Arzneimittel und Therapie

Prävention: Acetylsalicylsäure gegen Herzinfarkt und Schlaganfall

Acetylsalicylsäure (ASS) wurde bisher mehr empirisch eingesetzt, um die Häufigkeit von Gefäßverschlüssen bei Patienten mit erhöhtem Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere arterielle Gefäßverschlüsse zu verringern. Nun steht diese Therapie auf einem objektiven wissenschaftlichen "Unterbau", einer Meta-Analyse aus 287 Studien, an denen mehr als 200 000 Menschen mit einer entsprechenden Vorerkrankung beteiligt waren.

Acetylsalicylsäure wird seit mehr als 100 Jahren therapeutisch genutzt – davon seit genau 30 Jahren als Thrombozyten-aggregationshemmer. In die gleiche Indikationsgruppe gehört auch das wesentlich "jüngere" Clopidogrel, welches seit knapp fünf Jahren in Deutschland zur Thrombozytenfunktionshemmung eingesetzt wird. Clopidogrel wurde anders als ASS von Anfang an systematisch auf den Einsatz in der Prävention arterieller Thrombosen untersucht, die klinischen Prüfungen entsprechend angelegt und weitergeplant.

Erkenntnisse aus der Meta-Analyse

Das Ziel der Studienzusammenfassung war es, so Prof. Dr. Carlo Patrono, Pharmakologe an der Università di Roma "La Sapienza", durch Auswertung klinischer randomisierter Studien, die bis September 1997 durchgeführt wurden, festzustellen, inwieweit eine antithrombotische Therapie Hochrisikopatienten vor schwerwiegenden vaskulären Ereignissen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder vaskulärem Tod schützen kann.

Die Arbeitsgruppe der Antithrombotic Trialists' Collaboration wertete 287 Studien mit insgesamt 212 000 Hochrisiko-Patienten aus. Dazu gehören alle, die in der Anamnese Schlaganfälle, transitorisch ischämische Attacken (TIA), einen akuten Schlaganfall, stabile Angina pectoris, Vorhofflimmern, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder Herzinfarkt aufweisen.

Von den 287 Studien waren 197 (n = 135 000 Patienten) plazebokontrolliert und 90 Studien (n = 77 000 Patienten) gegen einen anderen Plättchenhemmer durchgeführt worden. Das Hauptzielkriterium der Meta-Analyse waren "schwerwiegende vaskuläre Ereignisse", und zwar nicht-tödlicher Herzinfarkt, nicht-tödlicher Schlaganfall oder Tod durch Gefäßverschluss.

Schutz vor schwerwiegenden vaskulären Ereignissen

Die Ergebnisse erhärteten die von der gleichen Arbeitsgruppe bereits 1994 publizierten Ergebnisse: So senkte die Behandlung mit antithrombotisch wirkenden Medikamenten, wie Acetylsalicylsäure, das Risiko von Patienten mit Gefäßerkrankungen, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden oder durch einen Gefäßverschluss zu versterben, um 25 Prozent.

Nicht-tödliche Herzinfarkte wurden in der Hochrisikogruppe um ca. ein Drittel gesenkt, nicht-tödliche Schlaganfälle um ein Viertel und die vaskuläre Mortalität ging um ein Sechstel zurück. Dies bedeutet in absoluten Zahlen: Bei 1000 Patienten mit einem Herzinfarkt in der Anamnese, die zwei Jahre lang mit Acetylsalicylsäure oder einem anderen Plättchenhemmer behandelt wurden, konnten 36 ernsthafte vaskuläre Ereignisse verhindert werden. Sogar bei einer Behandlungsdauer von nur einem Monat wurden bei 1000 Patienten mit einem akuten Herzinfarkt 38 schwerwiegende Gefäßereignisse verhindert.

Bei 1000 Patienten mit einem früheren Schlaganfall oder transitorischen ischämischen Attacken konnten unter einer zweijährigen Behandlung 36 schwerwiegende Gefäßereignisse verhindert werden. Bei Patienten mit einem akuten Schlaganfall wurden bereits bei einer dreiwöchigen Therapie pro 1000 Patienten neun schwerwiegende vaskuläre Ereignisse verhindert. Bei Patienten aus anderen Hochrisikogruppen, wie stabile Angina pectoris, periphere arterielle Verschlusskrankheit bzw. Vorhofflimmern, konnten 22 schwerwiegende Gefäßereignisse pro 1000 Patienten nach zwei Jahren Behandlung vermieden werden.

