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Suchttherapie
E. PallenbachModellversuch startet - Heroingestütze
In der dreijährigen Studie soll ein Teil der Schwerstabhängigen versuchsweise injizierbares Heroin als Medikament bekommen. Eine andere Kontrollgruppe bekommt parallel dazu die Ersatzdroge Methadon. Beide Gruppen werden regelmäßig medizinisch betreut und erhalten eine psychosoziale Begleittherapie. In der Studie sollen auch Fragen der Kostenintensität und Auswirkungen auf die Beschaffungskriminalität untersucht werden. Die Bundesärztekammer hatte sich bereits 1998 für ein solches Modellprojekt ausgesprochen.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk unterstrich, in dem Projekt solle geprüft werden, ob sich die vorgesehene Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten bewährt. Hinweise aus dem Ausland ließen vermuten, dass opiatabhängige Menschen mit der neuen Methode gesundheitlich und sozial besser stabilisiert werden können als bisher. Aber auch im Falle eines erfolgreichen Verlaufs soll die Heroinabgabe künftig nur eine Ergänzung der bestehenden Therapiemöglichkeiten für ein spezielles Patientenklientel darstellen. Bewährte Therapieangebote wie Substitutionsbehandlungen werden weiter zu Verfügung stehen: "Trotz unseres insgesamt effektiven Drogenhilfesystems gibt es eine große Zahl offensichtlich kaum erfolgreich behandelbarer Menschen, die von "harten" Drogen - hauptsächlich Heroin - abhängig sind und seit langem alle sozialen, beruflichen und seelischen Perspektiven verloren haben. Um diesen Menschen zu helfen, wurde als Baustein einer humanen Drogenpolitik die Durchführung des Modellversuchs einer heroingestützten Behandlung festgelegt und gemeinsam mit den Städten und Ländern auf den Weg gebracht."
Nach den Richtlinien einer klinischen Arzneimittelprüfung
Nachdem das "Vorzeigeprojekt" rot-grüner Drogenpolitik immer wieder verschoben wurde, hat die Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun endlich doch dem Versuch zugestimmt. Nachdem eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet wurde, könne die Therapiephase für den Modellversuch beginnen, berichtete Caspers-Merk am 22. August 2001 in Bonn. Zunächst sollen 1120 Patienten beteiligt werden, von denen die eine Hälfte Heroin als Medikament, die andere Hälfte Methadon bekommt.
Beide Patientengruppen werden psychosozial betreut. Die Studie folgt den Richtlinien einer klinischen Arzneimittelprüfung. Der Modellversuch wird vom Bundesgesundheitsministerium, den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen und den beteiligten Kommunen getragen sowie von der Bundesärztekammer und einem internationalen wissenschaftlichen Beirat begleitet. Die "Kandidaten" sollen von Herbst 2001 an ausgewählt werden. Zentrale Zugangsbedingungen für die Betroffenen sind:
- Mindestalter von 23 Jahren
- seit fünf Jahren bestehende Abhängigkeit
- aktueller täglicher vorwiegend intravenöser Heroinkonsum oder fortgesetzter Heroinkonsum unter der Substitutionsbehandlung
- körperliche Krankheitssymptome, die einen schlechten Gesundheitszustand anzeigen oder aktuelle psychische Beeinträchtigungen
- keine Teilnahme an einer ambulanten oder stationären suchttherapeutischen Behandlung innerhalb der letzten sechs Monate, aber dokumentierte Vorerfahrung mit Drogentherapien oder negativer Verlauf einer gemäß den Leitlinien der Bundesärztekammer durchgeführten Substitutionsbehandlung
- Wohnsitz bzw. gemeldeter Aufenthalt seit mindestens 12 Monaten in der betreffenden Stadt (bzw. Stadtstaat) oder Region, welche die Heroinbehandlung durchführt.
Vergleich von Heroin mit Methadon
Wie bei den meisten klinischen Prüfungen üblich, wird auch in dem Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung die Wirkung der medikamentösen Therapie bei der Experimentalgruppe (Heroin) mit der Wirkung eines als Standardtherapie eingesetzten Medikaments bei der Kontrollgruppe (Methadon) verglichen. Diese Trennung in Experimental- und Kontrollgruppe ist bei einer klinischen Arzneimittelprüfung nach Phase III - die für die mögliche Zulassung von Heroin als Medikament Voraussetzung ist - aufgrund der geltenden Forschungsstandards zwingend erforderlich.
