Pharmakotherapie

Pentaerythrityltetranitrat

Organische Nitrate werden seit mehr als 120 Jahren in der Akutbehandlung der Angina pectoris angewendet. Einige dieser Vasodilatatoren dienen auch zur Dauerbehandlung der koronaren Herzkrankheit (KHK). Ihr gemeinsames Wirkprinzip besteht in der Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO), welches auch endogen durch das gesunde Endothel gebildet wird und zu einer Gefäßrelaxation führt. Ein Problem der NO-Freisetzung aus organischen Nitraten besteht darin, dass sie das Redox-System in der Zelle beeinflussen: Sie wirken oxidativ und vermehren daher Sauerstoffradikale und reaktive Sauerstoffspezies. Doch bemerkenswerterweise besitzt ein Vertreter dieser Wirkstoffklasse, das Pentaerythrityltetranitrat (PETN), gleichzeitig antioxidative Eigenschaften, die die unerwünschten oxidativen Wirkungen mildern.

Wirkungsmechanismus der Nitrate

Seit der erfolgreichen Erstanwendung von Glyceroltrinitrat (GTN) bei Angina pectoris im Jahre 1878 durch Murrell [21] werden organische Nitroester (Nitrate) therapeutisch genutzt. Später wurde die gleiche Wirkung auch für Pentaerythrityltetranitrat (PETN), Isosorbiddinitrat (ISDN) und Isosorbidmononitrat (ISMN) beschrieben (Abb. 1). Erst vor etwa 20 Jahren wurde jedoch ihr Wirkmechanismus aufgeklärt: die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO).

NO wird physiologisch in Endothelzellen durch die endotheliale NO-Synthase (eNOS) aus der oxidierten Aminosäure N-Hydroxyarginin abgespalten. Es diffundiert zu den glatten Gefäßmuskelzellen und stimuliert dort die lösliche Guanylatcyclase, welche für die Umwandlung von Guanosintriphosphat (GTP) in zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) verantwortlich ist. Über mehrere Zwischenschritte führt die steigende cGMP-Konzentration zu einem Absinken der intrazellulären Calcium-Konzentration und dadurch zur Relaxation der Gefäßmuskelzellen (Abb. 2). Aus dieser Wirkung leitet sich die Bezeichnung des NO als endothelialer relaxierender Faktor (EDRF) ab [15].

Zahlreiche Regulatoren des Gefäßwiderstandes, z. B. Prostaglandin E1, Bradykinin und Acetylcholin, entfalten ihre Wirkung, indem sie die eNOS stimulieren. Bei einer starken Dysfunktion des Endothels kann sich allerdings ihre gefäßerweiternde Wirkung ins Gegenteil verkehren – insbesondere beim Acetylcholin: In dieser Situation, wie sie für die Arteriosklerose typisch ist, überwiegt sein vasokonstriktorischer Effekt. Durch organische Nitrate lässt sich jedoch das fehlende endogene NO substituieren.

Die Freisetzung von NO aus organischen Nitraten erfolgt in mehreren Schritten (Abb. 3) direkt in den Gefäßmuskelzellen. Nach gängiger Auffassung dringen die Nitrate dort verstärkt in die Muskelzellen ein, wo die endotheliale Barriere fehlt, also in den arteriosklerotischen Arealen. Darüber hinaus wurde zumindest für GTN nachgewiesen, dass die NO-Freisetzung aus dem Nitrat in dem Maße gehemmt wird, wie noch endogenes NO zur Verfügung steht [17]. Beides hieße gleichermaßen, dass die NO-Substitution vorrangig dort erfolgt, wo sie auch benötigt wird.

So ähnlich sich die organischen Nitrate PETN, GTN, ISDN und ISMN in ihrem Wirkprinzip sind, so sehr unterscheiden sie sich andererseits in ihrem Nebenwirkungsprofil und in der Art, wie sie die Zellfunktion beeinflussen. Auf derartige Unterschiede in der Häufigkeit von Nitratkopfschmerzen, dem Auftreten einer Nitrattoleranz oder der damit eng verknüpften, vermehrten Bildung reaktiver Sauerstoffspezies zielten zahlreiche Forschungsvorhaben der vergangenen zehn Jahre.

