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Arzneimittel und Therapie
HIV-Impfstoff: Noch lange nicht in Sicht
Das HI-Virus stellt die Forscher vor nie gekannte Probleme: Nicht nur, dass es zwei "Arten" des Virus (HIV-1 und HIV-2) und mindestens zehn Subspezies von HIV-1 (mit unterschiedlicher geographischer Verteilung) gibt. Der Erreger scheint auch nahezu unerschöpflich in seiner Fähigkeit zu sein, wichtige Oberflächenmerkmale permanent zu ändern und so das Immunsystem "ins Leere" laufen zu lassen. Manche Forscher sind sogar der Meinung, dass das HI-Virus als definierter Krankheitserreger gar nicht existiert. Es handele sich vielmehr um eine Quasispezies, mit Hunderten von Untertypen in jedem Infizierten. Dass hier mit konventionellen Impfstoffen, die darauf abzielen, Antikörper gegen ein fixes antigenes Merkmal des Erregers zu erzeugen, nichts auszurichten ist, liegt auf der Hand.
Tiermodelle sind nicht zuverlässig
Die derzeit eingesetzten Tiermodelle spiegeln den Ablauf der Infektion im Menschen nur unzuverlässig wider. Während Impfstudien an Affen mit dem Handicap belastet sind, dass die diversen Primaten sich besser gegen HIV als gegen den homologen Erreger, SIV (der bei Affen ein AIDS-ähnliches Syndrom auslöst), schützen lassen, haben Versuche an Mäusen bislang meist falsche hohe Erwartungen geweckt. Auch fehlt den Forschern bis heute ein immunologischer Marker, an dem man die Schutzwirkung eines Impfstoffs mit einem einfachen Testverfahren ablesen kann. Dies macht Impfstudien am Menschen schwierig, da der Wirksamkeitsnachweis bislang immer sehr aufwendig über quantitative Virusbestimmungen geführt werden muss.
Lebendvakzine als biologische Zeitbombe
Ausgehend von der Beobachtung, dass Menschen, die mit einem "verkrüppelten" HI-Virus infiziert sind, über lange Zeit (in einem Fall 17 Jahre) kein AIDS entwickeln, hatte man lange Zeit Hoffnung auf eine abgeschwächte Lebendvakzine gesetzt.
Virusvarianten, denen das so genannte nef-Gen oder andere Genabschnitte, die für die Virusvermehrung notwendig sind, fehlte, schützen Affen in einem hohen Prozentsatz gegen die üblichen krankheitsverursachenden Spielarten von HIV.
Allerdings ist seit einigen Monaten klar, dass selbst Varianten, denen drei essenzielle Genabschnitte fehlen, für die Geimpften einer biologischen Zeitbombe gleichkommen: Auch künstlich mutilierte HIV-Varianten machen Versuchstiere krank und können letzten Endes töten. Die abgeschwächte Lebendvakzine ist damit endgültig vom Tisch.
DNA-Vakzine nicht aussichtsreich
Auch die lange Zeit als das impfmedizinische Nonplusultra angesehene gp120-DNA-Vakzine entpuppt sich mehr und mehr als zeitraubende Tüftelei denn als Geniestreich. Die Baupläne von 20000 Varianten des gp120-Moleküls will beispielsweise Michael Schreiter vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten über einen DNA-Impfstoff in den Körper bugsieren. Andere Forscher wollen neben virusspezifischen Informationen die Gene für bestimmte, den zellulären Arm des Immunsystems aktivierende Transmittersubstanzen mit in die synthetische Vakzine einbauen. Die nahezu unbegrenzte Zahl von Kombinationsmöglichkeiten verlangt ein entsprechend umfangreiches Wirksamkeitsscreening in tierexperimentellen Studien und lässt die praktische Einführung eines solchen Impfstoffs in weite Ferne rücken.
Noch mindestens 10 bis 15 Jahre
Die Hoffnungen, in den nächsten Jahren einen Impfstoff gegen das HI-Virus entwickeln zu können, sind nicht sehr hoch. Eine einzige Vakzine befindet sich derzeit in klinischer Testungsphase, zwei Impfstoffe in der Vorprüfungsphase. Etwa 30 weitere Substanzen sind in der "Forschungspipeline". Die tatsächliche Effizienz eines Impfstoffes - und schwerwiegende, aber selten auftretende Nebenwirkungen - können erst dann berechnet bzw. festgestellt werden, wenn mehrere 10000 Personen in unterschiedlichen Regionen geimpft worden sind. Dies bedeutet in der Praxis mehrere große multizentrische Impfstudien, die geplant, genehmigt, realisiert und ausgewertet werden müssen. Deshalb wird es noch mindestens 10 bis 15 Jahre dauern, bis eine zuverlässige und nebenwirkungsfreie HIV-Vakzine zur Verfügung steht.