"Neben der medikamentösen Therapie sind auch innovative Formen der psychosozialen Begleitung der Patienten Bestandteil der wissenschaftlichen Untersuchung," so Prof. Dr. Michael Krausz vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, der mit der Planung der Studie beauftragt ist. Konkret soll festgestellt werden, inwieweit die heroingestützte Behandlung im Vergleich zur Methadon-Substitution zu größeren Effekten hinsichtlich der Verbesserung des gesundheitlichen Zustands, der Reduktion illegalen Drogenkonsums, dem Rückgang der Delinquenz, der Erhöhung der Erreichbarkeit und Haltekraft für die Therapie, der Loslösung aus dem Drogenkontext, der sozialen Stabilisierung, vermehrter Arbeitsfähigkeit, finanzieller Sicherung, Stabilisierung der Wohnsituation und der Aufnahme weiterführender Behandlungen führt.
An der Studie wollen sich Bonn (100 Patienten), Frankfurt am Main (200 Patienten), Hamburg (460 Patienten), Hannover (140 Patienten), Karlsruhe (60 Patienten), Köln (100 Patienten) und München (60 Patienten) beteiligen.
Spritzen unter Aufsicht
Immer wieder wird gefragt nach dem praktischen Ablauf der Heroinvergabe: Die in die Untersuchung einbezogenen Drogenabhängigen erhalten in speziell dafür geschaffenen Drogenambulanzen oder entsprechenden Abteilungen von Krankenhäusern bis zu dreimal täglich reines Heroin zur intravenösen Gabe. Die Patienten spritzen sich das Medikament, das sie in einer bereits aufgezogenen Spritze bekommen, selbst unter Aufsicht in speziellen Räumen unter hygienisch einwandfreien Bedingungen. Die Kontrollgruppe erhält in den bereits vorhandenen Einrichtungen einmal täglich orales Methadon. Eine einmalige Vergabe pro Tag ist hier ausreichend, da die Wirkung von Methadon deutlich länger anhält als beim Heroin. Alle Patienten werden regelmäßig medizinisch untersucht und nehmen an psychosozialen Begleitbehandlungen teil.
Kritiker des Projektes befürchten im Umfeld der Vergabestellen Beeinträchtigungen der Sicherheit. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da die Patienten in den Vergabestellen ihr Heroin erhalten und dies folglich nicht mehr auf dem Schwarzmarkt bzw. der Drogenszene kaufen müssen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich vermehrt Dealer ausgerechnet im Umfeld dieser Einrichtungen aufhalten. Die Vergabestellen werden zudem über Hausordnungen darauf hinwirken, dass sich der Eingangsbereich der Einrichtungen nicht zu einem Treffpunkt entwickelt, sondern Gespräche und Kontakte in die Einrichtung hinein verlagert werden. Auch ausländische Erfahrungen in der Schweiz und in den Niederlanden haben gezeigt, dass sich Einrichtungen zur Heroinvergabe gut in ein Stadtviertel integrieren lassen.
Start im Februar 2002
Der erste Patient soll - so die aktuelle Planung - bereits im kommenden Februar Heroin erhalten. Die Umsetzung in den beteiligten Städten kann jetzt mit Nachdruck fortgeführt werden. Die individuelle Studiendauer für jeden Patienten beträgt 24 Monate, aufgeteilt in zwei Studienphasen von jeweils 12 Monaten Dauer. Mit dieser Studie wird ein völlig neuer und über lange Zeit heftigst diskutierter Weg beschritten. Man kann mit Spannung und auch mit Hoffnung in die Zukunft und auf das Leben zahlreicher Schwerstabhängiger schauen.
