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Arzneimittelsicherheit: Verständliche Packungsbeilagen in Sicht
"Der Nutzen eines Arzneimittels hängt wie bei keinem anderen Produkt von der Qualität der Packungsbeilage ab", meinte Dr. Dietmar Buchberger, Leiter des Geschäftsbereichs Wissenschaft, Arzneimittelsicherheit und Zulassung beim Deutschen Generikaverband e.V. Die Formulierung der Packungsbeilage entscheide oftmals, ob ein Patient das Arzneimittel einnehme. Die Packungsbeilage bestimme damit den Erfolg der Therapie. Nach Paragraph 11 Abs. 1 AMG dürfen Fertigarzneimittel bekanntlich nur mit einer Packungsbeilage (Überschrift "Gebrauchsinformation") in den Verkehr gebracht werden, welche die Pflichtangaben "allgemein verständlich in deutscher Sprache und in gut lesbarer Schrift enthalten muss". Das BfArM hat Einzelheiten dazu in einer Bekanntmachung und Empfehlungen veröffentlicht. Es sei jedoch Realität, so Buchberger, dass Patienten die Packungsbeilage oft nicht verstehen würden. Dieser Missstand bedeute ein "Sicherheitsproblem", aber auch ein "Wirtschaftlichkeitsproblem", denn auch nicht eingenommene Arzneimittel müssten bezahlt werden.
Europa weist den Weg
Arzneimittel, die national oder im Rahmen einer gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition) zugelassen sind, besitzen eine Packungsbeilage, die den Vorschriften des BfArM folgt. Dagegen haben die zentral in London bei der EMEA zugelassenen Fertigarzneimittel eine Gebrauchsanweisung, die der 1999 verabschiedeten "Guideline on the Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use" entspricht. Die Guideline ist eine Leitlinie, in der definiert wird, wie Packungsbeilagen allgemein verständlich zu formulieren sind. Die Guideline gibt eine Anleitung zur Struktur und zur sprachlichen Gestaltung der Packungsbeilage (siehe Anhang). "Wenn man auf europäischer Ebene verständliche Gebrauchsinformationen formulieren kann, sollte das auch in Deutschland möglich sein", sagte Buchberger. Um die Sache voranzutreiben, habe der Deutsche Generikaverband auf Grundlage der Guideline 38 neue Muster-Packungsbeilagen als Alternativvorschläge zu den jetzigen BfArM-Mustertexten formuliert (www.generika.de/wiss/neukonz_mustertexte.html). Das Ziel sei, durch die Allgemeinverständlichkeit der Texte die Anwendungssicherheit zu steigern. Dadurch würden auch die Schäden durch Arzneimittel vermindert. "Wir wollen als Industrieverband den Schaden beim Patienten vermeiden und nicht den Schadensersatzanspruch", erklärte Buchberger.
Skeptische Apotheker
Prof. Dr. Volker Dinnendahl, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, äußerte Bedenken, ob es prinzipiell möglich sei, verständliche Packungsbeilagen zu schreiben. Denn die Gebrauchsinformation müsse viele verschiedene Funktionen erfüllen: die Information der Patienten, die Erhöhung der Arzneimittelsicherheit durch Warnhinweise, den Transport von behördlichen Auflagen sowie einen Haftungsausschluss für die Hersteller. Dazu kämen noch zahlreiche Interessen und Wünsche von Herstellern, Ärzten, Apothekern und Patienten. Da es "den Patienten" nicht gebe, stelle eine optimale Packungsbeilage, so Dinnendahl, gewissermaßen die Quadratur des Kreises dar.
Auf Randgruppen Rücksicht nehmen
Man müsse auch auf die Bedürfnisse von ausländischen Mitbürgern und von deutschen Bürgern mit schwachen Sprachkenntnissen achten, erklärte Dinnendahl. "Vielleicht könnte man für Einnahme- und Warnhinweise verständliche Piktogramme entwerfen." Auf die Bedürfnisse von Sehbehinderten und Blinden müsse man ebenfalls mehr als bisher achten. Dinnendahl schlug vor, für diese Gruppe die Packungsbeilage auf Diskette zu speichern und sie den Betroffenen mitzugeben. Auf dem Computer zuhause ließe sich die Schrift vergrößern. Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, die Packungsbeilage mit einem speziellen Gerät in Blindenschrift ausdrucken zu lassen. Nicht nur Sehbehinderte, sondern auch die meisten älteren Menschen hätten die größte Mühe, die häufig sehr kleinen Schrifttypen der Gebrauchsinformationen zu entziffern, sagte Dinnendahl.
Unterschiedliches Informationsbedürfnis
Dinnendahl teilte die Patienten in zwei große Gruppen ein: Es gebe den Typ des "mündigen selbstständig denkenden Patienten", der wissen wolle, was er einnehme und welchen Nutzen und welche Risiken er zu erwarten habe. Und es gebe zum anderen Menschen, die dies nicht genau wissen wollten, etwa wenn sie an schweren, lebensbedrohlichen Erkrankungen litten. Es sei zwar nicht machbar, Arzneimittel mit zwei verschiedenen Packungsbeilagen zu versehen, "wobei der Arzt oder der Apotheker je nach Typ des Patienten entscheidet, welche Fassung angemessen ist." Doch man könnte die Gebrauchsinformationen abhängig von der Indikation des Arzneimittels unterschiedlich formulieren. Bei Präparaten für die Selbstmedikation und die kurzzeitige Einnahme, so Dinnendahl, müsste größter Wert auf Vollständigkeit und Verständlichkeit gelegt werden, zumal Risikoinformationen in der Laienwerbung nicht mehr vorkämen. Bei Erkrankungen, die ein Arzt behandle, sei hingegen die Compliance des Patienten entscheidend. Gerade wenn es sich wie etwa bei der Hypertonie um Krankheiten "ohne Leidensdruck für den Patienten handle", so Dinnendahl, sollte die Gebrauchsinformationen in erster Linie die Therapietreue des Patienten unterstützen. "Der Nutzen des Arzneimittels müsste hier viel stärker betont werden als die möglichen unerwünschten Wirkungen, denn die Nutzen-Risiko-Abschätzung erfolgt durch den Arzt."
