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Wirtschaftstag Sachsen-Anhalt: Zukunftsperspektiven trotz Bedrohung

HALBERSTADT (tmb). Am 28. und 29. September veranstaltete der Landesapothekerverein Sachsen-Anhalt in Halberstadt seinen 6. Wirtschaftstag. Inhalte waren die Mitgliederversammlung, der Hauptvortrag von Prof. Dr. Rainer Braun und drei Seminare. Durch die gesundheitspolitischen Ereignisse auf Bundesebene standen die länderübergreifenden Themen deutlich im Vordergrund.

Die Situation in Sachsen-Anhalt wurde überwiegend auf der Mitgliederversammlung thematisiert (einen Bericht hierzu finden Sie demnächst in der DAZ).

Knut Vocke, Vorsitzender des Landesapothekervereines Sachsen-Anhalt, kritisierte das angekündigte Sparpaket als hektischen Aktionismus. Von einer "Politik der ruhigen Hand" sei dabei keine Spur zu erkennen. Als Alternative verwies er auf die Angebote der Apothekerschaft zur Weiterentwicklung der Versorgung, insbesondere auf die Pharmazeutische Betreuung. Doch dürfe diese nicht nur gefordert werden, sie müsse auch in den Apotheken praktiziert werden. Die Apothekerschaft werde mehr pharmazeutische und ökonomische Verantwortung übernehmen müssen, wenn die Apotheker nicht immer wieder als "Schubladenzieher" dargestellt werden wollten.

ABDA-Vorschläge

Im Hauptvortrag stellte ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun die Einzelheiten zum jüngsten Gesetzesentwurf für Sparmaßnahmen im Arzneimittelmarkt dar (siehe voranstehender Bericht). Daneben ging er auf weitere Hintergründe zur Gesundheitspolitik und zur Entwicklung des Arzneimittelmarktes ein.

Braun verwies auf die schon beim Deutschen Apothekertag formulierten drei zentralen Angebote der Apothekerschaft, die zur Weiterentwicklung der Versorgung und zu Einsparungen für die Krankenkassen führen sollen. Davon wurde nur die Aut-idem-Regelung in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Daneben schlage die ABDA das elektronische Rezept in Verbindung mit einem Arzneimittelpass auf einer Chipkarte und eine "Drehung" der Arzneimittelpreisverordnung vor. Arzneimittelpass und elektronisches Rezept führten nach einer Studie der ABDA außer zu einer verbesserten Versorgung auch zu erheblichen Kosteneinsparungen.

Eine "Drehung" der Arzneimittelpreisverordnung könnte für die Apotheken ergebnisneutral sein und dabei doch erhebliche Einsparungen für die Krankenkassen bringen. Denn bei einer Anhebung der Aufschläge im unteren Bereich würden auch Produkte der Selbstmedikation verteuert, während die Absenkung der Aufschläge im oberen Bereich praktisch vollständig die Krankenversicherung entlaste. Damit würde die Struktur der Aufschläge zudem an die tatsächlichen Handlungskosten angepasst, was die ökonomischen Anreize für einen Versandhandel mit "Rosinenpickerei" verringere.

Irrwege

Dagegen warnte Braun zum wiederholten Male vor dem immer wieder diskutierten Vorschlag einer Öffnung der ambulanten Arzneimittelversorgung für Krankenhausapotheken. Hier träfen zwei grundverschiedene Finanzierungssysteme aufeinander. Es sei auch nicht anzunehmen, dass die Industrie dann den ambulanten Sektor mit preisgünstigen Arzneimitteln subventionieren würde.

Ebenso sei der Arzneimittelversandhandel abzulehnen. Angesichts des europäischen Rechtes sei ein kontrollierter nationaler Versandhandel nicht denkbar. Der Versandhandel könne nicht allein deutschen Versendern geöffnet werden. Mit ausländischen Versendern werde aber über das Ursprungslandprinzip deren Arzneimittelrecht importiert, was das Ende der nationalen Arzneimittelgesetzgebung darstelle. In der Politik bestehe allerdings die Ansicht, dieses Problem über das Sachleistungsprinzip lösen zu können.

