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Substitutionspraxis: Hintergründe und Probleme der Aut-idem-Regelung
Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) haben in erster Linie ein Einnahmen- und kein Ausgabenproblem. Die Ausgaben für gesundheitliche Leistungen sind nicht "explodiert". Im Gegenteil: Der Anteil der GKV-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist sogar von 6,5% im Jahr 1995 auf 6,2% im Jahr 2000 gesunken, so Glaeske
Lohn- und Gewinnquote gehen auseinander
Dass dennoch ein Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) verabschiedet wurde, hängt vor allem mit dem Einnahmenrückgang zusammen. Die deutschen Sozialversicherungssysteme finanzieren sich über die Lohnquote. Diese ist – im Gegensatz zur steigenden Gewinnquote – in den letzten Jahren zurückgegangen.
Hinzu kommt das Problem des demographischen Wandels. Im Jahr 2040 werden in Deutschland etwa 35% der Bevölkerung älter als 60 Jahre sein. Dementsprechend werden vermehrt chronische Erkrankungen auftreten. Um ihren Versicherten auch in Zukunft die Behandlung mit neuen, teuren Arzneimitteln (zum Beispiel bei Krebserkrankungen, AIDS, multipler Sklerose, Hepatitis C) zu ermöglichen, müssen die gesetzlichen Krankenkassen an anderer Stelle Kosten einsparen.
Ärzte verordnen teure Generika
Die Ärzte sind zur wirtschaftlichen Arzneimittelverordnung verpflichtet. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit ist zusammen mit anderen Rahmenbedingungen der Arzneimitteltherapie (wie Wirksamkeit, Nutzen, Qualität) im Sozialgesetzbuch V festgeschrieben. Dennoch wurde der Preiswettbewerb im Arzneimittelmarkt von den Ärzten bislang unzureichend genutzt. Nach Ansicht der GKV wurden zu wenig Generika verordnet, und die verordneten Generika lagen eher im oberen Drittel des Preisbereichs. Die Generikasubstitution wurde also nicht im erwünschten Maß ausgeschöpft. Deshalb kam es im Rahmen des AABG zur Aut-idem-Regelung.
Die Effizienz verbessern
Aut idem – der Austausch gegen ein preisgünstigeres Präparat mit gleichem Wirkstoff – ist eine GKV-Strategie zur Effizienzoptimierung. Effizienz heißt Wirtschaftlichkeit. Effizienzoptimierung bedeutet, mit geringeren Ressourcen das gleiche Ergebnis bzw. mit den gleichen Ressourcen ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Von der Aut-idem-Praxis werden jährliche Einsparungen von 230 Millionen Euro erwartet. Das ist im Verhältnis zum jährlichen Arzneimittel-Ausgabenvolumen von 21 Milliarden Euro nicht viel. Die Hälfte des erreichbaren Substitutionsvolumens konzentriert sich auf 25 Wirkstoffe. Insgesamt gibt es etwa 420 generikafähige Wirkstoffe. Die aktuelle Liste für die obere Preislinie des unteren Preisdrittels erfasst etwa 180 Wirkstoffe (nachzulesen unter www.bkk.de/service/aut_idem).
Probleme
Im Zusammenhang mit der Aut-idem-Regelung treten verschiedene Probleme auf. Beispielsweise versuchen Arzneimittelhersteller das untere Preisdrittel in ihrem Sinn zu beeinflussen. So kaufte die Firma Hexal das Unternehmen Lindopharm und erhöhte deren Generikapreise, wodurch obere Preislinien stiegen.
Manche Generika erfüllen die Substitutionsvoraussetzung Indikationsgleichheit mit dem Originalpräparat nicht. Zum Beispiel ist Concor cor bei Herzinsuffizienz zugelassen, viele Bisoprolol-Generika nicht. Auch Beloc-Zok hat einen Indikationsbereich mehr als manche Metoprolol-retard-Generika. Von den Doxazosin-Präparaten ist außer den Originalpräparaten nur ein Generikum für beide Indikationsgebiete – Antihypertensivum und Urologikum – zugelassen. Deshalb wurde Doxazosin nicht in die Preisliste aufgenommen.
Bei bestimmten Arzneimittelgruppen, wie Antiarrhythmika, Antiepileptika und Antiparkinsonmitteln, aber auch bei bestimmten Darreichungsformen, wie Retardarzneimitteln, kann der Austausch grundsätzlich kritisch sein (vgl. DAZ Nr. 10, S. 129: Gute Substitutionspraxis – GSP).
Phytopharmaka nicht austauschen
Bei pflanzlichen Arzneimitteln verbietet sich die Substitution im Allgemeinen. Ihr Wirkstoff – der pflanzliche Extrakt – variiert nach Topographie, Herkunft, Lagerung, Erntezeit und Verarbeitung. Die erforderliche Tagesdosierung kann sich abhängig vom Droge-Extrakt-Verhältnis erheblich unterscheiden. Bei pflanzlichen Arzneimitteln wäre ein Austausch zwischen solchen Präparaten denkbar, die zwar unter unterschiedlichem Namen über verschiedene Vertriebsfirmen angeboten werden, aber nachgewiesenermaßen aus den gleichen Herstellungschargen stammen. Hier fehlt allerdings die Transparenz im Arzneimittelmarkt. Außerdem beziehen sich die Wirksamkeitsstudien auf die einzelnen Präparate.
Arzneimittelpass wäre hilfreich
Aut idem ist in mancher Hinsicht zu früh eingeführt worden. Sinnvoll durchführbar ist der Austausch eigentlich nur zusammen mit dem Arzneimittelpass. Er enthält beispielsweise Hinweise auf Allergien des Patienten, was bei einem Wechsel auf ein Präparat mit anderen Hilfsstoffen sehr wichtig sein kann.
Trotz allem gibt es viele Arzneimittel, bei denen eine Substitution möglich ist (zum Beispiel gut lösliche Arzneistoffe, schnell freisetzende Darreichungsformen). Aufgabe des Apothekers ist es, Aut idem sorgfältig durchzuführen und auf Probleme hinzuweisen.
Wie geht es weiter?
Die Substituierbarkeit durch Generika erreicht in der Praxis bei etwa 90% ihre Grenze. In den nächsten Jahren werden viele Blockbuster-Wirkstoffe aus dem Patentschutz entlassen, sodass weitere Generikafamilien entstehen. Bei der Neueinführung von Arzneimitteln dürfte neben Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischer Qualität in Zukunft die Effizienz eine vierte "Hürde" für Arzneimittelhersteller darstellen.
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