oder kann sie vor dem Absterben schützen. Die immense Bedeutung dieser Vorgänge zeigt die Tatsache, dass in der überwiegenden Zahl der menschlichen Tumoren Störungen der reversiblen Phosphorylierung gefunden wurden.

Die genauere Kenntnis aller an dieser Regulation und Nachrichtenübertragung beteiligten Faktoren und Enzyme stellt eine wichtige Basis für die Entwicklung neuer Zytostatika dar. Ein schönes Beispiel hierfür lieferte Frau Prof. Sara Lavi aus Tel Aviv. Ein an der Regulation der Apoptose beteiligtes Enzym ist die Proteinphosphatase PP2C. Ein Überschuss an PP2C bringt die Regulation aus dem Gleichgewicht und löst die Apoptose aus. Darauf gründet die Referentin einen neuen Therapieansatz für verschiedene Tumorarten: Im Gegensatz zu den Ansätzen der Gentherapie, die momentan in aller Munde ist, bringt sie nicht ein Gen, sondern das Enzym selber in die Zellen ein. Dazu wird ein synthetisch hergestelltes Copolymer aus einer Trägersubstanz und dem Enzym verwendet, welches intravenös appliziert wird. Im Bereich von Tumoren weisen die Gefäße eine erhöhte Durchlässigkeit auf (EPR-Effekt), sodass nur dort das Enzym die Blutbahn verlassen und in die umliegenden Tumorzellen eindringen kann. Erste Versuche am Tier sehen vielversprechend aus.

Phosphatasen und Neuropathologie

In den letzten Jahren reifte die Erkenntnis, dass die Apoptose nicht nur in der Tumortherapie eine große Rolle spielt. Nach einem Schlaganfall ist sie zu einem nicht unerheblichen Anteil verantwortlich für das Absterben der Zellen im Infarktgebiet. In diesem Fall wäre es jedoch - im Gegensatz zur Zielsetzung von Zytostatika - nicht wünschenswert, die Apoptose zu aktivieren, sie muss vielmehr unterdrückt werden. Die neuen Erkenntnisse zur Regulation der Apoptose ebnen auch den Weg zur Entwicklung neuroprotektiver Medikamente, die durch Abschalten der Apoptose eine Hirnschädigung vermeiden helfen.

Ein weiters mögliches Einsatzgebiet für diese Art von Therapeutika könnte die Behandlung des Morbus Alzheimer oder anderer neurodegenerativer Erkrankungen sein. In diesem Zusammenhang stellte Prof. Josef Krieglstein aus Marburg neue Erkenntnisse darüber, wie die Proteinphosphatase PP2C (s.o.) konkret auf die Regulation der Apoptose einwirkt. Es scheint, dass sie Bad, ein proapoptotisches Mitglied der Bcl-2-Proteinfamilie, an einer entscheidenden Stelle dephosphoryliert und somit die Apoptose induziert. Krieglsteins Vortrag demonstrierte die synergistischen Effekte, die eine solche Konferenz erzeugen kann.

Regulation des Dopamin-Stoffwechsels

Phosphorylierungs-Reaktionen sind nicht nur über die Apoptose an neuropathologischen Prozessen beteiligt sind. So erläuterte Prof. Angus Nairn aus dem Labor des letztjährigen Nobelpreisträgers für Medizin, Paul Greengard, von der Rockefeller University in New York die Rolle der Phosphatasen im Rahmen der Regulation des Dopamin-Stoffwechsels. Störungen im Haushalt des Neurotransmitters Dopamin sind unter anderem an der Entstehung von Morbus Parkinson, Morbus Huntington und Schizophrenie beteiligt. Nairns neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Phosphatasen und den zugehörigen Inhibitoren bei der Regulation der Dopaminproduktion stellen erste Schritte zur Entwicklung neuer Medikamente gegen diese Krankheiten dar.

