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Marburger Tag der Pharmazie: Pharmazie – eine Schlüsselwissenschaft im Ve

Pharmazeutische Fachbereiche können politische und wirtschaftliche Entwicklungen direkt kaum beeinflussen. Aber sie können es indirekt: indem sie ihren Absolventen nachhaltiges, über den Tag hinaus tragendes Wissen gepaart mit aktuellen Themen vermitteln. Auf dem 5. Marburger "Tag der Pharmazie" am 15. Mai standen aktuelle Forschungstrends im Mittelpunkt. Zudem wurden bei dieser Gelegenheit einige Ehrungen vorgenommen.

Moderner Forschungsverbund rund um das Arzneimittel

Der Dekan Prof. Gerhard Klebe betonte in seiner einführenden Rede, dass sich der traditionsreiche und berühmte Marburger Fachbereich Pharmazie in einem altersbedingten Generationswechsel befindet, der sich als Umbruch aber auch als Chance für einen Neubeginn in Forschung und Lehre nutzen lässt. Der Fachbereich hat sich zum Ziel gesetzt, seine zukünftigen Forschungsinhalte thematisch an der Prozesskette "Vom Genom zum Arzneimittel" zu orientieren.

Neuberufungen sollen inhaltlich so ausgesprochen werden, dass ein untereinander komplementärer Forschungsverbund entsteht; ein solcher Forschungsverbund könne, ausgehend von der molekularbiologischen und biochemischen Entdeckung und Validierung neuer Targets für die Therapie, über deren strukturelle Charakterisierung zu neuen Leitstrukturen von Wirksubstanzen kommen; dabei spielen rationale Konzepte des Wirkstoffdesigns, neue Ansätze zur Pharmakokinetik und schließlich auch eine effiziente Wirkstoffsynthese eine wichtige Rolle.

Die Pharmazie ist in mehrerer Hinsicht eine Schlüsselwissenschaft unserer Zeit, die sich nicht als Hilfswissenschaft anderer Disziplinen oder gar als ausführender Arm verstecken muss. Denn unser Fach sorgt erstens dafür, dass in ganz Deutschland an jedem Ort Fachleute für Arzneimittel rund um die Uhr verfügbar sind. Zweitens sorgen Apotheker zusammen mit Kollegen anderer Fächer für den sehr hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandard unserer Arzneimittel.

Drittens wirken viele motivierte Kollegen und Kolleginnen aus unseren Reihen daran mit, dass chemisches, biologisches und pharmakologisches Wissen in die Entwicklung und Sicherheit brauchbarer Medikamente umgesetzt wird; in "Schlüssel", die Stoffwechselwege und Signalkaskaden mit lindernder oder heilender Wirkung in ihrer Funktion modulieren.

Im Anschluss versicherte der Vizepräsident der Universität, Prof. Dingeldein, den Fachbereich der ungeteilten Unterstützung durch die Universitätsleitung. "Die Pharmazie gehört an die Hochschule", betonte er, was natürlich den Beifall der Anwesenden fand.

Auszeichnungen der Fakultät

Wie an jedem Marburger Tag der Pharmazie wurde auch diesmal eine Dissertation ausgezeichnet. Es war die Arbeit "Neue Syntheserouten zu unbekannten nAchR-Liganden mittels modifizierter Stille-, Tebbe- und inverser Diels-Alder-Reaktion", die Dr. Thomas Wegge unter der Anleitung von Prof. G. Seitz angefertigt hat.

Herr Wegge stellte in einem kurzen Vortrag seine beeindruckend reichhaltigen Ergebnisse anspruchsvoller Synthesen vor, die zu hochwirksamen und selektiven Acetylcholinrezeptor-Liganden führten und die als "Chimäre" des Nicotin, Anatoxin und Epibatidin verstanden werden können. Seine Verbindungen zeigen z.T. Hemmwerte im nanomolaren Bereich und werden von der Firma Bayer im Hinblick auf eine Anwendung weiter untersucht.

Dr. Hartmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, hält seit mehreren Jahren in Marburg Vorlesungen über "Neue Arzneimittel" im Rahmen der Hauptvorlesung pharmazeutische Chemie. In Anerkennung seiner Leistung, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zwischen Hochschulforschung und Apotheker im Berufsleben kompetent und spannend zu vermitteln, und zwecks Verstärkung seines sehr geschätzten Einsatzes in der Lehre in Marburg wurde er zum Honorarprofessor ernannt. Er hielt einen Antrittsvortrag über das hochaktuelle Thema "Neue Konzepte der Tumortherapie am Beispiel der Tyrosinkinasen" und bewies einmal mehr seine Fähigkeit zu umfassender sachlicher Aufarbeitung und Präsentation pharmazeutischer Themen.

Dr. Peter Imming, Privatdozent der pharmazeutischen Chemie in Marburg, wurde zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Er hielt einen Vortrag mit dem Titel "Mehr Sein durch Schein: Bimimese bei Arzneistoffen am Beispiel eigener Arbeiten". Mit seinem fesselnden Vortrag stellte er erneut seine hervorragende Qualifikation als Lehrer und ideenreicher Forscher unter Beweis; der Fachbereich Pharmazie wünscht ihm alles Gute für die weitere Laufbahn.

