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"Lifestyle-Medikamente" – Anspruch und Wirklichkeit

Ein hochaktuelles Thema hatte sich Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Frankfurt und Generalsekretär der DPhG, für die zweite wissenschaftliche Sitzung der Regionalgruppe München der DPhG am 5. Dezember dieses Jahres ausgewählt. Dies ließ das überfüllte Auditorium zumindest vermuten, das mit Spannung und angeregter Diskussion seiner Beurteilung so genannter "Lifestyle-Medikamente" folgte.

Erst 1998 im Zusammenhang mit der Einführung von Viagra ist der Begriff "Lifestyle-Medikamente" aufgekommen. Schon bald hatte Viagra einen weltweiten Bekanntheitsgrad, der dem der Coca Cola durchaus vergleichbar ist. Viele weitere neue Arzneistoffe, die in den letzten Jahren in den Arzneimittelmarkt eingeführt wurden, haben nicht nur in Fachkreisen, sondern vor allem auch in den Laienmedien und in der Boulevardpresse ein enormes Echo ausgelöst. Dies gilt besonders für die Medikamente zur Behandlung der Erektilen Dysfunktion, der Adipositas und der androgenetischen Alopezie, aber auch für Johanniskrautpräparate, Vitamin E, Melatonin oder DHEA. Lifestyle-Medikamente bessern nicht nur Krankheiten, sondern vor allem das Lebensgefühl.

Übergewicht und Adipositas

In einer Science-Studie von 1998 wurde die zunehmende Prävalenz der Adipositas konstatiert. Heute gelten in Deutschland etwa 50% der Bevölkerung als beginnend adipös, mit einem BMI (body mass index) von über 30 kg/m2, und 20% als stark adipös (BMI über 35), wobei mit Folgeerkrankungen (Diabetes, Arteriosklerose, Bluthochdruck, Dyspnö u. a.) und psychischem Leidensdruck gerechnet werden muss.

Einer jüngsten Statistik zufolge nimmt das Durchschnittsgewicht der Bundesbürger etwa alle zehn Jahre um 5 kg zu. Überflüssige Pfunde wieder zu verlieren, ist schwierig und langwierig, der Griff zur helfenden Pille beliebt. Schubert-Zsilavecz betonte, es komme nicht auf große Gewichtsverluste durch Radikalkuren mit den meist unweigerlichen Rückfällen an. Behandlungsziel einer Therapie mit modernen Antiadiposita sei bereits, das Gewicht zu halten, wieder eine "biochemische Fitness" zu erreichen. Dafür seien auch 5% Gewichtsabnahme schon hervorragend.

Immer noch sind Ernährungsumstellungen und vermehrte Bewegung die beiden großen Voraussetzungen. Wenn dies nicht mehr hilft, dann erst sollte eine medikamentöse Therapie eingesetzt werden. Wegen ihrer Abhängigkeitspotenziale und Nebenwirkungen sind die früher so beliebten Appetitzügler vom Typ der Norpseudoephedrine vom Markt genommen worden. Auch die reinen Noradrenalin- bzw. Serotonin-Wiederaufnamehemmer Phentermin oder Dexfenfluramin ereilte wegen schwerer kardialer Nebenwirkungen dieses Schicksal.

Sibutramin, Orlistat und Leptin-Agonisten

Sibutramin ist der erste zugelassene Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor (SNRI). Ursprünglich war er als Antidepressivum entwickelt worden. Sibutramin wirkt auf zweifache Weise:

  • Infolge eines zentral induzierten Sättigungsgefühls kann die Kalorienzufuhr gedrosselt werden.
  • Gleichzeitig wird durch eine Steigerung der Thermogenese der Grundumsatz erhöht.

Bei indikationsgemäßem Einsatz sind die Nebenwirkungen von Sibutramin gering: Ein leichter Anstieg von Blutdruck, Herzfrequenz oder Kopfschmerzen wird von den meisten Betroffenen in Kauf genommen.

Nach einem völlig anderen Mechanismus wirkt das Tetrahydrolipostatin Orlistat: Als Derivat des natürlichen Lipase-Inhibitors Lipostatin hemmt es die Fettaufspaltung und -absorption im Darm. Einer in Lancet publizierten 2-Jahresstudie zufolge sind die verzeichneten Gewichtsabnahmen signifikant. Gastrointestinale Beschwerden, fetter und vermehrter Stuhl werden beobachtet, die Aufnahme fettlöslicher Vitamine kann gestört sein, aber durch Supplementierung ausgeglichen werden.

Zukünftige Therapieansätze konzentrieren sich auf den "Sättigungsfaktor" Leptin, ein körpereigenes Peptid, das den Appetit zügelt. Entsprechend sollen Agonisten die Wirkung von Leptin an zentralen Leptinrezeptoren imitieren, während für das "Fresspeptid" NP-Y Antagonisten in Entwicklung sind. So bald werden diese Forschungen jedoch nicht abgeschlossen sein.

Man dürfe nicht übersehen, betonte Schubert-Zsilavecz abschließend zu diesem Thema, dass diese modernen Antiadiposita in vielen Fällen nicht als "Lifestyle-Präparate", sondern als absolut notwendige Medikamente zum Einsatz kommen.