Nitratkopfschmerz ist nicht bei allen Nitraten gleich

Der Nitratkopfschmerz geht mit der Dilatation der zerebralen Blutgefäße durch NO einher. Vor allem zu Beginn einer Nitrattherapie treten Kopfschmerzen mit einer Häufigkeit von bis zu 80% auf. Sie gehen meist unter fortgesetzter Nitrateinnahme zurück, bleiben jedoch gelegentlich auch über einen längeren Zeitraum bestehen. Nitrate, die präferenziell die venöse Strombahn dilatieren (PETN, ISMN), scheinen diese unerwünschte Wirkung dabei in geringerem Maße hervorzurufen als solche mit geringerer Venoselektivität (GTN, ISDN) [25].

Zur Vermeidung von Kopfschmerzen wird regelmäßig empfohlen, Nitrate einschleichend zu dosieren. In manchen Fällen müssen initial zusätzlich Analgetika verordnet werden. In einer doppelblinden, randomisierten klinischen Studie untersuchten Pfaffenrath et al. [27] die Inzidenz von Nitratkopfschmerzen bei den beiden Nitraten, die in dieser Hinsicht ohnedies als gut verträglich gelten. Hierbei verglichen sie PETN in zwei unterschiedlichen Dosierungen (150 mg/Tag bzw. 240 mg/Tag) mit retardiertem ISMN (60 mg/Tag) sowie Plazebo.

Mittels visueller Analogskalen wurden Häufigkeit und Intensität der auftretenden Kopfschmerzen sowie die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit erfasst. Aus den maximalen Werten nach jeder Medikamenteneinnahme für alle Einnahmen wurde ein Kopfschmerz-Gesamtscore gebildet. Dieser war unter PETN-Gabe auch in der höheren Dosis signifikant niedriger (p < 0,01) als unter ISMN-Therapie (Abb. 4). Die Arbeitsfähigkeit sank in der ISDN-Gruppe signifikant gegenüber Plazebo, blieb dagegen in den PETN-Gruppen deutlich besser erhalten.

Ursachen der Nitrattoleranz

Die Erstbeschreibung einer Tachyphylaxie (Wirkungsminderung) unter GNT-Dauertherapie datiert auf das Jahr 1888 [32]. Beschrieben wurde ein Patient, der zur Erreichung einer gleichmäßigen Wirkung die Tagesdosis nahezu auf das 80fache der initialen Verordnung gesteigert hatte. Die Nitrattoleranz tritt nachweislich auch bei kontinuierlicher Gabe von ISDN (u. a. [2]) oder ISMN [16] auf, offenbar jedoch unter PETN erst bei Überschreitung des empfohlenen Dosierungsbereiches um ein Mehrfaches (s. u.).

Forschungsergebnisse der letzten Jahre stellten eine Verbindung zwischen der Nitrattoleranz und der nitratinduzierten, vermehrten Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies her [22]. Beide radikalischen Produkte des Nitratmetabolismus (NOū und ūO2–) reagieren miteinander zu Peroxynitrit (ONOO–). Hierin liegt nach der derzeitigen Auffassung die Begründung, dass NO inaktiviert wird und damit seine gefäßerweiternde Wirkung verliert. Gleichzeitig erlangt NO damit jedoch die Bedeutung eines Radikalfängers.

Durch ihre Fähigkeit zur Peroxidation von Lipiden, Proteinen und DNA können sowohl Sauerstoffradikale als auch Peroxynitrit zellschädigend wirken. Die vermutete antiarteriosklerotische Wirkung von PETN [17] wird gerade darauf zurückgeführt, dass zwar NO, aber kaum Sauerstoffradikale gebildet werden [19]. Im Umkehrschluss wirft dies die Frage auf, ob eine Nitrattoleranz möglicherweise die weitergehende Schädigung des Endothels einschließt und somit letztlich die Entwicklung der Arteriosklerose begünstigt. Dies stünde dann im krassen Gegensatz zu der Intention, mit der solche Nitrate verordnet werden.

