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Plasmaphysik: Die "Kalte Kernfusion" – ein wissenschaftlicher Artefakt
Pathologische Wissenschaft
Die Versuchsanordnung der Chemiker war simpel: Sie hatten eine Zelle mit der Elektrolytlösung LiOD, bestehend aus Lithium, Sauerstoff und Deuterium (D, Isotop des Wasserstoffs), gefüllt. Der Sauerstoff des dissoziierten schweren Wassers (D2O) wanderte zum Pluspol, das Deuterium zur Anode, die aus Palladium besteht. Dort sollte der Druck auf die Deuteronen (D-Kerne) so groß werden, dass sie sich durch Kernschmelze vereinigen. Nach der Theorie müssten bei diesem Prozess Neutronen- und Gammastrahlen, Tritium, Helium und Energie freiwerden (s. Kasten "Reaktionen der Kalten Kernfusion").
Doch die Behauptung erwies sich sehr schnell als absolute Pleite. Nirgends konnte das Experiment mit dem beschriebenen Effekt nachvollzogen werden. Das war wohl auch gut so. Denn zu jedem Watt gewonnener Leistung müssten 1012 Neutronen emittiert werden. Das wäre für die Experimentatoren, die ohne Strahlenschutz arbeiteten, sicher tödlich gewesen.
Sehr schnell wurde diese Art Forschung in doppeltem Sinne zu einer "pathologischen Wissenschaft" abqualifiziert. Dieser Begriff geht auf Irving Langmuir, Chemienobelpreisträger von 1932, zurück, der 1953 darunter die "Wissenschaft von Dingen, die es nicht gibt", verstand.
Alt und falsch
Die Idee zur chemischen Fusion hatte 1927 der schwedische Ingenieur John Tandberg. Er wollte aus Wasserstoff Helium herstellen. Diese Vorstellung basierte auf einer Veröffentlichung der Berliner Chemiker Fritz Paneth und Kurt Peters, ein Jahr zuvor, die nach der Elektrolyse von Wasserstoff in der Palladiumanode Spuren von Helium beobachtet haben wollten. Allerdings erklärten sie bereits einen Monat nach ihrer Publikation, dass der schwierige Heliumnachweis nicht gelungen und die Ergebnisse deshalb fehlerhaft seien. Die Fusionsversuche hatten also bereits einen schlechten Start. An dieser fehlerbehafteten Forschung scheint sich bis heute nichts geändert zu haben.
Die Versuche beruhen auf dem Phänomen, dass sich Wasserstoff und dessen Isotope in bestimmten Metallen lösen. Dabei können sich die Kerne der einzelnen Atome näher kommen als in festem Zustand. Palladium hat eine so starke Affinität zum Wasserstoff, dass er sich in das Atomgitter einlagert. Da die freien Elektronen des Metalls die gegenseitige Abstoßung der Deuteriumatome etwas mildern, könnten als seltenes Ereignis Deuteriumatome miteinander verschmelzen. Die berechneten Reaktionsraten liegen aber weit unterhalb den von Fleischman und Ponds gemessenen.
Vier Wunder
Das Thema wurde in der Folge aus der wissenschaftlichen Diskussion verbannt. Dennoch hält eine kleine Schar Unbeirrbarer ihre Geldgeber mit zweifelhaften Ergebnissen weiter bei Laune. Deren Ergüsse finden aber nur noch Eingang in wenig beachtete oder obskure Zeitschriften.
Die verbohrte Haltung von Fleischman und Ponds, die immer noch steif und fest an ihren Messergebnissen festhalten, machen sich die aktuellen Fusionsforscher aber nicht zu eigen. Sie sprechen lieber von deuteriertem Palladium oder von einer chemisch induzierten niederenergetischen nuklearen Reaktion anstatt von kalter Fusion.
