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Arzneimittel und Therapie
Atopische Dermatitis: Tacrolimus – der Durchbruch in der Neurodermitis-The
Unter dem Handelsnamen Protopic ist Tacrolimus-Salbe in Japan und den USA, Kanada und der Schweiz bereits seit längerem verfügbar. Mit der Zulassung durch die Europäische Zulassungsbehörde EMEA (European Medicines Evaluation Agency) im Februar 2002 steht Protopic nun auch in Deutschland für die Behandlung mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis zur Verfügung.
Chronisch entzündliche Hauterkrankung
Atopische Dermatitis, auch bekannt als atopisches Ekzem oder Neurodermitis, ist eine chronisch entzündliche Hauterkrankung, die sowohl Erwachsene als auch Kinder befällt. Der Krankheitsverlauf ist individuell sehr unterschiedlich und lässt sich nur schwer vorhersagen. Die Patienten können symptomfreie Zeiträume haben, denen eine mehrere Monate andauernde Exazerbation folgt.
Obwohl die atopische Dermatitis den gesamten Körper befallen kann, ist sie für gewöhnlich an bestimmten Körperpartien vermehrt zu finden. Bei Kindern sind vor allem das Gesicht und der Hals betroffen, bei Jugendlichen und Erwachsenen kann der ganze Körper mit einbezogen sein, insbesondere die Armbeugen und Kniekehlen. Anhand des Ausmaßes, des Verlaufs und der Intensität der Erkrankung kann die atopische Dermatitis von mild bis schwer eingestuft werden.
Starker Juckreiz ist führendes Symptom
An atopischer Dermatitis Leidende haben eine extrem trockene und rissige Haut, durch die im Vergleich zur gesunden Haut Reizstoffe und Allergene leichter eindringen und Entzündungsreaktionen auslösen können. Kratzen sich die Patienten dann, entwickelt sich ein stark juckender Ausschlag, und ein Teufelskreis von Kratzen und Jucken beginnt.
Dieser Juckreiz tritt insbesondere in der Nacht auf, so dass eine ungestörte Nachtruhe nicht möglich ist. Es können sich Läsionen bilden, die nässen, verschorfen und sich nicht selten infizieren. Wenn die Haut abheilt, wird sie schuppig, dick und noch trockener, was sie einmal mehr empfänglich für Reizungen macht. Häufig kommt es zu Infektionen mit Staphylococcus aureus, der auf gesunder, intakter Haut kaum Schaden anrichtet, auf geschädigter Haut aber eitrige Entzündungen verursachen kann.
Die Patienten leiden nicht nur unter den körperlichen Symptomen der atopischen Dermatitis, auch die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familienangehörigen ist stark beeinträchtigt, denn die Erkrankung hat beträchtlichen Einfluss auf den Alltag. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen kann die Sichtbarkeit des Ekzems zu einem mangelnden Selbstwertgefühl führen.
Genaue Ursache unbekannt
Die genauen Ursachen der atopischen Dermatitis sind nicht bekannt. Es wird aber von einer genetischen Disposition ausgegangen, wobei das Immunsystem und viele Umweltfaktoren eine Rolle dabei spielen. Bei den Betroffenen überreagiert der Körper auf auslösende Faktoren, die normalerweise harmlos wären – beispielsweise Staubmilben oder Pollen.
Die atopische Dermatitis kann durch eine Kombination von erblichen, biologischen und Umweltfaktoren ausgelöst oder verschlimmert werden. Dazu gehören: Asthma und Allergien, trockene Haut, Schwitzen, Kratzen, extrem hohe oder niedrige Temperaturen, Reizstoffe wie Reinigungsmittel, Wolle oder andere Textilrohstoffe, aber auch psychische Belastungen und Emotionen.
Ziel der Basistherapie: Verbesserung der Barrierefunktion
Das wesentliche Therapieziel der Basistherapie ist die Wiederherstellung der gestörten Barrierefunktion der Haut, die Linderung des Juckreizes und Verlängerung der erscheinungsfreien Intervalle. Die adjuvante Basistherapie umfasst den regelmäßigen Einsatz von rückfettenden, wirkstofffreien Externa und Ölbädern.
Als Basistherapeutika werden Emulsionen vom Typ Öl-in-Wasser (Hydrolotio, hydrophile Creme) und Wasser-in-Öl (Lipolotio, lipophile Creme) bevorzugt. Günstig ist der Zusatz von Harnstoff, der eine gute hydratisierende Wirkung besitzt und darüber hinaus die Hornschichtbarriere beeinflussen kann. Gerade harnstoffhaltige, rückfettende Salben haben sich in der Intervallbehandlung der atopischen Dermatitis gut bewährt.
