Fortbildung

Arzneimittel im Alter

"Arzneimittel im Alter" stellen nach Einschätzung von Prof. Dr. Albrecht Ziegler, Kiel, das maßgebliche Zukunftsthema für die Apotheker dar Ų sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch für die Sicherung ihrer Existenz. Die Verschiebung der Altersverteilung in der Bevölkerung bilde das wesentliche Potenzial für die Arbeit der Apotheker in der Zukunft. Darum stand das Thema erneut auf der Tagesordnung eines Frühjahrskongresses der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. Bei der diesjährigen Tagung, die am 20. und 21. April in Timmendorfer Strand stattfand, informierten sich etwa 150 Teilnehmer über Strategien für das Älterwerden, neurologische Aspekte des Alterns, die Ernährung, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Sucht im Alter. Auch in diesem Jahr moderierte Prof. Dr. Albrecht Ziegler die Fortbildungsveranstaltung in spannender und souveräner Weise, diesmal in Vertretung für seine Nachfolger im Fortbildungsausschuss.

Statistiken und ihre Tücken

Die langfristigen Konsequenzen demografischer Veränderungen sind nach Einschätzung von Priv.-Doz. Dr. Dr. Claus Köppel, Berlin, nur schwer kalkulierbar. So sei nicht einmal das Altern selbst klar definiert. Die Unterschiede zwischen biologischem und chronologischem Alter seien nur schwer zu objektivieren.

Auf jeden Fall werde die Prävention einen größeren Stellenwert bekommen, die bisherigen Betrachtungen griffen zu kurz. Jede medizinische Teildisziplin fordere mehr Geld, um die Behandlungen in ihrem Bereich zu verbessern. Dabei fehle die Gesamtschau. Denn wenn eine Krankheit besonders erfolgreich behandelt werde, würden die Patienten künftig an einer anderen Krankheit sterben. Wenn alle Malignome geheilt werden könnten, würde die statistische Lebenserwartung um 1,7 Jahre und die krankheitsfreie Zeit um 0,3 Jahre steigen, weil andere Krankheiten auftreten.

Jeder muss sterben, doch entscheidend sei, wie man stirbt. Daher sollte mehr die Lebensqualität als die Lebenserwartung das Maß für Interventionen sein. Dies richtet den Blick beispielsweise auf Erkrankungen des Bewegungsapparates. Könnten diese vollständig verhindert werden, stiege die durchschnittliche Lebenswartung nur um 0,2 Jahre, die krankheitsfreie Zeit aber um 5,1 Jahre. Bei solchen Überlegungen sei jedoch zu bedenken, dass viele Patienten eine relative Lebenszufriedenheit empfinden, obwohl ihr Zustand von Gesunden als sehr beklagenswert eingestuft wird.

Vergleichsweise gut sei dagegen meist der Zustand der über 100-jährigen, die etwa 0,01% der Bevölkerung ausmachen. Diese "Elite" unter den Alten zeichne sich oft durch eine besondere genetische Disposition aus, die aber in der Bevölkerung weiter verbreitet sei.

Wechselwirkungen zwischen Medizin und Demografie

Spekulationen, dass die Lebenserwartung sich bis 2040 in Richtung 100 Jahre entwickle, seien hochgradig anzuzweifeln. Doch steige die Lebenserwartung weltweit, wobei die Entwicklungsländer von einem geringeren Ausgangsniveau aus relativ stärker aufholen. Der Einfluss der Medizin auf diese Entwicklung werde im Vergleich zur Ernährung und zu den ökonomischen Bedingungen zumeist überschätzt.

Durch das höhere Alter wachse die Bedeutung von Malignomen als Todesursache. Kardiovaskuläre Erkrankungen könnten zurückgedrängt werden, wenn die Risikofaktoren stärker beachtet würden, in erster Linie der arterielle Hypertonus, insbesondere in Kombination mit Diabetes mellitus. Bei der Therapie werde noch zu wenig beachtet, dass die meisten Antihypertensiva und auch Insulin das Körpergewicht erhöhen, was selbst wiederum ein Risiko darstelle.

Regressfeldzug gegen Diabetespraxen

Insbesondere bei der Versorgung von Diabetikern sei unser Gesundheitssystem unzulänglich. Es sei erschütternd, wie diabetische Schwerpunktpraxen in Berlin von Regressen überzogen würden. Die sorgfältige und leitliniengerechte Betreuung von Diabetikern würde mit einem "Regressfeldzug" geahndet. Auch angesichts der enormen ökonomischen Bedeutung der Diabetesfolgen sei dies vollkommen unverständlich.