Dennoch scheint die Hoffnung auf Fusionsenergie aus dem Reagenzglas viel mit Glauben zu tun zu haben, denn die unzähligen, seriösen elektrochemischen Experimente mit Wasserstoff und Deuterium in Metallen vor 1989 deuten in keiner Weise auf die Möglichkeit einer chemischen Fusion hin. Ein anderes Ergebnis käme einem Wunder gleich. Bei einer Fusion müsste
- die von Fleischmann und Ponds behauptete Überschusswärme nachgewiesen werden,
- ebenso die notwendigen Reaktionsprodukte, und
- das Verhältnis der Produkte Tritium und Neutronen müsste bei 1:1 anstatt bei 1:109 liegen.
Auf dem Misthaufen
Die fehlende experimentelle Verifizierung hat dazu geführt, solche Versuche als pseudowissenschaftlich abzuqualifizieren. Vornehmlich Esoterikvereine und Verschwörungstheoretiker setzen sich damit auseinander. Zuweilen werden sogar biologisch induzierte Kernreaktionen in Kompost- und Misthaufen kolportiert.
Dennoch gab und gibt es vereinzelte Institute, die diese revolutionäre Idee der Energiegewinnung nicht ganz aus dem Auge verloren haben. So hatte die Firma Toyota Fleischman und Ponds zeitweise ein eigenes Institut in Nizza eingerichtet, wo sie ungestört so lange weiter an ihrer Idee basteln konnten, bis den Japanern die Geduld ausging.
Aufgrund dieser Vorgeschichte erregt eine soeben in Band 295 der – jeglicher Pseudowissenschaft unverdächtigen – Wissenschaftszeitschrift "Science" erschienene Veröffentlichung Aufsehen. Eine russisch-US-amerikanische Forschergruppe behauptet, den Königsweg der kalten Kernfusion gefunden zu haben. Ihr Artikel ist bereits vor der Veröffentlichung von vielen Wissenschaftlern stark kritisiert worden. Doch halten die Autoren an ihren Ergebnissen fest.
Kollabierende Blasen
Das Experiment der Gruppe um Rusi Taleyarkhan vom Oak Ridge National Laboratory in Tennessee, USA, basiert auf dem seit 1933 bekannten Phänomen der Sonolumineszenz. Wird eine Photoplatte in einem Wasserbad starkem Schalldruck ausgesetzt, entsteht ein schwaches Leuchten, das die Platte schwärzt. Das Leuchten wird nicht direkt vom Schall erzeugt, sondern von der Kavitation – das sind die vom Schall erzeugten gas- oder dampfgefüllte Hohlräume. Kollabieren diese Blasen, können extrem hohe Kräfte und elektrische Entladungen auftreten. Sogar Schiffsschrauben können durch solche Vorgänge zerstört werden. Den Effekt nutzt man auch, um Nierensteine mit Ultraschallstoßwellen zu zertrümmern.
Das Phänomen wird seit Jahren intensiv untersucht. Dennoch ist das Entstehen und Kollabieren der winzigen Blasen und der Lichtblitze nicht vollständig verstanden. In jedem Fall heizen sich die Blasen auf und leuchten; gleichzeitig emittieren sie eine Stoßwelle. Die einige Jahre alte Vermutung, dass die Blasen Temperaturen von einigen Millionen Grad Celsius erreichen, hat sich bisher nicht bestätigt. Unter solchen Bedingungen verlören die Atome ihre Elektronenhülle und könnten miteinander verschmelzen.
Mut oder Verbohrtheit
Taleyarkhan und Mitarbeiter hatten in ihrem Experiment Aceton als Flüssigkeit verwendet, bei dem ein Wasserstoffatom durch Deuterium ersetzt worden war. Sie setzten die Flüssigkeit intensivem Ultraschall aus und beschossen die kollabierenden Blasen mit einem gepulsten Neutronenstrahl, der erneut Blasen erzeugte. In der so behandelten Flüssigkeit wollen die Forscher schließlich Spuren von Tritium nachgewiesen haben, ebenso die bei der Bildung des Tritiums entstehenden charakteristischen Neutronen.