Vermeidung der Nitrattoleranz

Verschiedene Verfahren wurden zur Vermeidung oder Unterdrückung einer Nitrattoleranz vorgeschlagen. Am meisten verbreitet ist die Einhaltung einer Nitratpause (z. B. [20, 29]). Hierbei werden ISMN oder ISDN in retardierter Form ein- bis zweimal täglich verordnet, wobei ggf. die zweite Einnahme um die Mittagszeit zu erfolgen hat. Das nächtliche nitratfreie Intervall ermöglicht dann eine Erholung des Endothels und seiner Enzymsysteme [30].

Auch die Anfallskupierung mittels GTN oder die Freisetzung aus transkutanen therapeutischen Systemen muss für mindestens acht Stunden unterbleiben, um eine Nitrattoleranz zu vermeiden. Eine solche Nitratpause bedeutet für den Patienten jedoch, dass er während dessen auf den antiischämischen Schutz verzichtet, sofern er nicht andere Arzneimittel einnimmt. Üblich ist hier die ergänzende Verordnung von Molsidomin oder Calciumantagonisten.

In jüngster Zeit wurde auch der Einsatz von Antioxidanzien wie Vitamin C, E oder Acetylcystein untersucht ([8, 10, 34]; Übersicht bei [24]). Solche Substanzen können die Nitrattoleranz zumindest partiell aufheben [1]. Bedingung hierfür ist jedoch die mehrmals tägliche, hochdosierte Verabreichung.

Wie bereits oben erwähnt, belegen klinische und experimentelle Daten, dass unter PETN-Gabe keine Nitrattoleranz auftritt (Abb. 5). Dies gilt insbesondere im therapeutischen Dosisbereich (bis 240 mg/die) und auch dann, wenn PETN kontinuierlich, also ohne nächtliche Nitratpause, angewandt wird [1, 6, 7]. Tagesdosen von 600 mg erzeugen jedoch auch bei dieser Substanz eine Tachyphylaxie [5]. Erst unlängst wies Silber erneut nach, dass die Belastungstoleranz bei der Fahrradergometrie am Ende einer 14-tägigen, dreimal täglichen Gabe von 50 mg PETN nicht abnimmt, sondern auf dem gleichen Niveau bleibt wie unter Akutgabe [31].

Integrierte antioxidative Eigenschaften von PETN

Bei der stufenweisen Reduktion der organischen Nitrate zu NO entstehen nicht nur Sauerstoffradikale, es werden auch Thiole zu Disulfiden oxidiert, wie z. B. Cystein zu Cystin. Da Cystein in vielen biochemischen Prozessen als Wasserstoffdonor fungiert; muss das Cystin zur Aufrechterhaltung des Zellstoffwechsels wieder zu Cystein reduziert werden.

Zu diesen Konsequenzen aus den oxidativen Eigenschaften organischer Nitrate liegen ausführliche und langjährige Untersuchungen von Bassenge et al. [1, 3, 7] vor. Bei diesen Versuchen wurden die sich bildenden Radikale durch Spin traps, chemisch stabile Radikalfängermoleküle, abgefangen. Die Menge der mit Radikalen beladenen Spin traps wurde dann mittels Elektronenspin-Resonanzmessungen (ESR) bestimmt.

Den Ergebnissen von Bassenge, Fink u. a. zufolge bilden sich durch PETN weitaus weniger Sauerstoffradikale als z. B. durch GTN [3, 7] (Abb. 6). Für diesen Vergleich wurden Konzentrationen von PETN und GTN gewählt, die hinsichtlich ihrer vasodilatatorischen Wirksamkeit einander entsprechen. Da die oxidativen Schritte während der NO-Freisetzung bei beiden Nitraten mutmaßlich identisch ablaufen, kann aufgrund dieser Ergebnisse angenommen werden, dass PETN gleichzeitig ein antioxidatives Potenzial besitzt.