Zur Juckreizlinderung und Rückfettung sind auch Ölbäder geeignet. Für die Anwendung können vor allem Spreitungsölbäder empfohlen werden, die keine Emulgatoren enthalten und einen ausgeprägten rückfettenden Effekt aufweisen. Bei akuten ekzematösen Hautveränderungen sind topische Glucocorticoide das Mittel der Wahl. Bei langfristiger Anwendung und im Kindesalter sollen die schwach wirkenden Glucocorticoide bevorzugt werden. Eine einmal tägliche Corticoidapplikation ist aufgrund des Depoteffektes der Hornschicht in der Regel ausreichend.
Eingriff in die Signalübertragung
Die Pathogenese der atopischen Dermatitis ist noch nicht vollständig geklärt. Im Vordergrund stehen dabei aber Vorgänge an den T-Lymphozyten. Tacrolimus hemmt die Signaltransduktion vom T-Zell-Rezeptor zum Zellkern, indem es verhindert, dass ein Element der Signalkaskade in den Zellkern gelangt und dort die Zytokin-Gene aktivieren kann.
Darüber hinaus reduziert Tacrolimus die Präsentation von Antigenen durch Langerhanszellen, es hemmt die Freisetzung von Entzündungsmediatoren aus Mastzellen (Histamin u. a.), aus Basophilen (Histamin u. a.) und aus Eosinophilen (toxische Proteine und Zytokine).
Klinische Studien belegen Wirksamkeit
In einer Studie mit erwachsenen Patienten wurde Tacrolimus-Salbe 0,03% und 0,1% mit Hydrocortison-17-butyrat-Salbe 0,1%, einem Steroid zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis, verglichen. Insgesamt nahmen 570 Patienten aus 27 Zentren an der randomisierten multizentrischen Doppelblindstudie der Phase III teil.
Die Patienten wurden randomisiert in drei Behandlungsgruppen eingeteilt. Sie wurden angewiesen, die Salben drei Wochen lang zweimal am Tag auf alle betroffenen Bereiche aufzutragen und die Behandlung im gesamten Zeitraum fortzusetzen, unabhängig davon, ob es zu einer Abheilung kam oder nicht.
Der primäre Endpunkt der Studie beruhte auf dem modified Eczema Area and Severity Index (mEASI), ausgedrückt als Prozentsatz vom Basiswert. In den mEASI gehen die Schweregrade einzelner Symptome ein, die entsprechend dem Ausmaß der befallenen Körperoberfläche gewichtet werden. Der mittlere mEASI als Prozentsatz des Basiswerts betrug für Patienten, die Tacrolimus-Salbe 0,03% und 0,1% oder Hydrocortisonbutyrat-Salbe 0,1% erhielten 47,0%, 36,5% bzw. 36,1%.
Der Anteil der Patienten, der bis zum Ende des Behandlungszeitraums eine deutliche Besserung oder völlige Erscheinungsfreiheit aufwies, betrug in der Tacrolimus-0,03%-Gruppe 38% und in der Tacrolimus-0,1%-Gruppe wie auch in der Hydrocortisonbutyrat-0,1%-Gruppe jeweils 50%. Vorübergehende lokale Reizungen – besonders während der ersten Tage der Behandlung – waren die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen. Ernste Unverträglichkeitsreaktionen wurden nicht festgestellt.
Tacrolimus auch bei Kindern
In einer europäisch-kanadischen randomisierten Doppelblindstudie der Phase III konnte gezeigt werden, dass Tacrolimus-Salbe in der Behandlung von mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis bei pädiatrischen Patienten wirksamer ist als Hydrocortisonacetat.
In der dreiwöchigen Studie wurde Tacrolimus-Salbe (0,03% und 0,1%) bei 560 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis im Alter zwischen 2 und 15 Jahren mit Hydrocortisonacetat-Salbe (1%) verglichen. Die Patienten wurden randomisiert in drei Behandlungsgruppen eingeteilt. Auf die akut erkrankten Hautbereiche wurde zweimal täglich eine dünne Schicht der Salbe aufgebracht.
Schnelle deutliche Besserung
Die Behandlung wurde nach dem Abheilen der Läsionen für weitere sieben Tage fortgesetzt. Besserung oder völlige Erscheinungsfreiheit am Ende der Behandlung konnte bei 38,5% der Patienten in der Tacrolimus-0,03%-Gruppe, bei 48,4% in der Tacrolimus-0,1%-Gruppe und bei 15,7% in der Hydrocortisonacetat-Gruppe beobachtet werden.
An Hand der mittleren mEASI als Prozentsatz vom Basiswert erwiesen sich Tacrolimus-Salbe 0,03% und 0,1% als signifikant wirksamer im Vergleich zur Hydrocortisonacetat-Salbe 1%. Bemerkenswert war, dass eine sehr schnelle Besserung der Symptome beschrieben wurde. Insbesondere beim Juckreiz konnte eine sehr schnelle Linderung der Beschwerden schon nach vier Tagen beobachtet werden.
Nebenwirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen traten in Form von Hautirritationen wie Brennen, Jucken und Hautrötungen im betroffenen Bereich auf. In der Regel verschwanden diese jedoch innerhalb einer Woche nach Behandlungsbeginn. Da diese Reizung der Haut auch bei den Plazebogruppen auftrat, wird vermutet, das sie auf die verwendete Salbengrundlage zurückzuführen ist. Der Wirkstoff steht noch nicht als besser verträgliche Creme zur Verfügung. Im Gegensatz zu den Glucocorticoiden ist Tacrolimus-Salbe in besonderem Maße für die Therapie im Bereich Hals und Gesicht geeignet, da der Wirkstoff nicht in den Kollagenstoffwechsel eingreift und somit nicht zur Atrophie führt.
Die systemische Verfügbarkeit nach topischer Applikation ist gering. Sie liegt unter 1,0 ng und ist damit geringer als die Konzentration, die bei dem systemischen Einsatz von Tacrolimus in der Transplantationsmedizin erreicht wird. Hinzu kommt, dass mit einer Wiederherstellung der Barrierefunktion der Haut unter dem Einsatz von Tacrolimus das Ausmaß und die Rate der topischen Resorption zurück geht.
Langzeitwirkung noch nicht untersucht
Wie bei jeder Therapie einer chronischen Erkrankung, die im Kindesalter begonnen wird, muss man davon ausgehen, dass die Salbe eventuell 50 Jahre und länger angewendet wird. Gerade in der Pädiatrie sollte ein besonderes Gewicht auf die langfristige Sicherheit eines Medikamentes gelegt werden.
Eventuelle Spätfolgen bei Langzeitanwendung von Tacrolimus-Salbe über Jahre und Jahrzehnte sind gegenwärtig noch nicht sicher einzuschätzen. Die Wirksamkeit von Tacrolimus ist über 12 Monate gegeben, im Gegensatz zur Tachyphylaxie, die von den Glucocorticoiden bekannt ist.
Kastentext: Provokationsfaktoren der atopischen Dermatitis
- Nahrungsmittelallergene
- Umweltallergene
- irritierende Substanzen
- Infektionen
- Superantigene
- hormonelle Faktoren
- Klima
- psychischer Stress
Kastentext: Epidemiologie
In den vergangenen dreißig Jahren hat sich die Prävalenz der atpoischen Dermatitis verdoppelt bis verdreifacht. In Deutschland sind ungefähr 2,5% der Erwachsenen und 10 bis 15% der Kinder von dieser Krankheit betroffen.
Dieser Anstieg hängt möglicherweise mit veränderten Umweltbedingungen zusammen. Es sind männliche und weibliche Patienten gleichermaßen betroffen. 65% der Patienten bilden während des ersten Lebensjahrs Symptome aus, 90% entwickeln diese bis zum fünften Lebensjahr. Bei vielen Kindern kommt es aber mit zunehmendem Alter, besonders mit Eintritt in die Pubertät zu einer dauerhaften Remission der Krankheit.
Statistiken belegen, dass etwa 40% der an atopischer Dermatitis leidenden Kinder die Erkrankung mit zunehmendem Alter überwinden, während andere sie ihr ganzes Leben behalten.
Kastentext: Vier Hauptmerkmale für die Diagnosestellung:
- Pruritus
- typische ekzematöse Morphologie und Verteilung:
- Beugenekzeme bei Erwachsenen
- Gesicht- und Streckseitenbefall bei Säuglingen und Kindern
- chronisch-rezidivierender Verlauf
- persönliche oder familiäre Anamnese für atopische Erkrankungen
Quelle:
Prof. Dr. Alexander Kapp, Hannover, Prof. Dr. Thomas Bieber, Bonn, Dr. Doris Staab, Berlin, Dr. Michael Offers, München, Priv.-Doz. Dr. Matthias Augustin, Freiburg, Einführungspressekonferenz "Protopic: Die Innovation in der Therapie der Atopischen Dermatitis", München, 10. April 2002, veranstaltet von der Fujisawa Deutschland GmbH.
Zum 15. April 2002 wurde mit Tacrolimus (Protopic) ein topischer Immunmodulator für die Behandlung der atopischen Dermatitis eingeführt. Der Wirkmechanismus zielt spezifisch auf die überschießende Immunantwort der Haut. Tacrolimus greift selektiv in das pathophysiologische Geschehen ein und verursacht – anders als topische Steroide – keine Hautatrophie. Daher ist Tacrolimus-Salbe auch zur intermittierenden Langzeitbehandlung und zur Behandlung besonders empfindlicher Hautareale wie Gesicht und Hals geeignet.
1 Kommentar
(Protopic®)
von Heide Schlittmeier am 27.03.2019 um 20:43 Uhr
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