Clopidogrel reduzierte schwerwiegende Gefäßereignisse im Vergleich mit Acetylsalicylsäure um 10 Prozent. Die Kombination von Acetylsalicylsäure mit Dipyridamol erbrachte gegenüber einer Acetylsalicylsäure-Monotherapie keine signifikante zusätzliche Reduktion von Gefäßereignissen.

Bei Patienten mit einem hohen Risiko eines akuten Koronarverschlusses verhinderte die kurzzeitige Kombination von einem intravenösen Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten mit Acetylsalicylsäure weitere 20 Gefäßereignisse pro 1000 Patienten, verursachte allerdings 23 größere extrakranielle Blutungen je 1000 Patienten. Als Fazit kann Clopidogrel sowohl in Hinsicht der Wirkung wie der Verträglichkeit als idealer Kombinationspartner für ASS bezeichnet werden.

Wirkmechanismen der Thrombozytenaggregationshemmer

Acetylsalicylsäure führt zu einer irreversiblen Hemmung der thrombozytären Cyclooxygenase 1 und damit der Bildung von Thromboxan. Thromboxan verstärkt im Sinne eines positiven Feed-back-Mechanismus die Plättchenaktivierung und besitzt auch gefäßverengende Eigenschaften.

Acetylsalicylsäure hat darüber hinaus eine direkte protektive Wirkung auf das Gefäßendothel. Sie induziert nämlich die endotheliale Produktion von Ferritin und Hämoxygenase 1. Diese antioxidativen Proteine erhöhen die Resistenz des Endothels gegenüber zelltoxischen Effekten von Sauerstoffradikalen.

Ferritin bindet freie Eisenionen, welche den wichtigsten Katalysator bei der Sauerstoffradikalbildung darstellen. Die endotheliale Schutzwirkung der Hämoxygenase 1 kommt über die Bildung des antioxidativen Metaboliten Bilirubin zustande. Acetylsalicylsäure bewirkt also nicht nur eine Blockade der Thrombozytenfunktion, sondern führt gleichzeitig über antioxidative Signalwege zu einer Stabilisierung der Endothelfunktion.

Blockierung von Adenosindiphosphat

Clopidogrel weist völlig andere Wirkmechanismen auf: Die Antagonisierung des endogenen Plättchenaktivators Adenosindiphosphat (ADP) unterdrückt die ADP-abhängige funktionelle Expression des Glykoprotein(GP)-IIb/IIIa-Rezeptors in der Plättchenmembran. Der GP-IIb/IIIa-Rezeptor kann unter dem Einfluss von Clopidogrel keine ADP-induzierte Bindung mit Fibrinogen eingehen, sodass die interthrombozytäre Vernetzung und Aggregatbildung unterbleibt.

Zusätzlich reduziert Clopidogrel schädliche Interaktionen zwischen Thrombozyten und Gefäßendothel, indem es die Plättchenadhäsion an subendotheliale Strukturen wie Kollagen inhibiert. Das Resultat der Kombination von Acetylsalicylsäure und Clopidogrel ist eine multiple Blockade plättchenaktivierender Signalwege. Damit kommt es zu einer synergistisch verstärkten Thrombozytenhemmung und zu direkten wie indirekten Schutzeffekten für das Gefäßendothel.

Maßnahmen für eine bessere Verträglichkeit

Gastrointestinale Nebenwirkungen treten sowohl bei Clopidogrel als auch bei Acetylsalicylsäure auf, wobei die Inzidenz von Blutungen und Oberbauchbeschwerden (Irritationen der Magenschleimhaut) bei Acetylsalicylsäure höher ist als bei Clopidogrel. Umgekehrt werden unter der Therapie mit Clopidogrel häufiger Durchfälle als nach Gabe von Acetylsalicylsäure beobachtet. Die direkten schleimhautreizenden Effekte der Acetylsalicylsäure aufgrund der Hemmung der nichtthrombozytären Prostaglandinbildung lassen sich durch galenische Maßnahmen reduzieren.

