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DAZ aktuell
Anhörung: Bessere Bedingungen für Kinder-Arznei nötig
Einige Schritte gegen die Defizite auf diesem Gebiet sind unterdessen unternommen worden. So fördert das Bundesforschungsministerium die Durchführung klinischer Prüfungen bei Kindern und Jugendlichen an einzelnen Kliniken, die Expertenkommission "Arzneimittel für Kinder und Jugendliche" wurde im Oktober eingerichtet (s. DAZ Nr. 44 vom 1. November 2001).
Defizite bei Prüfung
Viele Arzneimittel würden derzeit zwar bei Kindern erfolgreich angewendet, seien jedoch nicht für die jeweiligen Altersgruppen oder die Dosierung geprüft und zugelassen, so die Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Cornelia Yzer. Bei einem Teil der Medikamente habe die Zulassungsbehörde aufgrund fehlender Daten Anwendungsverbote ausgesprochen. Yzer forderte daher eine bessere Datenlage zum Einsatz von Arzneimitteln bei Kindern. Derzeit verhindere das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) zum Teil notwendige klinische Prüfungen bei Kindern. Auf europäischer Ebene sei dazu bereits eine Regelung gefunden, die baldmöglichst in das AMG übernommen werden sollte.
Die VFA-Hauptgeschäftsführerin warnte vor "Studien-Aktionismus" und schlug einen Bedarfsplan mit einer Prioritätenliste mit Arzneimitteln gegen Krankheiten vor, bei denen neue Erkenntnisse notwendig seien. Des weiteren sollten bereits vorhandene Daten ausgewertet und für den Einsatz bei Kindern genutzt werden, um die Heranwachsenden nicht unnötig durch Studien zu belasten. Der in Berlin ansässige VFA plädiert zudem für den Aufbau einer pädiatrischen Leit-Ethikkommission. Sie soll Prüfpläne auf die Balance zwischen dem Schutz des einzelnen Kindes sowie der Notwendigkeit klinischer Prüfungen für Kinder hin bewerten.
Anreiz nötig
Die VFA-Hauptgeschäftsführerin sprach sich dafür aus, dass die Politik durch eine Verbesserung der Schutzrechte von Arzneimittelherstellern ein Anreizsystem für die pädiatrische Forschung schafft. In den USA würden Unternehmen, die pädiatrische Indikationen entwickeln, längere Schutzrechte gewährt, was die Zahl entsprechender Studien steigen ließ. Eine ähnliche Regelung in der EU könnte die Arzneimitteltherapie bei Kindern wesentlich verbessern, vertritt der VFA hier in Übereinstimmung mit dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). In den USA erhielten Firmen, die Prüfprogramme für Kinder initiierten, einen um sechs Monate verlängerten Patentschutz für das Medikament, so Professor Barbara Sickmüller, BPI-Geschäftsführerin, in ihrem schriftlichen Statement.
BPI und VFA in einem Boot
Nach Information von Sickmüller haben die Verbände BPI und VFA bereits frühzeitig gemeinsam mit Vertretern der pädiatrischen Hochschulen eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft angewandte Humanpharmakologie gegründet und nach Lösungswegen gesucht. Nach Ansicht der BPI-Geschäftsführerin muss bei der Frage, wie Daten für die Anwendung von Arzneimitteln im Kindesalter gewonnen werden können, unterschieden werden, ob es sich um Medikamente mit neuen oder bekannten Stoffen handelt.
- Bei der Entwicklung von Arzneimitteln mit neuen Stoffen könne der pharmazeutische Unternehmer bereits in der Entwicklungsphase die Datenerhebung für Kinder mit einplanen. Solche Daten seien vor dem generischen Wettbewerb geschützt. Da es sich bei dem Markt für Kinderarzneimittel meist um eine kleine Gruppe mit vergleichsweise hohen Aufwendungen handele, plädiert der BPI für Vergünstigungen ähnlich wie in den USA, konkret eine längere Schutzfrist für das gesamte Produkt.