Historische Experimentalvorlesung

Mit der Experimentalvorlesung "Held oder Finsterling? Der Chemiker im Spiegel der schöngeistigen Literatur" gönnte sich der Fachbereich eine kurze Verschnaufpause von der aktuellen Wissenschaft. Prof. Otto Krätz vom Deutschen Museum in München unterhielt das Publikum prächtig mit seinen sarkastisch-humorvollen Ausführungen über das Bild des Chemikers in der Gesellschaft, wie es in alter und neuer Literatur erscheint.

Vom Genom zum Arzneimittel

Der Nachmittag wurde von vier Direktoren von Max-Planck-Instituten mit anspruchsvollen Übersichtsvorträgen bestritten. Die Vorträge standen unter der Überschrift "Vom Genom zum Arzneimittel", unter der der Marburger Fachbereich Pharmazie seine Forschungsaktivitäten bündeln will.

Prof. Friedrich Lottspeich, Martinsried, stellte in anschaulicher Weise den Stand der Techniken auf dem Gebiet der Proteomics vor. Die Gesamtheit aller aktiven und exprimierten Proteine einer Zelle zu unterschiedlichen zeitlichen Zuständen ist aus Sicht sowohl des Zellphysiologen als auch des Arzneimittelforschers eine wesentlich aussagekräftigere Informationsquelle als z. B. die alleinige Auswertung des Genoms. Lottspeich stellte sehr klar heraus, dass es aber nicht eigentlich um Zustände geht, sondern um komplexe Lebensabläufe und dass wir noch weit davon entfernt sind, die biochemischen Vorgänge zeitaufgelöst analysieren zu können.

Prof. Thomas Lengauer, Saarbrücken, gab eine Einführung in "Bioinformatikbeiträge auf dem Weg vom Genom zum Arzneistoff". In seinem Vortrag zog er ein realistisches Resümee, was die Bioinformatik heute bei der Suche nach Genen durch Sequenzvergleiche leisten kann. Neben dem Detektieren neuer Targets anhand von entfernten Sequenzhomologien steht vor allem die Funktionserkennung und die Analyse von komplexen Netzwerken im Vordergrund. Die Zuweisung von "Single Nucleotide Polymorphisms" (SNPs) mag dazu beitragen, Genvariationen bzw. -defekte und ggf. damit einhergehende Krankheitsbilder zu erkennen. Sicher werden von diesem Gebiet in der näheren Zukunft viele entscheidende Impulse ausgehen.

Nobelpreisträger Prof. Robert Huber, Martinsried, gab einen Überblick zu "Proteasen und ihre Regulation – was uns Strukturen lehren". Proteasen müssen reguliert sein – würden sie "ungehemmt" arbeiten, so würden sie den Organismus "auffressen". Mit Beispielen, die meist aus seiner eigenen weltberühmten Arbeitsgruppe stammen, erläuterte er die sehr unterschiedlichen Regulationsmechanismen, die man bisher in der Natur entdeckt hat.

Die Regulation biochemischer Vorgänge ist ein bislang nur unvollständig verstandenes Gebiet der Physiologie und Biochemie. Huber versucht, ausgehend von den aufwendig bestimmten Kristallstrukturanalysen von Proteinen und Proteinkomplexen, mehr Licht in die Regulationsmechanismen zu werfen. Das Verständnis der Mechanismen kann dann dazu dienen, Proteasen spezifisch mit geeigneten Medikamenten an- oder abzuschalten.

Im letzten Vortrag erläuterte Prof. Herbert Waldmann, Dortmund, wie man "Von Proteindomänen zu Wirkstoffkandidaten" kommen kann. Ebenfalls anhand von Beispielen aus seiner sehr aktiven Arbeitsgruppe demonstrierte er, dass die beiden Grundanforderungen für den von ihm propagierten Weg erfüllbar sind:

  • einerseits, ausgehend von den geometrischen Gemeinsamkeiten einer Proteinfamilie, zur qualifizierten Substanzbibliothek für die biologische Testung zu kommen – dabei setzt er vor allem auf Naturstoffe und deren Derivate;
  • andererseits durch Festphasensynthese in bis zu zehn Stufen brauchbare Mengen nach kombinatorischen Prinzipien variierter Leitstrukturen herzustellen.

Chance für die Pharmazie

Der "Tag der Pharmazie" klang gemütlich mit einem von Studierenden des 8. Semesters hergestellten leckeren Brötchen- und Kuchenbüfett und zwei Filmen aus, die im Hörsaal gezeigt wurden: "Das letzte Rezept" und "Die Apothekerin".

Es war ein unterhaltsames, motivierendes und weiterbildendes Programm, das die Pharmazie in Marburg im Zusammenwirken geladener Gäste und eigener "Kräfte" – Studierende, technische Mitarbeiter und Wissenschaftler – auf die Beine gestellt hat. Die Pharmazie als biowissenschaftliche Disziplin steht vor einer großen Herausforderung, ihre Kräfte zu mobilisieren und als die Wissenschaft vom Arzneimittel die neuen Perspektiven konsequent aufzugreifen und in Lehre und Forschung umzusetzen. Dies ist zugleich ihre Chance, in Marburg und auch anderswo.

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