Der Bedeutung der reversiblen Phosphorylierungen in Nervenzellen wurde in diesem Jahr erstmals durch die Einführung einer "Neuro-Sitzung" im Rahmen der Tagung Rechnung getragen. Die spannenden Vorträge und der vollbesetzte Saal zeugten von der Richtigkeit dieser Entscheidung.

Phosphatase- und Kinase-Inhibitoren bei Diabetes

Eines der ersten Systeme, bei denen die reversible Phosphorylierung als Mittel zur Regulation identifiziert wurde, war die Regulation des Blutzuckerspiegels. Dementsprechend überrascht es nicht, dass Störungen der reversiblen Phosphorylierung auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Diabetes spielen. Diesem Themenkomplex war ein weiterer Schwerpunkt der Tagung gewidmet.

Die universelle Nutzung der Phosphorylierung bei der Signalübertragung sowie die enge Verknüpfung der verschiedenen zellulären Signalwege machen einen gezielten Eingriff in dieses System nicht unproblematisch. Näheres dazu erläuterte Sir Philip Cohen aus Dundee in seinem Festvortrag mit dem Titel "Wie man Diabetes heilt, ohne Krebs zu erzeugen". In Zusammenarbeit mit der Industrie testet dieser Pionier des Forschungsgebietes die Wirkung verschiedener Phosphatase- und Kinase-Inhibitoren und ihre Eignung als Therapeutika gegen Krebs, Arthritis und Diabetes.

Cohen berichtete von einer erfolgversprechenden Substanz, welche sehr effizient eine zentral an der Regulation des Glucosestoffwechsels beteiligte Kinase (Glykogen-Synthase-Kinase 3) inhibiert. Doch dieses Enzym ist gleichzeitig auch ein Schlüsselenzym während der embryonalen Entwicklung und ist an der Regulation des Zellzyklus beteiligt. Daher besteht die Gefahr einer Krebserkrankung während einer Langzeitbehandlung von Diabetes-Patienten. Zurzeit laufen Untersuchungen, diese potenziell tödliche Nebenwirkung zu umgehen.

Von ähnlich unerwarteten Nebenwirkungen berichtete auch Frau Prof. Anna DePaoli-Roach aus Indianapolis. Zur genaueren Untersuchung eines vermutlich an der Entstehung von Diabetes beteiligten Proteins wurde das dafür codierende Gen in Mäusen ausgeschaltet. Diese Knock-out-Mäuse litten unter schweren Herzfehlern. Sehr viele von ihnen starben vorzeitig an einem Herzinfarkt und wiesen ein abnorm vergrößertes Herz auf. Diese Herzschäden sind so schwer, dass selbst die überlebenden Tiere kaum zu züchten sind, da die Männchen den normalen biologischen "Anforderungen" an eine Nachzucht nicht gewachsen sind.

Viele neue Projekte

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auf diesem ungeheuer spannenden Forschungsgebiet der reversiblen Phosphorylierung bereits einiges erreicht wurde, viel mehr jedoch noch zu tun ist. Sicher hat auch das Treffen in Marburg seinen Teil dazu beigetragen, dass es weiter voran geht, was auch die sehr positive Resonanz von Seiten der Tagungsteilnehmer zeigte. Die durch die 50 Vorträge und 80 Poster angeregten lebhaften Fachdiskussionen dauerten oft bis in die frühen Morgenstunden, und in dieser entspannten und zugleich hochproduktiven Atmosphäre wurden viele neue Projekte geplant und Kooperationen vereinbart. Man darf gespannt sein, wie sich die auf der Tagung vorgestellten Erkenntnisse und Projekte weiter entwickeln und welche neuen Impulse sich für die Forschung aus den dort geschlossenen Kontakten und Zusammenarbeiten ergeben werden.

Gelegenheit, diese neuen Ergebnisse darzustellen, wird sich im kommenden Jahr auf der dann in den Vereinigten Staaten stattfindenden Tagung ergeben und in zwei Jahren wieder auf europäischem Boden in Barcelona. Vielleicht wird dann auch schon die eine oder andere Erkenntnis ihren langen Weg zur Realisierung als Medikament angetreten haben.

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