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Ernährung aktuell
Ernährungskongress 2002: Ernährung und Immunsystem
Ferner befasst sich die DGEM mit der Erstellung von Leitlinien zur Indikation und Durchführung enteraler Ernährung. Dieser Arbeit kommt ein besonderer Stellenwert zu, da im Allgemeinen enterale Ernährung für ambulante Patienten von den Krankenkasse nicht erstattet wird. Eine Neuregelung der Erstattungsfähigkeit ist in der Diskussion, sodass die Arbeit der DGEM hier wertvolle Hilfe im Interesse der Patienten leisten kann.
Viele sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe beeinflussen das Immunsystem
Gegenwärtig werden in der Ernährungsforschung die immunmodulatorischen Wirkungen sogenannter sekundärer Pflanzenstoffe intensiv bearbeitet, nachdem zuvor hauptsächlich der Einfluss der essenziellen Nährstoffe auf das Immunsystem untersucht worden ist.
Es existiert keine allgemeine Definition für sekundäre Pflanzenstoffe. Es handelt sich um Geschmacks- und Geruchsstoffe, denen keine eigene Nährstoffwirkung zukommt. In der menschlichen Nahrung kommen mehrere 10 000 derartige Substanzen vor.
Sekundäre Pflanzenstoffe können aufgrund ihrer Molekülstrukturen in verschiedenen chemischen Gruppen zusammengefasst werden (z. B. Carotinoide, Flavone, Isothiocyanate, Terpene). Sie kommen überwiegend in fast allen zur Ernährung verwendeten Pflanzen vor (z. B. Flavonoide), können aber teilweise auch nur in bestimmten Nahrungspflanzen vorkommen (z. B. Glucosinolate).
Die tägliche Aufnahme sekundärer Pflanzenstoffe beträgt bei Carotinoiden1-10 mg pro Tag. Bei Flavonoiden können dies allerdings auch mehrere 100 mg/Tag sein. Hinweise auf eine Beeinflussung des Immunsystems durch sekundäre Pflanzenstoffe gibt es für Carotinoide, Flavonoide, Phytoöstrogene, Saponine und Sulfide. Bei Carotinoiden wird eine antikanzerogene, antioxidative, immunmodulierende und cholesterinsenkende Wirkung vermutet.
In einer Studie mussten Probanden zunächst carotinarm ernährt werden und anschließend zwei Wochen eine Flasche Tomatensaft bzw. zwei Wochen eine Flasche Karottensaft trinken. Die Interleukin-2-Sekretion als Zeichen der Stimulierung des Immunsystems war bei den Probanden, die den Karottensaft getrunken haben, erhöht. Bei den Probanden mit Tomatensaft konnte keine Erhöhung der Interleukin-2-Sekretion nachgewiesen werden. Auch bei Senioren konnte hinsichtlich der Stimulation des Immunsystems kein Unterschied gefunden werden, nachdem diese entweder Wasser oder gleiche Mengen Tomatensaft zu sich genommen haben. Auch bei den Flavonoiden gibt es keine harten Daten, die auf eine Immunstimulation hinweisen.Weitere Studien müssen durchgeführt werden.
Sprue - wenn Weizen nicht toleriert wird
Die Sprue ist eine Intoleranz gegen die im Weizen enthaltene Substanz Gluten, insbesondere die Unterfraktion der Gliadine. Die verwandten Proteine aus Roggen und Gerste können ebenfalls eine Sprue auslösen. Nach neuesten Studien löst reiner Hafer die Erkrankung nicht aus.
Hinzu müssen vermutlich weitere Faktoren kommen, die bakteriell oder viral getriggert sind. Ferner ist eine genetische Prädisposition erforderlich. Die familiäre Inzidenz der Sprue bei einem Erkrankten liegt unter ersten Blutsverwandten zwischen 10% und 20%.Vor der Einführung glutenfreier Diäten lag die Mortalitätsrate bei 12%. Durch eine strikte Diät und weiterführende diätetische Beratung ist eine klinische Besserung bei 70% der Fälle möglich. Selbst eine Heilung der Erkrankung ist möglich.