Neurologie des Alterns

Auf die neurologischen Aspekte des Alterns ging Dr. Reinhard Horowski, Berlin, ein. Die Zellen des Gehirns werden im Unterschied zu anderen Zellen nicht ständig abgebaut und neu gebildet. Nur so ist die Kontinuität möglich, die ein Bewusstsein und die Individualität unseres Menschseins schafft.

So muss jeder Mensch lebenslang mit etwa 100 Milliarden Nervenzellen auskommen. Diese reichten jedoch für lebenslange Lernprozesse aus und böten eine praktisch unendliche Kapazität. Zudem enthalte das Gehirn wie auch andere Organe beachtliche Reservekapazitäten. Erst erhebliche Funktionseinschränkungen würden sich im Alltag bemerkbar machen.

Die Vorstellung, jeder würde eine Alzheimer-Erkrankung entwickeln, wenn er nur ein hinreichend hohes Alter erreichen sollte, sei falsch. Das Gehirn kann durchaus auch im hohen Alter aktiv sein. Wer nicht an anderen Erkrankungen stirbt oder genetisch für Morbus Alzheimer disponiert ist, könne demnach von den Voraussetzungen des Gehirns her sehr alt werden.

Im Gehirn sei am ehesten die Funktionsfähigkeit des Dopamin-Systems begrenzend, da Dopamin ein vergleichsweise hochreaktiver Transmitter ist. Demnach sei Morbus Parkinson eine Modellerkrankung für das Altern. Bei Parkinson-Kranken ist der Abbau der Substantia nigra gegenüber der üblichen Entwicklung beschleunigt. Dies kann genetisch begründet sein oder durch äußere Noxen ausgelöst werden.

Letztlich seien die meisten neurodegenerativen Erkrankungen einschließlich Parkinson- und Alzheimer-Erkrankung auf falsch gefaltete Proteine zurückzuführen. Unter den zahlreichen und sehr wirksamen physiologischen Schutzmechanismen des Gehirns ist daher der Schutz vor solchen Proteinen besonders zu beachten.

Hierzu gehören die Chaperone, die falsch gefaltete Proteine wieder in die richtige Konformation bringen. Wenn dies nicht gelingt, sorgen Proteasome für den Abtransport der falsch gefalteten Proteine. Wenn auch dieses System überfordert wird, versucht das Gehirn solche Proteine dort abzulagern, wo sie die Funktion möglichst wenig beeinträchtigen. Dies erklärt die Plaques und Verklumpungen, die bei vielen Gehirnerkrankungen zu finden sind. Die Ablagerungen sind damit nicht selbst die Schädigungen, sondern der letzte Versuch, Schäden zu verhindern.

Das komplexe System gegen falsch gefaltete Proteine bilde ein aussichtsreiches Ziel für künftige Arzneistoffentwicklungen. Hier böten sich viele Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen, die eine spannende Entwicklung erwarten ließen.

Demenz: Das Problem, ...

Auch Priv.-Doz. Dr. Hans Gutzmann, Berlin, wies auf die hohe potenzielle Leistungsfähigkeit des Gehirns im Alter hin. Er warnte dringend davor, Störungen als alterstypisch hinzunehmen und zu verharmlosen. Stattdessen sollten Warnsignale ernst genommen werden, um eine frühzeitige Therapie zu ermöglichen, die für den Therapieerfolg wesentlich ist. Dies wird jedoch in der Praxis kaum erreicht, zumal Demenzerkrankungen etwa 20 Jahre vor den ersten Symptomen beginnen.

Angesichts von 1,1 bis 1,5 Millionen Patienten in Deutschland hat die Demenz große volkswirtschaftliche und epidemiologische Bedeutung. Es entstehen jährlich direkte Kosten von über 10 Mrd. Euro und indirekte Kosten von über 25 Mrd. Euro. Die Diagnosen verteilen sich zu etwa 57% auf Morbus Alzheimer und zu 13% auf vaskuläre Demenzen. Hinzu kommen weitere Demenzformen, beispielsweise das Demenz-Stadium bei schwerer Depression.

