Feuilleton

Sonderausstellung: Welt der Gewürze – Gewürze der Welt

Die Sonderausstellung "Welt der Gewürze" im Deutschen Museum hat sich bereits nach kürzester Zeit zu einem Renner in München entwickelt. Bis zum Ende des Jahres darf in einem (nachgestellten) orientalischen Gewürzbasar beschnuppert, befühlt und auch geschmeckt werden, was man oft nur dem Namen nach kennt; reiches Bild-, Objekt- und Textmaterial liefert Wissenswertes zur Kulturgeschichte, Verwendung und Gewinnung der Gewürze, die ja zu den ältesten Arzneipflanzen der Menschheit gehören und mit ihren offizinellen Drogen über Jahrhunderte wichtige Bestandteile der Arzneibücher aller Herren Länder waren. Mit dieser Schau will die noch junge Museums-Abteilung Pharmazie (mit dem Generalmotto "You are Chemistry") auch die nicht so sehr an der Chemie interessierten Museumsbesucher anlocken.

Gewürze haben Weltgeschichte geschrieben. Ihretwegen brachen Männer auf, um neue Erdteile und Seewege zu entdecken, fremde Länder zu erobern und Kolonien zu gründen. Städte wie Venedig, Genua, Lissabon oder Antwerpen erlebten ihren Auf- und Niedergang im Gewürzhandel. Gewürze hatten für lange Zeit etwa den wirtschaftlichen Stellenwert wie heute das Erdöl, so Dr. Elisabeth Vaupel, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Abteilung Chemie/Pharmazie des Deutschen Museums, die auch das höchst informative und reich bebilderte Begleitbuch verfasste. An Hand von acht "kulturhistorischen Porträts" – Safran, Pfeffer, Nelken, Muskat, Zimt, Ingwer, Chili und Vanille – spannt die Ausstellung den Bogen von der Botanik über pharmazeutisch-chemische Zusammenhängen bis zur modernen Anwendung in Industrie und Küche.

Begehrter Luxus Pfeffer

Seit je und in allen Kulturen galten Gewürze als begehrte Zutaten zur Verbesserung des Geschmacks und der Verträglichkeit und zum Haltbarmachen von Speisen. Wurden anfangs von den einzelnen Völkern nur heimische Gewürze genutzt, die – je nach geographischer Lage – natürlich sehr verschieden waren, so entwickelten sich doch schon sehr früh auch Handelsbeziehungen. Indische und orientalische Gewürze, oft monatelang auf dem Seeweg oder den "Gewürzstraßen" unterwegs, waren bereits zu Zeiten der Babylonier und alten Ägypter begehrte Import- und Luxusgüter.

Etwa 80 Gewürze kannte und verwendete man schon im alten Rom. Wobei Safran, Pfeffer und Zimt nur für die Oberschicht erschwinglich waren. Grund wohl auch dafür, dass Alarich mit einer Tributzahlung von 3000 Sack Pfeffer von einer weiteren Belagerung Roms abgehalten werden konnte. Aber auch im alten Rom gab's schon Probleme mit der "Nachhaltigkeit": Silphion, eine in Nordafrika heimische Umbellifere, die ein sehr beliebtes Gewürz lieferte, war plötzlich ausgerottet.

Vor allem während des Mittelalters wurden Gewürze aller Arten in unglaublichen Mengen konsumiert. Je exotischer und teurer, desto höher stieg das Ansehen. Karl der Kühne von Burgund, wohl reichster Mann seiner Zeit, ließ daher anlässlich seiner Hochzeit vor 530 Jahren 380 Pfund Pfeffer über die verschiedenen Speisen der Festtafel verteilen – sicher nicht nur für den guten Geschmack.

Gewürze zur Gesundheitsvorsorge

In erster Linie jedoch wurden Gewürze im therapeutischen Sinne eingesetzt. Bis zur Entdeckung des Blutkreislaufes 1628 und einer neuen Betrachtungsweise physiologischer Vorgänge im menschlichen Körper bestimmte die antike Humoralpathologie (Viersäftelehre nach Galen) das medizinische Verständnis und die kurativen Praktiken.

Mit der Nahrung und ausgewählten Gewürzen, deren humoralpathologische Charakterisierung und Zuordnung damals weit verbreitetes Allgemeinwissen war, bot sich die einfachste Möglichkeit, bei Krankheit das angebliche Ungleichgewicht der Körpersäfte wieder auszugleichen. Die alltägliche Gesundheitsfürsorge fand nach dem Grundsatz "Ein guter Koch ist ein halber Arzt" zum großen Teil in der Küche statt. (Da diese Grundsätze in der Traditionellen Chinesischen Medizin oder im Ayurveda bis heute gepflegt werden, finden sie über diesen Umweg auch in unseren Breiten wieder vermehrte Beachtung.)