Unterstützung erhält diese Auffassung durch die Ergebnisse der parallel durchgeführten Konzentrationsbestimmung von niedermolekularen Thiolen im Zellinnern. Der Abfall dieser Thiole betrug nach 5-tägiger, kontinuierlicher Behandlung mit GTN etwa 40% des Ausgangswertes. Bei PETN-Gabe blieb die Thiolkonzentration dagegen unverändert [7].

PETN und Ferritin

Nähere Untersuchungen der antioxidativen Eigenschaften von PETN führten Schröder und Oberle-Plümpe anhand des Eisenspeicherproteins Ferritin durch. Ein einziges Molekül Ferritin kann bis zu 4500 Fe3+-Ionen aufnehmen. Da frei im Zellplasma vorliegendes Fe3+ in der Lage ist, Sauerstoff in Sauerstoffradikale zu verwandeln, wirkt Ferritin als zellschützendes Protein.

Oberle und Schröder beobachteten, dass PETN bzw. sein aktiver Metabolit Pentaerythrityltrinitrat (PETriN) die Expression von Apoferritin (der eisenfreien Variante von Ferritin) zu stimulieren vermag. Dadurch senkt es indirekt das freie Eisen in der Zelle [26]. Hierin dürfte eine der Ursachen dafür liegen, wie die geringere Radikalbildung durch PETN zustande kommt (Abb. 7). ISDN beeinflusste unter diesen Bedingungen die Expression von Apoferritin nicht.

PETN und Cystin

Erst kürzlich konnte durch elektrochemische Untersuchungen von Hess der Mechanismus geklärt werden, der wahrscheinlich für die beschriebene Schonung des Thiolhaushaltes verantwortlich ist. Hess gelang der Nachweis, dass PETriN, das im Zuge der NO-Freisetzung aus PETN entsteht, Cystin wieder zu Cystein zu reduzieren vermag [9]. Die Carbohydroxylgruppe des PETriN spaltet unter dem Einfluss der gegenüberliegenden Nitrogruppen den Wasserstoff ab und wandelt sich so zu einer Aldehydgruppe um, die dann zur Carboxylgruppe weiterreagiert. Auf die – oxidative – Freisetzung von NO aus PETN folgen also mehrere reduktive Schritte. Man könnte diesen Mechanismus als "Recycling des eigenen oxidativen Abfalls" bezeichnen. Sein Nachweis in vivo steht allerdings noch aus.

Antiarteriosklerotische Wirkung

Mehrere bekannte Eigenschaften von NO-Donoren sprechen dafür, dass ihre Anwendung die Progression einer Arteriosklerose hemmt. Dabei ist die bereits geschilderte Behebung einer endothelialen Dysfunktion nur ein Aspekt. Exogenes NO schützt das Low density lipoprotein (LDL) vor Oxidation, wie Ex-vivo-Versuche zur Cu2+-induzierten Oxidierbarkeit von SIN-1 [14], dem aktiven Metaboliten von Molsidomin, und PETN [17] zeigen. NO greift damit in den wichtigsten pathogenetischen Ablauf in der Entstehung arteriosklerotischer Plaques regulierend ein. Auch der Effekt von NO, spezifisch die 12-Lipoxygenase und damit letzten Endes die Aggregation der Thrombozyten zu hemmen [23], wirkt sich antiarteriosklerotisch aus. Diese Wirkung ist für PETN ebenfalls nachgewiesen [11].

Zu PETN gibt es darüber hinaus Befunde, die für eine Verbesserung der Prognose sprechen. So wurde von Kojda tierexperimentell ein verlangsamtes Fortschreiten einer Arteriosklerose nachgewiesen [19]. Binnen 16 Wochen entwickelten sich bei Kaninchen, die eine cholesterinreiche Diät erhielten, deutliche arteriosklerotische Veränderungen gegenüber einer cholesterinarmen Standarddiät.

