Berichte

Ergänzungsstudium Consumer Health Care

Am 7. November 2001 fand in der Humboldt-Universität Berlin die 1. Jahrestagung Consumer Health Care statt. Sie wurde von der Humboldt-Universität und dem Verein Consumer Health Care e.V. mit Unterstützung des Bundesfachverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH) veranstaltet.

Das weiterbildende Ergänzungsstudium Consumer Health Care wird auf Initiative des Instituts für Pharmazie der Humboldt-Universität und mit Unterstützung des BAH seit März 2001 durchgeführt. Die Absolventen sollen befähigt werden, die Entwicklung und Wandlung von Gesundheitsmärkten aus Verbrauchersicht zu analysieren und Schlussfolgerungen für ihre eigene berufliche Tätigkeit in der gesundheitlichen Betreuung zu ziehen.

Ein wichtiges Anliegen ist die Schulung der Konsensfähigkeit der Teilnehmer. Diese Eigenschaft ist in der gegenwärtigen komplizierten Situation des deutschen Gesundheitswesens besonders gefragt, betonte Prof. Dr. Marion Schaefer in ihrer Begrüßungsansprache. Wichtigstes Ziel sei jedoch die Verbraucherorientierung, nicht als Schlagwort, sondern als langfristige Strategie. Dies sei nur durch Interdisziplinarität sowohl der Teilnehmer als auch der Dozenten zu erreichen. Entsprechend vereinigte die 1. Jahrestagung Consumer Health Care in ihrem Vortragsprogramm Referenten aus Theorie und Praxis.

Gesundheitswesen mit mehr Wettbewerb

Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke von der Technischen Universität Berlin analysierte die gegenwärtige Entwicklung aus der Sicht eines Ökonomen. Zusammengefasst in einem Zehn-Punkte-Programm stellte er dar, wie seiner Auffassung nach das Gesundheitswesen gestaltet werden müsste, damit es sowohl bedarfsgerecht als auch wirtschaftlich funktionieren könne. Ganz im Sinne von Consumer Health Care plädierte Henke für einen eigenverantwortlichen, mündigen Patienten. Dazu sollten Gesundheitsaufklärung und -beratung verbessert und eine Transparenz aller Behandlungsabläufe und deren Vergütung geschaffen werden. Aus Sicht Henkes wäre es beispielsweise ideal, dass ein Patienten sich den für seine Beschwerden "passenden" Arzt über eine Hotline aussuchen kann.

Bezüglich der Leistungserbringer setzte sich Henke für mehr Wettbewerb durch entsprechende Rahmenbedingungen und finanzielle Anreize ein. Der Risikostrukturausgleich sollte seiner Ansicht nach auf ein Minimum reduziert werden. Unter dem Titel "Mindestversicherungspflicht für alle bei individueller Wahlfreiheit" entwickelte Henke ein Modell zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im Gesundheitswesen.

Selbsthilfeorganisationen

Selbsthilfeorganisationen entstanden Anfang der 80er-Jahre aus einem Unbehagen über Defizite im Leistungsangebot des Gesundheitswesens. Ein weiterer Impuls war die in dieser Zeit einsetzende Individualisierungstendenz, begleitet von einem teilweisen Auflösen der Familienverbände. Nach Ansicht von Prof. Dr. Ulrich Foest, Fachhochschule Nordhausen, ist es unumgänglich, Selbsthilfeorganisationen als "Dritten Sektor" in die bestehenden Versorgungsstrukturen einzubeziehen.

Erste Schritte in diese Richtung sind bereits getan. So arbeiten beispielsweise bei einigen Krankenkassen und bei der ABDA Ansprechpartner für Selbsthilfeorganisationen und -gruppen. Foest wies nachdrücklich darauf hin, dass bei dieser notwendigen Integration zugleich eine besondere Sensibilität vonnöten sei, da Selbsthilfeorganisationen teilweise andere Wertvorstellungen als die übrigen Leistungserbringer im Gesundheitswesen besitzen.

Nach Ansicht von Foest können Selbsthilfeorganisationen auch entscheidend dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient zu verbessern. Durch ihre Patientennähe sind sie in der Lage, professionelle medizinische Dienstleistungen zu ergänzen und zu erweitern. Sie tragen nicht unerheblich zur Verbesserung der Compliance bei.