Mit einer Glatze kann man leben

Keine Krankheit hingegen ist die androgenetische Alopezie, die männliche Glatzenbildung. Trotzdem kann auch sie das Lebensgefühl stark beeinträchtigen. Ihre Entstehungsmechanismen sind heute weitgehend klar: Der Haarausfall wird durch eine genetische Dihydrotestosteron-Empfindlichkeit der Haarfollikel reguliert. DHT wird im Körper durch 5-alfa-Reductase aus Testosteron gebildet. Durch den 5-alfa-Reductase-Hemmer Finasterid kann die DHT-Bildung aufgehalten werden. Dementsprechend wird auch der Haarausfall gebremst, aber nur während der Dauer der Einnahme!

Des Referenten Fazit: Man(n) kann, aber muss sich nicht mit der relativ teuren Finasterid-Therapie helfen. Die oft befürchteten und oft angeprangerten Nebenwirkungen entbehren freilich der wissenschaftlichen Erhärtung: Finasterid hat keinen negativen Einfluss auf das Sexualleben, eine gelegentliche Abnahme der Libido war auch in den Vergleichsgruppen zu finden. Die Senkung des Ejakulatvolumens im Vergleich zur Plazebogruppe war jedoch ausgeprägter.

Möglichkeiten zur Behandlung von ED

Tatsächlich leiden mehr Männer an erektiler Dysfunktion (ED), als die Umfragen vermuten lassen. Die Ursachen sind vielfältig, seit jeher auch die Mittel, um Abhilfe zu schaffen. Da die Hämodynamik der Erektion weitgehend bekannt ist, kann man jetzt gezielter eingreifen. NO und Phospodiesterase-5 (PDE5) regulieren Bildung und Abbau von cGMP, das für die Relaxation der Schwellkörperarterien verantwortlich ist. Durch PDE5-Hemmung bleiben die Blutgefäße entspannt, die Schwellkörper können für die Erektion ausreichend mit Blut versorgt werden.

Sildenafil (Viagra) und die kurz vor der Zulassung stehenden PDE5-Hemmer Vardenafil und Tadalafil unterscheiden sich vor allem in Wirkungseintritt und -dauer. Für Tadalafil mit einer Halbwertszeit von 17,5 Stunden (zum Vergleich: Viagra 4 h) hat die einschlägige Presse bereits den Namen "weekend pill" geprägt.

Die Anwendungsbeschränkungen sind für alle drei PDE5-Inhibitoren ziemlich gleich: Bei Herzinsuffizienz, Bluthochdruck und weiteren systemischen Erkrankungen, vor allem aber bei Einnahme von Nitraten sind diese kontraindiziert. Die relativ vielen Nebenwirkungen von Sildenafil (Flush, Kopf-, Rückenschmerzen, gastrointestinale Beschwerden u.v.a.) werden von den Anwendern offensichtlich in Kauf genommen.

Wo Sildenafil nicht kann oder darf, springt Apomorphin - zu neuen Ehren gekommen - in die Bresche. Als Dopamin-Rezeptoragonist greift es zentral an. Die Wirkung der Tabletten (2 mg sublingual) tritt bereits nach 16 bis 21 Minuten ein.

Yohimbin, immer schon eher umstritten und in der Wirkung nie ganz geklärt, wird durch die neuen Präparate wohl zunehmend an den Rand gedrängt werden, meinte Schubert-Zsilavecz.

Chargenkonformität lässt zu wünschen übrig

Aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht sind Johanniskrautpräparate nicht unbedingt unter Lifestyle-Medikamente zu subsumieren. Aber ihr Gebrauch in der Selbstmedikation, wo schnell schon mal bei Stimmungsschwankungen zu Johanniskraut gegriffen wird, legt diese Beurteilung nahe. Es gibt sogar Lebensmittel, die mit Johanniskrautextrakten angereichert sind.

Die Wirksamkeit von Hypericum-Extrakten bei leichten und mittelschweren Depressionen ist ausreichend klinisch belegt, ihre Interaktionen mit einigen Arzneistoffen sind inzwischen bekannt. Sie gehören schon aus diesem Grund in die Hand des Fachmannes.

Mindestens so problematisch ist nach Meinung des Referenten immer noch die ungenügende Qualitäts-Transparenz innerhalb des Hypericum-Sortiments. Deklarierte Parameter wie das DEV sind zwar nachvollziehbare Momentaufnahmen, machen aber keine Aussage zur Chargenkonformität wertbestimmender Inhaltsstoffe. Denn, so Schubert-Zsilavecz, Phytopräparate sollten denselben Anforderungen nach gleichbleibendem Inhaltsstoffgehalt genügen wie synthetische Arzneimittel.

Untersuchungen seiner Arbeitsgruppe zeigten, wie stark einzelne Chargen ein und desselben Präparates in ihrem Wirkstoffspektrum - geprüft wurde auf Hyperforin und Hypericine - abweichen können. Nur sehr wenige Handelspräparate konnten die Forderung nach einer konstanten Extraktzusammensetzung erfüllen. Mit Untersuchungen im künstlichen prä- und postprandialen Darmmilieu prüft man z. Z. die Freisetzungskinetik der einzelnen Wirkstoffe aus diversen Hypericumpräparationen.

Zu Melatonin und DHEA seien immer noch zu wenige wissenschaftliche Daten bekannt, ihre Einnahme könne noch keinesfalls befürwortet werden, so meinte der Referent abschließend auf Fragen aus dem Auditorium.

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