Die gleichzeitige Gabe von PETN führte zu einer wesentlichen Verringerung von Zahl und Ausmaß arteriosklerotischer Plaques (Abb. 8). Der Effekt der gleichzeitigen Gabe von ISMN war deutlich geringer. In einer ähnlichen Versuchsanordnung untersuchte Kojda die Superoxidradikal-Produktion in den Gefäßen, welche physiologisch durch Alterung zunimmt. Ausgehend von dem Status nach einer 7-monatigen Standarddiät, führte er die Fütterung entweder unbehandelt oder mit zusätzlicher Verabreichung von PETN (6 mg/kg/Tag) über 4 Monate fort. In der unbehandelten Gruppe stieg die Superoxid-Produktion im Median von 2,45 nM/mg/min auf 3,39 nM/mg/min an, in der mit PETN behandelten Gruppe nur von 2,45 nM/mg/min auf 2,76 nM/mg/min [18].

PETN nach Myokardinfarkten

Mit den Befunden von Kojda stimmen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von T. Hohlfeld et al. [12] überein. Am Schweineherz unter kontrollierten Bedingungen erzeugte ischämische Areale wurden für 3 Stunden mit einer PETN-haltigen Lösung perfundiert. Eine Kontrollgruppe erhielt dieselbe Lösung ohne PETN. Während in der Kontrollgruppe 83% der ischämischen Areale nekrotisch wurden, waren es in der Verumgruppe nur 56%.

Die Aktivierung der neutrophilen Granulozyten im infarzierten Gewebe, die ein Indikator für die ischämische Schädigung ist, fiel unter PETN-Gabe um etwa 80% geringer aus als in der Kontrollgruppe. Die systolischen Drücke im linken Ventrikel und die maximale systolische Wanddickenzunahme, Ausdruck der Kontraktilität des Myokards, nahmen dosisabhängig ab [13]. Die damit erzielte mechanische Entlastung des Herzens wird als ein wesentlicher Faktor für die Langzeitprognose angesehen, da hiermit ein unerwünschter Umbau der Feinstruktur des Myokards, das Remodelling, gehemmt wird.

Auch Patientendaten, die mindestens 5 Wochen nach einem Herzinfarkt erhoben wurden, weisen in die gleiche Richtung. Schneider und Schauer untersuchten mittels Linksherzkatheterisierung die Hämodynamik unter PETN-Therapie bei 52 Infarktpatienten sowie Patienten mit elektrokardiographisch bzw. koronarangiographisch gesicherter KHK höheren Schweregrades [28]. Die Senkung der ST-Strecke im Elektrokardiogramm, welche die Sauerstoff-Unterversorgung des Herzmuskels repräsentiert, sowie der enddiastolische Druck in der Pulmonalarterie (PAEDP) als Maß für die Vorlast des Herzens wurden hierbei vor und nach PETN-Gabe in Ruhe und unter Belastung bestimmt. Sowohl die ST-Strecke als auch der PAEDP konnten unter PETN-Gabe günstig beeinflusst, das Myokard des Patienten also entlastet werden (Abb. 9).

Nutzen der Dauertherapie

Der Einfluss einer kontinuierlichen Nitrattherapie auf den Verlauf der koronaren Herzkrankheit ist bislang kaum durch Patientendaten belegt. Auch wenn es daher schwierig ist, die genannten experimentellen Ergebnisse diesbezüglich auf klinische Verhältnisse zu übertragen, so gibt es doch Hinweise, dass die Behandlung mit PETN die Prognose verbessert.