Kastentext: Infos im Netz
Kastentext: Heroin
Seit vielen Jahren zählt Heroin, Diacetylmorphin, zu den weltweit meist verbreiteten illegalen "harten" Drogen. Es entwickelte sich zu einem wesentlichen Faktor der organisierten Kriminalität. Die Weltproduktion wird auf hundert Tonnen pro Jahr geschätzt; Haupt-Konsumgebiete sind Europa und Amerika. Heroin wird in Form von in Stanniolpapier verpackten Einzelportionen (Hits) gehandelt. Nach Auflösen wird es injiziert ("gefixt"), von sehr vielen Anwendern aber auch geschnupft oder geraucht. Die stärkste Wirkung entfaltet Heroin nach parenteraler Verabreichung. Aufgrund der veresterten Hydroxygruppen ist Heroin wesentlich lipophiler als Morphin und kann die Blut-Hirn-Schranke leichter überwinden. Im Gehirn wird Heroin enzymatisch zu Morphin hydrolysiert und verursacht an den spezifischen Rezeptoren die "klassischen" Opiatwirkungen wie Euphorie, Analgesie und Atemdepression.
Die Wirkung von Heroin ist vielfältig und von der augenblicklichen Verfassung und persönlichen Bedürfnissen geprägt. Zunächst wird eine ausgeprägte Euphorie und Wohlbefinden beschrieben. Heroin verursacht ein Glücksgefühl, Sorgen und Probleme werden vergessen und das Selbstbewusstsein steigt. Etwas später setzt bei vielen Anwendern eine beruhigende oder stimulierende Wirkung ein. Manche Anwender versinken in einen Traumzustand, andere wiederum wirken eher aktiviert und unternehmenslustig. An körperlichen Wirkungen werden Übelkeit, Kreislaufstörungen, Verstopfung, Mundtrockenheit, Schmerzstillung, verengte Pupillen und (dosisabhängige) Atemwegsirritationen beschrieben. Dies sind gleichzeitig die wichtigsten diagnostischen Merkmale einer Heroinvergiftung. Bereits nach wenigen Anwendungen von Heroin kommt es zu einer ausgeprägten psychischen und physischen Abhängigkeit mit rascher Ausbildung von Gewöhnung und Toleranz und einer damit verbundenen notwendigen Dosissteigerung bis zum zehnfachen der Ausgangsdosis. Beim Absetzen der Droge treten akute Entzugssymptome wie Schmerzen, Krämpfe, Schweißausbrüche, Durchfall und Erbrechen auf. Die ursprünglich euphorisierende Wirkung der Droge ist kaum noch vorhanden. Der Anwender hat kein angenehmes Rauscherlebnis mehr, sondern bekämpft mit der Verabreichung des Heroins nur noch seine quälenden Entzugssymptome.
Unter der Bezeichnung Heroin werden verschiedene Qualitäten gehandelt. Neben zwei minderen Qualitäten werden hauptsächlich das H3 (Brown Sugar), ein grau-bräunliches Pulver mit einem Reinheitsgrad von 30 - 60 %, und H4 (Schnee, Türkischer Honig) mit einem Gehalt zwischen 60 und etwa 90 % gehandelt. In den Hits, den Endprodukten, sind außer dem Heroin fast immer Streckmittel (z. B. Milchzucker, Ascorbinsäure, Gips) und Verschnittmittel (z. B. Paracetamol, Acetylsalicylsäure oder Coffein) enthalten. Diese häufig toxischen Verschnittsubstanzen sowie die unsterile Aufbewahrung und Applikation des Stoffes, oftmals nach mehrfachem Austauschen des Spritzbestecks, machen den Heroinkonsum riskant. Die Substanz Heroin selbst ist dagegen weniger toxisch als vielfach angenommen. Die Hauptgefahren des Heroinkonsums liegen demzufolge in Infektionen mit HI- oder Hepatitis-Viren und sind nicht auf den Stoff selbst, sondern auf die vielfältigen Verunreinigungen und das unsterile Spritzbesteck zurückzuführen. Die pharmakologisch schädliche körperliche Wirkung von Heroin ist vergleichbar mit Alkohol oder Nikotin.
Bedingt durch die Illegalität ist Heroin sehr teuer. Langjährige Fixer benötigen bis zu 300.- DM pro Tag, das sind umgerechnet pro Monat 9000.- DM nur fürs Heroin! Dies stürzt viele Anwender in die soziale Verelendung und zwingt zahlreiche Abhängige zu kriminellen Handlungen oder Prostitution. Dennoch ist das Bild vom abgewrackten Fixer auf dem Bahnhofsklo ein (veraltetes) Klischee. Es gibt sehr wohl Heroinabhängige, denen es gelingt, ein nach außen offensichtlich "normales" Leben zu führen.
Quelle: Bundesgesundheitsamt
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