- Ganz anders sei die Situation bei Arzneimitteln mit bekannten Substanzen. Nach der aktuellen europäischen Rechtsprechung seien Investitionen in die Weiterentwicklung dieser Präparate für die Anwendung bei Kindern nicht mehr durch Patente geschützt, so dass diese Daten von jedem Mitbewerber unentgeltlich verwendbar seien. Der BPI halte das für ein wesentliches Investitionshindernis. In diesem Fall müssten spezielle Anreize, zum Beispiel ein geeigneter Unterlagenschutz oder eine exklusive Vermarktung, vorgesehen werden. Sie stellen nach Ansicht dieses Verbands eine bessere Lösung dar als etwa eine Stiftung. Der BPI verweist auf die Erfolge der europäischen Verordnung für Arzneimittel gegen seltene Krankheiten, die unter bestimmten Voraussetzungen eine zehnjährige Marktexklusivität garantiert.
Generikafirmen für Zulassungserweiterung
Die Generikahersteller plädieren bei entsprechendem Datenmaterial für die Erweiterung bestehender Zulassungen auf Kinder. Bereits vorhandene Erkenntnisse für den Einsatz bei Kindern, die bereits in Mustertexte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eingeführt worden seien, sollten für die Generikahersteller konkret durch Änderungsanzeigen (§ 29 des AMG) anpassbar sein, Neuzulassungen wären somit unnötig, vertritt der Deutsche Generikaverband mit Sitz in Tauting.
Wichtigstes Ziel ist für diesen Verband die Streichung der Kontraindikation "Kinder" aus den Zulassungen als erstem wichtigen Schritt zur Verbesserung. Hauptmissstand sei derzeit, dass die Ärzte zum so genannten Off-Label-Use gezwungen würden, also zum Einsatz von Medikamenten außerhalb deren Zulassungsbereichs; die Pharmakotherapie in der Pädiatrie sei daher nur unzureichend abgesichert. Nicht Grundlagenforschung, sondern eine Änderung des Labels müsse daher angestrebt werden, so die Meinung dieses Verbands.
Nach Sichtung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes durch Experten müsse die anschließende Erweiterung des Zulassungsstatus bei den entsprechenden Arzneimitteln inklusive Nachahmerpräparate angestrebt werden. In diesem Zusammenhang fordert der Generikaverband eine geänderte Verwaltungspraxis der Zulassungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Das BfArM fordere zum Beispiel zu häufig die Aufnahme der absoluten Kontraindikation "Kinder" in den Unterlagen.
Neben den Zulassungserweiterungen wären nach Ansicht des Generikaverbands darüber hinaus neue Studien zu bekannten Substanzen nötig. Hier sollten klinische Studien im konkreten Einzelfall vorgenommen werden, wenn diese von unabhängiger Seite für erforderlich gehalten werden, mit finanzieller Unterstützung aus öffentlicher Hand und Krankenkassen. Die Koordination möchte der Generikaverband übernehmen.
Bioäquivalenz anerkennen
Bei der Sammlung neuer Daten müsse jedoch sichergestellt werden, dass die Zulassungsbehörde den Grundsatz akzeptiere, dass Arzneimittel, die bei Erwachsenen bioäquivalent sind, auch bei Kindern jeden Alters bioäquivalent sind. Zur Zeit lehne das BfArM selbst die Erweiterung bestehender Zulassungen um Kinderindikationen (etwa Autismus) und entsprechende Dosierungsanleitungen ab, selbst wenn diese bereits Bestandteil der amtlichen Muster- und Gebrauchs- und Fachinformationstexte seien.
Bei neuen Anträgen zu neuen Substanzen fordert der Generikaverband eine Aufforderung zur Durchführung klinischer Prüfungen an Kindern von unabhängiger Stelle. Ansonsten drohe Missbrauch in Form unnötiger Prüfungen an Jugendlichen nur mit dem Ziel, den effektiven Patentschutz des Arzneimittels auch für Erwachsene künstlich zu verlängern.
Kastentext: Die Lage
Aktuelle Untersuchungen gehen davon aus, dass im intensivmedizinischen Bereich bei Kindern rund 90 Prozent aller Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Anwendungsbereiche eingesetzt werden. Es liegen Untersuchungen vor, dass in der allgemeinmedizinischen Praxis für knapp die Hälfte aller Medikamente keine ausreichenden Hinweise zur Anwendung im Kindesalter bestehen.
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