Sporadische Erfahrungsberichte von Ärzten, die sowohl PETN als auch ISDN zur Therapie einsetzten, ließen Unterschiede im Verlauf der KHK vermuten. In einer daraufhin mit den Daten von 148 Patienten durchgeführten retrospektiven Untersuchung wurden Mortalität und nicht tödliche kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt, erstmaliges Auftreten von instabiler Angina pectoris, Ruheangina, Arrhythmien " Lown 3 oder Herzinsuffizienz " NYHA III, Durchführung einer Bypass-Operation oder einer PTCA) registriert.

Die Studie ergab bei PETN-Gabe eine deutlich geringere Anzahl solcher Ereignisse als bei ISDN-Applikation (Abb. 10) [33]. Ebenso ergab die stratifizierte Subgruppenanalyse, die die gruppenunterschiedliche Risikoverteilung berücksichtigte, durchgehend einen günstigeren Krankheitsverlauf für PETN- gegenüber ISDN-Patienten.

Naturgemäß ersetzt eine retrospektive Studie keine prospektive, randomisierte Untersuchung – die Ergebnisse erlauben aber die Formulierung einer wichtigen Hypothese. Neben der Wirkung auf die KHK ist es gerade der Aspekt der Vasoprotektion, an dem sich der Wert und der Nutzen der Nitrattherapie in Zukunft messen lassen muss. Zurzeit werden klinische Untersuchungen über den Einfluss von PETN auf den Lipoproteinstoffwechsel durchgeführt, von denen man sich näheren Aufschluss über den antiatherosklerotischen Effekt und seine Mechanismen erhofft.

Zusammenfassung

  • Zahlreiche neuere Befunde weisen darauf hin, dass die aufgrund des gemeinsamen Wirkprinzips sehr homogen erscheinende Arzneimittelgruppe der Nitrate in mancher Hinsicht sehr heterogen ist.
  • Unterschiede zwischen den einzelnen Nitraten betreffen einerseits die Inzidenz des Nitratkopfschmerzes. Andererseits ist der Grad, in welchem die Nitrate das Redox-System der Muskelzellen beeinflussen, sehr verschieden. Dies ist wichtig, weil die Änderungen zu Nitrattoleranz, erhöhtem vaskulärem Sauerstoffstress, Lipidperoxidation und Thrombozytenaktivierung führen.
  • Die zu PETN vorliegenden Daten ergeben das Bild eines Wirkstoffs, der nicht nur akute Angina-Beschwerden lindert, sondern mit dem sich die koronare Herzkrankheit und die endotheliale Dysfunktion günstig beeinflussen lassen. Ferner gibt es Hinweise, dass PETN auch das Fortschreiten der Atherosklerose hemmt.

