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Problemlösungen für den Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln
Herbert Wartensleben, Rechtsanwalt für Arzneimittel- und Apothekenrecht, erläuterte bei einem Pressegespräch am 22. April in Berlin die gegenwärtige Situation der pharmazeutischen Hersteller: Sie begnügen sich bei der Erstzulassung eines Arzneimittels in der Regel damit, die Zulassung für ein bestimmtes, neues Indikationsgebiet zu beantragen. Auf diese Weise benötigt das behördliche Verfahren ein bis zwei Jahre weniger, als würde zusätzlich die Zulassung für einen weiteren Anwendungsbereich, für den bereits Arzneimittel existieren, beantragt.
Für den Hersteller sind die Vorzüge dieser bevorzugten Bearbeitung offenkundig: Das Medikament gelangt schneller auf den Markt, der Patentschutz kann länger ausgenutzt werden. Stellt sich später heraus, dass das Arzneimittel auch in anderen Indikationsgebieten wirkungsvoll eingesetzt werden kann, scheut der Unternehmer allerdings häufig vor einem erweiternden Zulassungsantrag zurück. Denn nach der aktuellen europäischen Rechtsprechung besteht in diesem Fall kein Unterlagenschutz mehr. D. h., Generikafirmen können die entsprechenden Daten unentgeltlich weiterverwenden und sich bei der Zulassung auf die Ergebnisse der klinischen Studien des forschenden Herstellers beziehen (sog. bezugnehmende Zulassung). Dieser Umstand, so Barbara Sickmüller, Geschäftsführerin im Bereich Medizin und Pharmazie beim BPI, sei ein wesentliches Investitionshindernis für forschende Arzneimittelhersteller.
Auch im europäischen Zulassungsverfahren, das derzeit harmonisiert wird, finde dieser Gesichtspunkt keine Berücksichtigung. Der BPI fordert daher, für die Forschung an bekannten Stoffen Anreize zu setzen. So etwa durch Schutzfristen zur Weiterverwertung oder Alleinvermarktungsmöglichkeiten, wie es auch die neue europäische Orphan Drug Regelung vorsieht.
Das Dilemma des verordnenden Arztes
Doch die Situation ist auch für den Arzt unbefriedigend. Wartensleben zeigte den Zwiespalt auf, in dem sich ein Arzt befindet, wenn er off-label verordnet: Nach dem Zivil- und Strafrecht ist er verpflichtet, die "erforderliche Sorgfalt" anzuwenden, d. h., neueste medizinische Erkenntnisse zu berücksichtigen. Da viele Erkenntnisse erst Jahre nach der Zulassung gewonnen werden, ist der Off-Label-Use den Ärzten zur Gewohnheit geworden.
Sickmüller erklärte, dass im intensiv-medizinschen Bereich der Kinderheilkunde in 90 Prozent aller Fälle Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete eingesetzt werden, in der Onkologie seien es 70 bis 80 Prozent. Doch auf der anderen Seite ist das Leistungserbringungsrecht des Arztes eingeschränkt: Krankenkassen wollen nur die Kosten für Medikamente übernehmen, die innerhalb ihres Indikationsbereichs verordnet wurden. Sie nehmen dabei Bezug auf die nationale Rechtsprechung: Danach sind Arzneimittel ohne Zulassung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen nicht verordnungsfähig.
Erstreckt sich die Zulassung lediglich nicht auf das Einsatzgebiet, so ist die Erstattungsfähigkeit nur unter sehr engen Voraussetzungen gegeben. Konsequenz der gegenwärtigen rechtlichen Situation, so Wartensleben, sei eine Zwei-Klassen-Medizin: Während bei privat versicherten Patienten eine Off-Label-Verordnung möglich sei, müssten Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) darüber aufgeklärt werden, dass sie regelmäßig selbst für die Kosten des Arzneimittels aufzukommen haben. So blieben den GKV-Versicherten neueste wissenschaftliche Erkenntnisse über bestimmte Präparate angesichts des dem Arzt drohenden Regresses oftmals vorenthalten.
Grundsatzurteil des BSG lässt Fragen offen
Auch das erst im März dieses Jahres vom Bundessozialgericht (BSG) gefällte Grundsatzurteil zur Erstattungsfähigkeit beim Off-label-Use (siehe DAZ Nr. 13, 2002, S. 1694) löst die bestehenden Probleme nicht befriedigend. Nach diesem Urteil sind Medikamente, die zulassungsüberschreitend eingesetzt werden, erstattungsfähig, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachteilig beeinflusst, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht.
Doch auch hier bleiben Fragen offen: Was ist etwa, wenn die anderweitig verfügbare Therapie bei dem Patienten nicht wirkt oder wegen Nebenwirkungen nicht anwendbar ist? Was ist, wenn bei weniger schwerwiegenden Indikationen keine zugelassenen Arzneimittel zur Verfügung stehen, z. B. bei Kindern?
Der BPI plädiert in solchen Fällen für eine Auslegung im Sinne des Patienten. Angesichts der Entwicklung in der Rechtsprechung sieht Sickmüller den Gesetzgeber gefordert, den Off-Label-Use in das Sozialgesetzbuch, V. Buch, einzubinden. Bislang findet sich dort keine ausdrückliche Regelung zu diesem gar nicht so seltenen Sonderfall. Ärzte und Krankenkassen müssten diese gesetzlichen Grundlagen definieren, damit Ärzte aus ihrem Konflikt befreit werden und Patienten die für sie bestmögliche Therapie erhalten, so Sickmüller.
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