Pharmakovigilanz in Europa

Dr. Priya Bahri, tätig an der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Evaluation Agency, EMEA) in London, referierte über das System der Pharmakovigilanz in der Europäischen Union. Strukturen zur Spontanerfassung von Arzneimittelnebenwirkungen entstanden in den EU-Mitgliedstaaten als direkte Reaktion auf den Thalidomid-Skandal. In den 90er-Jahren wurde in Brüssel eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe "Pharmakovigilanz" gebildet, die inzwischen in eine ständige Arbeitsgruppe umgewandelt wurde. Informationen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen sowie über den Missbrauch von Arzneimitteln können damit europaweit erfasst werden.

Die EMEA wertet für ihre Arbeit ständig die vor und nach Zulassung von Medikamenten durchgeführten Studien aus und sammelt Berichte von Ärzten, Apothekern und Behörden über beobachtete Nebenwirkungen. Sie schafft außerdem die logistischen Voraussetzungen, um allen Mitgliedstaaten den Zugriff auf diese Daten zu ermöglichen. Die Kommunikation mit den nationalen Behörden soll noch erweitert und die Zusammenarbeit mit den Arzneimittelherstellern weiter verbessert werden. Um die Patienten – ganz im Sinne von Consumer Health Care – besser zu informieren, sollten auch die Produktinformationen harmonisiert werden.

Studien zum Patientenverhalten

Unter der Überschrift "Lassen ärztliche Leistungsdaten Rückschlüsse auf das Patienten-/Konsumentenverhalten zu?" stand der Vortrag von Dr. Gerhard Brenner vom Zentralinstitut (ZI) für die kassenärztliche Versorgung Köln. Der Referent erläuterte das Thema anhand einiger vom ZI durchgeführter Studien.

Eine Studie zu Unterschieden im Arzneimittelverbrauch zwischen ost- und westdeutschen Patienten ergab in der untersuchten Stichprobe einen zwischen 10 und 30% höheren Verbrauch von Medikamenten im Osten Deutschlands. In einer "Inanspruchnahmeanalyse" befasste sich das ZI kürzlich mit dem Problem des "doctor hopping" nach Einführung der Patienten-Chipkarten. Weitere Studien analysierten die Compliance von Hypertonie-Patienten oder die Präferenzen Patienten bei der Konsultation von Fachärzten.

Die Untersuchungen stützen sich jeweils auf anonymisierte, patientenbezogene Daten, die von ärztlichen Abrechnungszentren an das Institut geliefert wurden. Brenner kam zu dem Fazit, dass es möglich ist, aus den vorliegenden großen Mengen an ärztlichen Leistungsdaten mit geeigneten statistischen Methoden Rückschlüsse auf das Verhalten der Patienten und Konsumenten zu ziehen.

Disease-Management-Programme

Mit Hilfe von Disease-Management-Programmen (DMP) soll in Deutschland die Versorgung chronisch Kranker verbessert werden. Vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen wird empfohlen, DMP für Asthma, Brustkrebs, Diabetes, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Koronare Herzkrankheit und Schlaganfall zu entwickeln.

DMP sollen darüber hinaus den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen fördern. Denn Kassen, die ihren Versicherten derartige Programme anbieten, sollen stärker als andere vom Risikostrukturausgleich profitieren.

Dr. Karl-Heinz Schönbach vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen erläuterte, wie sich die Betriebskrankenkassen dieser Herausforderung stellen. Bestandteile der vom BKK-Bundesverband entwickelten DMP sind beispielsweise Patientenschulungen, individuelle Behandlungspläne, Informations- und Erinnerungssysteme (Hotlines, Mailings), interaktive Fortbildung für Ärzte sowie spezielle Anreizsysteme für Ärzte und Patienten. Großen Wert legt der BKK-Bundesverband auf die Verwendung evidenzbasierter Leitlinien. Schönbach wies besonders darauf hin, dass die Qualität aller angebotenen DMP nur dann gesichert sei, wenn sie vom Gesetzgeber entsprechend kontrolliert und evaluiert werden.

Neue gesetzliche Regelungen

Hans-Peter Hofmann vom Bundesministerium für Gesundheit in Bonn umriss in seinem Vortrag "Aktuelle Probleme des gesetzlichen Regelungsbedarfes im Interesse des gesundheitlichen Verbraucherschutzes".

