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Arzneimittel und Therapie
Pflanzenschutzmittel: Gefahr durch Nitrofen in Nahrungsmitteln?
Ausgangspunkt soll eine Lagerhalle in Malchin im Osten Mecklenburg-Vorpommers sein. Im Fegestaub dieser Lagerhalle war nach Angaben des Ministeriums in Schwerin eine Nitrofen-Belastung von 2 g/kg Staub gemessen worden. Lebensmittel dürfen nach der Rückstands-Höchstmengenverordnung pro Kilogramm höchstens 0,01 mg Nitrofen enthalten.
Die Halle wurde von der Norddeutschen Saat- und Pflanzgut AG Neubrandenburg (NSP) angemietet, die den aus Brandenburg stammenden Weizen zwischenlagerte und an den niedersächsischen Futtermittelproduzenten GS agri lieferte. Der NSP-Betrieb und alle Niederlassungen in anderen Bundesländern wurden gesperrt.
Verbotenes Herbizid Nitrofen
In der Bundesrepublik Deutschland ist das Herbizid seit 1981 verboten, in den neuen Bundesländern seit 1991. Das Unkrautvernichtungsmittel, das unter den Bezeichnungen Tok 2, Tok E 25 und Tokkorn im Handel war, ist ein weißes bis braunes kristallines Pulver, das in Form von Granulat aufgebracht wurde.
Es erforderte beim Umgang ein Atemschutzgerät mit Spezialfilter für toxische Partikel und ist aufgrund seiner Persistenz für die Umwelt bedenklich. Die Substanz reizt die Augen, die Haut und die Atemwege. Wiederholter oder andauernder Hautkontakt kann Dermatitis hervorrufen.
Umweltgefährdung durch Persistenz
Laut International Chemical Safety Card der EU ist die Dichlor-Benzol-Verbindung äußerst stabil. Nitrofen wird nur langsam im Boden durch Mikroorganismen und Licht abgebaut. In Boden-Abbaustudien im Labor im Dunkeln erwies sich Nitrofen als sehr persistent. Der Nitrofengehalt im Boden verringerte sich in Untersuchungen innerhalb von 100 Tagen auf ein Viertel und nahm danach nur noch langsam ab. Da in einer Lagerhalle kaum Bodenmikroorganismen vorkommen und in der Regel auch kaum Tageslicht einfällt, kann es möglich sein, dass die festgestellte Belastung noch aus der Zeit vor der Wiedervereinigung stammt. Die Halle selbst wurde 1991 vollständig von Pflanzenschutzmitteln geräumt.
Im Tierversuch kanzerogen
Nitrofen kann sich in der Nahrungskette des Menschen anreichern, da es sich bei der Fütterung von Tieren im Fettgewebe ansammelt. Es soll nicht in Milch und Körperflüssigkeiten übertreten, allerdings kann es bei Legehennen in die Eier übergehen. In Tierversuchen mit sehr hohen Dosen führte Nitrofen zu Missbildungen. Wiederum in sehr hoher Dosierung an Mäusen und Ratten verfüttert, erwies sich der Stoff als krebsauslösend.
In den Tierversuchen wurden Mengen eingesetzt, die in etwa der täglichen Aufnahme von 7000 mg Nitrofen für einen Erwachsenen entsprechen – bei einem belasteten Ei wird mit rund 0,03 mg Nitrofen gerechnet. Für den Menschen liegen in dieser Hinsicht keine Daten vor, auch nicht von Arbeitern, die mit dem Pflanzenschutzmittel gearbeitet haben.
Einsatz als Kontaktherbizid
Nitrofen (2,4 Dichlor-1-(4-nitrophenoxy)benzol 2,4-Dichlorphenyl-p-nitrophenylether) ist ein schnell wirkendes, selektives Kontaktherbizid, das sowohl über die Blätter als auch über die Wurzel aufgenommen wird. Diphenylether wie Nitrofen greifen in die Bildung von Chlorophyll ein, indem sie die Aktivität des Enzyms Protoporphyrinogen-Oxidase hemmen, einem Schlüsselenzym im Chlorophyllbiosyntheseweg, das für die Bildung des grünen Farbstoffes gebraucht wird. Der genaue Mechanismus ist nicht bekannt. In der Bundesrepublik war Nitrofen als Auflauf-Herbizid vor allem für Winterweizen zugelassen. Ein Auflauf-Herbizid wird im Frühjahr eingesetzt, wenn – noch vor dem Getreide – die ersten Unkräuter wachsen.
Kasten: Zusammenfassende gesundheitliche Bewertung von Nitrofen
Auf der Basis der dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) bis heute mitgeteilten Untersuchungsergebnissen ist das Institut zu folgender Einschätzung des gesundheitlichen Risikos gelangt: Nitrofen kann bereits in niedrigen Dosen, wie sie beim Verzehr belasteter Lebensmittel erreicht werden können, fruchtschädigend sein.
Hohe Dosen (die aus dem gelegentlichen Verzehr belasteter Lebensmittel nicht zu erwarten sind) können auch krebserregend wirken. Der Abstand zwischen der niedrigsten im Tierversuch noch fruchtschädigenden Dosis und der im ungünstigsten Fall anzunehmenden Belastung von Verbraucherinnen über Rückstände in Lebensmitteln ist geringer, als das Institut dies für Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln oder Umweltchemikalien fordert.
Damit ist das gesundheitliche Risiko durch Nitrofen für schwangere Frauen am höchsten: Beim Verzehr größerer Mengen von mit Nitrofen hoch belasteten Lebensmitteln kann eine Schädigung des Ungeborenen nicht völlig ausgeschlossen werden. Eine sichere Abschätzung des Risikos ist aufgrund der mangelhaften Datenlage nicht möglich. Die Tatsache, dass es sich um eine sowohl zeitlich als auch auf eine enge Lebensmittelpalette begrenzte Belastung handelt, reduziert das Risiko.
Dennoch müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um belastete Lebensmittel zu erkennen und aus dem Markt zu nehmen. Schwangere Verbraucherinnen, die noch Lebensmittel zu Hause haben, die mit Nitrofen belastet sein könnten, sollten diese vorsorglich zurückgeben oder vernichten und derzeit beim Einkauf Lebensmittel meiden, bei denen sie nicht sicher sind, ob sie Nitrofen-Rückstände enthalten. Die gleiche Empfehlung gilt für Kinder. Auch wenn hier das Risiko der Fruchtschädigung natürlich ausscheidet und das Risiko der Krebsentstehung bei dem gelegentlichen Verzehr von belasteten Lebensmittel – wie er vorgekommen ist – unbedeutend ist, sollte doch jede vermeidbare Belastung verhindert werden.
Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, 6. Juni 2002.
Quelle
aid infodienst Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft e.V. Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV)
Der Nitrofen-Skandal weitet sich aus: Mittlerweile wurde das Herbizid in Eiern, Hühner- und Putenfleisch und in daraus hergestellten Wurstwaren sowie in Schweinemastfutter gefunden. In Tierversuchen führte das Herbizid Nitrofen in sehr hohen Dosen zu Missbildungen und zeigte eine kanzerogene Aktivität. Nach einer zusammenfassenden Einschätzung des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ist das Risiko jedoch unbedeutend.
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