Apotheker als Gewürzhändler

Zwischen Gewürz- und Arzneipflanze wurde früher nicht unterschieden. Daher wurden Gewürze über Jahrhunderte in Apotheken vertrieben. Man nimmt sogar an, dass sich der Beruf des "sesshaften" Apothekers (apotheca = Warenniederlage) aus dem des "reisenden" Gewürzkrämers entwickelt hat. Beide gehörten ursprünglich der gemeinsamen Krämerzunft an – in manchen Städten auch Safranzunft genannt, nach dem in der Küche und Pharmazie gleichermaßen unentbehrlichen kostbaren Gewürz.

Der Handel mit Gewürzen wurde wegen ihres großen Wertes und der nahe liegenden Gefahr der Verfälschung schon früh behördlich überwacht. Bis heute hat manches Gewürz wie Chili, Rosmarin, Salbei oder Thymian seinen Arzneicharakter bewahrt, zumal wenn dieser wissenschaftlich untermauert werden konnte.

Klöster als Bewahrer von Medizin und Arzneikunde

Die Ordensregel des heiligen Benedikt verpflichtete die Mönche des Mittelalters auch zur Krankenpflege. Antikes Medizinwissen einschließlich der Arzneikunde wurde in den Klöstern überliefert und gepflegt. Seit dem 9. Jahrhundert gehörten Arznei- und Gewürzgärten zum festen Bestandteil eines jeden Klosters. Von ihnen war die Landgüterverordnung Karls des Großen beeinflusst, der zufolge in den Domänen unbedingt anzubauen waren: Salbei, Raute, Rosmarin, Poleiminze, Liebstöckel, Thymian, Dill, Kümmel, Petersilie, Majoran, Lorbeer u. a.

Auch Importgewürze wie Ingwer, Kardamom, Koriander, Muskat, Nelken, Orangeat, Zitronat, Piment, Zimt, auch Mandeln und Pistazien wurden von Klosterapotheken vertrieben und verwendet. Die Pfefferkuchen-, Magenbrot- und Lebzelterherstellung war, wie auch die von arzneilich verwendeten Gewürzweinen und Kräuterlikören (Benediktiner, Chartreuse), immer schon eine Domäne der Klöster. Der nach Hippokrates benannte (und im Rosenkavalier verewigte) "Hypocras", ein gesüßter Gewürzwein (z. B. mit Ingwer), galt jedoch bald eher als Genussmittel der vornehmen Gesellschaft.

Muskatnuss als Liebeszauber

Heute wissen wir aufgrund naturwissenschaftlicher Untersuchungen um die physiologischen Wirkungen von ätherischen Ölen, Bitter-, Scharf- und Gerbstoffen oder anderen Inhaltsstoffen der Gewürze. Unsere Vorfahren dagegen lernten nur aus der Erfahrung. Symbol- und Analogiedenken blühte (z. B. Signaturenlehre). Weise Kräuterfrauen nutzten längst die wehenfördernden, je nach Dosis auch abtreibenden Wirkungen von Petersilie, Raute, Wacholder, Salbei oder Rosmarin. Der Pestarzt versuchte sich mit duftenden Kräutern vor der Ansteckung schützen. Mit Zimt und Nelken, Lavendel oder Rosmarin und den tierischen Duftstoffen Moschus und Ambra waren die Bisamäpfel oder Pomander (Pommes d'ambre) gefüllt; sie waren die "Schmuckdeos" des Mittelalters. Nelken waren darüber hinaus als bewährte Abhilfe bei Zahnschmerzen bekannt.

Viele aromatische Gewürze wie Muskat, Safran, Vanille oder auch Pfeffer galten allein schon wegen des starken Dufts als Aphrodisiaka. Kunstvoll gearbeitete Pomander und Muskatnussamulette sollten den Liebeszauber der Frauen erhöhen. Nicht minder kunstvolle, am Gürtel getragene Muskatreiben waren ein beliebtes Accessoire der vornehmen spätmittelalterlichen Männerwelt. Man(n) würzte seinen Portwein mit einer Prise Muskatnuss oder stärkte sich vor amourösen Abenteuern. Ob man damals schon die erlebnissteigernde und halluzinogene Wirkung der Muskatnuss spürte?