Zum klinischen Bild der Demenzen gehören neben der Kognitionsstörung oft auch andere Symptome, die phasenweise bestehen können, beispielsweise Depression, Unruhe, Angst, Wahn oder paranoide Zustände. Das Ausmaß der Demenz wird üblicherweise mit einem Scoresystem erfasst, z. B. mit dem ADAS-cog.

... die Therapie ...

Die antidementiv eingesetzten Arzneimittel weisen sehr heterogene Wirkprinzipien auf, weil der primäre Krankheitsmechanismus noch immer nicht bekannt ist. Derzeit wird die cholinerge Hypothese zur Erklärung des Morbus Alzheimer bevorzugt, d. h. die cholinerge Erregungsübertragung ist beeinträchtigt.

Im Unterschied zu älteren Antidementiva mit anderen Wirkprinzipien sind die Cholinesterase-Hemmer vergleichsweise gut untersucht und dominieren derzeit die Therapie. Zunächst wurde Tacrin eingesetzt, das aber wegen seiner Nebenwirkungen überholt ist.

Neuere Substanzen sind Donepezil, Galantamin und Rivastigmin, die interindividuell sehr unterschiedlich gut wirken können. Diese Arzneistoffe sind für leichte bis mittelschwere Demenzen indiziert und zeigen eine Dosis-Wirkungsbeziehung.

Daneben werden Antidementiva mit anderen Wirkungsmechanismen und anderen Nebenwirkungen eingesetzt, wie beispielsweise Akatinol, Ginkgo und Piracetam. Akatinol habe kürzlich eine europäische Zulassung erhalten, die auch für die schwere Demenz gilt.

Gegen die vaskuläre Demenz werden beispielsweise Nimodipin und ASS eingesetzt. Inzwischen werden auch Cholinesterase-Hemmer für diese Indikation getestet. Die frühere Auffassung, dass die cholinerge Hypothese nur für Morbus Alzheimer gilt, sei als hinfällig anzusehen.

Es wird intensiv nach neuen Therapieansätzen gesucht, doch mussten bisher über 95% der Entwicklungen abgebrochen werden, so beispielsweise an einem Alzheimer-Impfstoff, der bei über 6% der Patienten zu Meningoenzephalitiden geführt hat.

... und die Prävention

Als wichtige Primärprävention gelten Bildung und geistige Aktivität. In Studien erwiesen sich die Östrogensubstitution, nichtsteroidale Antirheumatika, Vitamin C und E und der Konsum von Bordeaux-Rotwein als günstige Faktoren. Für Vitamin E werden Dosierungen von 2000 mg täglich genannt, doch seien die Ergebnisse widersprüchlich. Auch Statine zeigen günstige Effekte, die nicht über die bisher bekannten Wirkungsmechanismen dieser Arzneistoffe vermittelt werden sollen. Ungünstige prognostische Faktoren sind eine geringe Schulbildung, ein erhöhter Homocystein-Serumspiegel und das Alleinleben im Unterschied zu Verheirateten.

Große Bedeutung hat die genetische Disposition, insbesondere die Allel-Zusammensetzung des Apolipoproteins. Einige Ausprägungen wirken günstig, andere stellen die größten Risikofaktoren dar, die bisher für Morbus Alzheimer gefunden wurden. Für die vaskuläre Demenz sind genetische Risikofaktoren dagegen weniger belegt. Hier gilt Bluthochdruck als Risikofaktor.

In der Diskussion wies Ziegler auf die möglichen Gefahren für Demenz-Patienten durch die Atropin-artigen Nebenwirkungen vieler Arzneimittel hin. Er verwies auf die Verordnungsstatistik, nach der in Deutschland zu etwa 70% klassische Antidepressiva mit Atropin-artigen Effekten eingesetzt würden, während in den USA und Dänemark zu etwa 70% Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ohne solche Effekte verordnet würden.

Ernährung im Alter

Welche Voraussetzungen für ein gesundes und erfolgreiches Altern durch die Ernährung geboten werden können, stellte Prof. Dr. Manfred James Müller, Kiel, dar. Ein wesentlicher Unterschied zu jüngeren Menschen liegt in der Kompensation von erzwungenen Gewichts-veränderungen.

Junge Menschen können eine zeitweilige Zu- oder Abnahme, die durch besondere Ernährungsbedingungen oder zeitweilige Krankheit entstanden ist, innerhalb kurzer Zeit durch entsprechend gesteuerte Nahrungsaufnahme wieder kompensieren. Dies gelingt alten Menschen meist nicht. Daher nehmen sie nach einer überstandenen Krankheit oft kaum wieder zu.