Literatur

[1] E. Bassenge, N. Fink, M. Skatchkov, B. Fink: Dietary supplement with vitamin C prevents nitrate tolerance. J Clin Invest 102 (1998), 67 – 71. [2] D. Brunner, N. Meshulam, F. Zerieker: Effectiveness of sustained-action isosorbide dinitrate on exercise induced myocardial ischemia. Chest 66 (1974), 282 – 287. [3] S. Dikalov, B. Fink, M. Skatchkov, E. Bassenge: Formation of reactive oxygen species by PETN and GTN in vitro and development of nitrate tolerance. J Pharmacol Exp Ther 286 (1998), 938 – 944. [4] K. D. Dück, F. Richard: Vergleichende klinisch-therapeutische Untersuchung mit Pentaerythrityltetranitrat (PETN) und Isosorbiddinitrat (ISDN) bei Koronarkranken mit Belastungsherzinsuffizienz. In: H.T. Schneider, D. Stalleicken (Hrsg.): Pentaerythrityltetranitrat – Beiträge zum klinischen und pharmakologischen Status. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1995), 101 – 113. [5] L. Engelmann, D. Gottschild: Zum hämodynamischen Wirkungsprofil von Pentaerythrityltetranitrat. Z Ges Inn Med 36 (1981), 244 – 246. [6] L. Engelmann, G. Wetzler, A. Kucher, H. Frömmel: Entwicklung und Stand der Nitrattherapie in der DDR. Z Kardiol 78 (1989), 99 – 101. [7] B. Fink, E. Bassenge: Unexpected, tolerance-devoid vasomotor and platelet actions of pentaerithrityl tetranitrate. J Cardiovasc Pharmacol 30 (1997), 831 – 836. [8] H. L. Fung, S. Chong, E. Kowaluk, K. Hough, M. Kakemi: Mechanisms for the pharmacologic interaction of organic nitrates with thiols: existence of an extracellular pathway for the reversal of nitrate vascular tolerance by N-acetylcylcysteine. J Pharmacol Exp Ther 245 (1988), 524 – 530. [9] U. Hess, H. Brosig, G. König, M. Stoeter: Electrochemistry of pentaerythrityl tetranitrate and metabolic structures. Abstract, Annual Meeting of the Electrochemical Society, U.S.A., Toronto (2000). [10] B. Hinz, H. Schröder: Vitamin C attenuates nitrate tolerance independently of its antioxidant effect. FEBS Lett 428 (1998), 97 – 99. [11] T. Hohlfeld, K. Schrör: Hämodynamik und Plättchenfunktion an narkotisierten Schweinen nach i.v.-Gabe von PETN. In: E. Jähnchen, H.T. Schneider, D. Stalleicken: Pentaerithrityltetranitrat – Strukturchemische, zellbiologische und klinische Perspektiven. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1997), 40 – 47. [12] T. Hohlfeld, K. Schör: PETN reduziert die Infarktgröße am reperfundierten Schweineherzen. In: E. Mutschler, A. Schütz, H.T. Schneider (Hrsg.): Pentaerithrityltetranitrat – Basisdaten zum Risikomanagement der Koronaren Herzkrankheit. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1998), 15 – 14. [13] T. Hohlfeld, A. Schütz, D. Stalleicken, K. Schrör: Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pentaerithrityltetranitrat (PETN) bei akutem Myokardinfarkt. (Zur Veröffentlichung eingereicht) [14] N. Hogg, B. Kalyanaraman, J. Joseph, A. Struck, S. Parthasarathy: Inhibition of low-density lipoprotein oxidation by nitric oxide. Potential role in atherogenesis. FEBS Lett 334 (1993), 170 – 174. [15] L. J. Ignarro, G.M. Buga, K.S. Wood, R.E. Byrns, G. Chadhuri: Endothelium derived relaxing factor produced and released from arteries and veins is nitric oxide. Proc Natl Acad Sci USA 84 (1987), 9265 – 9269. [16] W. Jansen, A. Osterspey, M. Tauchert, G. Schmid, U. Schell, M. Fuchs, V. Hombach, H.H. Hilger: 5-Isosorbidmononitrat unter Ruhe- und Belastungsbedingungen bei koronarer Herzkrankheit. Dtsch Med Wochenschr 107 (1982), 1499 – 1506. [17] G. Kojda: Pentaerithrityltetranitrat – NO-vermittelte Vasoprotektion und Hämodynamik. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1997). [18] G. Kojda, A. Hacker, E. Noack: PETN vermindert die durch Alterung induzierte vaskuläre Superoxidradikal-Produktion. In: E. Mutschler, A. Schütz, H. T. Schneider (Hrsg.): Pentaerithrityltetranitrat – Basisdaten zum Risikomanagement der Koronaren Herzkrankheit. