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Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern: Wie sieht die Arzneimittelversorgung der Zu
Die Position der Apotheker stellte ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun dar. Er beschrieb das bestehende Apothekensystem als leistungsfähig und kostengünstig, weshalb systemverändernde Reformen nicht sinnvoll erschienen. Zudem sei der Arzneimittelvertriebsweg nicht für den Anstieg der Arzneimittelausgaben verantwortlich.
Apotheken sind keine Kostentreiber
Die Ausgaben der GKV für Arzneimittel seien im Geltungsbereich der Arzneimittelpreisverordnung zwischen 1992 und 2000 um 23% gestiegen, von denen aber nur 2,6% den Rohertrag der Apotheken erhöht hätten. Einschließlich Patientenzuzahlungen sei der Rohertrag um 8,8% gewachsen. Dagegen stiegen die Gesamtausgaben der GKV um 24%. Auch die Zahl der Apotheken sei fast nur vereinigungsbedingt gestiegen und gehe inzwischen sogar in den neuen Bundesländern zurück.
Mengen und Preise der verordneten Arzneimittel sind langfristig gesunken. Für den Ausgabenanstieg ist damit allein die Strukturkomponente der Verordnungen verantwortlich. D. h. neue Wirkstoffe und neue Krankheitsbilder erhöhen die Kosten. In die gleiche Richtung wirken die Trends zur ambulanten Behandlung schwerer Krankheiten und zur Substitution "umstrittener" Arzneimittel durch teure Innovationen.
Diese bekannten Einflussfaktoren sollten in diesem Herbst in Arbeitsgruppen untersucht werden, die der Runde Tisch im Bundesgesundheitsministerium beauftragt hatte. Vor diesem Hintergrund seien viele Beteiligte über den nur wenige Tage später veröffentlichten ersten Entwurf für das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) sehr erstaunt gewesen. Dieser Entwurf sei nicht, wie oft behauptet, mit den Krankenkassen und Gewerkschaften gemeinsam erstellt, sondern im Ministerium erarbeitet worden.
Das AABG und die Folgen
Immerhin sei die besonders hohe, überproportionale Belastung der Apotheker aus der ersten Fassung des Gesetzes inzwischen abgemildert worden. Derzeit sei von einer jährlichen Belastung der Apotheker von 960 bis 1060 Mio. DM auszugehen, d. h. etwa 35% weniger als bei der ersten Fassung. Außerdem werde die Zwangspreissenkung der Nichtfestbetragsarzneimittel um 4% durch eine Einmalzahlung der Industrie in Höhe von 400 Mio. DM ersetzt. Trotz Bedenken gegenüber dieser Vorgehensweise sei dies standespolitisch vorteilhaft. Denn so werden die Handelsstufen nicht durch eine Preissenkung belastet, was für die Apotheken mit etwa 160 Mio. DM positiv zu Buche schlage.
Dagegen protestiere die ABDA massiv gegen die Bemühungen der Generikahersteller, die Aut-idem-Regel "abzukaufen". Denn dies sei die einzige strukturelle Lösung im AABG, die zudem langfristig wirke. Obwohl die Politik schon seit mindestens zehn Jahren mehr Generikaverordnungen fordere, stagniere die Zahl dieser Verordnungen. Die Ärzte allein könnten dies offenbar nicht ändern.
Braun machte zugleich deutlich, welchen großen Beitrag die Apotheken mit der Erhöhung des Kassenrabattes um einen Prozentpunkt leisten werden, denn dieser schlägt vollständig auf den Rohertrag durch. Daher sollte die Rabatterhöhung zumindest auf zwei Jahre befristet werden. Wenn der Runde Tisch später über weitergehende Reformen diskutieren solle, dürften nicht schon einzelne Maßnahmen festgelegt sein.
Konzepte in der Diskussion
Den lange bekannten Vorschlägen der Krankenkassen zur Reform des Arzneimittelvertriebes stellte Braun die ABDA-Position gegenüber:
- Eine Positivliste sei nicht sinnvoll, denn weniger die Produkte selbst, als vielmehr die jeweiligen Anwendungsbedingungen der Arzneimittel seien für den Nutzen entscheidend. Stattdessen sollten verbindliche indikationsbezogene Arzneimittelrichtlinien erlassen werden.