Die Diagnose der Sprue kann durch gastroskopisch gewonnene Biopsien aus dem tiefen Duodenum sowie einer klinischen und histologischen Besserung unter streng glutenfreier Ernährung gesichert werden. An Bedeutung nehmen serologische Tests zu. So lassen sich bei allen Sprue-Patienten Antikörper gegen Gliadin im Serum messen. Allerdings erwiesen sich nur etwa 10% der Erwachsenen bei Reihenuntersuchungen mit IgA-anti-Gliadin auch histologisch als Sprue-Patienten.
Der sicherste Serumtest ist der Nachweis von IgA-Antikörpern gegen Endomysium (EmA), dem Bindegewebe glatter Muskelzellen. Dabei handelt es sich um Autoantikörper, die ausschließlich bei Sprue und ihrer dermalen Sonderform, der Dermatitis herpetiformis, vorkommen.
Die Therapie der Sprue besteht aus einer völligen Glutenkarenz. Spuren von Gluten kommen in fast allen Nahrungsmitteln vor. Daher stellt die strikte Diät eine schwere Bürde für die Patienten dar, denn sie werden in vielen sozialen Aktivitäten eingeschränkt.
Nahrungsmittelallergien bei Kindern
Bis zu 8% aller Säuglinge und Kleinkinder sowie etwa 2% aller älteren Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen leiden an einer Nahrungsmittelallergie. Insbesondere im Säuglings- und Kindesalter nehmen Allergien deutlich zu. Bei der Nahrungsmittelallergie handelt es sich um eine immunologisch bedingte, krank machende Reaktion auf Nahrungsmittelproteine.
Allergien können sich an der Haut (atopisches Ekzem, Neurodermitis, Urtikaria) an den Schleimhäuten der Atemwege durch Inhalation der Allergene (Asthma, Heuschnupfen) oder an den Schleimhäuten des Gastrointestinaltraktes äußern. Genetische Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie Umweltbedingungen. Dies zeigt besonders der Anstieg der Allergierate in den letzten Jahren sowie die Unterschiede, die nach der Wende zwischen Ost- und Westdeutschland gefunden worden sind.
Mehrere epidemiologische Studien zeigten, dass der frühe Kontakt zu Stalltieren das Risiko für allergische Erkrankungen deutlich senkt. Dies ist ein Hinweis, dass die Einflüsse auf das Immunsystem des Säuglings und des Kleinkindes mit entscheidend sind, ob eine Allergie entwickelt wird oder nicht.
In der vom Bundesministerium für Forschung finanzierten GINI-Studie wurde der Einfluss verschiedener Säuglingsmilchnahrungen auf die Allergieentwicklung bei mehr als 2000 Kindern mit erhöhtem Allergierisiko geprüft. Zwei wichtige Erkenntnisse wurden gewonnen. Das ausschließliche Stillen der Kinder während der ersten vier Monate senkt die Häufigkeit allergischer Erkrankungen im 1. Lebensjahr. Wurde dem Kind ausschließlich eine Formelnahrung gegeben oder wurde diese zugefüttert, sind Säuglingsnahrungen mit hydrolisiertem Eiweiß günstiger als eine normale Kuhmilchformel. Die veränderte Ernährung scheint sich durch nicht bekannte Mechanismen positiv auf das Immunsystem des Kindes auszuwirken.
Obwohl die menschliche Ernährung aus verschiedensten potenziell allergenen Stoffen besteht, wird die überwiegende Zahl der gastrointestinalen Allergien durch wenige Substanzen ausgelöst. Während es bei kleinen Kindern Milch, Ei, Weizen, Soja und Erdnüsse sind, sind dies beim Erwachsenen insbesondere Fisch, Erdnüsse, Weizen, Schalentiere und Baumnüsse.