So wird bei der Einnahme von magensaftresistenten Tabletten der direkte Kontakt mit der gastroduodenalen Schleimhaut minimiert. Gleichzeitig kommt es zu einer verzögerten Freisetzung der Acetylsalicylsäure im Dünndarm. Durch die verlangsamte Resorption wird die Metabolisierung (Deacetylierung) bei der ersten Leberpassage erleichtert und der Anteil unverstoffwechselter Acetylsalicylsäure im systemischen Kreislauf vermindert.

Dies bedeutet, dass die Thrombozytenhemmung aufgrund der Inhibition der thrombozytären Thromboxanbildung im präsystemischen Kreislauf (Pfortaderblut, Portalkreislauf) unverändert stattfinden kann, während gleichzeitig nachteilige Effekte im systemischen Kreislauf (z. B. auf die Prostacyclinsynthese) reduziert werden.

Praktische Umsetzung von Studienergebnissen

In jeder der Hochrisikogruppen überwog der therapeutische Nutzen das absolute Risiko einer größeren extrakraniellen Blutung. Bei Acetylsalicylsäure, dem in dieser Meta-Analyse am häufigsten eingesetzten Thrombozytenaggregationshemmer, waren 75 bis 150 mg täglich mindestens ebenso wirksam wie höhere Tagesdosen. Die Wirksamkeit von Tagesdosen unter 75 mg waren weniger eindeutig.

In Deutschland werden zurzeit schätzungsweise sieben Millionen an koronarer Herzkrankheit Erkrankte mit ASS behandelt. In der Primärprävention erwiesen sich schon 75 mg/Tag ASS als wirksam zur Verhinderung von ersten atherothrombotischen Ereignissen (z. B. Herzinfarkt) und von Myokardinfarkten bei Patienten mit stabiler Angina pectoris.

Bei völlig asymptomatischen Personen war ASS ebenfalls präventiv wirksam, allerdings erfordert die hohe Zahl der zu behandelnden asymptomatischen Personen zur Verhinderung eines kardiovaskulären Todesfalles die Fokussierung dieser Therapie auf Personen mit höherem kardiovaskulären Risiko, also mit mehreren Risikofaktoren.

Empfehlungen zur Dosierung

Insbesondere bei akutem Myokardinfarkt (ST-Elevations Myokardinfarkt), intramuralem Infarkt (Non ST-Elevations Myokardinfarkt) und instabiler Angina – die drei Krankheitsbilder werden heute zum so genannten "akuten Koronarsyndrom" zusammengefasst –, konnte die klinische Wirksamkeit von ASS in den verschiedenen Dosierungen sehr überzeugend nachgewiesen werden und führte zu einer Halbierung der Anzahl unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse.

Auch wenn die Meta-Analysen keine Dosisabhängigkeit der therapeutischen Wirksamkeit von ASS gezeigt haben, gibt es Hinweise auf die Wirksamkeit einer Aufsättigungsdosis zu Beginn der Therapie in Höhe von 250 bis 500 mg als Initialdosis und Fortsetzung der Therapie mit Dosierungen zwischen 75 und 162 mg/ Tag.

Nach Koronarinterventionen, die mit einer Stentimplantation durchgeführt werden, wird die kombinierte Thrombozyteninhibitor-behandlung mit ASS plus Clopidogrel für vier Wochen empfohlen, um das Risiko akuter und subakuter thrombotischer Stentverschlüsse zu minimieren. Patienten mit akutem Koronarsyndrom sollten prolongiert über neun Monate ebenfalls mit der Kombination aus ASS und Clopidogrel nachbehandelt werden.

In einer Untersuchung hatten sowohl die konservativ als auch die koronarinterventionell behandelten Patienten eine relative Risikoreduktion von 20 bis 30 Prozent für unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse. Dabei hatten die Patienten, die 100 mg/d ASS plus Clopidogrel eingenommen hatten, eine geringere Rate an schweren Blutungen als die Patienten mit höheren ASS Dosierungen.

Quelle

Prof. Dr. Henning Schröder, Halle, Prof. Dr. Carlo Patrono, Roma, Prof. Dr. Harald Darius, Mainz, Priv.-Doz. Dr. Marianne Petersen-Braun, Leverkusen, Pressekonferenz "Schutz vor Gefäßverschlüssen: Neue Konzepte oder etablierte Therapie?", Frankfurt am Main, 6. März 2002, veranstaltet von der Bayer Vital AG, Leverkusen.

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