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- DAZ 34/2002
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Die Seite 3
Ob sie denken, wir merkten es nicht? Unüberlegt, unausgewogen, ungerecht und unfair - Etiketten für eine verfehlte, verunglückte Politik, für eine verkorkste Legislaturperiode. Die derzeitige Bundesregierung erweckt ungewollt den Eindruck, als sei sie bis zuletzt auf der Jagd nach Fettnäpfchen. Erst gegen "Scheinselbstständigkeit", jetzt für die "Ich-AG". Anfangs gegen die 630-Mark-Jobs, jetzt für ihre Erweiterung. Ist es Unkenntnis und Unfähigkeit? Oder ist es blanker Zynismus? Im Fass der Zumutungen ist immer noch Platz? Eine zweite Chance hat doch jeder verdient - oder? Der 22. September wird es zeigen.
Weitere Beispiele gefällig? Beginnen wir in unserem Bereich. Die Aut-idem-Regelung kann die Gesundheitsministerin, zynisch betrachtet, auf ihr Erfolgskonto buchen. Immerhin: sie hat damit eine Preissenkungswelle induziert. Die Pharmaindustrie hat sie gegen ein Bakschisch von ein paar Hundert Millionen zumindest ein bisschen beruhigt, indem sie in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens die "geniale" Bestimmung mit ins Gesetz nahm, dass jegliche Substitution verboten bleibt, wenn das ärztlich vorgegebene Präparat schon selbst als preisgünstig gilt; wenn sein Preis also im unteren Drittel liegt bzw. wenn es eines von bis maximal fünf zur Auswahl stehenden Präparate ist. Das hat die Scharfmacher in der Ärzteschaft ein bisschen gnädiger gestimmt.
Die Konsequenzen für uns: in der Apothekenpraxis - außer im Notdienst - gibt es weiter kaum Möglichkeiten zur Substitution. Das Warenlager bleibt bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln breit wie eh und je; Patienten müssen (wenn sich der Apotheker gesetzestreu verhält) völlig unnötig auf Arzneimittel warten, die der Apotheker mit hohem Kostenaufwand erst beschaffen muss, obwohl er sie in austauschfähiger Form vielfach am Lager hat, obwohl die Preisunterschiede inzwischen marginal oder verschwunden sind, obwohl also die Krankenkassen und die Versicherten nichts einsparen, obwohl volkswirtschaftlich sogar Mehrkosten entstehen, weil der Patient völlig unnötig erneut die Apotheke aufsuchen muss oder ein Bote bemüht werden muss.
Und um der Absurdität die Krone aufzusetzen: Hatte die ABDA nicht bei der Erhöhung des Kassenzwangsrabattes von 5 auf 6 Prozentpunkte (also um 20%!) weitgehend stillgehalten, weil sie sich erhoffte, dass die Apotheken als Folge von aut idem die Breite ihrer Warenläger reduzieren und ihren Einkauf verbessern könnten? Davon ist nichts geblieben - außer dass jetzt im Markt Mondangebote der Industrie zirkulieren, die uns die Politik vorwurfsvoll unter die Nase hält, die aber nur nutzen kann, wer betriebswirtschaftlich den Verstand verloren hat.
Die Mondrabatte nehmen Politik und Krankenkassen zu allem Überfluss (aber durchaus nicht unerwartet) auch noch zum Anlass, das Rabattthema generell aufzukochen - als seien Einkaufsrabatte etwas Unanständiges, als werde dadurch den Krankenkassen etwas vorenthalten, was eigentlich ihnen zustünde.
Dabei wird geflissentlich übersehen: schon bei 5% Kassenrabatt (der vom Verkaufspreis plus Mehrwertsteuer berechnet wird) führten die Apotheken 2001 rund 1/2 Mrd. DM mehr Rabatt an die Kassen ab als sie als Großhandelsrabatt erhielten. Durch die Erhöhung auf 6% wird sich der Saldo zu Ungunsten der Apotheken auf 1 Mrd. DM erhöhen.
Und ganz generell: Einkaufsrabatte der Apotheken sind durch die Väter der Arzneimittelpreisverordnung nicht verteufelt, sondern bewusst zugelassen worden. Sie schaffen einen natürlichen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Rationalisierungsmöglichkeiten auf der Großhandels- und Apothekenstufe; sie fördern betriebwirtschaftlich sinnvolles Verhalten; sie haben seit nunmehr rund einem Vierteljahrhundert ermöglicht, die Stellschrauben der Arzneimittelpreisverordnung im Wesentlichen unverändert zu lassen, sie nur leicht nachzujustieren.
Was bei den Apotheken "hinten raus kommt" (um ein Bonmot von Altbundeskanzler Kohl aufzugreifen), also der Gesamtertrag der Apotheken vor Steuern unter Berücksichtigung aller Rabatte, ist in diesem Zeitraum (Zahlen für 1980 bis 2000) aus politischer Sicht mit +116% durchaus vertretbar gewachsen: sogar geringer als die allgemeine Wohlstandsentwicklung (+169%), weniger als die Ausgaben für Arzneimittel (+201%), weniger als die Gesundheitsausgaben insgesamt (+191%), sehr viel weniger als die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen (+274%).
Genug der Zumutungen? Mitnichten! Denken wir z. B. an die Steuerreform. Großkonzerne wurden 2001 sofort um 25 Mrd. DM entlastet, unter dem Strich zahlten sie keinerlei Körperschaftsteuer mehr, erhielten sogar Rückerstattungen. 2002 wird das Ergebnis ähnlich sein - eine eklatante Wettbewerbsverzerrung und Ungerechtigkeit gegenüber allen Personenunternehmen, gegenüber allen Lohn- und Einkommensteuerzahlern. Sie sollten - von einer Gewerbesteuerentlastung abgesehen - erst nach 2003 entlastet werden.
Wegen der Hochwasserschäden soll diese Entlastung nun noch weiter verschoben werden - während sich die Shareholder-Value-Akrobaten die Hände reiben können: sie bleiben nach dem Willen der rotgrünen Bundesregierung von Opfern, die wegen der Schäden wohl unvermeidbar sind, verschont; sie können ihren Vorsprung ausbauen, werden sogar von der Reparatur der Infrastruktur überproportional profitieren. Zynismus pur?
Klaus G. Brauer
Zynismus pur?
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