Versandhandel rechnet sich nicht

Ökonomisch sei der Arzneimittelversand nur für die teuren Arzneimittel interessant. Doch sind diese für die Wertschöpfung der Apotheken entscheidend. So machen die Arzneimittel mit Einkaufspreisen über 106 DM nur 9,6% der Packungen, aber 46,3% der Umsätze aus. Würden diese Umsätze entfallen, bliebe den Apotheken der überwiegende Teil der Arbeit, aber nur noch wenig Umsatz.

Die Beispiele aus dem Ausland zeigten aber, dass der Versandhandel sich ökonomisch nicht bewährt. So sei er in Großbritannien und den Niederlanden zulässig, werde aber kaum praktiziert. In der Schweiz komme der viel propagierte Medi Service kaum auf ein Prozent Marktanteil, arbeite defizitär und liefere die Arzneimittel zudem teurer als deutsche Apotheken. Auch beim Angebot von DocMorris blieben nach Berücksichtigung von Kassenrabatt, Zuzahlung und Mehrwertsteuerdifferenz nur marginale Differenzen zu den deutschen Preisen. Generika und Importe seien oft sogar billiger als die Originalpräparate von DocMorris.

INIFES-Studie – genau betrachtet

Braun ging auch auf die jüngst vorgestellte INIFES-Studie über den Arzneimittelversandhandel ein. Die Studie untersucht die ökonomischen Konsequenzen eines nationalen Versandhandels unter ansonsten unveränderten gesetzlichen Bedingungen. Für Versandapotheken mit Umsätzen von 5 bzw. 20 Mio. DM ergeben sich nur geringe Einsparungen.

Allein mit Apotheken mit 500 Mio. DM Umsatz könnten Einsparungen in der Größenordnung einiger 100 Mio. DM erzielt werden. Dabei sei aber ein Marktanteil der Versandapotheken von 15% unterstellt worden, der nicht einmal in den USA erreicht werde. Außerdem würden durchschnittliche Packungspreise von 62 bis 67 DM vorausgesetzt, während der Durchschnittspreis der verordneten GKV-Packungen im zugrundeliegenden Jahr 1999 nur 47 DM betragen habe.

Das Ergebnis der Studie sei für die Apothekerschaft außerordentlich günstig, wie Braun auch bei der Präsentation der Studie betont habe. Wenn schon unter ideal gewählten Bedingungen kein besseres Ergebnis errechnet werde, könne der Versandhandel in der Realität keine ökonomischen Vorteile bringen. Zudem sei die Annahme von Apotheken mit 500 Mio. DM Umsatz ein Widerspruch zu der Annahme eines unveränderten Fremd- und Mehrbesitzverbotes, da nur eine Kapitalgesellschaft eine solche Apotheke betreiben könne.

So biete der Versandhandel keine wesentlichen ökonomischen Vorteile, seine Gefahr liege vielmehr darin, als Türöffner für den Fremd- und Mehrbesitz zu wirken. Die deutschen Apotheker sollten nicht erwarten, bei einem Wegfall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ihre Apotheken teuer verkaufen zu können. In Italien und Großbritannien seien wegen des Lizenzsystems hohe Preise zu erzielen. Angesichts der deutschen Niederlassungsfreiheit würden die bestehenden Apotheken hier dagegen wertlos.

Apotheken sind keine Kostentreiber

Die Behauptungen über die angebliche Kostenexplosion bei Arzneimitteln und die vermeintlich ineffektive Arzneimittelversorgung sollten kritisch hinterfragt werden. Dazu präsentierte Braun eine Vielzahl statistischer Vergleiche. So werde der jüngste Anstieg der Arzneimittelausgaben im langfristigen Vergleich relativiert.