- Die Forderung, die Krankenhausapotheken für die ambulante Versorgung zu öffnen, gehe von falschen Voraussetzungen und Hoffnungen aus. Denn warum sollten die Hersteller ein verbundenes System weiterhin subventionieren? Stattdessen seien "reale" Preise im Krankenhaus zu erwarten.
- Der Versandhandel mit Arzneimitteln biete keine Vorteile, zumal der Vertrieb in Deutschland im EU-Vergleich bereits günstig sei und mit geringeren Margen auskomme als in den Ländern mit Apothekenketten und Versandhandel. Die Preise von DocMorris seien unter Berücksichtigung von Zuzahlung, Kassenrabatt und Mehrwertsteuer oft teurer als in Deutschland, insbesondere im Vergleich zu Generika und Importen. Der Versand sei demnach "ein Politikum, aber keine ökonomische Größe".
- Versandhandel wäre nicht national organisierbar. Denn nationaler Versand wäre europarechtlich unzulässig, während ein europaweiter Versand die nationale Arzneimittelgesetzgebung aushöhlen würde. Dieses Problem ergäbe sich umgekehrt in den Niederlanden nicht, da DocMorris dort abgesehen von einigen Lifestylearzneimitteln fast keine Arzneimittel versende.
Stattdessen sollte die Arzneimittelpreisverordnung "gedreht" werden. Eine Spannensenkung in den oberen Preisbereichen könnte die GKV - ertragsneutral für die Apotheken - um über 800 Mio. DM (einschließlich Mehrwertsteuer) entlasten, wenn die Preise der OTC-Produkte um etwa 10% steigen. Dies reduziere zugleich die ökonomischen Anreize für die Rosinenpickerei.
Als weitere Neuerung sollte der Berufsstand diskutieren, wie bettlägerige Patienten besser zu Hause angesprochen werden könnten. Gefragt sei hier eine umfassende pharmazeutische Versorgung, aber kein Versand.
Wer löst die Grundsatzprobleme der GKV?
Wolfgang Schmeinck, Vorsitzender des BKK-Bundesverbandes, leitete seine Überlegungen von einer grundsätzlichen Analyse der Finanzierungsstruktur der GKV ab. Einerseits würden die Einzahlungen durch verminderte Beiträge der Arbeitslosen und Rentner belastet, andererseits stiegen die Ausgaben durch demografische Effekte und den medizinischen bzw. pharmazeutischen Fortschritt. Dabei würden die Auswirkungen der Demografie zumeist überschätzt und die des Fortschrittes unterschätzt. Da diese Konstellation sich zumindest mittelfristig nicht ändern werde, sollten sich Apotheker fragen, ob sie sich weiterhin auf die GKV als wesentlichen Finanzier verlassen könnten.
Als denkbare Alternative könnte die GKV in eine "Großschadensversicherung" umgewandelt werden, die nur die großen Risiken absichere. Letztlich müsse eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, wie viele Gesundheitsleistungen in welcher Qualität die Gesellschaft haben möchte und wer überhaupt für die Gesellschaft sprechen könne. Beitragssatzstabilität sei ökonomisch gesehen keine sinnvolle Forderung, sondern werde nur notwendig angesichts unseres Finanzierungssystems, das allerdings vorteilhaft sei. Es müsse geklärt werden, wie viel Geld die Gesellschaft für die Gesundheit ausgeben wolle - doch welcher Politiker sei zu dieser Diskussion bereit?
Zulässige oder unzulässige Rabatte?
Die Eckpunkte zu Reformen des Gesundheitswesens, die Braun genannt hatte, könne auch Schmeinck akzeptieren. Doch gehöre zu einer grundsätzlichen Reform auch ein Beitrag der Apotheker. Neben Arzneimittelpreisverordnung und Kassenrabatten sollten dabei auch die Naturalrabatte betrachtet werden - zumindest der "unzulässige Teil", für den Schmeinck allerdings keine Abgrenzungskriterien nannte. Diese Rabatte seien auf etwa 750 bis 900 Mio. DM pro Jahr zu beziffern, doch würden sich diese Zahlen "auf Gerüchteebene" vervielfachen, so dass auch die Apotheker ein Interesse an der Lösung des Problems haben sollten.
Die Öffnung der Krankenhausapotheken sollte nach Auffassung von Schmeinck helfen, den Generikaanteil zu erhöhen. Doch wandte auch er sich entschieden gegen einen Wettbewerb unter ungleichen Bedingungen, zudem seien keine Subventionen der Industrie mehr zu erwarten, wenn die Systeme vermischt würden.