Bei ausschließlich gastrointestinaler Manifestation einer Nahrungsmittelallergie kann aufgrund der unspezifischen Symptome die Diagnose schwierig sein. Der Verdauungstrakt kann von der Mundhöhle bis zum Anus betroffen sein. Die Erkrankung kann sich durch verschiedene Symptome zeigen: Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen, Bauchschmerzen, Meteorismus, Durchfall mit und ohne Schleim- und Blutbeimengungen, Dysphagie, Nahrungsverweigerung, rezidivierende Aphthen oder ein therapierefraktäres Perianalekzem.
Die Symptome geben keinen Hinweis auf den zugrundeliegenden Immunmechanismus. Unterschieden werden IgE-vermittelte Reaktionen von den Zell- oder Immunkomplex vermittelten Immunreaktionen. Ferner treten Mischformen auf. Die IgE-vermittelten Reaktionen am Gastrointestinaltrakt treten vorwiegend bei Atopikern mit weiteren allergischen Erkrankungen auf. Sofortreaktionen am Gastrointestinaltrakt finden sich häufiger bei Patienten mit Asthma oder Neurodermitis.
Die nicht IgE-vermittelten Manifestationen und die Mischformen erfordern in der Regel eine obere und/oder untere Endoskopie mit Biopsie zur Diagnose und zum Ausschluss anderer entzündlicher Darmerkrankungen.
Ernährung von Patienten mit einer HIV-Infektion
Weltweit sind etwa 30 Millionen Menschen und in Deutschland etwa 38 000 Menschen mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV) infiziert. Die jetzt verfügbare antiretrovirale Therapie (highly active antiretroviral therapy, HAART) hat dazu geführt, dass die HIV-Infektion den Status einer chronischen Erkrankung erreicht hat, aber weiterhin eine nicht heilbare Infektion ist.
Eines der früh erkannten klinischen Symptome der HIV-Infektion ist die Malnutrition oder das sogenannte "Wasting Syndrome". Wasting ist nach der Definition des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ein mehr als 10 prozentiger Gewichtsverlust, der mit Diarrhöen, Schwäche und Fieber einhergeht. Der überproportionale Verlust der fettfreien Masse steht funktionell und prognostisch im Vordergrund.
Potenzielle Ursache der HIV-assoziierten Malnutrition sind eine reduzierte Nahrungsaufnahme, Malabsorption, hormonelle Faktoren (erniedrigtes Androgen), relativ erhöhter Energieumsatz sowie ein insuffizienter Substratstoffwechsel. Während in den "reichen westlichen" Ländern durch die antiretrovirale Therapie Gewichtsverlust und Malnutrition seltener als zuvor auftreten, sind sie in den Entwicklungsländern weiterhin führende Manifestationen der HIV-Infektion.
Unter der antiretroviralen Therapie kommt es bei vielen Patienten zu einer Gewichtszunahme, die jedoch überwiegend aus Fettmasse besteht. Bei den akut kranken HIV-Infizierten ist neben der Behandlung der Infektion eine adäquate Energiezufuhr erforderlich. Diese sollte zwischen dem 1,0 bis 1,5-fachen des Grundumsatzes (ca. 30 - 35 kcal/kg KG) liegen. Eine Eiweißzufuhr von 1,5g/kg KG/Tag sollte erreicht werden. Da die Patienten infektionsgefährdet sind, sollte die Ernährung möglichst enteral erfolgen. Die spezielle Zufuhr von Makro- oder Mikronährstoffen (z.B. Antioxidanzien, Glutamin, Vitaminpräparate) kann aufgrund der Datenlage nicht generell empfohlen werden. Sollte eine orale Ernährung nicht möglich sein, muss der Patient parenteral ernährt werden.
