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Arzneimittelversand – nur noch eine Frage der Zeit?
E-Commerce-Richtlinie und Herkunftslandprinzip spielen eine Rolle
Die Rechtslage des Versandhandels von Arzneimitteln in Verbindung mit E-Commerce stellten Niels Lau, Bundesverband der Deutschen Industrie, und Dr. Alexander Tettenborn, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dar. Nach wie vor gilt, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland verboten ist, so die Referenten.
Allerdings werde auf europäischer Ebene geprüft, inwieweit dieses Verbot aufrechterhalten bleiben könne und solle. Eine Rolle für die Entscheidung spielen dabei laut Tettenborn neben dem EG-Vertrag zur Warenfreiheit zwischen den Europäischen Mitgliedstaaten die E-Commerce-Richtlinie und das Herkunftslandprinzip. Die E-Commerce-Richtlinie gilt für "Dienste der Informationsgesellschaft", also auch für alle Internetdienste, und legt fest, auf welche Art und Weise über diese Dienste Handel betrieben werden darf, welche Informationen, Werbung und Sponsoring erlaubt sind (sie regelt jedoch nicht den "physischen Versand" von Arzneimitteln, sondern nur die digitale Kommunikation).
Das Herkunftslandprinzip ist unter anderem ein Grundsatz der E-Commerce-Richtlinie. Es besagt, dass beim Handel zwischen zwei EU-Ländern die Rechtsordnungen gegenseitig anerkannt werden. Das heißt, ein Dienst - also auch ein Internetdienst - der in einem EU-Mitgliedstaat zulässig erbracht wird, darf in einem anderen EU-Mitgliedstaat nicht behindert werden. Der Vorteil: Für den Anbieter ist nur eine Rechtsordnung, nämlich die seines Niederlassungsstaates verbindlich. Der Nachteil: Durch die unterschiedlichen Rechtsordnungen der EU-Länder entsteht eine so genannte Inländerdiskriminierung. So durfte noch bis vor kurzem ein deutscher Händler aufgrund des deutschen Rabattgesetzes Nachlässe auf seine Waren nur in sehr begrenztem Umfang anbieten. Ein ausländischer Händler konnte dagegen auch in Deutschland höhere Rabatte anbieten, wenn dies in seinem Land zulässig war.
Der Fall des Rabattgesetzes und der Zugabenverordnung waren ein erster Schritt, um hier zu einer europäischen Harmonisierung zu gelangen. Ähnliches ist nun auch im Rahmen der E-Commerce-Richtlinie denkbar. Konkret würde dies bedeuten, dass ausländische Anbieter von Arzneimitteln, z. B. DocMorris, zwar durch ihren Versand nach wie vor gegen das deutsche Arzneimittelgesetz verstoßen würden, ihnen die Werbung für ihre Internetdienste aber nicht mehr untersagt werden könnte. Ob sich das Verbot des Arzneimittelversendens in diesem Fall langfristig aufrechterhalten lassen kann, ob es nicht prinzipiell dem EG-Vertrag und dem darin ausgesprochenen Verbot der mengenmäßigen Beschränkung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten weichen muss, sind Fragen, die derzeit vom Europäischen Gerichtshof geprüft werden.
E-Commerce aus der Sicht des BMG
Aus Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit jedenfalls scheint ein solches Verbot gar nicht mehr gewünscht zu sein. Während noch Anfang dieses Jahres das offizielle Statement aus dem BMG "wir wollen keinen Arzneimittelversandhandel" lautete, zitierte Dr. Gert Schorn Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nun folgendermaßen: "Es geht darum, dass wir auch in Deutschland den Internethandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln ermöglichen und sicher gestalten."
Als Hintergründe für diesen Gesinnungswandel nannte Schorn zum einen, dass der Versand von Arzneimitteln aus anderen Staaten de facto ja bereits stattfinde und auch innerhalb Deutschlands bestellte Arzneimittel häufig per Botendienst nach Hause geliefert würden. Der Versandhandel werde zudem von verschiedenen Kreisen gewünscht, was unter anderem der Anteil an deutschen Registrierungen (ca. 45 000) bei der Internetapotheke DocMorris erwiesen hätte. Auch zeige das Beispiel verschiedener EU-Mitgliedstaaten, dass der Versandhandel von Arzneimitteln in Verbindung mit E-Commerce funktioniere. Als Vorteile des Internetversandhandels nannte Schorn die weltweite Präsenz, die einfache Kommunikation mit dem Kunden, die Möglichkeiten, Marktforschung zu betreiben und sich am Kunden zu orientieren und nicht zuletzt die Verkürzung oder Abschaffung von Lieferketten. Ob sich die von den Krankenkassen gewünschten Einsparungen im Gesundheitswesen dadurch realisieren ließen, sei allerdings eine andere Diskussion.