Dies gilt auch für die Flüssigkeitszufuhr. Auch bei Exsikkose fehlt oft das Durstgefühl. Ältere Menschen sollten daher bei Ernährungsempfehlungen stets ausdrücklich auf die nötige Flüssigkeitszufuhr von etwa 30 ml pro Tag und kg Körpergewicht hingewiesen werden.

Die Empfehlungen zur Energiezufuhr entsprechen den Empfehlungen für jüngere Personen. Bei chronischen Krankheiten sollte die Zufuhr um 20% gesteigert werden. Mittlerweile wird auch in deutschen ernährungswissenschaftlichen Empfehlungen für Ältere eine Supplementierung mit Calcium, Vitamin D und Vitamin B12 empfohlen, was eine bemerkenswerte Entwicklung darstelle.

Zur Vorbeugung neurodegenerativer Erkrankungen erscheint eine Prophylaxe mit Vitamin C und Vitamin E plausibel, mit der oxidativer Stress verhindert werden soll. Vitamin E biete jedoch keinen Vorteil bei Morbus Parkinson.

Um ein langes Leben zu fördern, wird aufgrund epidemiologischer Argumente eine mediterrane Ernährung propagiert. Da auch viele Bewohner der Mittelmeerländer sich nicht idealtypisch ernähren, dürfte es bereits einen Vorteil darstellen, auch nur einige Kriterien dieser Ernährung zu erfüllen, beispielsweise viel Verzehr von Obst, Gemüse und Cerealien, wenig Verzehr von Fleisch, Fisch und Milchprodukten und ein Verhältnis der mehrfach ungesättigten zu den gesättigten Fettsäuren in Höhe von mindestens 1,6.

Experimente an Mäusen sprechen für ein längeres Leben durch langfristige unterkalorische Ernährung. Dagegen sind Wachstumsprobleme und Mangelerscheinungen anzuführen. Zudem ist fraglich, ob die Experimente auf Menschen übertragbar sind. Bei Älteren über 75 Jahre sei die Gewichtsabnahme häufiger ein Problem als das Zunehmen. Das Abnehmen ist durch Sarkopenie, den Verlust von Muskelmasse und -kraft, zu erklären. Doch während viele Alte zu wenig essen, nehmen andere durch die ruhige, vorwiegend sitzende Lebensweise eher zu.

In beiden Fällen gelte es, die Muskelkraft zu stärken und für hinreichende Bewegung zu sorgen. Durch Krafttraining lasse sich sogar die Muskelmasse wieder erhöhen. Übergewicht werde insgesamt viel zu sehr als Ernährungsproblem und viel zu wenig als Ergebnis zu geringer Bewegung gesehen. Anstatt Menschen mit Diäten zu quälen, sollten diese sich lieber mehr bewegen.

Pharmakokinetik ...

Über die im Alter veränderten Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln berichtete Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Mühlberg, Nürnberg, ein akademischer Schüler des renommierten Gerontologen Prof. Dr. Dieter Platt (siehe Literaturhinweis). Die meisten Unterschiede zwischen den Altersgruppen beruhen auf der veränderten Pharmakokinetik. Hierfür sind hauptsächlich die eingeschränkte Nierenfunktion und die verminderte Durchblutung und Herzleistung der Älteren verantwortlich.

Je älter der Patient ist, umso weniger ist das Serumkreatinin als Maß für die Nierenfunktion geeignet. Außerdem kann die Leberfunktion eingeschränkt sein. Geringere Enzymkonzentration und Durchblutung kann auch hier den Arzneistoffabbau verlangsamen. Bereits eine leicht verminderte Albuminmenge im Plasma kann die verfügbare Konzentration von Arzneistoffen mit sehr hoher Plasmaeiweißbindung, wie z. B. Spironolacton, um ein Vielfaches vergrößern und dementsprechend die Wirkung verändern. Weiterhin steigt im Alter der Fettanteil des Körpers, wodurch sich die Verteilungsvolumina ändern.

... und Pharmakodynamik im Alter

Als Beispiele für Änderungen der Pharmakodynamik nannte Mühlberg das geringere Ansprechen auf beta-adrenerge Stimulation oder Blockade und das verstärkte Ansprechen auf Opiate bei Älteren bei gleichen Plasmaspiegeln im Vergleich zu Jüngeren.