Prüfung in Entwicklungsländern: sinnvoll, aber ethisch problematisch
Aus statistischen Gründen, um die Kosten zu senken und um die Studiendauer möglichst kurz zu halten, müssen Impfstudien dort durchgeführt werden, wo sich besonders viele Menschen pro Zeiteinheit infizieren. 95 Prozent aller HIV-infizierten Menschen leben in Entwicklungsländern, nahezu zwei Drittel, also rund 22 Millionen, in Afrika südlich der Sahara. Dort sterben bereits mehr Menschen an AIDS als an Malaria und Tuberkulose zusammen.
Länder, deren Menschen zuerst in den "sauren Apfel" einer Impfstofftestung "beißen", sollten aber auch als erste davon profitieren, wenn sich die Vakzine als wirksam erweisen sollte. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass neu entwickelte Impfstoffe bislang immer mit einer Verzögerung von 10 bis 15 Jahren dort eingesetzt wurden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Pharmaunternehmen mit ihren Vakzinen Geld verdienen wollen, aber weder die Menschen in den Entwicklungsländern noch deren Gesundheitsminister die marktüblichen Preise bezahlen können.
"Die größte Ironie wäre," sagt Jose Esparza, der Leiter der Abteilung für HIV-Impfstoffe von UNAIDS, "dass eine Vakzine, die durch Studien in einem Entwicklungsland zur Marktreife gelangt, aus finanziellen Gründen nur in den industrialisierten Ländern zum Einsatz kommt, und letztendlich die bereits bestehende 'AIDS-Kluft' noch größer werden lässt."
Arme Länder als Partner
Kürzlich wies Salim S. Abdool Karim, Direktor am Medical Research Council in Südafrika, auf ein weiteres ethisches Problem hin: "Wie soll man einfachen Menschen ohne Bildung das Prinzip - und das damit verbundene Risiko - einer Doppelblindstudie erklären, bei der ja weder Arzt noch Patient wissen, wer den Impfstoff und wer das Plazebo erhält?"
Damit die armen Ländern mit den vielen AIDS-Kranken nicht von vornherein den Eindruck bekommen, sie seien nur ein billiger Testplatz für die HIV-Vakzine, müssen Forschungsinstitutionen der Entwicklungsländer als ebenbürtige Partner an den Impfstudien beteiligt werden. Dies setzt aber in vielen Ländern der Dritten Welt voraus, dass die entsprechende Forschungsinfrastruktur erst einmal geschaffen wird. Woher die dafür benötigten finanziellen Mittel kommen sollen, ist nicht erkennbar.
Dass Pharmafirmen bei einem von den Entwicklungsländern geforderten "Produktionskosten-plus-10-Prozent-Preislimit" kein Interesse an einem solchen Deal haben, liegt auf der Hand. Um gleichwohl die Forschung an einer HIV-Vakzine für die pharmazeutische Industrie lukrativ zu halten, wurde von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, einen mehrere Milliarden teueren Fonds einzurichten, aus dem Impfstoffe aller Art für Entwicklungsländer zu einem marktüblichen Preis gekauft werden sollen. Wer diesen Fonds einrichten und immer wieder auffüllen soll, ist allerdings völlig unklar.
Logistische und politische Probleme
Selbst wenn eine HIV-Vakzine verfügbar wäre, bedeutet das noch lange nicht, dass die Menschen, beispielsweise im tiefsten Kongo, auch geimpft werden. Sind doch zahlreiche Länder bereits überfordert, ihre Bevölkerungen mit Standardimpfstoffen zu versorgen. Die Internationale AIDS Vaccine Initiative hat eine lange Liste von logistischen und politischen Problemen vorgelegt, die in einem Entwicklungsland vorab gelöst werden müssen, bevor eine HIV-Vakzine zum Einsatz kommen kann.
Lieber Prävention fördern
Experten warnen, dass die Konzentration auf die "Wunderwaffe" HIV-Impfstoff Anstrengungen anderer Art, die Seuche unter Kontrolle zu bringen, zunichte machen könnte. Das für die Vakzine benötigte Geld, sei es auf nationaler Ebene oder in den Budgets der medizinischen Entwicklungshilfe, würde dann nämlich für die bislang favorisierten Bekämpfungsmaßnahmen fehlen. "Die Ausbreitung von HIV kann mit heutigem Wissen bereits morgen verlangsamt werden", schrieb die angesehene Fachzeitschrift Lancet kürzlich in einem Leitartikel, "und zwar mit deutlich geringerem finanziellen Aufwand als durch die AIDS-Vakzine."
Literatur Science 228, 2129 (2000) Scientific American Juli 2000, S. 14-15 Lancet 355, 2061-2066 (2000) Lancet 356, 55-60 (2000) Lancet 356, 85 (2000)
Das HI-Virus stellt die Forscher bei der Impfstoff-Entwicklung vor nie gekannte Probleme: Nicht nur, dass es zwei "Arten" des Virus (HIV-1 und HIV-2) und mindestens zehn Subspezies von HIV-1 (mit unterschiedlicher geographischer Verteilung) gibt. Der Erreger scheint auch nahezu unerschöpflich in seiner Fähigkeit wichtige Oberflächenmerkmale permanent zu ändern und so das Immunsystem "ins Leere" laufen zu lassen.
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