Das Ziel sei vielmehr ein freier Warenverkehr in der Europäischen Union, auch bei Arzneimitteln. Der Verbraucherschutz kann nach Ansicht von Schorn dabei auf dem derzeit vorhandenen hohen Niveau gehalten werden. Dieser Aspekt stehe bei der Diskussion zum Arzneimittelversandhandel im BMG an erster Stelle, betonte er.
E-Commerce und Versandhandel werde nicht als "billige" Arzneimittelversorgung an den Apotheken vorbei verstanden. Der Grundsatz einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung bleibe selbstverständlich nach wie vor bestehen. Auch wolle man keine Rosinenpickerei bei den Versandapotheken, diese sollten nur einen zusätzlichen Vertriebsweg darstellen. Die bereits vorhandenen Apotheken sollen sich nach Ansicht von Schorn dem Wettbewerb stellen, sie müssen ihn jedoch nicht fürchten. Als Wunsch an die Apothekerschaft nannte er eine Versachlichung der Diskussion und eine aktive Mitwirkung bei der Umsetzung der geplanten Vorhaben.
Kritik am Versandhandel
Dass die Apotheker aufgeschlossen und auch bereits aktiv geworden seien, zeige das von der ABDA aufgebaute Internetportal www.aponet.de, erwiderte Elmar Esser auf den Appell von Schorn. Er kritisierte jedoch die vom Bundesministerium für Gesundheit geplante Einführung des Arzneimittelversandhandels. Aus wirtschaftlicher Sicht sei dieses Vorhaben nicht nachvollziehbar. Es sei erwiesen, dass in Ländern, in denen Versand erlaubt sei, die Vertriebskosten teurer als in Deutschland seien. Vom Preis/Leistungsverhältnis her seien die deutschen Apotheken ohnehin durchaus positiv zu bewerten.
Die Arzneimittelpreise und die Vertriebskosten lägen im europäischen Vergleich im unteren Bereich. Dies könnten auch Versandapotheken nicht unterbieten. Für die gestiegenen Arzneimittelkosten machte Esser vor allem die Strukturkomponente verantwortlich. Dieser könne man durch Versandhandel jedoch nicht beikommen. Vielmehr würde hier der Vorschlag zur Drehung der Arzneimittelpreisverordnung greifen, den die ABDA vor kurzem der Bundesgesundheitsministerin unterbreitet hat.
Auf den Wunsch des Verbrauchers nach mehr Komfort habe man durch die Möglichkeit, Arzneimittel via Internet vorzubestellen, um sie später in der Apotheke abzuholen, reagiert. Ob der Kunde darüber hinaus tatsächlich eine Lieferung der Arzneimittel wünsche, sei eine offene Frage. Man werde ihm jedenfalls nicht durch ein generelles Botendienst-Angebot begegnen. Auch wenn dieser Aspekt von Schorn als Argument für den Versandhandel genannt worden sei, sehe man von Seiten der Apothekerschaft die Möglichkeit des Botendienstes nach wie vor als die Ausnahme von der Regel.
Esser prognostizierte, dass durch Einführung des Versandhandels die deutsche Apothekenlandschaft in der Form, wie sie heute besteht, langfristig nicht erhalten bleiben könne. Ob dies dann tatsächlich mit einer Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau und rund um die Uhr in Einklang zu bringen sei, sei äußerst fraglich.
Auf dem vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie veranstalteten 2. Pharma Internet Kongress am 17. und 18. Oktober gingen die Meinungen über Arzneimittelversand via Internet deutlich auseinander. Während E-Commerce mit Arzneimitteln für die einen nur eine Frage der Zeit ist, bis er kommt, wurden mögliche Auswirkungen eines Versandhandels von den anderen heftigst kritisiert.
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