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- DAZ 18/2002
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Die Seite 3
In Insiderkreisen munkelte man bereits seit dem vergangenen Herbst, dass Dr. Thomas Kerckhoff, Geschäftsführer der schweizerischen Versandapotheke Mediservice, in Deutschland einen Verband der Versandapotheker gründen will. Jetzt schien ihm der Zeitpunkt günstig zu sein. Nachdem nun auch die Bundesgesundheitsministerin vom Runden Tisch aus in alle Welt posaunte, dass im Arzneiversandhandel die Zukunft liegt, setzte Kerckhoff sein Vorhaben in die Tat um: Am 27. April gründete er in Köln den "Bundesverband Deutscher VersandapothekerInnen" BVDVA.
Es soll ein "Zusammenschluss innovativer Apotheker und Apothekerinnen" sein, die, so wörtlich "den pharmazeutischen Arzneimittelversandhandel an den Endverbraucher in Deutschland im Sinne der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung organisieren werden". Auf einer Internetseite des Verbands kann jeder nachlesen, welche Ziele sich dieser Verband offiziell gesteckt hat. Die "innovativen" Großapotheken, die sich bereits als Mitglieder eingeschrieben haben, wollen natürlich alles ganz legal abwickeln, möglichst konform mit dem heutigen Apothekenrecht und mit allen Pflichten einer öffentlichen Apotheke, also auch Teilnahme am Nacht- und Notdienst, keine Rosinenpickerei und ohne Zerstörung des heutigen Apothekensystems. Mit der Gründung des Bundesverbands Deutscher VersandapothekerInnen will man voll auf der Linie des Gesundheitsministeriums liegen und ein Gegengewicht zu unseriösen Arzneimittelanbietern im Internet und aus dem Ausland bilden.
Wo liegt da die Innovation, frage ich mich? Wer den weichgespülten Text des BVDVA-Programms liest, könnte sich leicht davon einlullen lassen: alles pro Apotheke, alles gesetzeskonform und alles wird gut. Doch wer zwischen den Zeilen liest und ein paar Hintergründe kennt, weiß, dass hier der Wolf im Schafspelz spricht. Kerckhoff ist nicht nur der 1. Vorsitzende des BVDVA, sondern bereits seit längerem Geschäftsführer bei der – mittlerweile schwächelnden – schweizerischen Versandapotheke Mediservice AG. Schon seit einiger Zeit gehen die Gerüchte um, dass Kerckhoff eine Art Mediservice auch für Deutschland ins Leben rufen will. Da sich eine große Versandapotheke in Deutschland vermutlich nicht durchsetzen lässt, scheint er nun den Weg eines Apothekenverbunds gehen zu wollen.
In einem Beitrag des Magazins "Spiegel" vom 29. April wird Kerckhoff schon genauer: dort prophezeit er, "komplett neue und auch industrialisierte Strukturen" einführen zu wollen. So stellt er sich vor, dass spezialisierte Versandapotheken entstehen könnten, die sich beispielsweise der Diabetiker annehmen oder Zusatzleistungen anbieten wie eine Insulin-Hotline. Kerckhoff wird wörtlich zitiert: "Für die deutsche Apothekenlandschaft wird der Versandhandel ein mittelschweres Erdbeben." Da sollte sich Kerckhoff mal nicht so sicher sein, denn wenn der Versandhandel kommt, dann kommt er nicht nur für die Kerckhoffschen Apotheken, sondern für alle. Und dann bebt er mit.
Apropos "Der Spiegel": Dieses Magazin will ausgemacht haben, dass der Versandhandel mit Medikamenten in Deutschland boomt und Internetapotheken zugelassen werden sollen gegen massiven Widerstand der Apothekerlobby, aber zur Freude von Krankenkassen und Patienten. Da muss der Spiegel eine Fata Morgana gesehen haben. Denn von einem boomenden Arzneiversandhandel kann in der Tat nicht die Rede sein. Möglicherweise ist das Magazin den von DocMorris verkündeten Zahlen an wöchentlichen Bestellungen aufgesessen. Dabei scheint diese niederländische Versandapotheke jeden Besuch ihrer Internetseite als "Bestellung" zu werten. Und dass Patienten Freude daran haben, ihre Arzneimittel per Internet zu bestellen – das lässt sich ebenfalls nicht ausmachen.
Im Gegenteil. Die angelaufene Unterschriftenaktion "Initiative pro Apotheke", mit der die Bevölkerung für die Apotheke votiert und sich gegen Versandhandel entscheidet, spricht eine andere Sprache. Die Aktion ist bereits so gut angelaufen, dass man schon heute davon ausgehen kann, weit mehr als die angepeilten 2 Millionen Unterschriften sammeln zu können. Denn der Großteil der Bevölkerung weiß: Sollte der Versandhandel kommen, wird es für die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten unbequemer, an ihr Arzneimittel zu gelangen. Zwar soll es zunächst keine Verpflichtung geben, Arzneimittel bei Versandapotheken zu bestellen, aber dabei werden es die Krankenkassen nicht belassen. Von der Freiwilligkeit wird es sehr schnell zu einem Bestellzwang kommen, insbesondere für Patienten, die an chronischen Krankheiten leiden und ständig auf Arzneimittel angewiesen sind. Genau diese und ähnliche Nachteile, die den Patienten aus dem Bestellzwang beim Versand erwachsen werden, müssen wir jetzt in den Apotheken allen unseren Kundinnen und Kunden überbringen. Und vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass all diejenigen, die partout per Internet bestellen wollen, es schon heute tun können, nämlich in Ihrer Apotheke, wenn Sie z. B. Mitglied bei apotheken.de sind. Ein Bote der Apotheke bringt das Arzneimittel dann gerne nach Hause, sofern der Weg in die Apotheke zu beschwerlich sein sollte.
Halten wir uns an die Fakten: Der Arzneimittelversandhandel ist in Deutschland per Arzneimittelgesetz verboten. Jede Änderung dieses Zustands bedarf einer Änderung des Arzneimittelgesetzes. Daran wird auch ein Bundesverband der Versandapotheker nicht so schnell etwas ändern können.
Neues aus der "Stange-Ecke": Der Bundesgerichtshof hat in der vergangenen Woche das Urteil des Landgerichts Bielefeld gegen den Mindener Apotheker Günter Stange aufgehoben. Stange habe keine Strohmannapotheke betrieben, so dass eine Verurteilung wegen Verstoßes nach § 23 Apothekengesetz aufzuheben sei. Allerdings hat er sich als Stiller Teilhaber an Geschäften von ihm abhängiger Apotheken beteiligt, was jetzt neu vor dem Bielefelder Gericht zu verhandeln ist. Die schriftliche Urteilsbegründung des Gerichts liegt bisher noch nicht vor, doch nach alledem was bekannt wurde, scheint es nur um die strafrechtliche Einordnung Stanges Einflussnahme auf die Apotheken gegangen zu sein. Der Bestand des Fremd- und Mehrbesitzverbots schien in dem Karlsruher Verfahren jetzt keine Rolle gespielt zu haben.
Ptere Ditzel
Erdbeben und Fata Morgana
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