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Arzneimittel und Therapie
Neues orales Chemotherapeutikum: Tegafur beim kolorektalen Karzinom
In Deutschland erkranken jährlich über 50 000 Patienten neu an einem kolorektalen Karzinom, das damit die zweithäufigste Tumorart in Deutschland ist. Auf sie entfallen 20 Prozent aller Todesfälle durch Karzinome – jährlich etwa 25 000. Vor allem zwischen dem 50. und dem 70. Lebensjahr ist die Inzidenz hoch, der Häufigkeitsgipfel liegt zwischen 60 und 65 Jahren. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen, wobei Frauen etwas häufiger am Kolonkarzinom, Männer eher am Rektumkarzinom erkranken.
Etwa 90 Prozent aller kolorektalen Karzinome entstehen durch Entartung von Polypen: Regelmäßige Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr alle zehn Jahre kann sowohl die Mortalität als auch die Inzidenz der kolorektalen Karzinome drastisch senken. Auch jährlich durchgeführte Tests auf okkultes Blut im Stuhl (Hämoccult-Test) bei Menschen über 50 Jahren können die Inzidenz um 15 bis 30 Prozent reduzieren.
Wichtigste Risikofaktoren, die zur Entstehung von kolorektalen Karzinomen beitragen, sind zunehmendes Alter (> 40 Jahre) sowie ungesunde Ernährung mit wenig Ballaststoffen und viel Fett. Hinzu kommen hoher Alkoholkonsum, Adipositas, überwiegend sitzende Tätigkeiten und Bewegungsmangel sowie genetische Prädispositionen, bei denen vermehrt Polypen im Darm gebildet werden, aus denen sich dann später ein Darmkrebs entwickeln kann. Außerdem können chronische und entzündliche Vorerkrankungen des Darmbereichs wie Colitis ulcerosa oder frühere Krebserkrankungen das Risiko erhöhen.
Im Anfangsstadium wenig Beschwerden
Kolorektale Karzinome verursachen lange Zeit wenig oder nur unspezifische Beschwerden. Dazu gehören Flatulenz, Darmkrämpfe, Gewichtsreduktion, Wechsel zwischen Diarrhö und Obstipation sowie tastbaren Verhärtungen im Bauchraum. Treten solche Beschwerden ohne erkennbare Ursachen auf, sollten sie im Hinblick auf ein Karzinom untersucht werden.
Die sichersten Methoden, ein kolorektales Karzinom schon in einem frühen Stadium aufzuspüren, sind Rektoskopie und Koloskopie. Während der Koloskopie können nicht nur Kolonkarzinome, Dickdarmpolypen und chronische Darmerkrankungen sicher diagnostiziert, sondern auch Biopsien entnommen und kleinere chirurgische Eingriffe wie die Polypektomie durchgeführt werden.
Eine Koloskopie erfolgt allerdings meist erst bei begründetem Verdacht. Deshalb steht vor der Koloskopie in der Regel ein Test, mit dem sich okkulte Blutspuren im Stuhl nachweisen lassen, die zwar nicht immer ein Karzinom bedeuten müssen, aber die Indikation für eine Koloskopie stellen. Weitere mögliche Untersuchungsmethoden sind Röntgenkontrastuntersuchung, Ultraschall und Kernspintomografie.
Die Prognose hängt vom Stadium ab
Die Prognose hängt vom Stadium des Karzinoms bei Diagnosestellung ab. Bei früher Diagnose eines Karzinoms (Stadium I) und seiner chirurgischen Entfernung liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei 98 bis 100 Prozent. Wird das Karzinom im Stadium II diagnostiziert, beträgt sie zirka 75 bis 80 Prozent, im Stadium III etwa 59 bis 66 und im Stadium IV lediglich 12 bis 20 Prozent.
Allerdings ist die Erkrankung bereits bei der Diagnosestellung bei etwa einem Viertel der Patienten metastasiert, und bei weiteren 25 Prozent treten Metastasen im Verlauf der Erkrankung auf. Sind inoperable Metastasen in Leber und Lunge vorhanden, befindet sich die Krankheit also im Stadium IV, kann der Krebs nicht mehr geheilt werden. Das ist aber noch kein Grund zu verzweifeln. Mit den heutigen Palliativtherapien bilden sich die Symptome wieder zurück, und die Patienten können häufig noch mehrere Jahre bei guter Lebensqualität mit ihrem Krebs leben.
Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie
Die Therapie des kolorektalen Karzinoms beruht auf drei Säulen: der Operation, der Chemo- und der Strahlentherapie. Sie ist abhängig von Lokalisation und Stadium des Tumors bei Diagnosestellung. Therapie der Wahl im Stadium I ist die Operation mit radikaler Entfernung des Tumors sowie eventuell prä- oder postoperativer Bestrahlung. Doch die meisten kolorektalen Karzinome werden erst im Stadium II oder III diagnostiziert. Durch eine adjuvante Chemotherapie nach der Operation können dann medianes Überleben und krankheitsfreies Intervall entscheidend verlängert werden.
Fluorouracil plus Calciumfolinat
Die Entwicklung von Fluorouracil (5-Fluoruracil, 5-FU) war ein Meilenstein in der Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms: Durch diese Substanz konnte erstmals das mediane Überleben signifikant von 4 bis 6 Monaten unter einer supportiven Therapie auf 7,5 bis 12 Monate mit Fluorouracil-Behandlung gesteigert werden.
Derzeitige Standardtherapie in der adjuvanten, postoperativen sowie auch in der metastasierten Situation ist die intravenöse Bolus-Gabe von Fluorouracil (5-FU, 425 mg/m²) in Kombination mit Calciumfolinat (20 mg/m²) an fünf aufeinander folgenden Tagen, alle 4 bis 5 Wochen (Mayo-Regime).
Intravenös appliziertes Fluorouracil wirkt allerdings nur kurz. Um einen hohen Wirkstoffspiegel im Tumor zu erzielen, muss es häufig oder dauerhaft und in hohen Dosen verabreicht werden. Sehr oft erfolgt dies heute nach dem etablierten so genannten Mayo-Schema an fünf aufeinander folgenden Tagen alle 4 bis 5 Wochen. Therapielimitierende Faktoren sind jedoch die damit verbundenen, zum Teil erheblichen Nebenwirkungen wie Diarrhö, Mukositis oder Neutropenie, die in Studien zu Hospitalisierungsraten von 20 bis 30 Prozent führten.
Neue Therapieoption Tegafur/Uracil
Ein neues oral anwendbares Fluoropyrimidinderivat ist Capecitabin, das im letzten Jahr eingeführt wurde. Es wird nach der Resorption vor allem im Tumorgewebe intrazellulär durch eine Thymidinphosphorylase zu Fluorouracil aktiviert.
Jetzt steht eine weitere orale Therapieform zur Verfügung: UFT besteht aus den beiden Wirkstoffen Tegafur und Uracil im Verhältnis 1 : 4 und wird in Kombination mit Calciumfolinat eingesetzt. Tegafur ist ein Prodrug von Fluorouracil. Es wird in der Leber durch das Cytochrom-P450-System nach und nach in den aktiven Metaboliten Fluorouracil umgewandelt. Fluorouracil wird in die beiden wirksamen Nukleotide FdUMP (Fluorodesoxyuridin-Monophosphat) und FUTP (Fluorouridin-Triphosphat) umgewandelt.
Diese Nukleotide unterbrechen oder stören die DNA- bzw. die RNA-Synthese und sind für die zytotoxischen Wirkungen wie auch die entsprechenden Nebenwirkungen, wie Zytopenie, Mukositis und Diarrhö verantwortlich. Andererseits wird Fluorouracil in der Leber auf einem weiteren Weg durch das Enzym Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) metabolisiert. Durch diesen Abbau entstehen unwirksame, aber toxische Abbauprodukte, die für unerwünschte Wirkungen wie das Hand-Fuß-Syndrom sowie neuro- und kardiotoxische Wirkungen verantwortlich sein könnten.
Uracil, der zweite Bestandteil von UFT, wird ebenfalls durch DPD abgebaut. Tumorzellen nehmen Uracil effizienter auf als gesunde Zellen. Bei einer gemeinsamen Gabe tritt Uracil als kompetitiver Inhibitor mit Fluorouracil in Konkurrenz um die Bindungsstellen an das Enzym und verhindert damit den raschen Abbau von Fluorouracil zu unwirksamen, toxischen Metaboliten. So werden im Tumor höhere Fluorouracil-Spiegel erreicht und außerdem die Tumorzellen länger der zytostatischen Wirkung von Fluorouracil ausgesetzt.
