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Berichte
Universität Tübingen: Tag der Pharmazie
Der Rektor Prof. Dr. Dr. Eberhard Schaich erinnerte in seinem Grußwort daran, dass an der Universität Tübingen erstmals 1817 eine Professur für Chemie und Pharmazie eingerichtet worden war. Die Pharmazie konnte sich jedoch nicht kontinuierlich weiterentwickeln; lange Zeit wurde das Fach noch von fachfremden Professoren mitvertreten oder durch niedergelassene Apotheker im Lehrauftrag unterrichtet. Ein Meilenstein der jüngeren Geschichte war die Errichtung des neuen Lehrstuhls für Pharmazeutische Biologie im Jahr 1968.
Heute gibt es am Tübinger Pharmazeutischen Institut sieben Professuren, 21 weitere wissenschaftliche Stellen, etwa 400 Studierende und 60 Doktoranden. Der Studienort ist unter Studenten sehr begehrt, und die Zahl der Doktoranden ist für das verhältnismäßig kleine Institut außerordentlich groß. Demnächst soll der Studiengang Diplom-Pharmazie eingeführt werden, den Schaich als "gutes Modell" lobte. Ausdrücklich dankte er der Firma Merckle GmbH für die Stiftung des Promotionspreises (s. u.).
Perspektiven der Pharmazie aus gesundheitspolitischer Sicht
Die "Perspektiven der Pharmazie" zeigte der Sozialminister Baden-Württembergs, Apotheker Dr. F. Repnik, auf. Zunächst skizzierte er das Umfeld: Das Gesundheitswesen sei der Wachstumsmarkt Nr. 1 im 21. Jahrhundert. In Baden-Württemberg sei jetzt schon jeder zehnte Arbeitsplatz in diesem Bereich angesiedelt. Der expandierende Gesundheitsmarkt sei zudem ein Impulsgeber für Innovationen der Spitzentechnologien. Um das "Spartendenken" zu überwinden, die Kräfte zu bündeln und Synergien zu erreichen, hat das Land Ende 2000 unter Beteiligung der Apotheker das "Gesundheitsforum Baden-Württemberg" gegründet.
Als Aufgabe des praktisch tätigen Apothekers wird die pharmazeutische Betreuung immer wichtiger; er muss den Patienten bzw. Kunden beraten und informieren, um die Arzneitherapie zu optimieren. Im Hinblick darauf wurde das neue Fach Klinische Pharmazie in die Approbationsordnung integriert, und die Universitäten seien nun gefordert, die entsprechenden Lehrveranstaltungen anzubieten. Auch die Fort- und Weiterbildung werde für den Apotheker aufgrund der grundlegenden Änderungen in seinem Berufsbild immer wichtiger.
Einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit leisten die Apotheker auch in der Suchtprävention. Repnik betonte, dass es ihm wegen seines "christlichen Menschenbildes" ein besonderes Anliegen sei, den Süchtigen zu helfen; bei der Therapie dürfe man die Sucht an sich nicht verharmlosen oder gar durch die Verabreichung von Suchtstoffen an den Patienten unterstützen.
Ausdrücklich sprach Repnik sich dagegen aus, den Versandhandel mit Arzneimitteln zu legalisieren. Dieser gefährde die Arzneimittelsicherheit und sei auch nicht kostengünstiger als das bestehende System, wenn man die negativen Aspekte der Strukturänderung – weniger Steuereinnahmen, Abbau von Arbeitsplätzen – mit berücksichtige.
Ferner bemängelte der Minister, dass intelligente Steuerungselemente zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen fehlen. Die aktuellen und die geplanten Reformen seien Stückwerk. Die Aut-idem-Regelung schiele nur auf den Preis und ignoriere die Qualität der Arzneipräparate. Als Alternative empfahl Repnik das Eckpunktepapier "Patient im Mittelpunkt eines wettbewerblichen Gesundheitssystems", das die unionsgeführten Länder unter der Federführung Baden-Württembergs Anfang des Jahres beschlossen haben. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, dass die Patienten sich stärker an den von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen beteiligen.
Die Apotheke im Jahr 2020
Für die Apotheke der nächsten Generation entwarf die Präsidentin der Apothekerkammer Baden-Württemberg Karin Wahl zwei Szenarien. Zuerst einige Punkte aus dem worst-case-Szenario:
- Der Versorgungsauftrag geht von Kassenärztlichen Vereinigungen auf die Krankenkassen über.
- Die Krankenkassen schließen nur noch Einzelverträge mit den verschiedenen Leistungserbringern ("Einkaufsmodell").
- Die Krankenhausapotheken übernehmen zum Teil die ambulante Versorgung.
- Der Versandhandel hat sich stark etabliert; er liefert insbesondere aus den Niedrigpreisländern, die nach der Ost-Erweiterung der EU beigetreten sind.
- Kettenapotheken haben sich durchgesetzt. Es gibt Franchise-Konzepte mit Shop-Design und klaren Vorgaben für das Sortiment und den Umsatz.
- Die Apotheken finden sich nur noch in großen Versorgungszentren in Städten; die Fläche wird durch eine Art "Apomobil" versorgt.
- Praktisch tätige Apotheker werden an der Fachhochschule ausgebildet, wobei der Lehrstoff zum großen Teil aus Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Verkaufspsychologie besteht.
- Der Arzneischatz schrumpft auf die Präparate der evidence-based medicine zusammen. Die Phytopharmaka zählen mangels klinischer Studien nicht dazu und verschwinden.