Doch die internationale Wissenschaftlergemeinschaft zweifelt die Ergebnisse an; vor allem die Entstehung so hoher Temperaturen. Bestenfalls einige zehntausend Grad sollten nach allgemeinem Konsens mit dieser Anordnung erreichbar sein. Trotz des starken wissenschaftlichen Gegenwindes und trotz des niederschmetternden Beispiels von Fleischman und Ponds halten Taleyarkhan und Mitarbeiter ihre Behauptung aufrecht. Das bedeutet Mut oder Verbohrtheit. Die Zeit wird es weisen, wer recht hat.
Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre die Fachwelt blamiert, und es ergäbe sich möglicherweise eine vollkommen neue Grundlage der Energieerzeugung. Die vielen Milliarden, die bereits in die heiße Fusionsforschung gesteckt worden sind, wären in den Sand gesetzt. Falls sich die Behauptungen nicht bestätigen sollten, was derzeit wahrscheinlich ist, wird die Affäre ein weiteres Kuriosum eines Wissenschaftszweiges sein, den viele gar nicht als Wissenschaft ansehen. Gleichwohl hat es schon immer physikalische Effekte gegeben, die niemand für möglich hielt und die später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.
Kastentext: Reaktionen der Kalten Kernfusion
Bei der Fusion von Deuteronen (D) sind folgende Reaktionen möglich: D + D R He-3 + Neutron + 3,25 MeV D + D R Tritium + Proton + 4,0 MeV D + D R He-4 + gamma + 23,8 MeV
Kastentext: Heiße Forschung
An der heißen Kernfusion wird weltweit gearbeitet. Unkontrolliert ist sie 1952 mit der sowjetischen Wasserstoffbombe erstmals gelungen. Allerdings ist normaler Wasserstoff im Gegensatz zu Deuterium zur Kernfusion wenig geeignet. Wie auf der Sonne muss dazu Deuterium-Gas stark erhitzt werden. Falls es gelingt, solche extrem heißen Plasmen entweder stark zu verdichten oder lange genug in einen Magnetkäfig einzuschließen, können die gewünschten Kernfusionen ablaufen.
Kastentext: Thermonukleare Prozesse
Es gibt mehrere heiße Kernverschmelzungsreaktionen, die in den Sternen ablaufen.
- Sterne von der Größe unserer Sonne erhalten ihre Energie durch Fusion via Proton-Proton-Kette, bei der ab 10 Mio. Kelvin je 4 Protonen zu 1 Heliumkern verschmelzen.
- Beim CNC oder Bethe-Weizsäcker-Zyklus katalysiert der Kohlenstoff die Umwandlung der Protonen in Helium; C-12 wandelt sich dabei zwischenzeitlich in Stickstoff und Sauerstoff. Die Reaktion benötigt Temperaturen zwischen 15 und 30 Mio. K.
- Beim Alphazyklus verschmelzen 3 Heliumkerne (alpha-Teilchen) zu 1 Kohlenstoffkern. Dazu sind 100 Mio. K nötig.
- Bei 600 Mio. K setzt die Fusion des Kohlenstoffs ein, ab 1 Mrd. K fusioniert Sauerstoff und ab 1,5 Mrd. K Silicium.
Kastentext: Myonen-katalysierte Kernfusion
Die einzige kalte Fusion, die derzeit möglich erscheint, wird von Myonen katalysiert. Durch Beschuss von Wasserstoff mit den negativ geladenen Myonen (my-Mesonen), die etwa 200-mal schwerer sind als Elektronen, entsteht myonischer Wasserstoff. Bei ihm ist das Elektron durch ein Meson verdrängt. Mit einem anderen, natürlichen H-Atom bildet sich ein myonisches H2-Molekül. Der Abstand der beiden Kerne vermindert sich dabei um das Zweihundertfache, womit die Wahrscheinlichkeit einer Kernfusion stark ansteigt. An einer solchen echten kalten Fusion wird gearbeitet.
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