  • Der Gesetzgeber wird die GCP(good clinical practice)-Richtlinien der EU, die unter anderem den Schutz der Teilnehmer an klinischen Prüfungen von Arzneimitteln verbessern, in nationales Recht umsetzen.
  • Die EU beabsichtigt, das bestehende Verbot der Laienwerbung für rezeptpflichtige Arzneimittel zu lockern.
  • Mit dem geplanten 2. Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften soll in Zukunft die Position von Personen, die durch Arzneimittelnebenwirkungen geschädigt wurden, gestärkt werden.

Der Referent verwies auch darauf, dass – ganz im Sinne von Consumer Health Care – die Verbraucher bei Fragen der Durchführung des Arzneimittelgesetzes stärker als bisher beteiligt werden sollen.

Consumer Health Care:Zielgruppe, Inhalt und Aufbau des Studiengangs

Von ihren eigenen Erfahrungen im Pilotstudiengang Consumer Health Care berichtete Dipl.-Chem. Bärbel Kiene aus Lörrach. Consumer Health Care ist eine interdisziplinäre Postgradualausbildung für Personen, die im Gesundheitssektor tätig sind oder arbeiten wollen, also Mitarbeiter der pharmazeutischen Industrie, der Krankenkassen, von Consulting-Unternehmen, Verbänden und Behörden sowie Absolventen von Studienfächern wie Medizin, Pharmazie, Biologie, Soziologie, Rechts-, Wirtschafts-, Ernährungs- und Kommunikationswissenschaften. Im Jahrgang 2001 des Studiengangs finden sich neben Pharmazeuten auch BWL-Absolventen, eine Physikerin, ein Jurist, eine Medizinerin, eine Biochemikerin und ein Diplom-Sozialarbeiter.

Die Teilnehmer des Studienganges beschäftigen sich mit gesundheitspolitischen, ökonomischen und kommunikativen Aspekten der Gesundheitsversorgung. Ein wichtiger Schwerpunkt des Studiums ist die Schulung der Konsensfähigkeit. So müssen sich die Teilnehmer Informationen über Argumentationslinien aller Partner im Gesundheitswesen erarbeiten. Um die Kommunikationsfähigkeit zu trainieren, müssen sie regelmäßig miteinander debattieren.

Das Studium ist aus Modulen aufgebaut, die Vorlesungen, Seminare, Debatten und das Selbststudium beinhalten. Themen sind u. a. Pharmakoepidemiologie und Pharmakoökonomie, Selbstmedikation, Gesundheitsmanagement, ethische Aspekte der Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung, Disease Management und rechtliche Grundlagen. An das dreisemestrige Studium schließt sich eine schriftliche Masterarbeit an. Bei erfolgreichem Abschluss wird ein Certificate of Science in Consumer Health Care vergeben. Ziel ist es, in Zukunft auch den Mastergrad zu verleihen.

Wie Frau Kiene berichtete, kann das Studium aufgrund seiner Organisation in 14-tägigen Blockveranstaltungen berufsbegleitend absolviert werden. Es erfordert jedoch nach einstimmiger Meinung aller Teilnehmer "viel Arbeit und viel Schweiß", dies auch tatsächlich zu realisieren. Einigkeit herrscht unter den Teilnehmern darüber, dass das Studium nicht nur befähigt, die aktuellen Wandlungsprozesse im Gesundheitswesen besser zu verstehen, sondern dass es auch ihre beruflichen Aufstiegschancen enorm verbessern kann.

Im Anschluss an die Jahrestagung fand eine Mitgliederversammlung des Fördervereins Consumer Health Care e.V. statt. Der im Juni 1999 gegründete Verein unterstützt den Studiengang in organisatorischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Er vergibt in begrenztem Umfang Stipendien (die Studiengebühren betragen pro Semester 5000 DM) und plant die Finanzierung von Forschungsprojekten im Bereich Consumer Health Care. Um seine ehrgeizigen Ziele realisieren zu können, ist der Verein an weiteren fördernden Mitgliedern interessiert. Dies können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.

Der nächste Studiengang wird im März 2002 beginnen. Bewerbungsschluss ist der 15. Januar. Weitere Informationen sind über die Website www.consumer-health-care.de erhältlich.

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