Als Alternative hielt Wahl diesem Schreckensbild ihre eigene Wunschvorstellung entgegen. Dazu gehört:
- Der Apotheker erhält mehr Kompetenz und kann z. B. auch Dienstleistungen mit der Krankenkasse abrechnen.
- Die Prävention erhält einen höheren Stellenwert – unbestrittener Fachmann auf diesem Gebiet ist der Apotheker.
- Die Vielfalt des Arzneischatzes bleibt erhalten (das Wirkprinzip der Homöopathie ist bis dann auch geklärt).
- Der Apotheker betreut den Patienten als Case-Manager (der Arzt ist der Disease-Manager).
- Die Apotheke koordiniert verschiedene Versorgungsleistungen ("Service Engineering").
Große Hoffnung setzte Wahl auf interdisziplinäre Netzwerke. Der Apotheker wird im Idealfall mit Ärzten und anderen Leistungserbringern wie in einem Team zusammenspielen. Wichtig sei es, die Apotheke bei der Anwendung neuer Verfahren zur Früherkennung und Therapie von Krankheiten frühzeitig einzubinden – was mit Blutdruckmessung und Glucosespiegelbestimmung begann, habe eine große Zukunft. Die Kammerpräsidentin schloss mit der Aufforderung an die Pharmaziestudierenden, flexibel zu sein, nach vorn zu schauen und Zukunftskonzepte zu erarbeiten.
Genfunktion und kausale Arzneitherapie
Prof. Dr. P. Ruth, Lehrstuhl Pharmakologie für Naturwissenschaftler der Universität Tübingen, referierte über "Knock-out-Mäuse: vom Gen zur Funktion – von der Krankheit zum Arzneimittel". Soweit der Wirkungsmechanismus der gegenwärtig angewendeten Arzneimittel aufgeklärt ist, lässt sich sagen, dass ihre Zielobjekte ("targets") die Produkte von nur etwa 200 Genen sind. Demnach bilden die restlichen 35 000 Gene, die im menschlichen Erbgut vermutet werden, ein riesiges unerschlossenes Potenzial für die kausale Arzneitherapie. Die Funktion eines Gens wird dadurch aufgeklärt, dass man es aus einem Organismus entfernt (Deletion oder knock-out) und die auftretenden Defizite beobachtet. Als Tiermodell dient ausschließlich die Maus, die eine große genetische Verwandtschaft mit dem Menschen aufweist.
Man produziert Knock-out-Mäuse, indem man zunächst das betreffende Gen in einer embryonalen Stammzellen (ES) zerstört und die ES mit einer Eizelle fusionieren lässt. Die daraus entstehende Maus ist heterozygot (+/–), erst deren weitere Nachkommen können homozygote k.o.-Mäuse (–/–) sein. Falls das fehlende Gen dieser Mäuse lebenswichtig ist, sind sie jedoch nicht lebensfähig, sodass man auch die Funktion des Gens nicht untersuchen kann.
Inzwischen ist es jedoch möglich, mithilfe des Cre/loxP-Systems einen konditionalen Knock-out herzustellen. Das betreffende Gen ist in der manipulierten Maus zwar zunächst noch vorhanden, aber es ist so markiert, dass es nach Gabe bestimmter Substanzen aus der DNA herausgeschnitten werden kann. Die Induzierung des Knock-out im ausgewachsenen Tier lässt sich sogar auf einzelne Gewebstypen oder Organe beschränken.
Professor Ruth hat mit konditionalen k.o.-Mäusen experimentiert, denen aufgrund des Gendefektes ein bestimmter Calcium-aktivierter Kaliumkanal (BK) in der Zellmembran fehlt. Diese Mäuse leiden unter einer motorischen Dysfunktion oder Ataxie der Hinterbeine. Möglicherweise können diese Forschungen einmal dazu beitragen, die Ursache von Krankheiten mit diesem Symptom zu verstehen und die betroffenen Patienten zu heilen.
Ehrung der Doktoranden
Höhepunkt des Tübinger Tags der Pharmazie war die Überreichung der Promotionsurkunden an die Doktoranden, soweit sie anwesend waren. Von Juli 2001 bis Juni 2002 sind in der Tübinger Pharmazie 17 Personen promoviert worden, darunter zehn weibliche und sieben männliche. Eine von ihnen, Dr. Annegret Köhle, zeichnete Dr. Ph. Merckle, Geschäftsführer der Merckle GmbH in Ulm und selbst in der Tübinger Pharmazie promoviert, mit dem Merckle-Promotionspreis 2002 aus.
Der mittelständische Arzneimittelhersteller hat den mit 2500 Euro dotierten Preis zum Universitätsjubiläum in diesem Jahr gestiftet. Mit ihm soll nun alljährlich die beste pharmazeutische Dissertation Tübingens belohnt werden, wobei die Auswahl einem unabhängigen Gremium obliegt.
Im Rahmen des Tags der Pharmazie wurde eine Ausstellung mit Kunstwerken des emeritierten Ordinarius für Pharmazeutische Chemie Prof. Dr. H. J. Roth eröffnet. Die Objekte, die dem Geheimnis alltäglicher Formen und Bauteile in Natur und Technik nachspüren, sind während der Öffnungszeiten des Pharmazeutischen Instituts, Auf der Morgenstelle 8, zu besichtigen.
Zitate
Die Gefahr ist, dass man die Prozesse nicht erkennt, weil alles so schleichend kommt. Karin Wahl
Vor 60 Millionen Jahren lebte der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Maus. Prof. Dr. P. Ruth
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