Chemie ersetzt Gewürze

Mit der rasanten Entwicklung der chemisch-pharmazeutischen Industrie und der naturwissenschaftlich fundierten Medizin seit dem 19. Jahrhundert verschwanden viele Gewürze aus dem medizinischen Alltag. Viele der einst so multifunktionell gebrauchten Pflanzen, die, wie der Safran, Jahrhunderte lang Arzneimittel, Duftstoff, würzende Speisezutat oder auch Färbemittel in einem waren, kommen heute meist nur noch als Geschmacksverbesserer zum Einsatz.

Manchem Gewürz wurde sein therapeutischer Wert abgesprochen, wenn dieser mit den neuen wissenschaftlichen Methoden nicht mess- und belegbar war – Vanille beispielsweise galt bis ins 19. Jahrhundert als probates, wenn auch teures Mittel bei weiblicher Hysterie – oder weil gefährliche Inhaltsstoffe identifiziert wurden. So hat der Kalmus, der "deutsche Ingwer", seinen festen Platz in vielen Schweden- und Magenbitter-Rezepturen eingebüßt, seit man um die kanzerogene Wirkung des β-Asarons weiß.

Promotoren von Handel und Wissenschaft

Die Ausstellung vermag zu zeigen, dass Gewürze weit mehr als nur die Geschichte des Essens und des Geschmacks erzählen. Gewürze gehörten zu den ersten Produkten eines "globalen" Welthandels. Die Suche nach dem "würzigen Gold" war eine der wichtigsten Triebkräfte der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert.

Sie beeinflusste in vielfältiger Hinsicht nicht nur die politische Geschichte, sondern auch die Technik- und Wissenschaftsgeschichte: Geographie, Kartographie, Schiffbau und Navigationstechnik verdanken dem Gewürzhunger der Europäer wesentliche Impulse. Manches Objekt aus Museumsbeständen kann dies eindrücklich belegen.

Pflanzen auf Wanderschaft

Und nicht nur die Wirtschaft geriet in Bewegung: Schon mit den Römern reisten mediterrane Arznei- und Gewürzpflanzen über die Alpen, die Araber brachten asiatische Spezies nach Nordafrika und Südspanien. Paprika und Vanille aus der Neuen Welt, sind inzwischen eher Markenzeichen für Ungarn und die Insel Réunion (früher: Ile de Bourbon, daher Bourbon-Vanille), asiatische Gewürze werden heute genauso erfolgreich in Amerika kultiviert.

Aber auch die Zeiten von Gewürzmonopolen bestimmter Länder sind vorbei. 200 Jahre lang verteidigten die Holländer ihr alleiniges Recht auf die Muskatnüsse der Molukken, bis ein Franzose mit dem bezeichnenden Namen Poivre Muskat- und Nelkenschösslinge heimlich ausführte und ihrem weltweiten Anbau Tür und Tor öffnete.

Gewürze "natur"

Immer schon weckten fremde Spezereien und Wohlgerüche die Sehnsucht und das Fernweh der Menschen. Wer nicht selbst in das Land, wo der Pfeffer wächst, reisen kann, dem bietet der Botanische Garten in München-Nymphenburg begleitend und ergänzend zur Ausstellung im Deutschen Museum einen ausgeschilderten Gewürzpfad an. Von mehr als 50 Gewürzpflanzen aus aller Welt ist in den Gewächshäusern und im Nutzpflanzenbereich des Freilandes alles Wissenswerte auf Schautafeln oder in geführten Rundgängen zu erfahren.

Kastentext: Welt der Gewürze

Eine Sonderausstellung des Deutschen Museums, Museumsinsel 1, 80538 München; In der Eingangshalle der Bibliothek Geöffnet täglich 9 – 17 Uhr, bis 30. Dezember 2002, Eintritt frei. Begleitband "Gewürze – acht kulturhistorische Porträts" von Elisabeth Vaupel, 144 S., 14,95 Euro, nur im Museumsshop erhältlich. Botanischer Garten Nymphenburg (Menzinger Straße 61 – 65): Täglich geöffnet von 9 bis 19 Uhr (Sommer)

Das Deutsche Museum in München zeigt in seiner pharmazeutischen Abteilung bis zum Jahresende eine Sonderausstellung zum Thema "Welt der Gewürze". Sie stellt die weltweit wichtigsten Gewürze vor und vermittelt Wissenswertes zu ihrer Herkunft, Gewinnung, Vermarktung und Verwendung im Wandel der Zeiten. Dabei wird die früher bedeutsame arzneiliche Verwendung verschiedener Gewürzdrogen ausgiebig dokumentiert. 

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