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1998), 25 – 31. [19] G. Kojda, A. Hacker, E. Noack: Effects of nonintermittent treatment of rabbits with pentaerythritol tetranitrate on vascular reactivity and superoxide production. Eur J Pharmacol 355 (1998), 23 – 31. [20] H.P. Krepp: Langzeitbehandlung der koronaren Herzerkrankung mit Elantan long. In: U. Borchard, W. Rafflenbeul, A. Schrey (Hrsg.): Mononitrat. Verlag Wolf & Sohn, München (1985), 176 – 183. [21] W. Murrell: Nitro-gylcerine as a remedy for angina pectoris. Lancet 1 (1879), 80. [22] T. Münzel, H. Sayegh, B.A. Freeman, M.M. Tarpey, D.G. Harrison: Evidence for enhanced vascular superoxide anion production in nitrate tolerance. J Clin Invest 95 (1995), 187 – 194. [23] M. Nakatsuka, Y. Osawa: Selective inhibition of the 12-lip-oxygenase pathway of arachidonic acid metabolism by L-arginine or sodium nitroprusside in intact human platelets. Biochem Biophys Res Commun 200 (1994), 1630 – 1634. [24] G. Nickenig, S. Waßmann, M. Böhm: Beeinflussung der Nitrattoleranz durch Antioxidantien. Dtsch Med Wochenschr 123 (1998), 1556 – 1561. [25] E. Noack, G. Kojda: Pentaerithrityltetranitrat – Gesichertes und Neues zur Pharmakologie eines Langzeitnitrats. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1994). [26] S. Oberle, P. Schwartz, A. Abate, H. Schröder: The antioxidant defense protein ferritin is a novel and specific target for pentaerithrityl tetranitrate. Biochem Biophys Res Comm 261 (1999), 28 – 34. [27] V. Pfaffenrath, S. de la Motte, F. Harrison, C. Rüthning: Wirkungen von Pentaerithrityltetranitrat, Isosorbidmononitrat und Placebo auf den Kopfschmerz und auf die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit gesunder Probanden. Arzneim-Forsch/Drug Res 48 (1998), 646 – 650. [28] D. Schneider, J. Schauer: Pentaerithrityltetranitrat – Klinisch-therapeutische Erfahrungen bei individuell differenzierter Medikation der Ischämischen Herzkrankheit. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1997). [29] S. Silber, K.H. Krause, C. Garner, K. Theisen, H. Jahrmärker: Anti-ischemic effects of an 80-mg tablet of isosorbide dinitrate in sustained-release form before and after 2 weeks treatment with 80 mg once-daily or twice-daily. Z Kardiol 72, Suppl. 3 (1983), 211 – 217. [30] S. Silber: Nitrates: why and how should they be used today? Eur J Clin Pharmacol 38 (1990), S 35 – S 51. [31] S. Silber: Doppelblinde, plazebokontrollierte Pilotstudie zur Wirksamkeit einer 1 u täglichen Gabe von Pentaerithrityltetranitrat (PETN) im Vergleich zur 3 u täglichen Gabe bei Patienten mit stabiler Angina pectoris. In: E. Mutschler, K. Schrör (Hrsg.): Pentaerithrityltetranitrat – Pharmakologische und klinische Daten zur Koronaren Herzkrankheit. Steinkopff Verlag, Darmstadt (1999), 61 – 72. [32] D.D. Stewart: Remarkable tolerance to nitroglycerin. Philadelphia Polyclinic (1888), 12. [33] M. Stoeter, H. Polligkeit, W. Lehmacher: Morbidität und Mortalität von KHK-Patienten unter Therapie mit Pentaerithrityltetranitrat oder Isosorbiddinitrat – Eine retrospektive Studie. (Zur Veröffentlichung eingereicht) [34] H. Watanabe, M. Kakihana, S. Ohtsuka, Y. Sugishita: Randomized, double-blind, placebo-controlled study of the preventive effect of supplemental oral vitamin C on attenuation of development of nitrate tolerance. J Am Coll Cardiol 31 (1998), 1323 – 1329.

Organische Nitrate sind klassische Wirkstoffe zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit. Ihr gemeinsames Wirkprinzip ist die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO), das auch endogen durch das gesunde Endothel gebildet wird und eine Relaxation der Gefäßmuskelzellen bewirkt. Gegenüber Glyceroltrinitrat, ISDN und ISMN weist Pentaerythrityltetranitrat (PETN) einige positive Besonderheiten auf. So besitzt PETN zugleich antioxidative Eigenschaften und mindert damit einen Risikofaktor für die koronare Herzkrankheit.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.