Zukunft des Arzneimittelmarktes
Für die Zukunft des GKV-finanzierten Arzneimittelmarktes sieht Schmeinck folgende Trends:
- Der Markt werde sich immer stärker in Generika und Innovationen aufspalten.
- Die Methodik zur Bestimmung des therapeutischen Nutzens werde weiter entwickelt. Dies sei teuer, aber notwendig, um Entscheidungen über die Erstattung von Arzneimitteln wissenschaftlich zu unterlegen. Möglicherweise münde dies in alternative Versicherungsverträge, obwohl diese derzeit ein Tabu für die GKV darstellten.
- Der Druck auf die Herstellerabgabepreise werde zunehmen. Ausgelöst durch mögliche Gerichtsurteile gegen die Rechtmäßigkeit der Festbeträge könne dies schon in wenigen Monaten bedeutsam werden. Dann böten sich Preisverhandlungen an, wobei er vorzugsweise mit den Apotheken und nicht mit der Industrie verhandeln würde. Dies werfe Fragen nach der Vertretung der Apotheker in Verbänden und zum Kartellrecht auf.
- Die GKV strebe das Kostenerstattungsprinzip nicht an, doch könnte die EU das Sachleistungsprinzip konterkarieren.
- Die Vertriebskosten und die Mehrwertsteuer stünden weiter unter Druck. Auch er wisse nicht, wie hoch die ökonomisch "richtigen" Vertriebskosten seien. Daher sollten die Alternativen im fairen Wettbewerb getestet werden. Dies setze allerdings geänderte Spannen voraus. Letztlich sollten die Apotheker noch mehr als die Krankenkassen an einer Spannenänderung interessiert sein.
- Die "Apotheke vor Ort" werde sich behaupten, wenn auch möglicherweise mit einem größeren Anteil an Nicht-Arzneimitteln.
Aut idem: Probleme mit Rabatten ...
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation von DAZ-Chefredakteur Peter Ditzel wurde zunächst hinterfragt, wie sich die geplante Aut-idem-Regelung auswirken wird. Nach Ansicht von Schmeinck stimmen die ökonomischen Rahmenbedingungen nicht. Die Apotheker würden ständig in einen Konflikt zwischen dem Sparziel und den eigenen Rabattinteressen geführt. Dies führe zur "Verrohung der Sitten" und zu "perversen Fehlanreizen".
Den Vorteil der Aut-idem-Regel sieht Braun dagegen in der schnelleren Lieferfähigkeit zugunsten von Patienten und Apotheken. So könnten nach AOK-Untersuchungen 10% aller Verordnungen in Apotheken nicht sofort beliefert werden, obwohl geeignete Arzneimittel zur Substitution vorrätig seien. Die zu erwartenden Rabatte würden dagegen nicht einmal den Margenverlust durch die Abgabe billigerer Generika ausgleichen, während dieser in den Niederlanden und der Schweiz ersetzt werde. Die Kritik an der Aut-idem-Regel verkenne, dass diese kein neuer Eingriff in das System sei, sondern nur die vorhandenen Preisunterschiede nutze.
Dr. Gerhard Behnsen, Vorsitzender des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern, sieht ökonomische Vorteile der Aut-idem-Regel nur, weil sich Wartezeiten verkürzen und das Warenlager verringert werden könnte.
... Compliance, Bioäquivalenz ...
Prof. Dr. Hans-Willi M. Breuer, Görlitz, sieht große Probleme aus ärztlicher Perspektive. Die Aut-idem-Regelung belaste die Compliance. Zudem seien die Produkte keineswegs bioäquivalent.
Braun entgegnete, dass die Ärzte in der Praxis oft nicht nach Bioäquivalenzkriterien verschrieben, sondern ihre Verordnungen häufig wechselten. Außerdem kämen viele Generika ohnehin von den gleichen Lohnherstellern. Andererseits böte die Patientenchipkarte ein geeignetes Instrument, um die Behandlungskontinuität zu sichern, und bei besonders problematischen Produkten, z. B. Dosieraerosolen, könnten die Ärzte die Substitution ausschließen.