Neben der Beratung des Patienten in Ernährungsfragen, gibt es auch Versuche mit Pharmaka, den Ernährungszustand des Patienten zu verbessern. Megestrolacetat steigert den Appetit, führt jedoch lediglich zu einer Zunahme der Fettmasse. Weitere anabole Substanzen wie beispielsweise Wachstumshormon, Zytokinmodulatoren oder anabole Steroide wurden getestet. Sie führten aber nicht zu klinisch verwertbaren Ergebnissen.
Kopfschmerz und Ernährung
Nahrungsmittel werden häufig als mögliche Ursache für die Auslösung von Kopfschmerzen angeschuldigt, was auf das Kausalitätsbedürfnis des einzelnen Kopfschmerzpatienten zurückzuführen ist. Ihr tatsächlicher Einfluss ist jedoch wissenschaftlich wenig untersucht.
Dem Symptom "Kopfschmerz" können verschiedene Erkrankungen unterschiedlicher Genese zu Grunde liegen. Die internationale Kopfschmerzklassifikation unterscheidet zwischen primären Kopfschmerzsyndromen ohne fassbare kausale Grunderkrankung und sekundären Kopfschmerzsyndromen, bei denen der Schmerz kausal durch eine andere Erkrankung erklärt werden kann. Kopfschmerzen werden gemäß dieser Klassifikation nach einheitlichen und objektiven Kriterien eingeordnet und therapiert.
Im Rahmen primärer Kopfschmerzerkrankungen wie z.B. Migräne oder Clusterkopfschmerz können Nahrungsmittel bei empfindlichen Personen ein möglicher Auslöser für Attacken sein. Sie sind jedoch in aller Regel nie deren alleinige Ursache. Studien haben zudem gezeigt, dass Patienten diätetische Auslöser häufig überschätzen. Dies erklärt, warum nur einzelne Migränepatienten durch Vermeiden entsprechender Substanzen eine Reduktion der Attackenfrequenz erreichen und diätetische Maßnahme z. B. bei der Migränetherapie nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
In der Gruppe der sekundären Kopfschmerzen gibt es Kopfschmerzerkrankungen, die ausschließlich durch den Genuss bestimmter Nahrungsmittel (z. B. Glutamat) ausgelöst werden oder als Entzugskopfschmerz nach Metabolisierung der entsprechenden Substanz auftreten. Die häufigsten Kopfschmerzen aus dieser Gruppe sind der Alkohol- und der Coffeinentzugskopfschmerz. Bei diesen sekundären Kopfschmerzerkrankungen kann durch Vermeiden der entsprechenden Nahrungsmittel vollständige Beschwerdenfreiheit erzielt werden.
Nur selten wird bedacht, dass Nahrungsmittel auch indirekt Kopfschmerzerkrankungen bedingen können. Adipositas kann zur benignen intrakraniellen Druckerhöhung oder zum Hypoxiekopfschmerz durch obstruktive Schlafapnoe führen. Therapeutisch muss bei diesen Erkrankungen eine Gewichtsnormalisierung durch Änderung der Eßgewohnheiten angestrebt werden.Die Pathophysiologie diätetischer Einflussgrößen auf die genannten Kopfschmerzerkrankungen ist wenig untersucht. In erster Linie werden vaskuläre Mechanismen durch vasoaktive Metaboliten oder auch allergische Mechanismen diskutiert.
Quelle:
Nach Vorträgen und dem Pressegespräch während des Kongresses "Ernährung 2002 - Ernährung und Immunsystem" am 15./16. Februar 2002 in Berlin. PD S.C. Bischoff, Hannover, PD Dr. S. Koletzko, (München), Prof. Dr. H. Lochs, Berlin, Dr. J. Ockenga, Berlin, Prof. Dr. H. Renz, Marburg, Prof. Dr. D. Schuppan, Erlangen-Nürnberg, Dr. B. Watzel, Karlsruhe.
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