Die Arzneimittelausgaben der GKV seien von 1992 bis 2000 um 22,9% gestiegen, die Gesamtausgaben dagegen um 24% und die Einnahmen sogar um 31,1%. Durch die Patientenzuzahlung, den Kassenrabatt und die degressiven Aufschläge seien die Ausgaben der Krankenkassen für den Rohertrag der Apotheken dabei aber nur um 2,6% (in acht Jahren!) gewachsen. Die Apotheken wären damit nicht wesentlich für den Kostenanstieg der GKV verantwortlich. Unter Einbeziehung der Zuzahlung seien in den acht Jahren 8,8% mehr in die Roherträge der Apotheken geflossen. Alle anderen Zuwächse bei den Apotheken stammten aus den Barumsätzen.

Braun wehrte sich entschieden gegen den Vorwurf aus der Politik, die Arzneimittelausgaben lägen nun erstmals über dem Honorar der Ärzte. Einerseits sei der Honorartopf der Ärzte gedeckelt, zudem bestehe kein inhaltlicher Zusammenhang.

Deutsches System ist kostengünstig

Auch im internationalen Vergleich erweise sich das deutsche System als kostengünstig. Gemäß einer OECD-Studie läge der Anteil der Arzneimittelausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland mit 8,9% an der letzten Stelle aller Vergleichsländer. Auf der Grundlage der Preise der tatsächlich verordneten Präparate, d. h. ggf. der Generika anstelle der Originale, lägen die deutschen Therapiekosten im unteren Bereich eines EU-Vergleiches. Beim mengenmäßigen Arzneimittelverbrauch aus Apotheken sei Deutschland EU-weit im Mittelfeld. Frankreich bilde hier die extreme Maximalposition, da die Preise dort durch staatliche Eingriffe niedrig gehalten würden, was sich dann über die Mengen ausgleiche.

Nach Zahlen des WIdO seien die Arzneimittelpreise für GKV-Verordnungen zwischen 1992 und 2000 um 3,8% gesunken, die Lebenshaltungskosten dagegen um 15,6% gestiegen. Die Zahl der verordneten Packungen sei gesunken, ihre Größe aber dementsprechend gestiegen. Der Kostenanstieg sei damit allein eine Folge der Strukturkomponente. Diese besteht aus neuen Wirkstoffen, Verbesserungen bekannter Arzneimittel, neuen Krankheitsbilder im ambulanten Bereich, Therapieumstellungen bei "umstrittenen" Arzneimitteln und einer verstärkten Anspruchshaltung, insbesondere bei Lifestyle-Arzneimitteln.

Die Verordnungen "umstrittener" Arzneimittel seien von 1992 bis 2000 von 9,4 Mrd. DM auf 4,7 Mrd. DM zurückgegangen. Doch dürfte dies die Ausgaben erhöht haben, da sie überwiegend durch andere Arzneimittel ersetzt werden, die jedoch erheblich teurer sind. Neue behandlungsfähige Krankheitsbilder sind u. a. HIV, Alzheimer und die Versorgung nach Organtransplantationen. Allein durch die ambulante Versorgung von Tumorpatienten, die früher stationär behandelt wurden, entstünden jährlich fast 2 Mrd. DM Kosten für Zytostatika. Die Strukturkomponente drücke damit in erster Linie den medizinisch-pharmazeutischen Fortschritt aus und könne daher nicht abgebaut werden.

Folgen der Integrationsversorgung

Weitere Inhalte des Wirtschaftstages waren Seminare von Klaus Marion und Dr. Eckart Bauer, beide ABDA, über das Internetangebot der ABDA bzw. den europäischen Arzneimittelmarkt. Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, stellte in seinem Seminar die Frage "Integrationsversorgung – Chance oder Risiko?"