Bei Älteren reagieren die Barozeptoren weniger auf Blutdruck-veränderungen. Auch die Ansprechbarkeit auf Sympathikus-Reize und andere Mechanismen der Gegenregulation sind schwächer ausgeprägt, weshalb Ältere eher zu Synkopen neigen. Dagegen wirken Benzodiazepine und intravenös applizierte Anästhetika bei Älteren meist stärker.

Typische Arzneimittelnebenwirkungen

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind bei älteren Patienten häufiger, da sie meist mehr verschiedene Arzneimittel einnehmen und die Gefahr von Wechselwirkungen damit ansteigt. Besonders häufig bei Älteren sind orthostatische Dysregulation, Blutdruckabfall und Synkopen. Diese werden oft durch Diuretika verursacht, da die Patienten zu wenig trinken und die Gegenregulation fehlt. Auch bei Antihypertensiva und Nitraten drohen diese Folgen, insbesondere wegen des im Alter starreren Gefäßsystem. Bei Kombination von Diuretika mit Digitalis steigt die Gefahr einer Bradykardie.

Eine weitere typische Nebenwirkung ist das akute Nierenversagen. Dies droht besonders bei der Anwendung nichtsteroidaler Antirheumatika und bei der Kombination von Thiaziden mit kaliumsparenden Diuretika und kochsalzarmer Nahrung. Schleifendiuretika vermindern die glomeruläre Filtration dagegen nicht.

Sehr häufig sind akute Verwirrtheitszustände, die fälschlicherweise als "normale" Alterserscheinung abgetan werden. Sie können durch Morphin-Derivate, Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika, Parkinson-Präparate oder Antihypertensiva hervorgerufen werden.

Bei allen sedierenden und blutdrucksenkenden Arzneimitteln ist auch das Sturzrisiko zu bedenken. Einen lange erhöhten Blutdruck bei Therapiebeginn massiv zu senken, sei daher als Kunstfehler zu betrachten.

Auch Benzodiazepine mit ihrer oft lang andauernden oder spät einsetzenden Wirkung seien in dieser Hinsicht problematisch. Denn Stürze und Frakturen stellen eine erhebliche Gefahr für alte Menschen dar und führen durch ihre Folgen oft zu Tod oder Pflegebedürftigkeit. Besonders schwer einzuschätzen seien Benzodiazepine, die einen enterohepatischen Kreislauf bilden, wie Lorazepam. Dann können die Blutspiegel mehrfach zwischen niedrigen und hohen Werten schwanken.

Doch sogar Arzneimittel, die gegen die Alterung helfen sollen, könnten problematische Nebenwirkungen haben. So wirke Ginseng als Nootropikum, zeige jedoch keinen wissenschaftlich nachweisbaren Effekt auf Alterungsvorgänge, wohl aber zahlreiche Nebenwirkungen, beispielsweise morgendliche Durchfälle, Schlaflosigkeit, Hypertonie und Ödeme.

Neben den Arzneimitteln selbst führten schlechte Compliance durch Einnahmefehler und Misstrauen, die abschreckende Wirkung der Beipackzettel, "altensichere" Verpackungen mit Kindersicherung und die gleichzeitige Behandlung durch unterschiedliche Ärzte zu Therapieproblemen bei Älteren.

Jugendlichkeit durch Prävention ...

Angesichts dieser vielfältigen Probleme des Alterns stellt sich die Frage, ob der Alterungsprozess aufzuhalten ist. Über Anti-Aging-Strategien berichtete wiederum Priv.-Doz. Dr. Dr. Claus Köppel, Berlin. Der große Markt der Wellness- und Lifestyle-Produkte suggeriere den Menschen die Möglichkeit, Jugendlichkeit gegen Geld kaufen zu können. Anstatt selbst aktiv zu werden, solle nur eine Pille geschluckt werden. Köppel empfahl stattdessen, sich zum eigenen Körper zu bekennen und Altersweisheit und Muße zu zeigen.

Gute Effekte seien von vielen, teilweise simplen Maßnahmen der Primärprävention zu erwarten, die insbesondere in den USA konsequenter als in Deutschland umgesetzt würden. Es gelte, "vermeidbare Todesursachen" zu verhindern und so "erfolgreich" zu altern.