Ist der mündige Patient auch kundig?
"Der Patient hat einen Rechtsanspruch, über ein Medikament umfassend informiert zu werden", sagte Prof. Dr. Benno König von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Die Aufklärung sei notwendig, weil unerwünschte Nebenwirkungen und Wechselwirkungen nicht selten vorkämen. Verständlich formulierte Packungsbeilagen seien aber auch deshalb wichtig, weil dem Arzt oft die Zeit fehle, den Patienten über alle Nebenwirkungen aufzuklären. Die heutigen Packungsbeilagen erfüllten die an sie gestellten Anforderungen nur unzureichend. "Denn die meisten Beipackzettel sind gespickt mit medizinischen Fachtermini und für den Laien schwer verständlichen Formulierungen", sagte König. Der Gesetzgeber setze voraus, dass der mündige Bürger ein auf dem Gesundheitssektor kundiger Bürger sei. "Das Wissen um die Gesundheit ist jedoch bei einem Großteil unserer Bevölkerung trotz aller Aufklärung mangelhaft", betonte König.
Forderung nach zwei verschiedenen Packungsbeilagen
Die Bestrebungen der EU, Produktinformationen auch für Bürger ohne Medizinkenntnisse verständlich zu machen, nannte König "sehr unterstützenswert". Es müsse aber strengstens darauf geachtet werden, keine Informationen wegzulassen und die Risikoangaben in einer für Laien verständlichen Sprache zu formulieren. Dabei werde man die Erfahrung machen, "dass der Verständlichkeit Grenzen gesetzt sind", prophezeite König. Die Packungsbeilage habe auch die Aufgabe, Ärzte adäquat zu informieren, die zum Beispiel bei Urlaubsvertretungen und im Notdienst bei Patienten Arzneimittel vorfinden. "Allgemein gehaltene, verdeutschte Formulierungen auf der Packungsbeilage würden dem Arzt keine ausreichende Informationen liefern", betonte König. Daher müssten die Arzneimittel die Produktinformationen in zweifacher Ausführung enthalten: "Erstens die für den Laien verständliche, aber dennoch vollständige und nicht beschönigende Version. Zweitens eine Version für den Arzt, die ihm in seiner Fachsprache adäquat Auskunft über ein Medikament gibt und die einer Fachinformation ähnlich sein muss."
Schwierige Umsetzung
Die Neuformulierung der Packungsbeilage gestaltet sich in der Praxis als zeitaufwendig. Darauf wies Dr. Klaus Menges vom BfArM hin. Der erste neue Mustertext (Ibuprofen) sei fertig, aber "noch nicht offiziell in unsere Musterdatenbank integriert". Man plane zwar, die vorhandenen Mustertexte Stück für Stück in neue umzusetzen. Doch letztlich hänge es "an dem zuständigen Mitarbeiter, dafür die Zeit aufzubringen". Um die Arbeit zu beschleunigen, erstellt das BfArM Standardformulierungen für nicht in der Guideline stehende Textabschnitte, zum Beispiel für Warnhinweise zur Anwendung bei Kindern oder in der Schwangerschaft und Stillzeit. Diese Texte werden im internen Sprachgebrauch als Masterdokumente (templates) bezeichnet. Es gebe auch heute noch neue Mustertexte, zum Beispiel für Dextromethorphan, die noch nicht nach den EU-Guidelines verfasst würden, gestand Menges ein. "Es ist nicht die Kapazität da, diesen Text ad hoc in eine Neufassung umzusetzen".
Kastentext: Aufbau einer neuen Packungsbeilage: Wie sieht eine Packungsbeilage nach der EU-Guideline on Readability aus?
Grundsatz: Der Patient wird persönlich angesprochen. Die Sätze sind kurz. Wiederholungen werden vermieden. Zu Beginn wird der Patient informiert, wie er die Gebrauchsanweisung benutzen soll. Hervorgehoben in einem Kasten steht zum Beispiel bei Arzneimitteln, die nicht verschreibungspflichtig sind: "Lesen Sie die gesamte Packungsbeilage sorgfältig durch, denn sie enthält wichtige Informationen für Sie." Danach folgen drei Hinweise: die Packungsbeilage aufzuheben, den Apotheker für weitere Informationen zu fragen, den Arzt aufzusuchen, wenn sich die Symptome verschlimmern oder nach vier Tagen keine Besserung eintritt.
Die Packungsbeilage ist wie folgt gegliedert: 1. Was ist Arzneimittel X und wofür wird es angewendet? 2. Was müssen Sie vor der Einnahme von Arzneimittel X beachten? 3. Wie ist Arzneimittel X einzunehmen? 4. Welche Nebenwirkungen sind möglich? 5. Wie ist Arzneimittel X aufzubewahren?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) will künftig die Packungsbeilagen für in Deutschland zugelassene Arzneimittel verständlicher formulieren. Grundlage der neuen Texte, die nach und nach erstellt werden, ist die 1999 in Kraft getretene "Guideline on the Readability" der Europäischen Kommission. Die geplanten Textänderungen stoßen aber bei Ärzten und Apothekern auch auf Kritik, wie auf einem Diskussionsforum des Deutschen Generikaverbandes e.V. am 17. Januar in München deutlich wurde.
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