Die Integrationsversorgung stellt eine dritte Versorgungsform neben ambulanter und stationärer Versorgung dar. Als Risiken drohten die Entstehung von "Netzapotheken" oder die Versorgung durch "Monsterapotheken" über große Entfernungen und ein gespaltenes Preissystem. Dies könnte die Versorgung in der Fläche beeinträchtigen. Als Chance böte sich eine neue Rollendefinition für Apotheken mit honorarfähigen pharmazeutischen Leistungen. So könnten pharmazeutische Dienstleitungen fest in die Versorgung eingebunden werden. Mit Hilfe pharmazeutischer Leistungsgemeinschaften könne die hochwertige Versorgung auch in der Fläche erhalten bleiben.

Pharmazeutische Module als neuer Schlüssel zum Erfolg

Ein zentraler Gedanke der integrierten Versorgung ist die Einführung von Disease Management-Programmen, mit denen die Versorgung bei den wichtigsten chronischen Volkskrankheiten verbessert werden soll. Die Apothekerschaft sollte auf diese Herausforderung mit dem Angebot pharmazeutischer Module antworten. Mit diesem neu geschaffenen Begriff bezeichnet Froese die kleinste abrechenbare Einheit pharmazeutischer Leistungen.

Damit solle die komplexe Pharmazeutische Betreuung in praxisnahe kleine Einheiten geteilt werden, die für die Apotheken vergleichsweise leicht durchführbar seien. Sie müssten qualitätsgesichert und dokumentierbar sein und eine berechenbare Einsparung für die Kostenträger ergeben. Dann könne auch ein Anteil an dieser Einsparung als Honorar gefordert werden, das im Gegensatz zu Warenumsätzen in voller Höhe in den Rohertrag eingehe. Das Honorar sollte über die Verbände ausgehandelt werden.

Beispiele für solche pharmazeutischen Module seien einzelne Elemente aus dem Diabetes-Projekt des Landesapothekervereines Sachsen-Anhalt. Andere Module könnten die Patientendatenerfassung, der Datenfluss zwischen Krankenhaus und öffentlicher Apotheke, die Hilfsmittelversorgung und der effiziente Arzneimitteleinsatz sein. Diese Module könnten nicht von Versendern erbracht werden. Sie sollten stets über den gesetzlichen Versorgungsauftrag hinausgehen. Letztlich sollten sie einen marktwirtschaftlichen Anreiz zu mehr Qualität schaffen.

Kastentext: Hintergrund zur INIFES-Studie

Die Studie des Internationalen Institutes für Empirische Sozialökonomie (INIFES) über eine "Analyse potenzieller Auswirkungen einer Ausweitung des Pharmaversandes in Deutschland" wurde am 17. September 2001 der Öffentlichkeit vorgestellt (siehe Bericht in DAZ 38). Sie untersucht die Rentabilität von Versandapotheken.

Es werden – abgesehen von der Aufhebung des Versandhandelsverbotes – gleichbleibende Rahmenbedingungen angenommen. Demnach würden auch die Versandapotheken von der Arzneimittelpreisverordnung profitieren. Einsparungen für die Krankenkassen sollen sich durch erhöhte Krankenkassenrabatte der Versandapotheken ergeben. Es werden drei verschiedene Versorgungstypen mit unterschiedlich langen Versorgungszyklen und damit unterschiedlichen Packungspreisen durchgerechnet. Außerdem werden drei Typen von Apotheken mit Umsätzen von 5, 20 bzw. 500 Mio. DM angenommen. Maßgebliche Vorteile ergeben sich insbesondere für die Variante mit 500 Mio. DM-Apotheken.

Die Rückwirkungen des Versandes auf die Umsätze und Erträge der Präsenzapotheken werden in der Untersuchung nicht berücksichtigt, andererseits werden die Präsenzapotheken als notwendig für die Akutversorgung erachtet. Die Auswirkungen des Preismoratoriums und der übrigen Maßnahmen des jüngsten Sparpaketes gehen in die Berechnungen noch nicht ein. Dementsprechend wären die Ergebnisse dann zu korrigieren, was die Vorteile der Versandapotheken weiter schmälern dürfte.

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