Beispiele für Primärpräventionsmaßnahmen sind Blutdrucksenkung, Gewichtsreduktion, Raucherentwöhnung, Unfallverhütung, körperliche Aktivität, Dentalhygiene, Impfungen und Sreeningmaßnahmen wie der Test auf okkultes Blut, Koloskopie, Mammographie, Seh- und Hörtests. Solche Maßnahmen seien viel wirksamer als die Sekundär- oder Tertiärprävention.

Aktive Maßnahmen, wie die übende Krankengymnastik, seien stets wirksamer als passive Maßnahmen. Auch die soziale Aktivität, die Ernährung und geistige Herausforderungen seien wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Altern.

... oder als Pille

Um die zahlreichen gegen das Altern angebotenen Substanzen zu bewerten, sollten Kriterien der evidenz-basierten Medizin (EBM) angewendet werden. Doch schließen die meisten Studien alte Probanden aus oder weisen diese in großen Kollektiven nicht gesondert aus. So sei noch für kein Arzneimittel nach EBM-Kriterien ein Effekt nachgewiesen worden, der das Altern aufhält. Dennoch könnten die angebotenen Substanzen im Einzelfall sinnvolle Indikationen haben.

Insbesondere in den USA bestehe ein enormer Markt für Wachstumshormone. Sie würden möglicherweise kognitive Leistungen und die Knochendichte verbessern. Wie Ziegler erläuterte, beschleunigen sie die Wundheilung in beeindruckender Weise, doch drohen schwere kardiovaskuläre Beeinträchtigungen, insbesondere pektanginöse Beschwerden.

Köppel äußerte sich kritisch zur Diskussion über Testosteron. Es werde über den optimalen Testosteronspiegel gestritten, aber viel zu wenig beachtet, dass Testosteron und DHEA das Wachstum eines Prostatakarzinoms fördern könnten. Dagegen sei die Diskussion über Östrogene abgeebbt. Sie verbessern das Wohlbefinden in der Postmenopause, erhöhen aber das Risiko für Mammakarzinome und Thrombosen.

Für Melatonin gebe es keinen Beleg auf eine Wirkung bei Alterungsprozessen. Ebenso kritisch sollten diverse Neurotransmitter gesehen werden, die angeblich substituiert werden müssten. Insbesondere Menschen ohne Glutathion-S-Transferase werde eingeredet, sie müssten Glutathion substituieren. Doch fehle dieses Enzym bei der Hälfte der weißen Bevölkerung, ohne dass sich dies in der Evolution als relevanter Mangel erwiesen hätte.

Bei der Gabe von Vitaminen, möglicherweise schon in der Jugend, sollte berücksichtigt werden, dass B-Vitamine eine Akne unterhalten könnten. Sehr hochdosiertes Vitamin B6, das mitunter in Grammdosen gegen Menstruationsbeschwerden eingesetzt wird, kann Polyneuropathien auslösen. Diese entstehen möglicherweise durch neurotoxische Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess. Nach Ansicht von Köppel sollten Vitamine nur bei Mangelversorgung substituiert werden, die aber durchaus vorkommt. Unter den Mineralstoffen sei besonders Calcium wichtig. Die beste Wirkung gegen Osteoporose sei jedoch mit körperlicher Bewegung zu erzielen.

Antidepressiva seien für die Therapie unverzichtbar, sollten aber nicht als Einstieg in die Spaßgesellschaft missbraucht werden. Die neueren Arzneimittel zur Gewichtsreduktion seien sinnvoll, da Diäten meist allenfalls zwei Jahre, aber selten fünf Jahre wirken. Die Arzneimittel müssten dann aber lange genommen werden. Hier seien noch weitere Entwicklungen zu erwarten, wie auch bei den CSE-Hemmern, die sogar arteriosklerotische Prozesse rückgängig machen könnten.

Oft übersehen: Sucht im Alter

Dr. Claus Wächtler, Hamburg, befasste sich mit Süchten im Alter, die in der Öffentlichkeit verhältnismäßig wenig beachtet würden, aber durchaus Bedeutung hätten. Dabei sind Arzneimittelsüchte häufiger als der Alkoholabusus.

Studien sprechen für die verbreitete Fehlverordnung von Psychopharmaka. Einerseits würden Depressive unzureichend mit den erforderlichen Antidepressiva versorgt, andererseits erhielten viele Depressive fälschlicherweise Benzodiazepine. Zudem würden Benzodiazepine bei Schlafstörungen oft zu lange eingesetzt, empfehlenswert seien maximal vier bis sechs Wochen. Die GKV-Verordnungsstatistik weist einen Rückgang der Benzodiazepin-Verordnungen aus, doch erschienen die Zahlen immer noch zu hoch, zumal Daten über private Verordnungen an GKV-Patienten fehlen.