Calciumfolinat, das auch bei der intravenösen Gabe mit Fluorouracil kombiniert wird, steigert dessen Wirkung an der Thymidilatsynthetase, indem es die intrazellulären Konzentrationen an reduziertem Folat erhöht, das seinerseits für die Bildung eines ternären Komplexes mit Fluorouracil und Thymidilatsynthetase benötigt wird.
Orale Einnahme entspricht wiederholter Bolusgabe
Pharmakokinetisch entspricht die orale Einnahme einer wiederholten Bolusgabe von Fluorouracil. Damit werden wirksame Fluorouracil-Spiegel über einen längeren Zeitraum erreicht. Durch die orale Applikation können niedrigere Fluorouracil-Dosen als bei der intravenösen Applikation verabreicht werden – bei vergleichbar hoher Wirksamkeit und signifikant weniger Nebenwirkungen. Bei gleicher Wirksamkeit wird durch die orale Applikation auch die Lebensqualität erhöht: Die Patienten können die Tablette einfach zu Hause nehmen und werden so in ihren täglichen Aktivitäten kaum gestört.
Phase-III-Studien: signifikant bessere Verträglichkeit
In zwei großen multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studien (CA 146-011 und CA 146-012) mit insgesamt 1196 zuvor unbehandelten Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom erhielten die Patienten
- entweder oral Tegafur/Uracil (300 mg/m²) und Calciumfolinat (90 mg/d) über 28 Tage alle fünf Wochen oder
- intravenös Fluorouracil (425 mg/m²/d) und Calciumfolinat (20 mg/m²) über fünf Tage alle fünf Wochen (Mayo-Regime).
Beide Regime waren hinsichtlich des progressionsfreien Intervalls, der Ansprechrate und des Überlebens gleich wirksam – UFT jedoch signifikant besser verträglich: Stomatitis, Mukositis, Neutropenie und febrile Neutropenie traten seltener auf.
In der Studie 011 beispielsweise war die Rate schwerer Neutropenien (1 vs. 56 Prozent), febriler Neutropenien (0 vs. 13 Prozent) und schwerer Stomatitis (1 vs. 19 Prozent) unter UFT signifikant besser als unter der intravenösen Fluorouracil-Gabe.
Kaum einen Unterschied gab es bei Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen, die dosisabhängig bei beiden Regimen auftraten. Bemerkenswert war, dass das Hand-Fuß-Syndrom, ein schmerzhaftes Brennen der Handflächen und der Fußsohlen, unter der oralen Therapie mit UFT sehr viel seltener auftrat. Derzeit wird der Einsatz bei anderen Krebsarten und die Kombination mit anderen Zytostatika wie Irinotecan und Oxaliplatin geprüft.
Kastentext: Darmkrebs-Stadien
- Stadium I: T1+2, N0, M0 Tumor infiltriert Submucosa bzw. Muscularis propria (entspricht Dukes A)
- Stadium II: T3+4, N0, M0 Tumor infiltriert durch die Muscularis propria in Subserosa oder in nicht peritonealisiertes perikolisches oder perirektales Gewebe bzw. Tumor perforiert das viszerale Peritoneum oder infiltriert direkt in andere Organe oder Strukturen (Dukes B)
- Stadium III: T1-4, N1+2, M0 Metastasen in ein bis drei (N1) bzw. in vier und mehr (N2) perikolischen und perirektalen Lymphknoten (Dukes C)
- Stadium IV: T1-4, N1+2, M1 Fernmetastasen nachweisbar (Dukes D)
Quelle:
Priv.-Doz. Dr. med. Patrick Schöffski, Hannover; Prof. Dr. Siegfried Seeber, Essen; Prof. Dr. Carsten Bokemeyer, Tübingen; Dr. Axel Grothey, Halle; Dr. Stephan Schmitz, Köln; Dr. Friedrich Overkamp, Recklinghausen; Priv.-Doz. Dr. W. Hoffmann, Braunschweig; Einführungs-Symposium und Fachpressekonferenz "UFT – die neue orale Chemotherapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom", Ixia/Rhodos, 22. und 23. Februar 2002, veranstaltet von Bristol-Myers Squibb, München.
Anfang März wird das neue orale Chemotherapeutikum UFT – Tegafur in Kombination mit Uracil im Verhältnis 1 : 4 – eingeführt. Es ist zur Primärtherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms in Kombination mit Calciumfolinat zugelassen. In Spanien ist UFT bereits seit 15 Jahren zur Behandlung des Magenkarzinoms auf dem Markt.
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