... und preisgebundener Auswahl
Heinz-Günter Wolf, ABDA-Vizepräsident und Vorsitzender des Apothekerverbandes Niedersachsen, sieht im derzeitigen Entwurf für die Aut-idem-Regel einen zweiten Festbetrag unter dem bisherigen. Wesentlich intelligenter sei eine Indexsteuerung, die auf einen Durchschnittspreis ziele (vgl. hierzu Vorschlag von Dr. Klaus G. Brauer, "Spielregeln für aut idem" in DAZ 38, S. 56 ff.). Dann könnten im Einzelfall auch teurere Präparate abgegeben werden.
Zur Rabattdiskussion führte Wolf an, dass die Industrie für Rabatte ohnehin keinen Spielraum mehr haben dürfte. Stattdessen brauche sie das Geld, um die Preise soweit zu senken, dass die Produkte in das Auswahlfenster fallen.
Trotz der diversen geäußerten Probleme bei Umsetzungsdetails begrüßte Wilhelm Soltau, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, die Aut-idem-Regel, weil sie die Kompetenz der Apothekerschaft stärke. Ohne die Substitution würde das Wissen der Apotheker vergeudet, das diesen mit den finanziellen Mitteln der Gesellschaft vermittelt worden sei.
Neue Versandhandelsinitiative
Als weiteres aktuelles Diskussionsthema sprach Ditzel die am 7. November gegründete Initiative "Pro Direkt Service Apotheke" für den Arzneimittelversand an (siehe Bericht in AZ 46).
Schmeinck sieht in dieser Gründung durch einige Betriebs- und Ersatzkassen ein Zeichen, dass den Kassenverbänden das Thema Arzneimittelversand aus der Hand genommen werde. Dieser Initiative liege die alte Forderung nach selektivem Kontrahieren zugrunde. Er betrachte die klassische Apotheke als zukunftsträchtig, doch gebe es noch Rationalisierungsreserven. Daher verstehe er nicht, warum sich die Apothekerschaft so sehr dagegen wehre. Bei fairen Bedingungen ohne Rosinenpickerei sei dies unbegründet.
Für Braun liegt der Hintergrund der Versandhandelsinitiative in der INIFES-Studie (siehe Berichte in DAZ 38, S. 19 f. und DAZ 40, S. 30), die Einsparungen durch Versandhandel in Höhe von einigen 100 Mio. DM pro Jahr ergeben habe. Diese seien aber nur unter idealen Bedingungen mit 15% Marktanteil, 500 Mio. DM Umsatz pro Versandapotheke und Versand teurer Dauermedikation zu erreichen, was aber gerade Rosinenpickerei darstelle und nur mit Großapotheken im Besitz von Kapitalgesellschaften vorstellbar sei.
Warum Ketten in Deutschland so gefährlich sind
Als Grund für die massive Ablehnung solcher Ideen durch die Apothekerschaft verwies Braun auf die besonderen Bedingungen in Deutschland. In Ländern ohne Niederlassungsfreiheit würden Kettenbetreiber bestehende Apotheken teuer aufkaufen müssen. So würde in Italien der Goodwill einer Apotheke von Ketten mit mehr als dem dreifachen Jahresumsatz bezahlt. In Deutschland dagegen würden die bestehenden Apotheken auf einen Schlag wertlos, wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot wegfiele. Denn wegen der Niederlassungsfreiheit könnten die Ketten jederzeit neue Apotheken eröffnen. Darum käme eine solche Entwicklung einer Enteignung gleich und müsse strikt abgelehnt werden.
Nach Auffassung von Wolf wären gerade die Krankenkassen die Verlierer der von ihnen geforderten "Kommerzialisierung" der Arzneimittelversorgung. Denn bei einer solchen Entwicklung stünden sie bald einigen Oligopolisten gegenüber, die Preise diktierten wie auf dem Energiemarkt. Diese Auffassung teilte auch Schmeinck, doch sei aus seiner Sicht ein Oligopol noch günstiger als das heutige Monopol mit Einheitspreisen für Arzneimittel.
Auf dem Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern, der am 11. November in Heringsdorf auf Usedom stattfand, stand traditionsgemäß die Gesundheits- und Berufspolitik auf dem Programm. In diesem Jahr wurde hinterfragt, wie die Arzneimittelversorgung in Zukunft weiterentwickelt werden kann. In zwei Referaten aus Sicht der Apotheker und der Krankenkassen ging es um die jüngsten Spargesetze und um langfristige Ideen zur Arzneimittelpreisbildung. Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurden die Aut-idem-Regel und der Versandhandel angesprochen.
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