Sucht sei bei Älteren oft schwer zu erkennen, da die Symptome eher unspezifisch sind und leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können. Beispiele sind Gleichgewichtsstörungen, Stürze, Unterernährung, Stuhlinkontinenz, Verwirrtheit und Ängstlichkeit.

Leicht zugängliche Substanzen, die schnell anfluten und schnell Stress reduzieren, sind typische Suchtmittel. Besonders anfällig für die Sucht im Alter sind passive Personen mit schlecht entwickelter Konfliktlösungsstrategie. Oft dienen die Suchtmittel auch als Trost bei Einsamkeit.

Um der Sucht im Alter vorzubeugen, sollten psychische Störungen adäquat behandelt werden. Menschen sollten möglichst schon in der Jugend lernen, Probleme zu lösen. Bei Hochdosisabhängigkeit und steigenden Dosierungen ist Entzug als Therapiemaßnahme unumstritten. Doch sollten nach Auffassung von Wächtler auch sozial angepasste Ältere mit Sucht in niedriger Dosis ohne Tendenz zur Dosiserhöhung konsequent durch Entzug therapiert werden. Bei gutem Entzugsmanagement sei dies gut realisierbar.

Bei der Alkoholsucht, die erst im Alter entstanden ist, seien die Erfolge besser als bei jüngeren Alkoholikern. Für Benzodiazepine empfiehlt Wächtler den fraktionierten Entzug, der oft ambulant möglich ist. Dabei wird die Dosis in der ersten Woche halbiert, in weiteren ein bis drei Wochen wieder halbiert und dann über etwa 10 Wochen weiter reduziert.

Kastentext: Literaturtipp

Platt, Dieter/Mutschler, Ernst (Hrsg.) Pharmakotherapie im Alter. Ein Lehrbuch für Praxis und Klinik. XX, 511 S., 95 Abb., 197 Tab., geb. 7 85,90. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1999. ISBN 3-8047-1633-7 (WVG)

Zitat:

Ein bisschen dement ist ein bisschen zu viel. Priv.-Doz. Dr. Hans Gutzmann, Berlin

Kastentext: Das Wichtigste in Kürze

  • Wenn Erfolge bei der Therapie einer Krankheit erzielt werden, wächst der Einfluss anderer Krankheiten auf die Lebenserwartung. Derzeit steigt die Bedeutung der Malignome.
  • Das Gehirn ist nicht der wesentliche begrenzende Faktor des Alterns, Morbus Alzheimer ist keine unausweichliche Folge des Alterns, eher Morbus Parkinson.
  • Die meisten neurodegenerativen Erkrankungen beruhen auf falsch gefalteten Proteinen. Das umfassende Schutzsystem gegen solche Proteine bietet Angriffpunkte für neue Arzneitherapien.
  • Die Demenztherapie wird derzeit durch Cholinesterase-Hemmer dominiert, die relativ gut erforscht sind. Doch ist die Letztursache der Demenz noch ungeklärt.
  • Ältere sollten die gleiche Energiemenge zu sich nehmen wie Jüngere und dabei auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Sie sollten sich hinreichend bewegen, um Muskelabbau, Osteoporose und Übergewicht zu vermeiden.
  • Für Ältere wird die Substitution von Calcium, Vitamin D und Vitamin B12 empfohlen.
  • Mediterrane Ernährung gilt als günstig für erfolgreiches Altern.
  • Im Alter ist der Abbau vieler Arzneistoffe verlangsamt, insbesondere über die Niere.
  • Beta-adrenerge Arzneimittel wirken im Alter vermindert. Opiate, Benzodiazepine und intravenöse Anästhetika wirken verstärkt.
  • Orthostatische Dysregulation, akutes Nierenversagen und Verwirrtheitszustände sind typische Arzneimittelnebenwirkungen im Alter.
  • Nach EBM-Kriterien konnten noch keine generellen Arzneimittelwirkungen auf das Altern belegt werden, doch gibt es sinnvolle spezielle Indikationen im Rahmen von Alterungsprozessen.
  • Sucht im Alter wird oft übersehen und mit anderen Krankheiten verwechselt. Eine Entzugstherapie ist auch im Alter möglich und sinnvoll.

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